Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung von Ruhens- und Anrechnungsvorschriften. Anrechnungsvorschrift. Berufssoldat. Erfüllung. Erlöschen. Erwerb eines Eigenheims. Grundbetrag. Kapitalabfindung. Ruhegehalt. Ruhens- und Anrechnungsvorschriften. Ruhensvorschrift. Sonderzuwendung. Treu und Glauben. Verlust. Versorgungsempfänger. Verwirkung. zustehende Versorgungsbezüge
Leitsatz (amtlich)
Bei der Ermittlung des Grundbetrages der jährlichen Sonderzahlung für Versorgungsempfänger war nach dem bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Recht auch der nach § 30 Abs. 2 Satz 1 SVG erloschene Teil des Ruhegehalts zu berücksichtigen.
Normenkette
SVG § 28 Abs. 1 Nr. 4, § 30 Abs. 2; SZG § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 2 Abs. 1, § 7
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 30.08.2006; Aktenzeichen 3 LB 21/05) |
VG Schleswig-Holstein (Urteil vom 31.05.2005; Aktenzeichen 16 A 202/02) |
Tenor
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. August 2006 wird aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 31. Mai 2005 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.
Tatbestand
I
Der Kläger war Berufssoldat und trat am 1. März 1988 in den Ruhestand. Im Juli 1990 beantragte er, ihm zwecks Erwerbs eines Eigenheims eine Kapitalabfindung nach dem Soldatenversorgungsgesetz in Höhe von 48 000 DM zu gewähren. Die Beklagte entsprach diesem Antrag und zahlte dem Kläger 43 200 DM aus. In dem Bewilligungsbescheid wies sie darauf hin, der Teil des Ruhegehalts, an dessen Stelle die Kapitalabfindung trete – monatlich 400 DM, jährlich 4 800 DM – erlösche mit Ablauf des Monats der Auszahlung für die Dauer von zehn Jahren. Die jährliche Sonderzuwendung werde lediglich nach dem nicht erloschenen Teil der Versorgungsbezüge berechnet. Das bedeute, dass dem Kläger für die Dauer von zehn Jahren lediglich eine um 400 DM jährlich verringerte Sonderzuwendung zustehe.
Im Januar 2000 beantragte der Kläger, ihm die Sonderzuwendung für die zurückliegenden Jahre und das Jahr 2000 in unverminderter Höhe zu gewähren und ihm die entsprechenden Beträge nachzuzahlen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Mit seiner Klage hat der Kläger beantragt, die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 2 045,17 € (dies entspricht 4 000 DM) nachzuzahlen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben, im Wesentlichen aus folgenden Gründen:
Bei der Berechnung der dem Kläger zustehenden Sonderzuwendung dürfe die ihm gewährte Kapitalabfindung nicht zu seinen Lasten angesetzt werden. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes, demzufolge die Sonderzuwendung auf der Basis der dem Soldaten “vor Anwendung von Ruhens- und Anrechnungsvorschriften” zustehenden laufenden Versorgungsbezüge zu berechnen sei. Als “Ruhens- und Anrechnungsvorschrift” sei auch die Vorschrift anzusehen, derzufolge der Teil der Versorgungsbezüge, an dessen Stelle die Kapitalabfindung trete, für zehn Jahre erlösche. Denn dieser Teil lebe nach Rückzahlung der Abfindungssumme wieder auf. Bei dem Betrag der im Dezember fälligen Versorgungsbezüge, die der Berechnung der Sonderzuwendung zugrunde zu legen seien, handele es sich um den Betrag “an sich”. Jedenfalls folge das Ergebnis aus dem Sinn und Zweck der Sonderzuwendung einerseits sowie der Kapitalabfindung andererseits und aus einer gesetzessystematischen Zusammenschau der entsprechenden Regelungsbereiche; es entspreche überdies einer verfassungskonformen Gesetzesauslegung.
