Entscheidungsstichwort (Thema)
Prüfungsrecht. Begründung von Prüfungsbewertungen. Notenstufe “ungenügend” im Sinne von § 1 der Verordnung über eine Noten- und Punkteskala für die erste und zweite juristische Prüfung. Gebot der Sachlichkeit im Prüfungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Einzelne positive Elemente stehen der Bewertung einer Prüfungsleistung als “ungenügend” im Sinne von § 1 der Verordnung über eine Noten- und Punkteskala für die erste und zweite juristische Prüfung vom 3. Dezember 1981 nicht entgegen, wenn sie eine nur geringfügige Bedeutung aufweisen und hierdurch der Annahme nicht entgegenstehen, die Prüfungsleistung sei dem Gesamteindruck nach eine völlig unbrauchbare Leistung.
2. Ob eine Prüfungsleistung als “ungenügend” im Sinne von § 1 der Verordnung über eine Noten- und Punkteskala für die erste und zweite juristische Prüfung vom 3. Dezember 1981 eingestuft hat, ist eine nur eingeschränkter gerichtlicher Überprüfung zugängliche prüfungsspezifische Wertung.
3. Zur Begründung von Prüfungsentscheidungen (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).
4. Zum Gebot der Sachlichkeit im Prüfungswesen (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).
Normenkette
GG Art. 12 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 24.05.2011; Aktenzeichen 2 LB 158/10) |
VG Oldenburg (Entscheidung vom 06.12.2007; Aktenzeichen 5 A 2696/06) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf (Beschluss vom 13. Mai 2004 – BVerwG 6 B 25.04 – juris Rn. 4 – insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 406). Diese Anforderung erfüllt keine der in der Beschwerdebegründung unter Nr. 1 bis 5 bezeichneten Rechtsfragen.
Rz. 3
a. Die von der Klägerin unter Nr. 5 und im Kern ebenso unter Nr. 2 aufgeworfene Frage, ob die Vergabe der Note “ungenügend” im Sinne von § 1 der Verordnung über eine Noten- und Punkteskala für die erste und zweite juristische Prüfung vom 3. Dezember 1981 (BGBl I S. 1243; geändert durch Art. 209 Abs. 4 des Gesetzes vom 19. April 2006 – BGBl I S. 866) unzulässig sei, wenn die Prüfungsleistung in einzelnen Abschnitten positive Ansätze aufweise bzw. solche Ansätze in der Bewertungsbegründung erwähnt seien, kann mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Rechtsauslegung und unter Berücksichtigung der vorliegenden Rechtsprechung des Senats ohne weiteres im Sinne des Oberverwaltungsgerichts beantwortet werden und bedarf daher keiner Klärung in einem Revisionsverfahren (vgl. zu diesem Maßstab: Kraft, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 20).
Rz. 4
Nach § 1 der vorgenannten Verordnung ist die Note “ungenügend” für “eine völlig unbrauchbare Leistung” vorgesehen, wohingegen die Note “mangelhaft” zu vergeben ist, wenn es sich um eine “an erheblichen Mängeln leidende, im Ganzen nicht mehr brauchbare Leistung” handelt. Wortlaut und systematischer Zusammenhang beider Definitionen deuten zunächst darauf hin, dass Leistungen, die in Teilen noch brauchbar sind, nicht mit “ungenügend”, sondern allenfalls mit “mangelhaft” benotet werden dürfen. Allerdings wird, abgesehen von extrem gelagerten Fällen wie der Abgabe eines unbeschriebenen Blattes, praktisch jede Prüfungsleistung irgendwelche für sich betrachtet noch brauchbaren Teile – und sei es nur in Gestalt vereinzelter Absätze, Sätze oder Überschriften – aufweisen. Ein sinnhaftes Normverständnis ergibt sich nur dann, wenn als ergänzendes Abgrenzungskriterium hinzugenommen wird, ob der für sich genommen noch brauchbaren Teilleistung im Gesamtrahmen der Prüfungsarbeit überhaupt relevantes Gewicht beizumessen ist. Andernfalls verbliebe für die Note “ungenügend” kein nennenswerter Anwendungsbereich, was vom Verordnungsgeber nicht bezweckt gewesen sein kann.
