Verfahrensgang
Hessischer VGH (Beschluss vom 13.03.2007; Aktenzeichen 1 UE 2040/06) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. März 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers kann keinen Erfolg haben.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO obliegt es dem Beschwerdeführer darzulegen, worin der allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedarf an der Klärung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage bestehen soll (Beschluss vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫; stRspr). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht.
Die vom Kläger begehrte Feststellung, für ihn als Schwerbehinderten betrage die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit bei einer Vollzeitbeschäftigung entgegen der in der Hessischen Arbeitszeitverordnung (HAZVO) für Beamte allgemein festgelegten wöchentlichen Arbeitszeit von 42 Stunden nur 40 Stunden, blieb in beiden Instanzen erfolglos.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen, das in der Festlegung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit in § 1 Abs. 1 HAZVO keine Anordnung von Mehrarbeit i.S.d. § 124 SGB IX gesehen hat. Mehrarbeit im beamtenrechtlichen Sinne sei nach § 85 Abs. 2 Satz 1 und 2 HBG vielmehr derjenige Dienst, der über die in § 1 Abs. 1 HAZVO festgelegte regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistet werde. Dass im Beamtenrecht andere Regelungen gälten als im Arbeitsrecht sei durch die unterschiedlichen Rechtsbereiche vorgegeben. Der Schutzzweck des § 124 SGB IX erfordere keine hiervon abweichende Auslegung des § 85 Abs. 2 Satz 1 und 2 HBG. Im Übrigen hat das Berufungsgericht einen Verstoß der HAZVO gegen höherrangiges Recht (Art. 3 Abs. 1 GG) verneint. Der Dienstherr habe in Konkretisierung der Fürsorgepflicht für einzelne Bereiche des öffentlichen Dienstes Regelungen getroffen, die gerade der geringeren Belastbarkeit schwerbehinderter Beamter Rechnung trügen.
Der Kläger wirft mit der Beschwerde folgende Rechtsfragen auf:
1. Lässt sich der Bestimmung des § 124 SGB IX das Gebot entnehmen, die Arbeitszeit, deren Überschreiten zur Mehrarbeit führt, einheitlich zu definieren? Ist dies eine Frage der Auslegung des § 124 SGB IX oder enthält § 124 SGB IX – zumindest für Beamte – einen Regelungsauftrag an den Bundesgesetzgeber zu einer einheitlichen Festsetzung der Regelarbeitszeit zwecks Berücksichtigung der besonderen Belange von Schwerbehinderten, egal in welcher Art von Dienstverhältnis (Arbeitsrechtsverhältnis oder Beamtenverhältnis) sie stehen?
2. Wird die erste Frage bejaht, stellt sich die weitere Rechtsfrage, nach welchem Maßstab der dem § 124 SGB IX immanente Begriff der regelmäßigen Arbeitszeit zu bemessen ist? Kommt hierfür eine analoge Anwendung des § 3 Satz 1 Arbeitszeitgesetz in Betracht? Folgt dasselbe Ergebnis aus Art. 31 HessVerf?
Sofern die Fragen 1 und 2 bejaht werden:
3. Steht einer Auslegung des § 124 SGB IX, wonach die regelmäßige Arbeitszeit für Schwerbehinderte 40 Arbeitsstunden täglich nicht überschreiten darf, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 2002 – BVerwG 2 CN 1.01 – BVerwGE 117, 219 ≪224≫ entgegen, in dem das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Auslegung des § 44 BRRG ausgeführt hat, dass das Bundesrecht keine Vorgaben für den Umfang der durch Landesgesetz festgesetzten regelmäßigen Arbeitszeit (für Beamte) enthält?
4. Kann ein aus § 124 SGB IX abgeleiteter eventueller Regelungsauftrag bzgl. der Arbeitszeit schwerbehinderter Beamter auch dadurch erfüllt werden, dass der Dienstherr durch Richtlinien eine individuelle Arbeitszeitregelung in Abhängigkeit vom Ausmaß der Beeinträchtigung des Schwerbehinderten trifft?
5. Besteht – auf der Ebene des Landesrechts – ein Wertungswiderspruch zwischen der abstrakten Arbeitszeitermäßigung für ältere Arbeitnehmer in § 1 Abs. 1 der Hessischen Arbeitszeitverordnung (HAZVO) und einer nur im Einzelfall zu gewährenden Arbeitszeitermäßigung für Schwerbehinderte? Wird hierdurch das Benachteiligungsverbot des § 81 Abs. 2 SGB IX i.V.m. § 1 Satz 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 und 5 AGG verletzt?