Die Sonderzuwendung bedeute eine fortwirkende Anerkennung der während der aktiven Dienstzeit erbrachten Dienstleistungen des Soldaten. Die Kapitalabfindung diene verschiedenen Zwecken im Interesse des ehemaligen Soldaten. Beide Leistungen stellten gesetzliche Konkretisierungen der den Dienstherrn treffenden Pflichten gegenüber seinen ehemaligen Soldaten dar. Es sei kein sachlicher Grund dafür zu erkennen, die Begünstigung “Sonderzuwendung” durch die Begünstigung “Kapitalabfindung” in irgendeiner Weise zu schmälern und den Soldaten, der eine Kapitalabfindung in Anspruch genommen habe, gegenüber dem Soldaten zu benachteiligen, der hierauf verzichtet habe. Deshalb sei die gesetzliche Regelung, derzufolge “Ruhens- und Anrechnungsvorschriften” auf die Höhe der Sonderzuwendung ohne Einfluss bleiben sollten, auf die Kapitalabfindung erst recht – zumindest analog – anzuwenden, weil die Kapitalabfindung den Soldaten ausschließlich begünstigen solle. Soweit das Gesetz davon spreche, dass der Versorgungsanspruch teilweise erlösche, solle damit nur sichergestellt werden, dass der Versorgungsempfänger das Ruhegehalt nicht teilweise doppelt erhalte.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts geltend macht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. August 2006 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 31. Mai 2005 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt revisibles Recht. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch steht dem Kläger nicht zu.
1. Rechtsgrundlage des Anspruchs ist § 1 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 und § 7 des Gesetzes über die Gewährung einer jährlichen Sonderzuwendung – SZG – i.d.F. des Gesetzes vom 23. Mai 1975 (BGBl I S. 1173 ≪1238≫). Danach erhalten Versorgungsempfänger, denen laufende Versorgungsbezüge zustehen, die der Bund zu tragen hat, eine jährliche Sonderzuwendung. Die Sonderzuwendung besteht aus einem Grundbetrag und einem Sonderbetrag für Kinder (§ 2 Abs. 1 SZG). Nach § 7 SZG wird der Grundbetrag für Versorgungsempfänger in Höhe der dem Berechtigten für den Monat Dezember vor Anwendung von Ruhens- und Anrechnungsvorschriften zustehenden laufenden Versorgungsbezüge gewährt.
Die dem Kläger für den Monat Dezember zustehenden laufenden Versorgungsbezüge waren um einen Betrag von 400 DM monatlich gemindert. In dieser Höhe war der Ruhegehaltsanspruch des Klägers gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 des Soldatenversorgungsgesetzes – SVG – erloschen.
Die als “Kapitalabfindung” bezeichnete Zahlung, die der Kläger 1990 beantragt und Anfang des Jahres 1991 erhalten hat, ist ihm auf der Grundlage der §§ 28 ff. SVG gewährt worden. Nach § 28 Abs. 1 SVG kann der Soldat im Ruhestand auf Antrag statt eines Teils des Ruhegehalts eine Kapitalabfindung erhalten, u.a. zur Beschaffung einer Wohnstätte (Nr. 4). Nach § 30 Abs. 2 Satz 2 SVG wird als Abfindungssumme das Neunfache des ihr zugrunde liegenden Jahresbetrages gezahlt. Nach Satz 1 dieser Vorschrift erlischt der Teilbetrag des Ruhegehalts, an dessen Stelle die Kapitalabfindung tritt, mit Ablauf des Monats der Auszahlung für zehn Jahre. Dem Kläger war eine Kapitalabfindung in Höhe von 48 000 DM bewilligt worden, von der ihm 43 200 DM ausbezahlt worden sind. Der jährlich zu tilgende Betrag belief sich auf ein Zehntel der Kapitalabfindung, d.h. 400 DM monatlich.
Zutreffend hat das Berufungsgericht entschieden, dass nicht die um 400 DM gekürzten, im Dezember zahlbaren Versorgungsbezüge bei der Bemessung des Grundbetrages zugrunde zu legen sind, sondern der ungekürzte Betrag. Dies ergibt sich aus § 7 Satz 1 SZG, wonach der Grundbetrag in Höhe der Versorgungsbezüge vor Anwendung von Ruhens- und Anrechnungsvorschriften gewährt wird.
