Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufung gegen ein Bescheidungsurteil, mit dem der Dienstherr zur Neuerstellung einer dienstlichen Beurteilung verurteilt worden ist. Bescheidungsurteil bei einer Klage auf Neuerstellung einer dienstlichen Beurteilung. Dienstliche Beurteilung, Gesamturteil. Gegenstand des Rechtsstreits um die Neuerstellung einer –. Reformatio in peius durch ein Berufungsurteil, das auf ein Urteil betreffend die Neuerstellung einer dienstlichen Beurteilung ergeht. Streitgegenstand, einheitlicher – bei Klage auf Verbesserung einer dienstlichen Beurteilung
Leitsatz (amtlich)
Bei einem Streit um die Verbesserung einer dienstlichen Beurteilung, die obligatorisch mit einem Gesamturteil abschließt, ist das Berufungsgericht zu einer umfassenden Prüfung verpflichtet, auch wenn der Dienstherr das Rechtsmittel gegen ein Urteil eingelegt hat, das ihn zur Neubescheidung „unter Beachtung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts” verurteilt.
Normenkette
VwGO § 113 Abs. 5 S. 2, §§ 128-129; SLVO § 41
Verfahrensgang
OVG des Saarlandes (Entscheidung vom 17.09.1998; Aktenzeichen 1 R 51/95) |
VG des Saarlandes (Entscheidung vom 30.10.1995; Aktenzeichen 12 K 107/93) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 17. September 1998 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger wurde nach seiner Beförderung zum Steueroberinspektor im April 1988 für den Zeitraum Februar 1988 bis Januar 1991 mit dem Gesamturteil „hat sich bewährt” dienstlich beurteilt. Im Vergleich zur vorangegangenen Beurteilung lag das Gesamturteil um eine Stufe niedriger, wobei die Bewertung des Arbeitsergebnisses um zwei Stufen und die weiterer fünf Merkmale jeweils um eine Stufe abgesenkt wurden. Den Antrag des Klägers, die dienstliche Beurteilung zu ändern, lehnte die Beklagte ab.
Auf die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte antragsgemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Januar 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 1992 verpflichtet, den Kläger hinsichtlich seines Antrags auf Änderung seiner Beurteilung vom 1. Februar 1991 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Es hat ausgeführt, die zahlreichen Einwendungen des Klägers seien nur insoweit berechtigt, als die dienstliche Beurteilung nicht hinreichend plausibel gemacht worden sei.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens sei der Prozessstoff erster Instanz nur insoweit, als das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil die Entscheidung der Beklagten über den Antrag des Klägers auf Neubescheidung rechtlich beanstandet habe. Der Urteilstenor decke sich zwar mit dem Klageantrag und bringe die Zurückweisung eines Begehrens des Klägers auch sonst nicht zum Ausdruck. Dennoch habe das Verwaltungsgericht der Klage nur teilweise stattgegeben. Dies gehe aus den Entscheidungsgründen hervor, die die bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung des Gerichts zum Ausdruck brächten. Das Verwaltungsgericht habe dem Kläger unter Zurückweisung seiner sonstigen Einwände lediglich eingeräumt, seine dienstliche Beurteilung weise einen Mangel an Plausibilisierung auf. Die allein von der Beklagten erstrebte Nachprüfung im Berufungsverfahren sei auf diesen Gesichtspunkt beschränkt.
Eine stärkere Plausibilisierung der dienstlichen Beurteilung könne der Kläger nicht verlangen, weil er entgegen seinem in erster Instanz auch unbestrittenen Vorbringen nicht auf einem gegenüber seinem Amt als Steueroberinspektor (A 10) höher bewerteten Dienstposten eingesetzt worden sei.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 17. September 1998 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 30. Oktober 1995 zurückzuweisen.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers, über die mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 141, 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
Die Annahme des Berufungsgerichts, seine Nachprüfung des nur von der Beklagten angefochtenen erstinstanzlichen Bescheidungsurteils sei auf die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts beschränkt, welche die Beklagte bei der erneuten Bescheidung des Klägers beachten solle, verletzt revisibles Recht. Diese Auffassung wird dem auch im zweiten Rechtszug zur Entscheidung gestellten Klagebegehren nicht gerecht, das auf die Erstellung einer fehlerfreien dienstlichen Beurteilung des Klägers gerichtet ist und damit einen einheitlichen Streitgegenstand hat.