Rz. 5
Einzelne positive Elemente in einer Prüfungsleistung stehen deren Bewertung als “ungenügend” demnach nicht schlechthin, sondern – wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend erkannt hat – erst dann entgegen, wenn sie eine nicht nur geringfügige Bedeutung aufweisen und hierdurch der Annahme entgegenstehen, die Prüfungsleistung sei dem Gesamteindruck nach eine völlig unbrauchbare Leistung. Dieser Maßstab lag der Sache nach bereits einem Beschluss des Senats vom 2. Juni 1998 (BVerwG 6 B 78.97 – juris Rn. 2) zugrunde und entspricht einer auch in der Instanzrechtsprechung verbreiteten Auffassung (vgl. die Nachweise bei Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl. 2007, S. 411 f. Rn. 819). Weitere Verfeinerungen dieses Maßstabs sind auf einer fallübergreifenden Ebene nicht möglich.
Rz. 6
Der Senat hat in Bezug auf die Gewichtung von Teilleistungen einer Prüfungsarbeit in früheren Entscheidungen allgemein angenommen, dass insoweit ein prüfungsspezifischer Wertungsspielraum eröffnet sei, dessen Einhaltung durch den Prüfer nur im Hinblick auf bestimmte äußere Grenzen einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich sei, insbesondere dahingehend, ob der Prüfer von falschen Tatsachen ausgegangen sei, allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze missachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt habe (Beschluss vom 10. Oktober 1994 – BVerwG 6 B 73.94 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 338 S. 47 f.; Beschluss vom 16. August 2011 – BVerwG 6 B 18.11 – juris Rn. 16., vgl. bereits Urteil vom 21. Oktober 1993 – BVerwG 6 C 12.92 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 320 S. 307 f.). Diese Maßgaben müssen ebenso zur Anwendung kommen, wenn speziell in Rede steht, ob ein für sich genommen positiver Ansatz im Gesamtrahmen der Arbeit ein so geringfügiges Gewicht aufweist, dass er deren Bewertung als eine völlig unbrauchbare Leistung nicht entgegensteht. Denn auch diese Wertung kann nur auf Grundlage komplexer Erwägungen vorgenommen werden, die in ein Bezugssystem eingeordnet sind, das durch die persönlichen Erfahrungen der Prüfer bei vergleichbaren Prüfungen beeinflusst wird, und die sich im Verwaltungsstreitverfahren des Prüflings nicht ohne weiteres isoliert, d.h. losgelöst vom Vergleichsrahmen der Prüfung nachvollziehen lassen (vgl. zu diesem Maßstab: Beschluss vom 13. Mai 2004 – BVerwG 6 B 25.04 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 406 S. 67 f.; Urteile vom 21. Oktober 1993 a.a.O. und vom 6. September 1995 – BVerwG 6 C 18.93 – BVerwGE 99, 185 ≪197≫ = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 356 S. 114). Daher ist es letztlich eine dem Prüfer vorbehaltene prüfungsspezifische Wertung, ob im Hinblick auf die Definition in § 1 der Verordnung über eine Noten- und Punkteskala für die erste und zweite juristische Prüfung vom 3. Dezember 1981 eine Prüfungsleistung als “eine völlig unbrauchbare Leistung” einzustufen ist. In diesen Bereich dürfen die Gerichte nicht eindringen, sondern haben nur zu überprüfen, ob die oben benannten Grenzen überschritten worden sind (vgl. Beschluss vom 13. Mai 2004 a.a.O. S. 69; dort zur Note “mangelhaft”). Auch in diesem Punkt erweist sich der vom Oberverwaltungsgericht angelegte Maßstab somit als zutreffend.
Rz. 7
b. Die unter Nr. 1 und Nr. 3 der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Fragen betreffen die Anforderungen, die an die Begründung von Prüfungsbewertungen zu stellen sind. Die Klägerin zeigt hiermit keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.
