Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 26.06.1997; Aktenzeichen 1 L 197/96)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Juni 1997 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der etwaigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15.000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.

Die Frage,

ob es dann, wenn sich ein Vorhaben nach der Art und dem Maß seiner Nutzung in die Umgebung einfügt, im Rahmen der Prüfung, ob es sich auch „nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll”, einfügt, erneut auf seine Art und sein Maß ankommt,

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt ist.

Danach sind die Merkmale, nach denen sich ein Vorhaben im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen muß, jeweils unabhängig voneinander zu prüfen. Fügt sich etwa ein Vorhaben seiner Art nach ein, so kommt es im Rahmen der Prüfung, ob es sich auch seinem Maße nach einfügt, nicht mehr erneut auf seine Art an, also darauf, welches Maß von anderen baulichen Anlagen gleicher Art in der näheren Umgebung bereits verwirklicht ist (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1994 – BVerwG 4 C 19.93 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 173 = BauR 1995, 506). Der vom Kläger beabsichtigte rückwärtige Anbau an das vorhandene Wohngebäude würde sich nach der überbaubaren Grundstücksfläche und damit nach seinem Standort innerhalb der vorhandenen Bebauung dann einfügen, wenn und soweit auch in der maßgeblichen Umgebung die rückwärtigen Grundstücksflächen eine Bebauung aufweisen. Das ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts indes nicht der Fall. Danach ist die Bebauung an der Südseite der Bahnstraße – bezogen auf die überbauten Grundstücksflächen – dadurch bestimmt, daß die Gebäude im wesentlichen in gleichen Abständen zur Straße hin errichtet worden sind und sich rückwärtig Freiflächen anschließen, die durchgehend gärtnerisch genutzt werden. Hinter der rückwärtigen Gebäudeflucht seien lediglich vereinzelt Garagen und Nebengebäude vorhanden sowie kleinere Anbauten, die in ihrer Tiefe deutlich gegenüber der vom Kläger beabsichtigten Bebauung zurückblieben.

Daraus ergibt sich, daß in den rückwärtigen Grundstücksflächen der maßgeblichen Umgebung nur vereinzelte Nebengebäude im Sinne des § 14 BauNVO vorhanden sind, nicht aber auch Hauptgebäude. Für die räumliche Lage von Nebengebäuden sieht das Bauplanungsrecht gewisse Erleichterungen vor (vgl. § 23 Abs. 5 BauNVO), die jedoch im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB nicht auf die Hauptgebäude übertragen werden können. Eine rückwärtige Bebauung ist deshalb unzulässig, wenn im hinteren Bereich der umliegenden Grundstücke nur Nebenanlagen vorhanden sind (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 4. April 1984 – 4 UE 90/87 – BRS 47 Nr. 64; Dürr, in: Brügelmann, RdNr. 39 zu § 34 BauGB; auch der Beschluß des Senats vom 28. September 1988 – BVerwG 4 B 175.88 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 128 differenziert für das Einfügen nach Hauptgebäuden und Nebenanlagen). Die Nutzungsart einer rückwärtigen Bebauung würde allerdings dann keine Rolle spielen, wenn und soweit es sich dabei um Hauptgebäude handeln würde. Wären etwa in der Umgebung in den rückwärtigen Grundstücksflächen gewerblich genutzte Gebäude vorhanden, so könnte der Bauabsicht des Klägers nicht entgegengehalten werden, daß bisher keine rückwärtige – in dem Gebiet an sich sonst zulässige – Wohnbebauung vorhanden sei. Die Formulierung des Berufungsgerichts, mit dem Bauvorhaben des Klägers solle eine Grundstücksfläche in Anspruch genommen werden, die in der Umgebung überwiegend freigeblieben „und auf jeden Fall nicht für eine Wohnbebauung in Anspruch genommen worden” sei, mag – isoliert betrachtet – insoweit mißverständlich sein, als sie den Schluß zuläßt, das Merkmal der Nutzungsart sei hier nicht nur für sich gesehen geprüft worden, sondern erneut bei der Frage der überbaubaren Grundstücksfläche. Da sich aus dem Zusammenhang aber ergibt, daß es sich bei der vorhandenen rückwärtigen Bebauung nur um Nebengebäude handelt, entspricht das Berufungsurteil jedenfalls im Ergebnis der Rechtsprechung des Senats.

