Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 04.08.1989; Aktenzeichen L 4 Kr 8/87)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. August 1989 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Beitragspflicht der Klägerin zur beigeladenen Bundesanstalt für Arbeit (BA) seit dem 1. Januar 1984.

Die 1943 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Sie ist seit vielen Jahren bei der beigeladenen Stadt Konstanz als Ausländerkoordinatorin beschäftigt und wohnt in der Schweizer „Grenzzone” iS des Art 1 des Abkommens vom 21. Mai 1970 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat über den Grenzübertritt von Personen im kleinen Grenzverkehr (BGBl II 746). Mit Bescheid vom 2. Februar 1984 teilte die Beklagte der Klägerin mit, seit dem 1. Januar 1984 bestehe für sie Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung, nachdem die Vierte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, nach der sie als Grenzgängerin beitragsfrei gewesen sei, durch das Gesetz zu dem Abkommen vom 20. Oktober 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Arbeitslosenversicherung außer Kraft getreten war. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. April 1984, Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Konstanz vom 27. November 1986 und Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg ≪LSG≫ vom 4. August 1989). Das LSG führte im wesentlichen aus: Für die im Geltungsbereich des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) angestellte Klägerin sei seit Januar 1984 neben dem Arbeitgeberanteil auch der Arbeitnehmeranteil am Beitrag zur BA abzuführen (§§ 167 ff AFG in der bis zum 31. Dezember 1988 und in der seit 1. Januar 1989 geltenden Fassung durch das Gesetz zur Änderung des AFG vom 20. Dezember 1988 – BGBl I 2343 –). Weder zwischenstaatliche noch mehrseitige Abkommen würden die Klägerin von der Zahlung ihres Beitragsanteils befreien. Auch Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft (EG) würden ihr Begehren nicht stützen. Den Rechtsstreit gemäß Art 100 Grundgesetz (GG) auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen, bestehe keine Veranlassung; denn die Bestimmungen der §§ 167 ff AFG seien nicht verfassungswidrig. Es liege insbesondere kein Verstoß gegen Art 3, 14 und 20 GG vor.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, die Bestimmungen der §§ 167 ff AFG iVm Art 3 Abs 3 Ziff 2 des Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Oktober 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Arbeitslosenversicherung vom 13. September 1983 seien wegen Verstoßes gegen Art 3 und 14 GG verfassungswidrig. Eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG sei darin zu sehen, daß sie aufgrund ihrer Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland zwar beitragspflichtig zur BA sei, im Unterschied zu anderen Beitragspflichtigen im Falle der Arbeitslosigkeit aber kein Arbeitslosengeld (Alg) erhalte. Werde eine Person von der Hauptleistungspflicht der BA, hier Gewährung des Alg, gänzlich ausgeschlossen, so dürfe von dieser Person auch kein Beitrag zur BA erhoben werden. Ein Verstoß gegen Art 14 GG sei darin zu sehen, daß ihre Beitragsleistung eine vermögenswerte Rechtsposition begründe. Da sie aber keine Aussicht auf Leistung habe, seien die Beiträge zu erstatten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. August 1989 und das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 27. November 1986 aufzuheben sowie unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 2. Februar 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 1984 festzustellen, daß die Klägerin nicht zur Bundesanstalt für Arbeit beitragspflichtig ist.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für rechtmäßig.

Auch die Beigeladene zu 1) beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie führt aus, wenn die Klägerin als Grenzgängerin aus der Schweiz von der Sonderregelung des Art 8 des deutsch-schweizerischen Abkommens über Arbeitslosenversicherung als Drittstaatsangehörige nicht erfaßt werde und deshalb in der Schweiz keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung habe, so sei dies nicht Gegenstand des anhängigen Streitverfahrens.

Die Beigeladene zu 2) hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie hat gemäß § 168 Abs 1 Satz 1 AFG seit dem 1. April 1984 Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu zahlen.

Die Beklagte war befugt, im angefochtenen Bescheid vom 2. Februar 1984 über die Beitragspflicht der Klägerin zur Arbeitslosenversicherung zu entscheiden. Die Zuständigkeit der Beklagten ergab sich damals aus § 182 Abs 1 AFG, seit dem 1. Januar 1989 ergibt sich die Zuständigkeit aus § 28h Abs 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuches – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV).