Rz. 8
aa. Der Senat hat in seinem Urteil vom 9. Dezember 1992 (BVerwG 6 C 3.92 – BVerwGE 91, 262 ≪265 ff.≫ = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 307 S. 227 ff.) die Anforderungen an die Begründung der Bewertung von schriftlichen Prüfungsleistungen unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung in folgende Grundsätze gefasst: Der Prüfer hat bei schriftlichen Prüfungsarbeiten die tragenden Erwägungen darzulegen, die zur Bewertung der Prüfungsleistung geführt haben. Die Begründung muss so beschaffen sein, dass der Prüfling die die Bewertung tragenden Gründe der Prüfer in den Grundzügen nachvollziehen kann, d.h. die Kriterien erfährt, die für die Benotung maßgeblich waren, und verstehen kann, wie die Anwendung dieser Kriterien in wesentlichen Punkten zu dem Bewertungsergebnis geführt hat. Es muss zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch in den für das Ergebnis ausschlaggebenden Punkten erkennbar sein, welchen Sachverhalt sowie welche allgemeinen und besonderen Bewertungsmaßstäbe der Prüfer zugrunde gelegt hat und auf welcher wissenschaftlichfachlichen Annahme des Prüfers die Benotung beruht. Dies schließt nicht aus, dass die Begründung nur kurz ausfällt, vorausgesetzt, die vorstehend dargestellten Kriterien für ein mögliches Nachvollziehen der grundlegenden Gedankengänge der Prüfer sind erfüllt. – Diese Grundsätze hat der Senat in späteren Entscheidungen bestätigt (vgl. Urteile vom 24. Februar 1993 – BVerwG 6 C 32.92 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 312 S. 252, vom 16. März 1994 – BVerwG 6 C 5.93 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 329 S. 10 f. und vom 6. September 1995 – BVerwG 6 C 18.93 – BVerwGE 99, 185 ≪189 ff.≫ = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 356 S. 107 ff.; Beschluss vom 20. Mai 1998 – BVerwG 6 B 50.97 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 389 S. 217). An ihnen ist unverändert festzuhalten.
Rz. 9
Bei Festlegung des gebotenen Inhalts und Umfangs der Begründung ist nach der Rechtsprechung des Senats überdies auch deren Zweckbestimmung zu berücksichtigen. Sie liegt in erster Linie darin, dem Prüfling die effektive Wahrnehmung des zum Schutz seiner Grundrechte durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Rechtsschutzes zu ermöglichen. Die Begründung muss daher so beschaffen sein, dass das Recht des Prüflings, im Rahmen eines verwaltungsinternen Überdenkensverfahrens Einwände gegen die Bewertung wirksam vorzubringen, ebenso gewährleistet ist wie sein Recht auf wirksame gerichtliche Kontrolle des Prüfungsverfahrens (vgl. Urteil vom 9. Dezember 1992 – BVerwG 6 C 3.92 – BVerwGE 91, 262 ≪265≫ = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 307 S. 227, 230). Hierbei muss bedacht werden, dass sich verwaltungsinterne und gerichtliche Kontrolle in ihrer Reichweite unterscheiden. Im Hinblick auf die gerichtliche Kontrolle muss die Begründung jedenfalls so beschaffen sein, dass im Verwaltungsstreitverfahren die Einhaltung des Bewertungsspielraums überprüft werden kann, der dem Prüfer im Bereich der prüfungsspezifischen Wertungen verbleibt; ob die Grenzen des Bewertungsspielraums eingehalten wurden, kann regelmäßig nur anhand der Begründung der Prüfungsbewertung festgestellt werden (Urteil vom 16. März 1994 – BVerwG 6 C 5.93 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 329 S. 11). Da das verwaltungsinterne Überdenkensverfahren anders als das Verwaltungsstreitverfahren – gerade auch zum Ausgleich der dort insoweit bestehenden Kontrollbeschränkungen – auch den Bereich der prüfungsspezifischen Wertungen einschließt, dürfen aber auch diese von der Begründung der Prüfungsbewertung nicht gänzlich ausgespart werden (vgl. Urteil vom 6. September 1995 – BVerwG 6 C 18.93 – BVerwGE 99, 185 ≪197≫ = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 356 S. 115). In Bezug auf prüfungsspezifische Wertungen (z.B. betreffend den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe, die Überzeugungskraft der Begründung, die Gewichtung von Teilleistungen und Teilaufgaben; vgl. zuletzt