Auch wegen der Frage, ob es für die Frage des Einfügens nach der überbaubaren Grundstücksfläche von Bedeutung ist, ob und an möglicherweise wieviele Straßen ein Grundstück angrenzt, ist die Revision nicht zuzulassen. Der Kläger weist selbst darauf hin, daß es sich bei dem Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche um die räumliche Lage des Vorhabens innerhalb der vorhandenen Bebauung handelt, daß es also um den Standort des Vorhabens im Sinne von § 23 BauNVO geht (Beschluß vom 28. September 1988 – BVerwG 4 B 175.88 – a.a.O.; vgl. auch Lemmel, in: Planung und Plankontrolle, Otto Schlichter zum 65. Geburtstag, 1995, S. 353/368). Bei der Frage, ob eine rückwärtige Bebauung eines Grundstücks nach der überbaubaren Grundstücksfläche zulässig ist, wird es deshalb regelmäßig darauf ankommen, in welchem Umfang die den Maßstab bildenden umliegenden Grundstücke eine rückwärtige Bebauung aufweisen. Da das Merkmal der „rückwärtigen” Bebauung auf einen bestimmten räumlichen Bezug zur Erschließungsstraße hinweist, wird es – je nach der konkreten Situation – auch darauf ankommen können, ob ein Grundstück von mehreren Straßen erschlossen wird. Davon geht auch das Berufungsgericht aus; für eine weitere „abstrakte” Klärung der Frage würde das erstrebte Revisionsverfahren keinen Anlaß bieten.

Das gilt auch für die Frage, ob eine wesentliche, Abweichung der baulichen Gestaltung eines Gebäudes dazu führt, einen prägenden Einfluß dieses Gebäudes auf die Umgebung auszuschließen und deshalb als rahmenbildend auszuscheiden. Diese Frage läßt sich nur an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalles beantworten. Sie wäre zudem in dieser Allgemeinheit nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Bebauung des Flurstücks 3/35 nicht nur in seiner baulichen Gestaltung von den anderen Wohngrundstücken abweiche, sondern auch wegen der andersartigen Anordnung zur Bahnstraße hin kein Vorbild für eine rückwärtige Bebauung auf dem Grundstück des Klägers bieten könne. Diese Ausführungen werfen keinen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf auf.

Schließlich ist die Revision auch nicht zur Klärung der Frage zuzulassen, ob sich die vom Bundesverwaltungsgericht zur sog. Hinterlandbebauung entwickelten Grundsätze auch auf Anbauten an bereits vorhandene Wohngebäude in „erster” Baureihe übertragen lassen. Die Beschwerde legt nicht dar, inwieweit sich hieraus eine für den vorliegenden Fall entscheidungserhebliche und bisher nicht geklärte Rechtsfrage ergeben soll. Nach der von der Beschwerde zitierten Rechtsprechung des Senats gibt es keinen Grundsatz, wonach eine Hinterlandbebauung von vornherein städtebaulich unerwünscht ist. Es muß vielmehr in jedem Einzelfall geprüft werden, ob sich eine solche Bauweise im Sinne des § 34 BauGB einfügt oder städtebauliche Spannungen hervorruft. Von diesem rechtlichen Ansatz ist das Berufungsgericht ausgegangen. Ein weiterführender rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf wird von der Beschwerde nicht dargelegt.

Auch die Abweichungsrügen greifen nicht durch. Der Revisionszulassungsgrund der Divergenz liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch tritt. Dieser Zulassungsgrund muß in der Beschwerdeschrift nicht nur durch Angabe der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, von der das Berufungsgericht abgewichen sein soll, sondern auch durch Darlegung der als solche miteinander in unmittelbarem Widerspruch stehenden, entscheidungstragenden Rechtssätze bezeichnet werden. Die – behauptete – unrichtige Anwendung eines vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten und vom Berufungsgericht nicht in Frage gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden Einzelfall rechtfertigt dagegen nicht die Zulassung der Revision (vgl. z.B. Beschluß vom 31. März 1988 – BVerwG 7 B 46.88 – Buchholz § 132 VwGO Nr. 260).

