Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommen, Abgrenzung zum Vermögen, Schadensersatzanspruch als Einkommen. Schadensersatzleistung als Einkommen. Vermögen, Abgrenzung zum Einkommen
Leitsatz (amtlich)
Sozialhilferechtlich ist Einkommen alles das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazuerhält, und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Dabei ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluß auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluß als maßgeblich bestimmt (normativer Zufluß) – Aufgabe der sog. Identitätstheorie. Danach ist hier eine Schadensersatzleistung Einkommen i.S. von § 76 Abs. 1 BSHG.
Normenkette
BSHG §§ 76, 88; DVO zu § 76; BSHG §§ 3, 8
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 20.02.1998; Aktenzeichen 1 L 20/98) |
VG Schleswig-Holstein (Urteil vom 07.11.1996; Aktenzeichen 13 A 304/95) |
Tenor
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. Februar 1998 und das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 7. November 1996 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat März 1995. Mit Bescheid vom 10. April 1995 wurde ihr Hilfe zum Lebensunterhalt für April, nicht aber bereits für März 1995 gewährt. Auf ihre nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 10. April 1995 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 14. November 1995 verpflichtet, der Klägerin für den Monat März 1995 Hilfe zum Lebensunterhalt zu bewilligen. Die Berufung des Beklagten hiergegen hat das Oberverwaltungsgericht mit folgender Begründung zurückgewiesen:
Die Klägerin habe im März 1995 ihren sozialhilferechtlichen Bedarf in Höhe von ca. 843 DM nicht selbst decken können. Ihr Ehemann habe in diesem Monat nur 400 DM Unterhalt gezahlt, und der ihr Anfang März geleistete Schadensersatz in Höhe von jedenfalls 1 500 DM für in der Zeit September 1992 bis September 1993 vorenthaltenes Kindergeld sei nach der in der Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts, vertretenen Identitätstheorie nicht Einkommen, sondern – hier geschütztes – Vermögen der Klägerin. Schadensersatzleistungen dienten dazu, eine Vermögenseinbuße auszugleichen. Selbst wenn die Schadensersatzzahlung hier deshalb als Einkommen einzuordnen wäre, weil sie einen Ersatz für entgangenes Kindergeld darstellt, wäre sie kein Einkommen für den Monat März 1995, weil sie dann auf den Zeitraum September 1992 bis September 1993, in dem kein Kindergeld geleistet wurde, zu beziehen wäre.
Mit der Revision gegen dieses Urteil rügt der Beklagte die Verletzung des § 76 Abs. 1 BSHG; er begehrt, die Klage abzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht tritt in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit der von den Vorinstanzen vertretenen Identitätstheorie entgegen und sieht der Zuflußtheorie folgend Einkünfte in Geld oder Geldeswert als Einkommen an, die im Bedarfszeitraum zufließen und die zur Verfügung stehenden Geld- oder geldwerten Mittel, wirtschaftlich betrachtet, vermehren.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet und die Klage abzuweisen, weil die von der Klägerin angegriffenen Bescheide rechtmäßig sind und der Beklagte nicht verpflichtet ist, der Klägerin für den Monat März 1995 Hilfe zum Lebensunterhalt zu bewilligen. Denn mit dem in diesem Monat erhaltenen Schadensersatz stand der Klägerin ausreichend Einkommen zur Verfügung, ihren Bedarf zu decken.
Die Auffassung der Vorinstanzen, wonach die sozialhilferechtliche Erfassung finanzieller Zuflüsse als Einkommen voraussetze, daß sie zur Deckung des Lebensunterhalts bestimmt sind (Identität der Zweckbestimmung) und daß sie einem bestimmten Zeitabschnitt der Lebensführung des Hilfesuchenden so zugeordnet werden können, daß sie der Deckung des Bedarfs des Hilfeempfängers während eines konkreten Zeitraums dienen sollen (Zeitraumidentität), entspricht Bundesrecht nicht. Soweit sich die Vorinstanzen für ihre Auffassung auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. BVerwGE 29, 295) stützen können, wird daran nicht festgehalten.
Richtig ist zwar, daß Einkommen (aber auch Vermögen) sozialhilferechtlich nur dann von Bedeutung sein kann, wenn es einer bestimmten Zeit, der Zeit eines sozialhilferechtlichen Bedarfs, einer konkreten Bedarfszeit, zugeordnet werden kann. Der gesetzlichen Bestimmung des Einkommens in § 76 Abs. 1 BSHG: „Zum Einkommen im Sinne dieses Gesetzes gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert …” kann aber nicht entnommen werden, daß dazu nur Einkünfte gehören, die wie die Sozialhilfe zur Bedarfsdeckung zweckbestimmt sind (Identität der Zweckbestimmung) und die für einen Zeitraum bestimmt sind, der mit dem Bedarfszeitraum identisch ist (Zeitraumidentität).