Beschluss vom 16. August 2011 – BVerwG 6 B 18.11 – juris Rn. 16) stoßen die Begründungsmöglichkeiten zwar ab einem bestimmten Punkt auf Grenzen der Objektivierbarkeit, die aus der Natur dieser Wertungen und aus ihrer Abhängigkeit vom Vergleichsrahmen der Prüfung folgen. Die Grundlagen, die Anknüpfungspunkte und die wesentlichen Kriterien dieser Wertungen entziehen sich aber nicht schlechthin einer Begründung (vgl. Urteil vom 6. September 1995 a.a.O S. 197 bzw. S. 114). – Auch an diesen Maßgaben ist unverändert festzuhalten, desgleichen daran, dass die Begründungspflicht eine weitere Zweckbestimmung darin findet, dass mit ihr eine Garantie- und Klarstellungsfunktion für den Prüfer verbunden ist, dessen Selbstkontrolle sie in besonderem Maße fördert (Urteil vom 9. Dezember 1992 – BVerwG 6 C 3.92 – BVerwGE 91, 262 ≪267≫ = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 307 S. 230; ansatzweise bereits Beschluss vom 12. November 1971 – BVerwG 7 B 71.70 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 45 S. 39), und die bei Bestimmung von Inhalt und Umfang der gebotenen Begründung im Einzelfall gleichfalls berücksichtigt werden muss.
Rz. 10
bb. Die in der Beschwerdebegründung unter Nr. 3 angesprochene Frage, ob rechtlich verlangt sei, dass die Prüfer ihre Abwägungsentscheidung zumindest “in den für das Ergebnis ausschlaggebenden Punkten” in der Bewertungsbegründung niederlegen (S. 12 der Beschwerdebegründung), ist durch die vorstehend dargelegte Rechtsprechung des Senats insofern bereits beantwortet, als sich aus dieser ergibt, dass der Prüfer die “tragenden Erwägungen” darzulegen hat, “die zur Bewertung der Prüfungsleistung geführt haben” (Urteil vom 9. Dezember 1992 a.a.O. S 265 bzw. S. 227).
Rz. 11
Soweit die Klägerin in ihren weiteren Ausführungen die Frage Nr. 3 speziell auf die Abwägung zwischen einzelnen Vorzügen und Mängeln der Prüfungsleistungen bezieht (S. 13 der Beschwerdebegründung), deckt sie sich im Kern mit der unter Nr. 1 angesprochenen weiteren Frage, ob ein Prüfer bei Bewertung einer Prüfungsleistung als “ungenügend” in der Begründung darzulegen habe, durch welche schweren Mängel an anderer Stelle einzelne brauchbare Teilleistungen wieder entwertet werden. Hiermit zielt die Beschwerde allerdings nicht auf einen verallgemeinerungsfähigen Rechtssatz, der unabhängig von den Umständen des konkreten Einzelfalls gebildet werden könnte und daher in einem Revisionsverfahren klärungsfähig wäre (vgl. zu diesem Maßstab: Kraft, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 23). Ob und ggfs. in welchem Umfang ein Prüfer bei seiner Begründung allgemein oder zumindest speziell bei Vergabe der Note “ungenügend” auf die jeweilige Gewichtung und sich hieran anschließende Abwägung positiver und negativer Einzelelemente der Prüfungsleistung einzugehen hat, hängt davon ab, ob und ggfs. inwieweit dies unter den gegebenen Umständen erforderlich ist, um den Prüfling – insbesondere mit Blick auf ein etwa angestrebtes Rechtsschutzverfahren – in die Lage zu versetzen, “die grundlegenden Gedankengänge nachzuvollziehen, die den Prüfer zu der abschließenden Entscheidung veranlasst haben” (vgl. Urteil vom 9. Dezember 1992 – BVerwG 6 C 3.92 – BVerwGE 91, 262 ≪268≫ = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 307 S. 230). Es sind danach Fälle denkbar, in denen eine entsprechend ausdifferenzierte Begründung möglich und auch geboten ist. Ebenso sind Fälle denkbar, in denen detaillierte Angaben zu Gewichtung und Abwägung positiver wie negativer Einzelelemente nicht möglich oder in denen sie zumindest nicht erforderlich sind, um den oben dargestellten rechtlichen Begründungsanforderungen zu genügen. Insoweit definitive Aussagen zu treffen, obliegt der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall. Hierbei sind die besonderen Gegebenheiten in Rechnung zu stellen, die nach dem oben Gesagten für die Begründung prüfungsspezifischer Wertungen gelten; denn diesem Bereich ist die Gewichtung und Abwägung positiver wie negativer Einzelelemente einer Prüfungsleistung zweifelsohne zuzuordnen.