Die von der Beschwerde geltend gemachte Abweichung des Berufungsurteils von dem Urteil vom 26. Mai 1978 – BVerwG 4 C 9.77 – (BVerwGE 55, 369) liegt nicht vor. Das Berufungsgericht nimmt auf diese Entscheidung ausdrücklich Bezug und führt aus, daß die Ermittlung der näheren Umgebung in zwei Richtungen – von dem Vorhaben auf die Umgebung und von der Umgebung auf das Vorhaben – zu geschehen hat. Die Beschwerde meint, das Berufungsgericht habe dann aber nur in der „zweiten Richtung” geprüft; es habe aber nicht dazu Stellung genommen, inwieweit sich die Ausführung des Vorhabens auf die Umgebung auswirken könne. Damit wird eine Divergenz im oben beschriebenen Sinn nicht dargelegt, sondern allenfalls eine unrichtige Anwendung des als solchen nicht in Frage gestellten Rechtssatzes. Die Beschwerde übersieht im übrigen, daß nicht jeder gedankliche Prüfschritt, den die Rechtsprechung bei der Anwednung des § 34 BauGB entwickelt hat, im konkreten Fall auch stets ausdrücklich abgehandelt werden muß, um eine Divergenz zu vermeiden. Hier lag es auf der Hand, daß die Auswirkungen des geplanten Vorhabens auf die Umgebung nicht dergestalt waren, daß sie zu einer Ausweitung des räumlichen Bereichs Anlaß geben konnten, der als maßgebliche Umgebung hier in Betracht kam. Eines ausdrücklichen Eingehens auf diesen Umstand bedurfte es daher nicht. Auch die Beschwerde vermag nicht aufzuzeigen, inwieweit eine ausdrückliche Behandlung dieses Prüfungsschritts durch das Berufungsgericht hier konkret zu einer anderen – und für den Kläger vorteilhafteren – Gebietsabgrenzung hätte führen können.

Das Berufungsurteil weicht auch nicht von dem Urteil vom 15. Februar 1990 – BVerwG 4 C 23.86 – (BVerwGE 84, 322) ab. Auch hier rügt die Beschwerde lediglich, das Berufungsgericht sei von dem in dieser Entscheidung enthaltenen „Prüfungsschema” abgewichen und habe sich dadurch den Rahmen, in den sich das Vorhaben einzufügen habe, „zurechtgeschneidert”. Die Beschwerde legt jedoch nicht dar, zu welchem konkreten Rechtssatz das Berufungsgericht in Widerspruch tritt und inwieweit gerade diese Divergenz für die Abgrenzung des hier maßgeblichen Rahmens entscheidungserheblich gewesen sein soll. Im übrigen kann auch von einer unrichtigen Anwendung der in dem genannten Urteil enthaltenen Rechtssätze nicht gesprochen werden. Die Beschwerde übersieht, daß es im vorliegenden Zusammenhang nur um den für die Bebauungstiefe des Grundstücks des Klägers prägenden Rahmen ankam. Die hierfür notwendigen Feststellungen hat das Berufungsgericht – auch bezüglich des Flurstücks 3/35 – getroffen.

Schließlich liegt auch keine Abweichung zu den von der Beschwerde zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur sog. Hinterlandbebauung vor. Das Berufungsgericht bezieht sich vielmehr ausdrücklich auf diese Entscheidungen und ihre Rechtsgrundsätze. Im übrigen übersieht die Beschwerde, daß die im Urteil vom 21. November 1980 – BVerwG 4 C 30.78 – (DVBl 1981, 100 = BRS 36 Nr. 56 = Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 79) enthaltenen Ausführungen zum Prüfungsumfang für die Annahme einer „Verschlechterung der Verhältnisse” und einer „Vorbildwirkung” auf den dort zu entscheidenden konkreten Fall zugeschnitten waren, bei dem es um die Bebauung der Freifläche im Innern eines Häuserblocks ging. Im vorliegenden Fall liegt es dagegen auf der Hand, daß die Zulassung des Vorhabens des Klägers dazu führen würde, daß auch die rückwärtige Bebauung der umliegenden Grundstücke nach § 34 BauGB zu genehmigen und damit eine die bisherige Situation deutlich verändernde Verdichtung nicht zu verhindern wäre. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, daß auch für das Nachbargrundstück ein entsprechender Bauantrag bereits gestellt worden ist. Das Berufungsgericht hat die für die Gefahr der Verschlechterung der Verhältnisse sprechenden wesentlichen Gründe dargelegt. Eine ausführlichere Begründung war im konkreten Fall nicht erforderlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Berkemann, Hien, Heeren

 

Fundstellen

BRS 1998, 271

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