Der Streitgegenstand, über den das Verwaltungsgericht entschieden hat, lässt sich nicht teilen. Die Einwendungen, die der Kläger gegen die von ihm angegriffene dienstliche Beurteilung erhoben hat, kennzeichnen nur unterschiedliche und unterschiedlich weitreichende Gründe für die Geltendmachung eines und desselben Anspruchs auf fehlerfreie Ausübung der der Beklagten von Rechts wegen eingeräumten Beurteilungsermächtigung, nicht aber trennbare Teile dieses Streitgegenstandes. Fordert das Gesetz als notwendigen und unverzichtbaren Inhalt einer dienstlichen Beurteilung ein Gesamturteil über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des beurteilten Beamten, so steht dies einer Zerlegung in einzelne fehlerbehaftete Teile zwingend entgegen.
Das schließt sowohl eine Teilaufhebung als auch die Verpflichtung zu einer auf Teile der Beurteilung beschränkten Neubescheidung aus. Über den rechtlich unteilbaren Streitgegenstand der Rechtmäßigkeit der dienstlichen Beurteilung müssen die Verwaltungsgerichte einheitlich entscheiden (vgl. auch Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und Richter, 3. Aufl., Rn. 626). Ihre Bindung an die Anträge (§§ 88, 128 Abs. 1, § 129 VwGO) ändert daran nichts (vgl. BVerwGE 71, 73 ≪77≫; Urteil vom 8. Juli 1994 – BVerwG 8 C 4.93 – ≪Buchholz 310 § 111 Nr. 1 S. 9 f.≫; Beschluss vom 20. August 1992 – BVerwG 4 B 92.92 – ≪Buchholz 406.19 Nr. 110 S. 88≫ m.w.N.). Die Verwaltungsgerichte sind nur an das Klage- oder Rechtsmittelziel, nicht an die Klage- oder Rechtsmittelgründe gebunden. Über die streitige Rechtmäßigkeit der dienstlichen Beurteilung müssen sie deswegen auch dann insgesamt befinden, wenn nur der beklagte Dienstherr ein Rechtsmittel gegen ein Urteil eingelegt hat, das ihn zur Erstellung einer Neubeurteilung unter Beachtung einer bestimmten Rechtsauffassung verpflichtet. Davon ist der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung ausgegangen und hat demgemäß auf die vom Dienstherrn eingelegte Revision gegen ein Berufungsurteil, das ihn zur „Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts” verpflichtet, über den geltend gemachten Anspruch des Beamten auf Verbesserung der dienstlichen Beurteilung umfassend entschieden (vgl. Urteile vom 26. Juni 1980 – BVerwG 2 C 13.79 – ≪Buchholz 232 § 8 Nr. 18≫, vom 17. April 1986 – BVerwG 2 C 13.85 – ≪Buchholz 237.90 § 106 Nr. 2≫, vom 17. April 1986 – BVerwG 2 C 8.83 – ≪Buchholz 232.1 § 40 Nr. 7≫, vom 26. August 1993 – BVerwG 2 C 37.91 – ≪Buchholz 232.1 § 40 Nr. 15≫ und vom 24. November 1994 – BVerwG 2 C 21.93 – ≪BVerwGE 97, 128 ff. = Buchholz 232.1 § 41 Nr. 3≫). Daran ist festzuhalten.