Rz. 12
c. Unter Nr. 4 ihrer Beschwerdebegründung wirft die Klägerin die Frage auf, ob es vollständiger gerichtlicher Überprüfung unterliege, ob die Prüfer nur die negativen oder auch die positiven Aspekte einer Leistung in die Abwägung miteinbezogen habe und das Wortgutachten mit der Punktebewertung übereinstimme bzw. ob die Bewertung der Prüfer vollständig daraufhin überprüfbar sei, ob ein Abwägungsausfall, eine Abwägungsfehleinschätzung oder eine Abwägungsdisproportionalität vorliege und die Bewertung in diesem Sinne dem Gebot rationaler Abwägung gerecht werde. Auch dies führt nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Rz. 13
Ob das “Wortgutachten” eines Prüfers mit seiner Notenvergabe übereinstimmen muss, ist eine Frage, die letztlich den Umfang seiner Begründungspflicht betrifft. Sie ist durch die vorliegende Rechtsprechung bereits dahingehend beantwortet, dass die tragenden Erwägungen darzulegen sind, die zur Bewertung der Prüfungsleistung geführt haben (siehe oben 1. b. aa.). Werden die tragenden Erwägungen nicht oder nicht hinreichend dargelegt – und klafft zwischen Notenvergabe und “Wortgutachten” so gesehen eine Verständnislücke, die auch ein verständiger Leser nicht zu schließen vermag –, genügt die Begründung nicht den rechtlichen Anforderungen. Revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf tut sich insoweit nicht auf.
Rz. 14
Auch die Frage nach der gerichtlichen Kontrolle des Einbezugs positiver Leistungsaspekte in die Abwägung des Prüfers bzw. nach der Wahrung bestimmter Abwägungsgrundsätze und -grenzen führt nicht zur Zulassung der Revision. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht die Überprüfung der Bewertung der in Rede stehenden Klausur an den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des beschließenden Senats entwickelten Grundsätzen zur eingeschränkten richterlichen Kontrolle prüfungsspezifischer Wertungen orientiert (S. 18 UA), die der beschließende Senat zuletzt in seinem Beschluss vom 13. Mai 2004 (BVerwG 6 B 25.04 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 406 S. 68 f.) zusammenfassend bekräftigt hat. Umfang und Grenzen der gerichtlichen Überprüfbarkeit von Prüfungsentscheidungen sind mit dieser Rechtsprechung abschließend geklärt. Die Beschwerdebegründung bringt keine neuen Gesichtspunkte von Gewicht vor, welche im Hinblick auf diese bereits entschiedenen Rechtsfragen wieder neuen Klärungsbedarf hervortreten lassen würden (vgl. zu diesem Maßstab: Kraft, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 19). Dies gilt namentlich auch unter dem Gesichtspunkt, dass in der Rechtsprechung des Senats kein “allgemeiner Bewertungsgrundsatz des Inhalts anerkannt worden (ist), dass die Bewertung dem Gebot rationaler Abwägung gerecht werden muss und insoweit gerichtlich überprüfbar ist” (S. 19 Beschwerdebegründung). Der Übertragung der vornehmlich im Bau- und Planungsrecht entwickelten Abwägungslehre auf das Prüfungsrecht, die der Klägerin offenbar vorschwebt, stehen schon die strukturellen Unterschiede beider Rechtsmaterien im Wege. Die Herausbildung der Abwägungslehre reagierte auf die Mehrpoligkeit der durch das Bau- und Planungsrecht ausgestalteten, teilweise von konträren Interessenlagen geprägten Rechtsbeziehungen und damit auf einen Umstand, der im Prüfungsrecht nicht in gleicher Weise gegeben ist. Umgekehrt sind im Prüfungsrecht schon wegen der Einbettung der Bewertung in den Vergleichsrahmen der Gesamtprüfung der Objektivierbarkeit der Verwaltungsentscheidung und damit der Möglichkeit ihres isolierten Nachvollzugs im Verwaltungsstreitverfahren anders geartete Grenzen als im Planungsrecht gesetzt. Dies bedarf keiner Vertiefung im Rahmen eines Revisionsverfahrens.