Bis zum 31. Dezember 1983 war die Klägerin nach einer Sonderbestimmung des deutschen Rechts von der Beitragspflicht zur BA befreit. § 5 Abs 1 der Vierten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (Verordnung zu § 197 Abs 3 und 4 AVAVG) vom 18. April 1958 (BGBl I S 304) sah vor, daß „Arbeitnehmer und die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, die ihren Wohnort in der Schweiz haben, im Geltungsbereich des AVAVG beschäftigt sind und mit einer gewissen Regelmäßigkeit an ihren Wohnort zurückkehren (Grenzgänger)”, im Geltungsbereich des AVAVG nicht der Pflicht zur Arbeitslosenversicherung unterlagen. Die Pflicht des Arbeitgebers, seinen Anteil am Beitrag zur BA für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung zu entrichten, blieb unberührt (§ 5 Abs 2 aaO iVm § 198 AVAVG, vgl heute § 173 Abs 2 AFG – hinsichtlich der Beitragspflicht des Arbeitgebers trotz Versicherungsfreiheit des Arbeitnehmers auch § 1386 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫). § 5 Abs 1 der Verordnung zu § 197 Abs 3 und 4 AVAVG wurde durch § 242 Abs 41 Nr 2 AFG auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes zum 1. Juli 1969 aufrechterhalten. Die Verordnung wurde jedoch insgesamt durch das Gesetz zu dem Abkommen vom 20. Oktober 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Arbeitslosenversicherung vom 13. September 1983 mit Inkrafttreten des Abkommens zum 1. Januar 1984 außer Kraft gesetzt (vgl wegen des Inkrafttretens des Abkommens Bekanntmachung vom 30. November 1983, BGBl II 796). Damit unterfällt die Klägerin der Vorschrift des § 168 Abs 1 AFG, wonach (ua) Personen beitragspflichtig sind, die als Angestellte gegen Entgelt beschäftigt sind. Das trifft auf die Klägerin zu. Sie ist weder nach § 169 AFG in der vor dem 1. Januar 1989 geltenden Fassung noch nach den §§ 169 ff AFG idF des Gesetzes zur Änderung des AFG vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2343) oder einer Rechtsverordnung nach § 173 Abs 1 AFG beitragsfrei. Die Voraussetzungen der genannten Vorschriften liegen bei der Klägerin nicht vor. Sie ist auch nicht nach einer Rechtsverordnung gemäß § 173 Abs 1 AFG beitragsfrei, weil der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung eine solche Rechtsverordnung nicht erlassen hat. In § 3 Nr 1 SGB IV, der gemäß § 173a AFG auch für das AFG gilt, ist der Grundsatz formuliert, daß alle diejenigen, die im Inland arbeiten, auch beitragspflichtig sind. Weder Staatsangehörigkeit noch der Wohnsitz spielen eine Rolle. Ausländer und Deutsche, die im Ausland wohnen, sind also grundsätzlich beitragspflichtig, wenn sie im Inland arbeiten. Besonderheiten gelten für Fälle der Einstrahlung und der Ausstrahlung (vgl § 173a AFG iVm §§ 4 und 5 SGB IV) und für Grenzgänger, soweit sie durch Regelungen des über- oder zwischenstaatlichen Rechts erfaßt sind.

Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß weder über- noch zwischenstaatliches Recht die Beitragsfreiheit zur beigeladenen BA zu begründen vermögen.

Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Arbeitslosenversicherung vom 20. Oktober 1982 (BGBl II 1983, 579) regelt auf diesem Rechtsgebiet die Beziehungen beider Vertragsstaaten. Nach Art 8 des Abkommens erhalten Grenzgänger Alg (Arbeitslosenentschädigung) nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates, in dessen Gebiet sie wohnen. Das wäre bei der Klägerin die Schweiz. Als „Grenzgänger” wird in Art 1 Nr 6 des Abkommens ein Arbeitnehmer definiert, für den aufgrund seiner regelmäßigen und ordnungsgemäßen Beschäftigung in der Grenzzone eines Vertragsstaates dessen Rechtsvorschriften gelten und der in der Grenzzone des anderen Vertragsstaates wohnt. Den persönlichen Geltungsbereich dieses Abkommens erstreckt Art 3, soweit nichts anderes bestimmt ist, jedoch nur auf Staatsangehörige der beiden Vertragsstaaten sowie Flüchtlinge und Staatenlose, die im Gebiet eines der beiden Vertragsstaaten wohnen. Der grundsätzliche Ausschluß von Drittstaatsangehörigen bedeutet, daß drittstaatsangehörige Grenzgänger nach dem innerstaatlichen Recht des Beschäftigungsstaates beitragspflichtig sind. Somit verbleibt es bei der Klägerin als Drittstaatlerin bei der Beitragspflicht am Beschäftigungsort.