Außerdem hält der Kläger die Fragen für klärungsbedürftig,
– ob der Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 28. November 2002 – BVerwG 2 CN 1.01 – BVerwGE 117, 219 ≪224≫, dass das Bundesrecht keine Vorgaben für den Umfang der durch Landesgesetz festgesetzten regelmäßigen Arbeitszeit enthalte, nur auf das Bundesbeamtenrecht, insbesondere § 44 BRRG, bezogen ist oder allgemeine Bedeutung hat und
– ob das ebenfalls bundesgesetzlich geregelte Schwerbehindertenrecht (SGB IX) als Spezialmaterie beamtenrechtlichen Regelungen des Bundes (und der Länder) vorgeht?
Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen sind schon nicht entscheidungserheblich, weil die angegriffene Berufungsentscheidung hierauf nicht gestützt ist. Nach der tragenden Rechtsauffassung des Berufungsgerichts definiert § 85 Abs. 2 Satz 1 und 2 HBG, gemeinsam mit der HAZVO den Begriff der Mehrarbeit i.S.d. § 124 SGB IX für die hessischen Landesbeamten abschließend. Demgegenüber befassen sich die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen mit einem sich möglicherweise aus § 124 SGB IX ergebenden Auftrag an den Gesetzgeber und mit § 44 BRRG. Fragen zu § 85 Abs. 2 Satz 1 und 2 HBG oder zur HAZVO werden – mit Ausnahme der (hilfsweise gestellten) Frage 5 – nicht aufgeworfen. Eine die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht tragende Begründung vermag aber die Zulassung der Revision wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung nicht zu rechtfertigen (vgl. Beschluss des Senats vom 21. September 1993 – BVerwG 2 B 109.93 – Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 181 m.w.N.; stRspr).
Zwar befasst sich der Kläger in der fünften Frage mit der HAZVO, die dort gewählte Fragestellung geht aber ebenfalls an der Begründung des Berufungsgerichts vorbei. Das Berufungsgericht hat zu einem Wertungswiderspruch zwischen der abstrakten Arbeitszeitermäßigung für ältere Arbeitnehmer in § 1 Abs. 1 der HAZVO und einer nur im Einzelfall zu gewährenden Arbeitszeitermäßigung für Schwerbehinderte und zum Benachteiligungsverbot des § 81 Abs. 2 SGB IX in Verbindung mit den Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nicht Stellung genommen. Es hat jedoch allgemein die Entscheidung des Verordnungsgebers, keine Sonderregelung über die Arbeitszeit schwerbehinderter Beamter zu schaffen, im Ergebnis wegen der im Einzelnen aufgezeigten anderen Regelungen zur angemessenen Berücksichtigung der besonderen Interessen schwerbehinderter Bediensteter nicht beanstandet. Sie bewege sich im Rahmen der dem Verordnungsgeber eingeräumten Regelungsbefugnis und sei vertretbar. Die verschiedenen getroffenen Regelungen seien Ausgestaltungen der besonderen Fürsorge gegenüber Schwerbehinderten in bestimmten Teilbereichen und zeigten, dass eine generelle Arbeitszeitregelung für schwerbehinderte Bedienstete nicht dem Willen des hessischen Gesetz- bzw. Verordnungsgebers entspreche. Mit diesen tragenden Erwägungen setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander, wie dies für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung erforderlich wäre. Vielmehr legt der Kläger mit seinen Rechtsfragen der Berufungsentscheidung einen rechtlichen Ansatz zugrunde, auf dem sie nicht beruht.