Mit § 7 Satz 1 SZG verfolgt der Gesetzgeber den Zweck, den Grundbetrag der Sonderzuwendung für alle Zuwendungsempfänger ohne Berücksichtigung jener Umstände festzulegen, die den Betrag der dem Versorgungsempfänger im Dezember tatsächlich auszuzahlenden Versorgungsbezüge beeinflussen können. Hierbei handelt es sich, der Struktur der einzelnen Ruhens- und Anrechnungsvorschriften entsprechend, um Umstände, die im Einzelfall variieren und sogar von Monat zu Monat unterschiedlich sein können.
Sowohl Ruhens- als auch Anrechnungsvorschriften führen zu einer Kürzung der nach dem jeweiligen Gesetz geschuldeten Leistung.
Ruhensvorschriften sind solche Vorschriften, die anordnen, dass die Auszahlung der nach der jeweiligen Vorschrift eigentlich geschuldeten Leistung in bestimmter Höhe unterbleibt. Mit “Ruhen” wird zum Ausdruck gebracht, dass die Berechtigung dem Grunde nach unberührt bleibt, der Auszahlung aber ein – zeitweiliges oder dauerndes – rechtliches Hindernis entgegensteht (BVerwG, Urteile vom 24. November 1966 – BVerwG 2 C 119.64 – BVerwGE 25, 291 ≪293≫ = Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 29 und vom 27. Januar 2005 – BVerwG 2 C 39.03 – Buchholz 239.1 § 53 BeamtVG Nr. 13). Dieses Verständnis der Vorschrift ergibt sich aus der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 15. Juli 1965 (BGBl I S. 609), die nach dem Wort “Ruhensvorschriften” durch den Klammerzusatz “(§§ 158, 160 des Bundesbeamtengesetzes und entsprechender Vorschriften)” verdeutlicht, dass hiermit die in den §§ 53 und 54 BeamtVG (und den ihnen entsprechenden Vorschriften der §§ 53, 55, 55a und 55b SVG) fortlebenden Vorschriften gemeint waren, die ungeachtet ihres nicht immer einheitlichen Sprachgebrauchs als Ruhensvorschriften angesehen werden (vgl. z.B. § 29 Abs. 4 AbgG, wo das Ruhen – Satz 1 – und das Anrechnen – Satz 3 – in übereinstimmendem Sinn verstanden werden).
Anrechnungsvorschriften sind solche Vorschriften, die anordnen, dass die eigentlich geschuldete Leistung im Hinblick auf anderweitige Leistungsansprüche des Berechtigten erlischt.
§ 30 Abs. 2 Satz 1 SVG ist keine Ruhensvorschrift, sondern eine Anrechnungsvorschrift. Mit dem Wort “erlischt” bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass aufgrund des Anspruchs des Dienstherrn auf Rückzahlung der Kapitalabfindung nicht lediglich ein Ruhen der Versorgungsbezüge angeordnet ist, sondern für die Dauer von zehn Jahren deren teilweiser Wegfall.
Der Wertung als Anrechnungsvorschrift steht nicht entgegen, dass § 30 Abs. 2 Satz 1 SVG das Wort “Anrechnung” nicht verwendet, sondern erklärt, der Teil des Ruhegehaltsanspruchs, an dessen Stelle die Kapitalabfindung trete, erlösche.