Auch aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 rechtfertigt sich die von der Klägerin begehrte Beitragsfreiheit nicht. Zwar sind die Art 6 bis 9 des deutsch-türkischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 nach Ziff 7 des Schlußprotokolls (idF des Art 1 Nr 32 des Zusatzabkommens vom 2. November 1984 – BGBl 1986 II 1040) seit Inkrafttreten am 1. April 1987 (vgl BGBl 1987 II 188) entgegen der Auffassung des LSG auch auf die Rechtsvorschriften der Vertragsparteien über Beiträge, Umlagen und Leistungen über Arbeitsförderung und Arbeitslosenversicherung anzuwenden. Die Klägerin erfüllt aber keine der dort genannten Voraussetzungen (zB entsandte Personen). Somit bleibt es auch aufgrund nationalen Rechts bei der Beitragspflicht im Beschäftigungsstaat. Das Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), insbesondere die EWG-Verordnung Nr 1408/71, ist für die Klägerin als Staatsangehörige der Türkei, die mit der EG nur assoziiert ist, nicht anwendbar. Somit heben weder über- noch zwischenstaatliche Rechtsquellen die in § 168 AFG begründete Beitragspflicht auf.

Die Klägerin ist der Ansicht, sie brauche, weil sie im Falle der Arbeitslosigkeit kein Alg erhalte, Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht zu entrichten. Grundvoraussetzung dieser Argumentation ist, daß keine Leistungsansprüche bestehen, wobei die Klägerin meint, wenn bei Arbeitslosigkeit kein Alg beansprucht werden könne, so reiche das für eine Beitragsfreiheit aus. Sie sieht im Alg die „Kernleistung” der Arbeitslosenversicherung, ohne die es nicht gerechtfertigt sei, Beiträge zu erheben.

Durch eine gesetzliche Vorschrift sind Grenzgänger wie die Klägerin nicht vom Bezug des Alg ausgeschlossen. Auch würde ein derartiger Anspruch nicht nach den §§ 117 ff AFG ruhen. Grundsätzlich sind Geldleistungen an Arbeitslose bei Auslandsaufenthalt nicht ausgeschlossen. Ein Beispiel enthält Art 8 Abs 2 des Abkommens vom 20. Oktober 1982, wonach Grenzgänger Alg im Beschäftigungsgebiet erhalten können, als ob sie dort wohnten. Bei Auslandsaufenthalt kann der Anspruch auf Alg aber daran scheitern, daß er die Verfügbarkeit des Arbeitslosen bei der Vermittlung (§§ 100, 103 AFG) voraussetzt (vgl von Maydell in Burdenski, von Maydell, Schellhorn, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – 2. Aufl, § 30 Rz 88). Ob jemand iS dieser Verfügbarkeit der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, hängt von den tatsächlichen Verhältnissen ab. Der daran möglicherweise im konkreten Fall scheiternde Leistungsanspruch kann aber nicht aus Rechtsgründen zur Beitragsfreiheit führen. Im Leistungsfall müßte vielmehr festgestellt werden, ob wegen der besonderen Verhältnisse im Fall der Klägerin, deren Beschäftigungsort die Stadt Konstanz im Grenzgebiet ist, Verfügbarkeit ggf ausnahmsweise wegen des nahe bei Konstanz, aber in der Schweiz gelegenen Wohnsitzes zu bejahen ist. Außerdem könnte die Klägerin durch eine Verlegung des Wohnsitzes ins Bundesgebiet Hindernisse hinsichtlich der Verfügbarkeit beseitigen. Das hängt von ihr ab. Die Möglichkeit eines Bezuges von Alg kann also hier nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden. Wollte man in solchen Fällen – losgelöst von einem konkreten Leistungsfall – Beitragsfreiheit annehmen, dann könnte diese auch demjenigen zuerkannt werden, der ankündigt, er werde bei Arbeitslosigkeit wegen seines Verhaltens für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer nicht mehr in Betracht kommen (§ 103 Abs 1 Satz 3 Nr 2 AFG). Dieses Beispiel macht deutlich, daß eine Beitragspflicht nur unter strengeren, besonderen Voraussetzungen entfallen kann.