Unabhängig davon beantworten sich die vom Kläger sinngemäß aufgeworfenen Rechtsfragen, ob sich aus § 124 SGB IX eine einheitliche Definition der regelmäßigen Arbeitszeit ergibt und ob das bundesgesetzlich geregelte Schwerbehindertenrecht (SGB IX) beamtenrechtlichen Regelungen vorgeht, bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des § 124 SGB IX. Dieser bestimmt nur, dass schwerbehinderte Menschen auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt werden. Eine einheitliche Definition der Mehrarbeit oder etwa sogar eine Festlegung auf eine bestimmte tägliche oder wöchentliche Stundenzahl hat der Gesetzgeber in § 124 SGB IX in Kenntnis der unterschiedlichen Ausgestaltungen der regelmäßigen Arbeitszeit bewusst unterlassen. Nach der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 3. Dezember 2002 – BAG 9 AZR 462/01 – BAGE 104, 73 und vom 21. November 2006 – BAG 9 AZR 176/06 –, demnächst AP 00 Nr. 2 zu § 124 SGB IX = NZA 2007, 446 f.) ist unter Mehrarbeit mangels einer eigenständigen gesetzlichen Definition dieses Begriffs für Angestellte und Arbeiter aufgrund der – nur – für diese Beschäftigtengruppe geltenden Vorschrift des § 3 Satz 1 Arbeitszeitgesetz jede über acht Stunden werktäglich hinausgehende Arbeitszeit zu verstehen. Demgegenüber enthalten die Beamtengesetze des Bundes und der Länder eine gesetzliche Definition der Mehrarbeit, vgl. § 44 Satz 1 und 2 BRRG, § 72 Abs. 2 Satz 1 und 2 BBG, § 72 Abs. 4 Satz 1 BBG i.V.m. § 3 Abs. 1 AZV. Für hessische Beamte ist Mehrarbeit nach § 85 Abs. 2 Satz 1 und 2 HBG derjenige Dienst, der über die in § 85 Abs. 1 Satz 1 HBG i.V.m. § 1 Abs. 1 HAZVO festgelegte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden hinaus geleistet wird, wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben.
Hinzu kommt, dass sich die vom Kläger sinngemäß aufgeworfene Frage, ob für schwerbehinderte Angestellte und Beamte unterschiedliche Regelarbeitszeiten festgelegt werden können, eindeutig beantworten lässt. Die unterschiedliche Behandlung von Beamten und Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst findet ihren rechtfertigenden Grund im unterschiedlichen Status beider Personengruppen. Die Verschiedenheit der jeweiligen Ordnungssysteme vermag nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine unterschiedliche Regelung zu rechtfertigen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1992 – 2 BvL 9/88 – BVerfGE 85, 176 ≪186≫; BVerwG, Urteile vom 12. Dezember 1979 – BVerwG 6 C 96.78 – BVerwGE 59, 176 ≪183≫, vom 9. Mai 1985 – BVerwG 2 C 20.82 – Buchholz 235 § 48 BBesG Nr. 6 und vom 29. August 1991 – BVerwG 2 C 22.89 –; Beschlüsse vom 26. Oktober 1988 – BVerwG 2 B 44.88 – Buchholz 240 § 28 BBesG Nr. 14, vom 18. Februar 1992 – BVerwG 2 B 147.91 – Buchholz 239.1 § 86 BeamtVG Nr. 2 und vom 14. Oktober 1994 – BVerwG 2 NB 2.94 – Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 73). Die unterschiedlichen Strukturprinzipien von Beamtenrecht und Tarifrecht haben durch die im Laufe der Zeit veränderten Vorschriften über die Arbeitszeit und ihre weitgehende Angleichung keinen essentiellen Wandel erfahren. Die grundsätzliche Verpflichtung des Beamten zum vollen Einsatz in seinem Beruf ist unberührt geblieben, mögen auch die Arbeitszeitvorschriften dieser Pflicht einen zeitlich bestimmten Inhalt im Rahmen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegeben haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. November 1980 – 2 BvL 7, 8, 9/76 – BVerfGE 55, 207 ≪240≫). Wenn gleichwohl die Gesetzgeber aus sozialen und fürsorgerechtlichen Erwägungen die Arbeitszeit für Beamte weitgehend in Angleichung an die Verhältnisse der Arbeitnehmer festgesetzt haben, begründet dies keine Verpflichtung zur vollständigen Anpassung (vgl. hierzu Urteil vom 29. November 1973 – BVerwG 2 C 14.73 – Buchholz 237.7 § 78 Nr. 2 m.w.N.; Beschluss des Senats vom 14. Oktober 1994 – BVerwG 2 NB 2.94 – a.a.O.; stRspr).
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass selbst, wenn man mit dem Kläger einen Wertungswiderspruch oder einheitlichen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber im Hinblick auf § 124 SGB IX annehmen würde, dies dem klägerischen Begehren nicht zum Erfolg verhelfen und einen Anspruch auf eine ermäßigte Regelarbeitszeit begründen könnte. Vielmehr wären dem Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten eröffnet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1993 – 1 BvL 38, 40, 43/92 – BVerfGE 88, 87 ≪101 f.≫; BVerwG, Urteile vom 11. Oktober 1996 – BVerwG 3 C 29.96 – BVerwGE 102, 113 ≪117 ff.≫ und vom 25. Oktober 2007 – BVerwG 2 C 16.06 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Die Kostenfestsetzung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Albers, Dr. Heitz, Thomsen
Fundstellen