Mit dem Wort “Erlöschen” kennzeichnet der Gesetzgeber unterschiedliche Vorgänge. Zum einen kann das Erlöschen von Gehalts- oder Versorgungsansprüchen die Folge eines allgemeinen oder partiellen Verlustes der Rechte des Beamten oder Versorgungsempfängers sein, wie er etwa als Folge eines unerlaubten Fernbleibens vom Dienst (§ 9 BBesG), einer disziplinarischen Aberkennung des Ruhegehalts oder einer Verurteilung (§ 59 Abs. 1 BeamtVG), der Weigerung, einer Wiederberufung Folge zu leisten (§ 60 BeamtVG), des Todes des Versorgungsempfängers oder der Wiederverheiratung der Witwe (§ 61 Abs. 1 BeamtVG) eintritt. In anderen Fällen kennzeichnet das Gesetz mit dem Wort “Erlöschen” das Ergebnis eines Erfüllungsvorgangs. Tritt die Erfüllung einer durch das jeweilige Gesetz begründeten Leistungspflicht durch eine Leistung ein, die aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet war, ist das Wort “Erlöschen” gleichbedeutend mit “Anrechnung”. Das Gesetz betont in diesen Fällen mit dem Wort “Anrechnen” den Erfüllungsvorgang, mit dem Wort “Erlöschen” dessen Ergebnis. Wird mit dem Wort “Erlöschen” das Ergebnis eines Erfüllungsgeschäftes gekennzeichnet, so steht dies einem Verständnis der Erlöschensvorschrift als Anrechnungsvorschrift nicht im Wege. Denn die Anrechnung führt zwangsläufig zum Erlöschen der einbezogenen Leistungsansprüche.
§ 30 Abs. 2 Satz 1 SVG ist danach eine Anrechnungsvorschrift. Sie ordnet an, dass der Anspruch des Versorgungsempfängers auf den monatlichen Versorgungsbezug in Höhe des Anrechnungsbetrages durch die bereits geleistete Kapitalabfindung – sie ist der Sache nach ein Vorschuss auf die geschuldete Versorgung – als erfüllt anzusehen ist, was in dieser Höhe zum Erlöschen des Versorgungsanspruchs führt.
2. Der dem Grunde nach bestehende Zahlungsanspruch ist jedoch verwirkt. Dies hat das Berufungsgericht zu Unrecht unberücksichtigt gelassen.
Verwirkung tritt ein, wenn die verspätete Geltendmachung eines Anspruchs gegen Treu und Glauben verstößt. Hierbei genügt der bloße Zeitablauf allerdings nicht. Es muss hinzukommen, dass der Inhaber eines materiellen oder prozessualen Anspruchs oder Gestaltungsrechts innerhalb eines längeren Zeitablaufs unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1972 – 2 BvR 255/67 – BVerfGE 32, 305 ≪308 f.≫; BVerwG, Urteile vom 13. November 1975 – BVerwG 2 C 16.72 – BVerwGE 49, 351 ≪358≫ und vom 29. August 1996 – BVerwG 2 C 23.95 – BVerwGE 102, 33 ≪36≫ = Buchholz 237.95 § 10 S-HLBG Nr. 2; OVG Münster, Urteil vom 16. Januar 2008 – 21 A 4240/05 – DÖD 2008, 185).
Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, dass der Kläger bereits bei der Bewilligung der Kapitalabfindung ausdrücklich darauf hingewiesen worden war, er werde als Folge des Erlöschens seiner Versorgungsbezüge zehn Jahre lang eine um 400 DM geminderte Sonderzahlung erhalten. Der Kläger hat dies hingenommen und nahezu zehn Jahre lang unbeanstandet gelassen. Er hat damit nach Ablauf der einjährigen Widerspruchsfrist, innerhalb derer er sich gegen die Kürzung der Sonderzahlung hätte wenden können, spätestens aber nach Ablauf weiterer Jahre zu erkennen gegeben, dass er die Rechtsauffassung der Beklagten und ihre darauf fußende Handlungsweise bei der Festsetzung der jährlichen Sonderzahlung nicht anzugreifen gedenke. Damit hat er das Recht auf Sonderzahlung in der gesetzlich gebührenden Höhe, unabhängig davon, ob der betreffende Anspruch bereits verjährt war oder nicht, verwirkt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Herbert, Prof. Dr. Kugele, Groepper, Dr. Heitz, Dr. Burmeister
Fundstellen
Haufe-Index 2096900 |
ZBR 2009, 258 |