Der Streit um die Rechtmäßigkeit der mit einem Gesamturteil abschließenden dienstlichen Beurteilung hat materiellrechtlich einen einheitlichen Gegenstand. Die dienstliche Beurteilung dient nicht vorrangig der beruflichen Förderung des Beamten. Vielmehr hat sie den Zweck, Grundlage für am Leistungsgrundsatz orientierte Entscheidungen über die Verwendung der Beamten, insbesondere auf Beförderungsdienstposten, und über ihr dienstliches Fortkommen, insbesondere ihre Beförderung, zu sein. Hierbei geht es um die Auswahl des nach der Beurteilung des Dienstherrn jeweils bestgeeigneten Beamten, also um einen Vergleich der Beamten untereinander. Deshalb dient die dienstliche Beurteilung, auf der Grundlage der auf das übertragene Amt bezogenen individuellen Bewertung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung des Beamten, vor allem der von Rechts wegen gebotenen zuverlässigen Klärung einer „Wettbewerbssituation” der für die Besetzung von Dienstposten oder für Beförderungen möglicherweise in Betracht kommenden Beamten unter dem Gesichtspunkt der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung (stRspr, z.B. Urteile vom 26. Juni 1980 – BVerwG 2 C 13.79 – ≪Buchholz 232 § 8 Nr. 18 S. 21≫ und vom 26. August 1993 – BVerwG 2 C 37.91 – ≪a.a.O. S. 14 f.≫).
Aufgrund der normativen Vorgabe, dass die dienstliche Beurteilung mit einem Gesamturteil abzuschließen ist (§ 41 Abs. 2 der Saarländischen Laufbahnverordnung – SLVO – in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 1978, ABl S. 234), ist dieses die entscheidende beurteilende Bewertung durch den Dienstherrn. Das Gesamturteil bildet für die Dienstbehörde wie für den Beamten eine zuverlässige Erkenntnisquelle über den Standort des einzelnen Beamten im Leistungswettbewerb untereinander (vgl. Urteil vom 24. November 1994 – BVerwG 2 C 21.93 – ≪a.a.O.≫). Das Gesamturteil ist die rechtserhebliche Zusammenfassung der dienstlichen Beurteilung. Sie bündelt die Bewertung von Einzelmerkmalen (vgl. § 41 Abs. 1 SLVO) und enthält die für den Vergleich der Beamten untereinander maßgebende zentrale Aussage, deren Wert sich aus der Relation zu anderen Gesamturteilen ergibt.
Deshalb zielt der Streit um die Neuerstellung einer dienstlichen Beurteilung notwendig auf eine Änderung des Gesamturteils, jedenfalls soweit ein solches obligatorisch vorgesehen ist. Denn die begehrte Verbesserung seiner Wettbewerbsposition (vgl. Urteil vom 26. August 1993 – BVerwG 2 C 37.91 – ≪a.a.O.≫) kann der Beamte nur erwarten, wenn das Gesamturteil fehlerhaft zustande gekommen und deshalb neu zu erstellen ist. Daran ändert sich nichts, wenn die „Einwendungen” im Klageverfahren Teilaspekte der dienstlichen Beurteilung betreffen. Diese Einwendungen dienen der Begründung des geltend gemachten Anspruchs. Sie sind als solche nicht Streitgegenstand.
Mit seinem Begehren auf Neuerstellung der dienstlichen Beurteilung hatte der Kläger in erster Instanz Erfolg. Die diesen Streitgegenstand erfassende Klage ist nicht deshalb teilweise abgewiesen worden, weil das Verwaltungsgericht die Einwendungen des Klägers ganz überwiegend als unberechtigt angesehen hat. Obgleich ausschließlich die Beklagte Rechtsmittel eingelegt hat, konnte der Streitgegenstand nur einheitlich in das Berufungsverfahren übergehen. Deshalb war das Berufungsgericht auch im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peius (§ 129 VwGO) nicht daran gehindert, über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch umfassend zu entscheiden.
Da das Oberverwaltungsgericht den einheitlich in die zweite Instanz übergegangenen Streitgegenstand nicht umfassend beurteilt und keine weiteren Feststellungen getroffen hat, auf deren Grundlage das Revisionsgericht über den geltend gemachten Anspruch abschließend entscheiden kann, ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer
Fundstellen
Haufe-Index 558232 |
NJW 2001, 1740 |
BVerwGE, 318 |
NVwZ 2001, 200 |
ZTR 2001, 140 |
DÖD 2001, 89 |
DÖV 2001, 293 |
ZfPR 2001, 182 |
BayVBl. 2001, 376 |
DVBl. 2001, 133 |
KomVerw 2001, 196 |
FSt 2001, 369 |