Berücksichtigt werden muß darüber hinaus, daß das Prinzip der Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung nicht die Ordnung der Arbeitslosenversicherung beherrscht (so BSGE 45, 49, 58 f und 63, 153, 159 = SozR 4100 § 112 Nrn 6 und 39). Das Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung ist von der Entrichtung von Beiträgen unabhängig (vgl Urteil des BSG vom 6. Februar 1992 – 7 RAr 134/90); Beitrags- und Leistungsrecht können an unterschiedliche Voraussetzungen anknüpfen (vgl BSGE 59, 183, 187 = SozR 4100 § 168 Nr 19). In der Sozialversicherung werden die Bereiche der Kranken- und der Arbeitslosenversicherung besonders stark vom Solidaritätsprinzip geprägt. Dieses gebietet es, daß sich Arbeitnehmer, solange sie Arbeitsentgelt erhalten, mit Beiträgen an der Finanzierung von Leistungen der Versichertengemeinschaft beteiligen, unabhängig davon, ob und ggf in welchem Umfang beim Beitragszahler ein Schutzbedürfnis besteht (vgl BSGE 47, 60, 62 mwN; 59, 183, 185 und 68, 236, 241 = SozR 2200 § 169 Nr 6; 4100 § 168 Nr 19 und SozR 3-4100 § 104 Nr 6). Vorteile und Lasten brauchen für den einzelnen Versicherten nicht äquivalent zu sein (so BSGE 57, 179, 182 = SozR 2200 § 517 Nr 8). Individuelle Verschiedenheiten des leistungsrechtlichen Risikos bleiben bei der Beitragsgestaltung prinzipiell unberücksichtigt (vgl BSGE 56, 191, 195; 69, 72, 74 = SozR 2200 § 385 Nr 6; 3-2500 § 241 Nr 1).

Der Senat verkennt nicht, daß allgemein im Sozialversicherungsrecht (einschließlich der Arbeitslosenversicherung) Beitrag und Leistung bei einem Versicherungsverhältnis in einer engen gegenseitigen wirtschaftlichen und rechtlichen Abhängigkeit stehen (vgl die Entscheidung des Großen Senats – GrS – vom 16. Dezember 1971 in BSGE 33, 280, 283). Auch das BVerfG hat erklärt, Versicherungsleistungen und Versicherungsbeiträge seien aufeinander bezogen und stünden in einem „Gegenleistungsverhältnis”, soweit das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit keine Abweichungen erfordere (so BVerfGE 79, 223, 236 = SozR 2200 § 180 Nr 46 S 198). Deshalb hat der erkennende Senat in der gesetzlichen Krankenversicherung entschieden, daß eine Krankenkasse für die zurückliegende Zeit keine Beiträge fordern kann, wenn der Versicherte ihm zustehende Leistungen nicht in Anspruch nehmen konnte. Bei dieser Sachlage widerspreche es der Wechselbeziehung zwischen Beitragspflicht und Leistungsansprüchen sowie dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB), wenn die Krankenkasse für diesen Zeitraum Beiträge beanspruchen könne (so BSGE 69, 20, 22 = SozR 3-2200 § 381 Nr 2 mwN). Dabei handelte es sich jedoch um zurückliegende Zeiten, in denen der Versicherte Leistungsansprüche nicht realisieren konnte, weil er über seine Pflichtmitgliedschaft nicht ausreichend aufgeklärt worden war oder überhaupt keine Kenntnis vom bestehenden Versicherungsschutz hatte. Derartige Sachverhalte lassen sich nicht mit dem Fall der Klägerin vergleichen, so daß für sie aus der zuletzt erwähnten Rechtsprechung eine Beitragsfreiheit nicht hergeleitet werden kann.

Der erkennende Senat vermochte den verfassungsrechtlichen, insbesondere mit einem Verstoß gegen Art 3 und 14 GG begründeten Bedenken der Klägerin gegen die für sie bestehende Beitragspflicht aus § 168 AFG nicht zu folgen.

