Verfahrensgang

Hamburgisches OVG (Aktenzeichen 5 Bf 24/96)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 48 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vorgetragenen Gründe rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.

1. Der Rechtssache kommt die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu.

a) Die Beschwerde wirft als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig zunächst die Frage auf, ob „ein Bewohnen in einem lärmbeeinträchtigten Gebiet auf Dauer zumutbar (ist) …, wenn die Außenschallpegel die für Wohngebiete geltende enteignungsrechtliche Unzumutbarkeitsschwelle sowohl tagsüber als auch nachts überschreiten”. Diese Frage ist hier nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie sich in einem Revisionsverfahren in vorliegender Sache nicht als entscheidungserheblich stellen würde. Das Oberverwaltungsgericht ist bei seiner Entscheidung nicht davon ausgegangen, dass die Außenschallpegel die für Wohngebiete geltende enteignungsrechtliche Unzumutbarkeitsschwelle, bezogen auf das Grundstück des Klägers, überschreiten. Für die Vorinstanz war maßgeblich, dass die von den Sachverständigen festgestellten Außenschallpegel auf Grund der konkreten Situation des Grundstücks des Klägers und unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles die Annahme der Unzumutbarkeit (im einfachrechtlichen Sinne) dauernden Bewohnens nicht rechtfertigten (vgl. S. 29 ff. des Berufungsurteils). Die daran anknüpfende Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass „im Hinblick auf die festgestellten Außenschallpegel (erst recht) die enteignungsrechtliche Unzumutbarkeitsschwelle nicht überschritten ist” (S. 31 Mitte des Berufungsurteils), trifft, was das Rechtsgrundsätzliche betrifft, offensichtlich zu; ein angesichts bereits vorhandener höchstrichterlicher Rechtsprechung verbleibender rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf ist mit ihr nicht verbunden und insbesondere auch von der Beschwerde nicht dargetan. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die zur Unbewohnbarkeit führende Grenze des Zumutbaren bei einer Belastung durch Straßenlärm jedenfalls dann überschritten ist, wenn die Belastung so stark ist, dass sie als im enteignungsrechtlichen Sinne „schwer und unerträglich” und folglich als sogar in diesem Sinne unzumutbar angesehen werden muss, dass es aber von einer Würdigung der jeweiligen Sachlage des Einzelfalles abhängt, wann diese Schwelle der Unzumutbarkeit erreicht ist (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1982 – BVerwG 8 C 15.80 – ≪Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 7 = NJW 1983, 640). Eine allgemeine Zumutbarkeitsgrenze für die Lärmbelastung von Wohngebieten gibt es dementsprechend nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 1990 – BVerwG 4 N 6.88 – ≪Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 50, S. 29 ff. m. weit. Hinw.≫). Soweit die Beschwerde sich auf den Hinweis der Vorinstanz stützt, die (enteignungsrechtliche) Unzumutbarkeitsschwelle werde durch die festgestellten Außenpegel nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs „im Allgemeinen” überschritten (Berufungsurteil, a.a.O.), ist ihr daher entgegenzuhalten, dass das Berufungsgericht für die Frage, ob jene Schwelle im vorliegenden konkreten Fall überschritten ist, auf „die Schutzbedürftigkeit und Störanfälligkeit des Grundstücks des Klägers” abgestellt und vor diesem Hintergrund „eine Überschreitung der enteignungsrechtlichen Zumutbarkeitsgrenze nicht bejaht” hat. Mit dieser Verknüpfung der Kriterien einer enteignungsrechtlichen Unzumutbarkeit mit der besonderen Situation eines in einem Wohngebiet liegenden Grundstücks hat die Beschwerde sich nicht – insbesondere nicht in rechtsgrundsätzlicher Weise – auseinander gesetzt. Dabei begründet einen revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf nicht schon, dass die Beschwerde es für einen „Wertungswiderspruch” hält, ein in seiner Schutzbedürftigkeit und Störanfälligkeit nach den Feststellungen der Vorinstanz „erheblich gemindert(es)” Grundstück gleichwohl dem Zweckentfremdungsverbot zu unterstellen, das nur schutzwürdigen Wohnraum erfasst.

b) Auch die in diesem Zusammenhang von der Beschwerde aufgeworfene weitere Frage, ob „eine schwerwiegende Lärmbeeinträchtigung, die für ein Wohngebiet unzumutbar wäre, bei einem Grundstück, das planerisch als Wohngebiet ausgewiesen ist, faktisch aber einem Kern- oder Gewerbegebiet vergleichbar ist, zweckentfremdungsrechtlich unerheblich sein (kann)”, würde sich hier nur stellen, wenn von einer solchen Unzumutbarkeit bezogen auf die individuelle Grundstückssituation auszugehen wäre. Dies ist nach den Feststellungen und Wertungen des Oberverwaltungsgerichts aber, wie dargelegt, gerade nicht der Fall.

