Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 01.02.1991)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. Februar 1991 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger für die Zeit von September 1987 bis Juni 1988 das Kindergeld unter Berücksichtigung der am 7. August 1970 geborenen Tochter Franziska zu gewähren hat. Franziska lebte während dieser Zeit unfreiwillig in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Sie hatte wegen des von ihr gestellten Ausreiseantrages keinen Ausbildungsplatz erhalten und war deshalb von der Inneren Mission als Hilfskraft gegen ein monatliches Entgelt von 400 Mark der DDR (M) beschäftigt worden.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 13. August 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 1987 die Berücksichtigung des Kindes mit der Begründung ab, die Tochter des Klägers habe sich in der streitigen Zeit nicht in einer Berufsausbildung befunden. Der Umstand, daß dafür politische Gründe maßgeblich gewesen seien, rechtfertige die Anwendung des § 2 Abs 4 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) nicht. Diese Vorschrift sei nur auf Kinder anzuwenden, die sich im Bundesgebiet vergeblich um einen Ausbildungsplatz bemüht hätten.

Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem ersten Urteil vom 13. Januar 1989 – L 6 Kg 8/88 – die Zurückweisung der Berufung mit der Ansicht begründet, § 2 Abs 4 Satz 1 BKGG treffe eine Ausnahmeregelung nur für Kinder, die im Geltungsbereich des BKGG keinen Ausbildungsplatz erhielten oder die im Bundesgebiet oder Berlin-West als Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stünden. Die Vorschrift des § 2 Abs 4 Satz 1 Nr 2 BKGG könne daher auf die Tochter des Klägers nicht analog angewandt werden.

Auf die erste Revision des Klägers hat der erkennende Senat durch Urteil vom 30. Mai 1990 – 10 RKg 9/89 – (SozR 3 5870 § 2 Nr 6) entschieden, daß kindergeldrechtlich auch die Kinder zu berücksichtigen seien, die in den in § 2 Abs 5 Satz 3 BKGG genannten Staaten wohnen, wenn sie aus politischen Gründen an der Aufnahme oder Fortsetzung einer Berufsausbildung gehindert werden. Jedoch könne die Leistungspflicht bei eigenem Einkommen solcher Kinder entsprechend § 2 Abs 4 BKGG eingeschränkt sein.

Nach Zurückverweisung der Sache hat das LSG die Berufung durch Urteil vom 1. Februar 1991 – L 6 Kg 9/90 – erneut und nunmehr mit der Begründung zurückgewiesen, unter Berücksichtigung des Kaufkraftvergleiches zwischen der Bundesrepublik und der ehemaligen DDR habe das Einkommen der Tochter des Klägers in der streitigen Zeit den nach § 2 Abs 4 Satz 2 Nr 3 BKGG maßgeblichen Grenzbetrag überschritten.

Der Kläger begründet seine – vom LSG zugelassene – Revision damit, daß die zwangsweise in der ehemaligen DDR verbliebenen Kinder durch die in § 2 Abs 4 Satz 2 BKGG getroffene Regelung im Hinblick auf die bei ihnen bestehende Zwangslage weiterhin ausgegrenzt werden würden. Überdies sei entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung bei den unfreiwillig in der DDR verbliebenen Kindern in den Fällen des § 2 Abs 4 Satz 2 BKGG das Gesamteinkommen aller in der ehemaligen DDR verbliebenen Familienangehörigen zugrundezulegen. Schließlich sei auch die vom LSG getroffene Vergleichsberechnung nicht nachvollziehbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. Februar 1991 und das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 25. Mai 1988 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. August 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger das für die Zeit von September 1987 bis Juni 1988 zu zahlende Kindergeld unter Berücksichtigung der Tochter Franziska zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Durch das – für den erkennenden Senat selbst bindende (§ 202 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫ iVm § 318 der Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫) Urteil vom 30. Mai 1990 – 10 RKg 9/89 (aaO) steht fest, daß das Kind Franziska nach § 2 Abs 4 Satz 1 Nr 1 BKGG berücksichtigt werden muß, sofern das eigene Einkommen des Kindes monatlich 400 DM nicht erreicht (§ 2 Abs 4 Satz 2 Nr 3 BKGG). Insoweit hat der erkennende Senat ferner bindend entschieden, daß in den Fällen des § 2 Abs 5 Satz 3 BKGG bei der Anwendung des § 2 Abs 4 Satz 1 BKGG auf die Lebensverhältnisse des Kindes im Aufenthaltsstaat abzuheben ist und daß deshalb ein Einkommensvergleich erforderlich wird.

Die daraufhin vom LSG getroffene Bewertung des eigenen Einkommens der Tochter Franziska entspricht der Sach- und Rechtslage. Das Kindergeld ist auch in den Fällen des § 2 Abs 4 BKGG eine Leistung, die Lasten-Ausgleichscharakter für das einzelne Kind hat (vgl dazu Urteil des erkennenden Senats vom 24. September 1986 – 10 RKg 6/85 –, SozR 5870 § 2 Nr 46 mwN). Daher kommt es nicht, wie die Revision meint, darauf an, ob andere in der ehemaligen DDR verbliebene Familienmitglieder kein oder nur ein geringes Einkommen hatten und wie hoch das Gesamteinkommen aller in der ehemaligen DDR verbliebenen Familienmitglieder war.

Auch die Rechtssätze, die das LSG bei dem von ihm durchgeführten Einkommensvergleich zugrundegelegt hat, sind nicht zu beanstanden. Da die Bundesregierung von der ihr in § 2 Abs 6 BKGG erteilten Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht hat, muß die Vorschrift des § 2 Abs 4 Satz 2 BKGG wegen der unterschiedlichen Währungen ausgelegt werden, so daß letztlich in den Fällen des § 2 Abs 5 Satz 3 BKGG iVm § 2 Abs 4 Satz 2 Nr 1 BKGG der Normgehalt des § 2 Abs 6 BKGG herangezogen werden muß (vgl Urteil des Senats vom 30. Mai 1990 aaO). Dies konnte in der vom LSG praktizierten Art und Weise in Anwendung des vom Statistischen Bundesamt gültigen Kaufkraftvergleiches erfolgen, weil gerade dieser Vergleich der Zielsetzung des § 2 Abs 5 BKGG iVm § 2 Abs 4 Satz 2 BKGG entspricht (vgl dazu auch die Begründung zu Nr 2 Abs 6 in BT-Drucks 7/2032, S 9). Soweit das LSG anhand dieser Vergleichswerte festgestellt hat, daß das von Franziska erzielte Einkommen von 400 M einem Vergleichsbetrag von etwa 1.000,00 DM entspreche, handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung, an die der erkennende Senat gebunden ist, weil die Revision sie allein mit der Behauptung, sie sei für den Kläger nicht nachvollziehbar, nicht substantiiert angegriffen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172716

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