Das Alg kann nicht als die allein wesentliche Leistung des AFG angesehen werden. In der Begründung des Regierungsentwurfs zum AFG wird die neu formulierte Aufgabenstellung dahin umschrieben, daß die Wandlungen in der Wirtschaft, technischer Fortschritt und Automation in erheblich stärkerem Maße als bisher wirkungsvolle Maßnahmen zur Verhütung der Arbeitslosigkeit erforderten. Der Arbeitnehmer müsse für den veränderten Ablauf des Arbeitslebens besser gesichert werden. Dies sei vor allem durch eine Stärkung seiner beruflichen Mobilität zu erreichen. Daher seien insbesondere Umschulung, beruflicher Aufstieg und Leistungsförderung sowie Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitslosigkeit von besonderer Bedeutung (vgl Begründung des Regierungsentwurfs des AFG, A. Allgemeiner Teil, III. Ziele des AFG, 1. Übersicht, BT-Drucks V/2291, S 53 f). Dieser gewandelten Auffassung der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik folgend ist das AFG gekennzeichnet durch eine Wendung von bloßer Absicherung bei Arbeitslosigkeit zu rechtzeitigen vorbeugenden Maßnahmen gegen Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt, von Ausgleichs- und Vermittlungsbemühungen im Einzelfall zu einer umfassenden vorausschauenden Politik der Berufs- und Arbeitsplatzwahl. An die Stelle des reinen Versicherungsdenkens trat ferner die Absicht, die Rücklagen der BA auch zu einem produktiven Einsatz der Mittel zur Schaffung und Umstrukturierung von Arbeitsplätzen zu nutzen (vgl Schriftliche Erklärung des Bundesarbeitsministers Katzer, Deutscher Bundestag, 5. WP, 234. Sitzung, StenBer S 12902). Dieser Grundkonzeption entsprechend formulieren die §§ 1 – 3 AFG die Ziele des AFG und die Aufgaben der BA. Entsprechend seiner umfassenden und vor allem auf dem Gedanken der Generalprävention aufgebauten Zielsetzung ging der Regierungsentwurf (aaO unter A III 8) davon aus, daß zur Beitragszahlung alle Personen verpflichtet sein müßten, die an der Gesundhaltung des Arbeitsmarktes ein unmittelbares Interesse hätten.

Die Beitragspflicht der Klägerin aus § 168 AFG ist – trotz möglicher Einschränkungen auf der Leistungsseite – mit dem GG vereinbar. Das ergibt sich aus dem Beschluß des BVerfG vom 11. März 1980 (BVerfGE 53, 313 = SozR 4100 § 168 Nr 12). Darin hat das BVerfG entschieden, im Hinblick auf die gesetzlichen Aufgaben der beigeladenen BA sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn Bezieher von Knappschaftsausgleichsleistung und vorgezogenem Knappschaftsruhegeld, die regelmäßig im Fall ihrer Arbeitslosigkeit kein Alg bezögen, gegenüber der BA beitragspflichtig seien. Bei dem Kläger jenes Ausgangsverfahrens, das zur Vorlage an das BVerfG geführt hat, handelte es sich im Gegensatz zur Klägerin hier im Revisionsverfahren um einen im Inland wohnenden Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Die sich daraus ergebenden Unterschiede im Recht der Arbeitslosenversicherung lassen aber unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keine unterschiedliche Beurteilung der Beitragspflicht aus § 168 AFG zu. Wenn schon ein ruhender Anspruch auf Alg nicht zur Beitragsfreiheit führt und das nicht gegen Art 3 und 14 GG verstößt, dann um so weniger ein möglicherweise an mangelnder tatsächlicher Verfügbarkeit scheiternder Anspruch.

Eine Bestätigung der Auffassung, daß die sich aus dem Versicherungsverhältnis ergebende Verpflichtung der Klägerin zur Beitragszahlung keine Grundrechte verletzt, läßt sich auch aus dem Beschluß des BVerfG vom 3. Juli 1989 (SozR 4100 § 168 Nr 21) herleiten. Danach berechtigt die gemeinsame Interessenlage aller abhängig Beschäftigten, die in ihrer Beitragspflicht zum Ausdruck kommt, grundsätzlich dazu, Arbeitnehmer auch dann der Beitragspflicht zu unterwerfen, wenn ihnen einzelne (beitragsabhängige) Leistungen, wie das Alg, aufgrund ihres ausländerrechtlichen Status regelmäßig nicht zugute kommen. Dabei sei ein genereller Ausschluß derartiger Ausländer aus dem sozialen Schutzsystem ohnehin nicht anzunehmen.

Es muß der Bundesregierung überlassen bleiben, ob sie von der Ermächtigung des § 173 AFG Gebrauch macht, oder ob sie in Verhandlungen mit der Schweiz eine Verbesserung der Leistungsgewährung an ausländische Arbeitnehmer mit dem Wohnsitz in der Schweiz anstrebt. Letzteres ist durch ein vor dem Abschluß stehendes weiteres Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft geschehen. Dadurch ist zu erwarten, daß der Schutz der Klägerin auf der Leistungsseite von möglichen Beeinträchtigungen frei wird. Praktisch dürfte das allerdings für sie kaum von Bedeutung sein; denn bei einer langjährigen Beschäftigung im öffentlichen Dienst ist eine drohende Arbeitslosigkeit eher den seltenen Ausnahmen zuzurechnen.

Der Solidarbeitrag der Klägerin zu einem funktionierenden Arbeitsmarkt ist daher bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise sowie unter Gesichtspunkten des Wettbewerbs und der legitimen Möglichkeiten zur Lenkung der Beschäftigung von Ausländern durchaus gerechtfertigt. Die Revision konnte keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173008

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