c) Die von der Beschwerde weiter aufgeworfene Frage, ob es sich „– zweckentfremdungsrechtlich – um schutzwürdigen Wohnraum (handelt), wenn eine Wohnung unzumutbaren … Lärmimmissionen unterliegt, gegen die sich der Eigentümer gem. § 906 BGB zur Wehr setzen könnte”, bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, da sich die Antwort im Grundsätzlichen schon aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt. Der zweckentfremdungsrechtliche Wohnraumbegriff setzt die Eignung der Räumlichkeiten voraus, auf Dauer bewohnt zu werden; diese Eignung fehlt Räumen, deren dauerndes Bewohnen unzulässig oder unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1982, a.a.O.). Dies kann zwar auch Folge einer erheblichen Immissionsbelastung – insbesondere durch Straßenverkehrslärm – sein (s. BVerwG, a.a.O. sowie Beschluss vom 11. Mai 1994 – BVerwG 8 B 50.94 – ≪Buchhholz 454.51 MRVerbG Nr. 19≫) Ein die Bewohnbarkeit ausschließender Mangel bzw. Missstand ist jedoch unbeachtlich, wenn er nicht auf Dauer besteht, sondern sich mit zumutbaren Mitteln beheben lässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1982, a.a.O.). Dies gilt, ausgehend von diesen Grundsätzen, demnach auch, wenn die Lärmbelästigung zwar (zur Zeit) unzumutbar ist, der Eigentümer sich gegen sie aber nach § 906 BGB zur Wehr setzen kann. Dann ist es ihm zweckentfremdungsrechtlich zuzumuten, auf Beseitigung des Missstandes – notfalls unter Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe – hinzuwirken.

2. Die Revision kann auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) von dem oben genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 1982 zugelassen werden. Den vom Beschwerdeführer behaupteten Rechtssatz, „dass intensive Lärmbeeinträchtigungen dann zur Unzumutbarkeit der Wohnnutzung im zweckentfremdungsrechtlichen Sinn führen, wenn eine Wohnung über keinen Aufenthaltsraum verfügt, der dem Verkehrslärm abgewandt ist, (1) und dass die Möglichkeit des Einbaus von Schallschutzfenstern hieran nichts ändert, da die Wohnung nicht angemessen gelüftet werden kann (2)”, hat das Bundesverwaltungsgericht in jener Entscheidung so nicht aufgestellt. Ihr kann lediglich der Rechtssatz entnommen werden, dass es an der Zumutbarkeit der Wohnnutzung fehlt, wenn der als Abhilfe in Betracht kommende Einbau von Schallschutzfenstern der Lärmbelastung nicht ausreichend begegnen würde, weil die Wohnung (jedenfalls) nicht angemessen gelüftet werden kann. Dass dies bei dem dort zu Grunde liegenden Sachverhalt bejaht wurde, beruhte auf der konkreten Sachverhaltswürdigung des Tatsachengerichts. Von diesem Rechtssatz ist das Oberverwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung nicht abgewichen. Es nimmt vielmehr unter Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse des vorliegenden Falles an, dass die Verkehrslärmbelastung der in Rede stehenden Wohnungen durch die vorhandenen Schallschutzfenster so weit verringert werde, dass eine ungestörte Kommunikation und ein störungsfreies Schlafen möglich sind (s. S. 34 ff. des Berufungsurteils), und ist davon ausgegangen, dass die Wohnungen angemessen belüftet werden können, zumal ihren Bewohnern die Möglichkeit verbleibe, sich (während des Belüftungsvorgangs) in andere Zimmer mit geschlossenen Fenstern zurückzuziehen (s. S. 35 f. des Berufungsurteils). Ob diese Beurteilung in tatsächlicher Hinsicht zutrifft oder nicht, ob das Berufungsgericht den tatsächlichen Besonderheiten des vorliegenden Falles hinreichend Rechnung getragen hat oder ob es – wie die Beschwerde unter Darlegung der von ihr angenommenen Vergleichbarkeit des vorliegenden mit dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall geltend macht – einen gleich gelagerten Sachverhalt anders beurteilt hat und deshalb zu einem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts entgegengesetzten Ergebnis gelangt ist, hat für eine Zulassung der Revision wegen Divergenz keine Bedeutung.

Die von der Beschwerde behauptete Unvereinbarkeit des Ansinnens an Bewohner eines „vorbelasteten” Wohngebietes, ihre Schlafzimmer vor dem Zubettgehen zu lüften und die Schlafzimmerfenster danach bis zum nächsten Morgen geschlossen zu halten (S. 36 des Berufungsurteils), ist nicht mit einem entgegenstehenden Rechtssatz aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts belegt (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Der Standpunkt des Berufungsgerichts kann sich im Gegenteil auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stützen (vgl. das vom Oberverwaltungsgericht a.a.O. zitierte Urteil vom 23. April 1997 – BVerwG 11 A 17.96 – ≪Buchholz 316 § 75 VwVfG Nr. 13, S. 10≫).