Die Frage nach Einkommen und Vermögen dient sozialhilferechtlich der Prüfung, ob sie zur Deckung eines bestimmten Bedarfs und damit bezogen auf eine bestimmte Bedarfszeit einzusetzen sind (§ 11 Abs. 1, § 28 Abs. 1 BSHG). Einkommen und Vermögen gehören zu den Mitteln im Sinne des § 11 Abs. 1 BSHG, sind aber auseinanderzuhalten; ihr Einsatz ist in den §§ 76 ff. BSHG einerseits und §§ 88 f. BSHG andererseits unterschiedlich geregelt. Ihr Bezug zur Bedarfszeit ist von grundsätzlicher Bedeutung, weil Einkommen und Vermögen nur dann wirksam zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden können, wenn sie dafür in der Zeit des Bedarfs zur Verfügung stehen (z.B. § 79 Abs. 1 BSHG: monatliches Einkommen während des Bedarfs). Allein ist dieser Bezug zur Bedarfszeit aber nicht geeignet, Einkommen und Vermögen voneinander abzugrenzen, weil er für beide erforderlich ist.
Auch das Kriterium der Zweckbestimmung ist für eine Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen nicht tauglich. So ist einerseits nicht jedes Einkommen zweckbestimmt (z.B. Kapitalzinsen, die kausal für, aber nicht final zu etwas geleistet werden) und andererseits nicht jedes Vermögen zweckfrei (z.B. Vermögen zur angemessenen Alterssicherung). Nach § 76 Abs. 1 BSHG gehören zum Einkommen alle Einkünfte, und nach § 88 Abs. 1 BSHG gehört zum Vermögen das gesamte verwertbare Vermögen; soweit das Bundessozialhilfegesetz für das Einkommen oder Vermögen an eine Zweckbestimmung anknüpft, ist das besonders bestimmt (z.B. § 77 Abs. 1 BSHG zum Einkommen, § 88 Abs. 2 Nr. 1 BSHG zum Vermögen). Bereits nach §§ 2, 11, 28 BSHG steht Sozialhilfe nur dem zu, der seinen notwendigen Bedarf nicht mit eigenen Mitteln, vor allem Einkommen und Vermögen, selbst decken kann. Danach ist Voraussetzung für den Einsatz von Einkommen und Vermögen deren bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit, nicht notwendig dagegen eine Zweckbestimmung.
Wenn § 76 Abs. 1 BSHG bestimmt, daß zum Einkommen „alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert …” gehören, so bezeichnet es damit als Einkommen alle eingehenden Einnahmen, Zahlungen, Zuflüsse, Zuwendungen und anderen Leistungen. Im Gegensatz zum Vermögen, dem Inbegriff all dessen, was einem Rechtsträger schon zusteht, was er (bereits) hat, ist Einkommen demnach dasjenige, was er (erst/gerade) erhält, was sein Geld oder seine geldwerten Mittel vermehrt.
Wenn auch beiden, dem Einkommen und dem Vermögen, sozialhilferechtlich der Bezug zur Bedarfszeit wesentlich ist, so grenzen sie sich doch auch gerade dadurch voneinander ab, daß Einkommen alles das ist, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazuerhält, und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Mittel, die der Hilfesuchende (erst) in der Bedarfszeit erhält, sind als Zufluß in der Bedarfszeit Einkommen. Mittel, die der Hilfesuchende früher, wenn auch erst in der vorangegangenen Bedarfszeit, als Einkommen erhalten hat, sind, soweit sie in der nun aktuellen Bedarfszeit (noch, gegebenenfalls auch wieder) vorhanden sind, Vermögen. Dabei ist Bedarfszeit die Zeit, in der der Bedarf besteht und (grundsätzlich rechtzeitig) zu decken ist.
Zur Frage, wann etwas zufließt, ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluß auszugehen. Damit wird nicht unzulässig an einen mehr oder weniger zufälligen Zeitpunkt angeknüpft (vgl. dazu BVerwGE 29, 295 ≪298≫), sondern einer aktuellen Notlage ein aktuelles Einkommen gegenübergestellt.