Rz. 15
3. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einer Abweichung zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Gebot der Sachlichkeit im Prüfungswesen.
Rz. 16
a. Aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Chancengleichheit ergibt sich ein Gebot der Sachlichkeit. Danach hat der Prüfer die Prüfungsleistungen mit innerer Distanz und frei von Emotionen zur Kenntnis zu nehmen. Er hat sich darum zu bemühen, auf die Gedankengänge des Prüflings einzugehen und dessen Darlegungen richtig zu verstehen. Er hat Toleranz gegenüber anderen wissenschaftlichen Auffassungen aufzubringen (vgl. Urteile vom 20. September 1984 – BVerwG 7 C 57.83 – BVerwGE 70, 143 ≪151 f.≫ = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 203 S. 217 f. und vom 24. Februar 1993 – BVerwG 6 C 35.92 – BVerwGE 92, 132 ≪135≫ = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 313 S. 259 f.). Eine das Gebot der Sachlichkeit verletzende Bewertung liegt vor, wenn der Prüfer seiner Verärgerung über schwache Prüfungsleistungen freien Lauf lässt und dadurch die Gelassenheit und emotionale Distanz verliert, ohne die eine gerechte Bewertung schwerlich gelingen kann. Hingegen ist die Schwelle zu einem Rechtsverstoß noch nicht zwingend überschritten, wenn der Prüfer sich einer drastischen Ausdrucksweise bedient, wenn er mit deutlichen Randbemerkungen auf schlechte schriftliche Leistungen reagiert oder ein Ausrutscher bzw. eine Entgleisung nur gelegentlich vorgekommen sind (vgl. Urteile vom 20. September 1984 a.a.O. S. 152 bzw. S. 219, vom 24. Februar 1993 a.a.O. S. 135 bzw. S. 259 f. und vom 17. Juli 1987 – BVerwG 7 C 118.86 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 242 S. 13 – insoweit nicht abgedruckt in BVerwGE 78, 55; Beschluss vom 6. März 1995 – BVerwG 6 B 3.95 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 347 S. 63 f.).
Rz. 17
b. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Prüfung im angefochtenen Urteil der Sache nach an diesen Maßstäben ausgerichtet.
Rz. 18
aa. Zu Recht trägt die Beschwerdebegründung allerdings vor, dass das Oberverwaltungsgericht den rechtlichen Ausgangspunkt seiner Prüfung nicht richtig beschrieben hat, indem es das Sachlichkeitsgebot an einer Stelle der Sache nach (UA S. 19) und an einer anderen Stelle ausdrücklich (UA S. 20) dem nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden prüfungsspezifischen Bewertungsspielraum zugeordnet hat. Ob das Verhalten eines Prüfers den oben dargelegten rechtlichen Anforderungen genügt, ist uneingeschränkter gerichtlicher Überprüfung zugänglich. Die die Beschränkung gerichtlicher Kontrolle im Bereich prüfungsspezifischer Wertungen tragenden Erwägungen treffen auf den Fall des Sachlichkeitsgebots nicht zu; Kontrollbeschränkungen hätten hier keinen Bestand vor Art. 19 Abs. 4 GG.