3. Die mit der Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) können ebenfalls eine Revisionszulassung nicht rechtfertigen.

a) Die Beschwerde rügt zum einen die Ablehnung des hilfsweise gestellten Beweisantrags, durch Sachverständigengutachten zu klären, dass spätestens seit 1995 im Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg auch in den übrigen Teilbereichen des Wohnungsmarktes ein Überangebot besteht (bestand). Das Oberverwaltungsgericht hat das diesbezügliche Klagevorbringen für unsubstantiiert und den entsprechenden Beweisantrag für einen unzulässigen Beweisermittlungsantrag gehalten (S. 25 Mitte, 38 f. des Berufungsurteils). Es ist nicht verfahrensfehlerhaft, einem solchen Beweisantrag nicht zu entsprechen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts braucht die Tatsacheninstanz unsubstantiierten Beweisanträgen nicht nachzugehen. Unsubstantiiert sind auch solche Beweisanträge, die dazu dienen sollen, unsubstantiierte Behauptungen zu stützen. Zwar darf eine Behauptung nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Jedoch ist es nicht Aufgabe des Gerichts, sich mit Behauptungen zu befassen, die durch keinerlei greifbare Anhaltspunkte gestützt werden. Beweisanträge, denen derartige Behauptungen zugrunde liegen, lösen als so genannte Beweisermittlungs- oder -ausforschungsanträge keine Pflicht des Gerichts zur Beweiserhebung aus, (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1988 – BVerwG 7 CB 81.87 – ≪Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196≫ und Beschluss vom 29. März 1995 – BVerwG 11 B 21.95 – ≪Buchholz a.a.O. Nr. 266≫). So verhält es sich im vorliegenden Fall. Wie das Berufungsgericht – zutreffend – ausgeführt hat (S. 23 ff. des Berufungsurteils), wird eine Zweckentfremdungsverordnung ausnahmsweise gegenstandslos, wenn ein Ende der Mangellage auf dem Wohnungsmarkt insgesamt deutlich in Erscheinung tritt, das Zweckentfremdungsverbot also offensichtlich entbehrlich ist. Der nachträgliche Wegfall des Ermächtigungstatbestandes für den Erlass der Zweckentfremdungsverordnung alleine genügt dagegen nicht (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1979 – BVerwG 8 C 2.79 – ≪Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 5≫). Beruft sich ein Beteiligter – wie hier der Kläger – auf einen angeblich offensichtlichen Sachverhalt, so muss er wenigstens Anhaltspunkte benennen, woraus sich dieser Sachverhalt ergeben könnte. Dies ist jedoch nicht geschehen. Das Berufungsgericht hatte deshalb keine Veranlassung, seine ständige Rechtsprechung, die von der Wirksamkeit der Zweckentfremdungsverordnung in Hamburg ausgeht, in Frage zu stellen.

b) Auch die vom Kläger erhobene Aufklärungsrüge, dass die Abgasbelastung der hier in Rede stehenden Wohnungen nicht hinreichend erforscht worden sei, führt nicht zum Erfolg.

Die ordnungsgemäße Erhebung einer Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) erfordert nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere die substantiierte Darlegung, dass bereits gegenüber der Vorinstanz – hier also insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht – auf die nunmehr vermisste Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist oder dass sich auch ohne ein solches Hinwirken dem Berufungsgericht die Notwendigkeit der bezeichneten Ermittlungen hätte aufdrängen müssen (vgl. z.B. BVerwGE 74, 222 ≪223≫ sowie Beschluss vom 6. März 1995 – BVerwG 6 B 81.94 – ≪Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265≫). Diesen Darlegungsanforderungen (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger hatte vor dem Oberverwaltungsgericht keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Der Hinweis der Beschwerde auf die allgemeine Problematik der Gesundheitsgefährdung von Anwohnern durch Verkehrsabgase eignet sich nicht, um zu begründen, dass das Berufungsgericht – anstatt der Einschätzung des Verwaltungsgerichts zu folgen, wonach hier keine Anhaltspunkte für eine erhebliche Schadstoffbelastung bestünden, weil das Haus ca. 10 Meter von der Fahrbahn entfernt liege – konkrete Abgasmessungen hätte veranlassen müssen, weil sich dies dem Gericht hier aufgedrängt hätte.

b) Aus ähnlichen Gründen verhilft die die „Marktvariante” betreffende Aufklärungsrüge der Beschwerde nicht zum Erfolg.

Das Oberverwaltungsgericht hat auch den diesbezüglichen Beweisantrag des Klägers als unsubstantiiert betrachtet (Berufungsurteil a.a.O.). Mit dem Argument des Berufungsgerichts, der Kläger habe nicht (zur Substantiierung seiner Behauptung, dass die Räumlichkeiten vom Markt nicht mehr als Wohnräume angenommen würden) überzeugend dargelegt, sich über einen längeren Zeitraum vergeblich bemüht zu haben, seine Wohnungen zu angemessenen Bedingungen zu vermieten (S. 39 Mitte des Berufungsurteils), hat die Beschwerde sich nicht auseinander gesetzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG (6 Wohnungen × 8 000 DM).

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Dr. Rothkegel, Dr. Franke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI671907

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