Allerdings kann abweichend vom tatsächlichen Zufluß rechtlich ein anderer Zufluß als maßgeblich bestimmt werden. Beispiele für einen solchen normativen Zufluß sind nicht die Fälle nach § 84 Abs. 2 und 3 BSHG. Denn dort werden Einkünfte auch nach ihrem tatsächlichen Zufluß als Einkommen bewertet und ist nur besonders geregelt, daß in diesen Fällen der Einsatz des Einkommens aus einer späteren Zeit für einen Bedarf in früherer Zeit verlangt werden kann. Beispiele für einen vom tatsächlichen abweichenden, normativen Zufluß finden sich in der Verordnung zur Durchführung des § 76 des Bundessozialhilfegesetzes (DVO zu § 76 BSHG), z.B. in dessen § 3 Abs. 3 und § 11 i.V.m. §§ 4, 6, 7 und 8. So sind Sonderzuwendungen, Gratifikationen und gleichartige Bezüge und Vorteile, die in größeren als monatlichen Zeitabständen gewährt werden, sowie einmalige Einnahmen von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie anfallen; sie sind, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt ist, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen (§ 3 Abs. 3 Satz 2 und 3, § 8 Abs. 1 Satz 3 DVO zu § 76 BSHG).
Zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach dem, was zufließt, und dem, was bereits vorhanden ist, ist weiter zu berücksichtigen, daß Einnahmen grundsätzlich aus bereits bestehenden Rechtspositionen erzielt werden (z.B. Auszahlung des Gehalts als Erfüllung der Gehaltsforderung; hier: Schadensersatz als Erfüllung des Schadensersatzanspruchs). Da eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete (noch nicht erfüllte) Forderung einen wirtschaftlichen Wert darstellt, gehört sie, wenn sie dem Inhaber bereits zusteht (z.B. noch nicht erfüllte Gehaltsforderungen für zurückliegende Monate; dagegen baut sich die Gehaltsforderung für den laufenden Monat erst auf), zu seinem Vermögen. Das führt jedoch nicht zu einer Konkurrenz dergestalt, daß die Forderung als Vermögen und daneben die Leistung aus der Forderung als Einkommen zu berücksichtigen wären. Vielmehr ist der Regelung in § 76 BSHG zu entnehmen, daß im Falle der Erfüllung einer (Geld-)Forderung sozialhilferechtlich grundsätzlich nicht das Schicksal der Forderung interessiert, sondern das Gesetz insofern allein auf die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert als Einkommen abstellt. Das gilt allerdings nicht für Fälle, in denen mit bereits erlangten Einkünften Vermögen angespart wurde, z.B. bei Banken, Sparkassen oder Versicherungen. Denn andernfalls wertete man den Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen. Dementsprechend gilt § 76 BSHG auch nicht für die Auszahlung solcher Forderungen, die als fällige und liquide Forderungen bewußt nicht geltend gemacht, sondern angespart wurden.
Steht danach der Vermögenswert einer Schadensersatzforderung nicht entgegen, die Schadensersatzleistung als Einkommen i.S. des § 76 BSHG zu verstehen (§ 76 Abs. 1 BSHG nimmt nicht generell Renten und Beihilfen für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit vom Einkommen aus), so gilt § 76 BSHG doch für solchen Schadensersatz nicht, der lediglich eine frühere Vermögenslage wiederherstellt (z.B. Schadensersatz für die Beschädigung oder den Verlust einer Sache). Denn der bloße Ersatz für etwas, was jemand bereits hatte, bewirkt keinen Zufluß, ist keine Einnahme, sondern, wie das Ersetzte, wiederum unmittelbar Vermögen. Andernfalls wertete man den Ersatz eines bereits früher Erlangten unzulässig erneut als Einkommen. Dagegen sind alle diejenigen Schadensersatzleistungen Einkommen i.S. des § 76 BSHG, mit denen kein zuvor vorhandenes Vermögen ersetzt wird, sondern mit denen der Berechtigte erstmals eine Leistung in Geld oder Geldeswert erhält. Hierzu gehört die im Streit stehende Schadensersatzleistung. Mit ihr erhielt die Klägerin nicht einen Ersatz für einen bereits erworbenen Vermögensgegenstand, sondern erstmals eine Leistung für ihr bisher nicht ausgezahltes Kindergeld (das, wäre es seinerzeit ausgezahlt worden, – damals – ebenfalls Einkommen gewesen wäre).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Fundstellen
NJW 1999, 3137 |
NVwZ 1999, 1343 |
DÖV 2000, 83 |
FEVS 2000, 51 |
SGb 1999, 703 |