Rz. 19
bb. Das Oberverwaltungsgericht hat die Maßstäbe, die für die Überprüfung der im Berufungsverfahren seitens der Klägerin gerügten Randbemerkungen gelten, wenn auch nicht im rechtsdogmatischen Ausgangspunkt, so aber doch der Sache nach zutreffend erkannt und sich in seiner Prüfung an ihnen auch orientiert. Es hat zunächst richtigerweise als maßgebliches Kriterium zugrunde gelegt, ob die Randbemerkungen ihrer Art nach auf eine fehlende Gelassenheit und emotionale Distanz schließen lassen (UA S. 18). Es hat ferner richtigerweise ausgeführt, dass nicht jede deutliche Kritik an der Prüfungsleistung einen Rechtsverstoß begründe (UA S. 18) und auch härtere Ausdrücke nicht schlechthin verboten seien, wohl aber Indikator mangelnder Sachlichkeit sein könnten (UA S. 19). Es hat sodann im Rahmen der Subsumtion die verschiedenen gerügten Bemerkungen jeweils in Bezug zu einzelnen Prüfungsfehlern gesetzt und sich auf diese Weise darüber vergewissert, dass sie im Sinne der von ihm in diesem Zusammenhang auch zitierten Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 24. Februar 1993 – BVerwG 6 C 35.92 – BVerwGE 92, 132 ≪135≫ = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 313 S. 260) lediglich eine nach dem Urteil des Prüfers schlechte Leistung als solche kennzeichnen (UA S. 19). Wenn das Oberverwaltungsgericht an dieser Stelle von einem dem Prüfer zustehenden “Wortwahlspielraum” gesprochen hat, so kann dies als Beschreibung dessen verstanden werden, dass nach den oben dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung des Senats nicht jede einzelne für sich genommen unsachliche Bemerkung automatisch die Schwelle zum Rechtsverstoß überschreitet und so gesehen in der Tat innerhalb einer bestimmten Brandbreite unsachliche Äußerungen im Ergebnis nicht zu einer gerichtlichen Beanstandung führen. Eine Reduzierung der tatsächlich praktizierten gerichtlichen Kontrollintensität wird in der fraglichen Urteilspassage auch nicht erkennbar. Das Oberverwaltungsgericht hat die in Rede stehenden Randbemerkungen im Gegenteil vollumfänglich überprüft und seinen Überlegungen einen lediglich in materiell-rechtlicher Hinsicht nach Maßgabe der oben dargelegten Grundsätze eingeschränkten Maßstab zugrunde gelegt.
Rz. 20
cc. Eine Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO folgt entgegen der Beschwerdebegründung schließlich auch nicht daraus, dass das Oberverwaltungsgericht (auf S. 18 UA) angenommen hat, ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot sei dann anzunehmen, wenn “allein die Art der Randbemerkungen darauf hindeutet, dass der Korrektor die für eine sachgerechte Beurteilung erforderliche Gelassenheit und emotionale Distanz verloren hat”. Das Oberverwaltungsgericht hat hiermit, anders als die Klägerin offenbar meint, nicht einer Verengung des Blickwinkels der gerichtlichen Prüfung im Sinne einer Absage an eine Gesamtwürdigung des Prüferverhaltens das Wort reden wollen. Es ging ihm, wie der nachfolgende Satz in der Urteilsbegründung belegt, ersichtlich nur um die Feststellung, dass unsachliche Prüferbemerkungen diese Eigenschaft nicht verlieren, wenn sie sich nur als rein verbale Überziehung darstellen, die nicht einer innerlich unsachlichen Haltung entspringt. Hieraus begründet sich keine Abweichung zu dem von der Klägerin angeführten Urteil des 7. Senats vom 20. September 1984 (BVerwG 7 C 57.83 – BVerwGE 70, 143 ff. = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 203) und, anders die Klägerin im Rahmen ihrer Hilfserwägung meint, auch keine Grundsatzbedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Rz. 21
dd. Ob das Oberverwaltungsgericht die in Rede stehenden Randbemerkungen der Sache nach zutreffend gewürdigt hat, ist im Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen.
Rz. 22
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Neumann, Büge, Prof. Dr. Hecker
Fundstellen