Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommen, Abgrenzung zum Vermögen, Auszahlung eines geerbten Unterhaltsanspruchs als –. Auszahlung eines geerbten Unterhaltsanspruchs, sozialhilferechtliche Bewertung als Einkommen. Vermögen, Abgrenzung zum Einkommen
Leitsatz (amtlich)
Sozialhilferechtlich ist Einkommen alles das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazuerhält, und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Dabei ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluß auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluß als maßgeblich bestimmt (normativer Zufluß) – Aufgabe der sog. Identitätstheorie. Danach ist die Auszahlung eines geerbten Unterhaltsanspruchs Einkommen i.S. von § 76 Abs. 1 BSHG.
Normenkette
BSHG §§ 76, 88
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 20.02.1998; Aktenzeichen 1 L 5/98) |
VG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 22.05.1996; Aktenzeichen 10 A 49/94) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. Februar 1998 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Die Klägerin, die seit 1973 Hilfe zum Lebensunterhalt bezieht, begehrt von der Beklagten ungekürzte Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat August 1992. Infolge des Todes ihres Sohnes am 29. April 1989 hatte sie von diesem einen Unterhaltstitel gegen dessen im März/April 1989 verstorbenen Vater geerbt; die Erben des Vaters zahlten am 28. Juli 1992 einen Betrag in Höhe von 2 355 DM an den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, der ihn am 6. August 1992 an die Klägerin weiterleitete. Die Beklagte reduzierte daraufhin die Hilfe zum Lebensunterhalt an die Klägerin für den Monat August 1992 auf 100 DM. Den Antrag der Klägerin, ihr für den Monat August 1992 Sozialhilfe in voller Höhe zu bewilligen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. November 1992 ab, den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 1. Februar 1994 zurück.
Mit der hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die an sie ausgezahlten 2 355 DM seien sozialhilferechtlich nicht als Einkommen anzusehen, sondern Schonvermögen im Sinne des § 88 BSHG. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, der Klägerin für den Monat August 1992 Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat August 1992, da die an sie ausgezahlten 2 355 DM Einkommen im Sinne des § 76 BSHG und für die Deckung des Lebensunterhalts einzusetzen gewesen seien. Zwar sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Begriff des Einkommens an dem Bedarf zu orientieren, der mit seiner Hilfe gedeckt werden solle, und könnten Einkommen deshalb nur solche Zuflüsse in Geld oder Geldeswert sein, die der Deckung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt seien; darüber hinaus müsse auch Identität des Bedarfszeitraums mit dem Zeitraum, für den die Zahlung bestimmt sei, vorliegen. Zweckneutrale Leistungen seien jedoch als Einkommen zu berücksichtigen. Danach seien die an die Klägerin im August 1992 ausgezahlten 2 355 DM für diesen Monat als Einkommen einzusetzen. Der Unterhaltsanspruch des Sohnes habe sich infolge des Erbfalls in einen zweckneutralen Zahlungsanspruch umgewandelt. Eine solche zweckneutrale Zahlung stehe zur Deckung des Lebensunterhalts zur Verfügung und sei deshalb im Monat der Auszahlung als Einkommen zu berücksichtigen; denn ohne Zweckbestimmung könne die Zahlung keinem anderen Zeitraum zugeordnet werden.
Mit der Revision gegen dieses Urteil rügt die Klägerin Verletzung des § 76 BSHG und begehrt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht tritt in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit der von der Vorinstanz grundsätzlich vertretenen Identitätstheorie entgegen und sieht der Zuflußtheorie folgend alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert als Einkommen an, die im Bedarfszeitraum zufließen und die zur Verfügung stehenden Geld- oder geldwerten Mittel, wirtschaftlich betrachtet, vermehren.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg. Die Vorinstanz hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß der an die Klägerin ausgezahlte Betrag des ererbten Unterhaltsanspruches für den Monat August 1992 als Einkommen im Sinne von § 76 BSHG einzusetzen war.
Zwar entspricht die vom Berufungsgericht im rechtlichen Ausgangspunkt vertretene Auffassung, daß Einkommen nur solche Zuflüsse in Geld oder Geldeswert sein können, die der Deckung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind (Identität der Zweckbestimmung), und daß darüber hinaus auch Identität des Bedarfszeitraums mit dem Zeitraum vorliegen muß, für den die Zahlung bestimmt ist (Zeitraumidentität), Bundesrecht nicht. Soweit sich das Berufungsgericht für seine Auffassung auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. BVerwGE 29, 295) stützen kann, wird daran nicht festgehalten. Zum rechtlich zutreffenden Ergebnis führt jedoch die weitere Überlegung des Berufungsgerichts, die auf den geerbten Unterhaltsanspruch erfolgte zweckneutrale Zahlung sei im Monat der Auszahlung als Einkommen zu berücksichtigen.
Richtig ist, daß Einkommen (aber auch Vermögen) sozialhilferechtlich nur dann von Bedeutung sein kann, wenn es einer bestimmten Zeit, der Zeit eines sozialhilferechtlichen Bedarfs, einer konkreten Bedarfszeit, zugeordnet werden kann. Der gesetzlichen Bestimmung des Einkommens in § 76 Abs. 1 BSHG: „Zum Einkommen im Sinne dieses Gesetzes gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert …” kann aber nicht entnommen werden, daß dazu nur Einkünfte gehören, die wie die Sozialhilfe zur Bedarfsdeckung zweckbestimmt sind (Identität der Zweckbestimmung) und die für einen Zeitraum bestimmt sind, der mit dem Bedarfszeitraum identisch ist (Zeitraumidentität).
Die Frage nach Einkommen und Vermögen dient sozialhilferechtlich der Prüfung, ob sie zur Deckung eines bestimmten Bedarfs und damit bezogen auf eine bestimmte Bedarfszeit einzusetzen sind (§ 11 Abs. 1, § 28 Abs. 1 BSHG). Einkommen und Vermögen gehören zu den Mitteln im Sinne des § 11 Abs. 1 BSHG, sind aber auseinanderzuhalten; ihr Einsatz ist in den §§ 76 ff. BSHG einerseits und §§ 88 f. BSHG andererseits unterschiedlich geregelt. Ihr Bezug zur Bedarfszeit ist von grundsätzlicher Bedeutung, weil Einkommen und Vermögen nur dann wirksam zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden können, wenn sie dafür in der Zeit des Bedarfs zur Verfügung stehen (z.B. § 79 Abs. 1 BSHG: monatliches Einkommen während des Bedarfs). Allein ist dieser Bezug zur Bedarfszeit aber nicht geeignet, Einkommen und Vermögen voneinander abzugrenzen, weil er für beide erforderlich ist.
Auch das Kriterium der Zweckbestimmung ist für eine Abgrenzung zwischen Einkommen und Vermögen nicht tauglich. So ist einerseits nicht jedes Einkommen zweckbestimmt (z.B. Kapitalzinsen, die kausal für, aber nicht final zu etwas geleistet werden) und andererseits nicht jedes Vermögen zweckfrei (z.B. Vermögen zur angemessenen Alterssicherung). Nach § 76 Abs. 1 BSHG gehören zum Einkommen alle Einkünfte, und nach § 88 Abs. 1 BSHG gehört zum Vermögen das gesamte verwertbare Vermögen; soweit das Bundessozialhilfegesetz für das Einkommen oder Vermögen an eine Zweckbestimmung anknüpft, ist das besonders bestimmt (z.B. § 77 Abs. 1 BSHG zum Einkommen, § 88 Abs. 2 Nr. 1 BSHG zum Vermögen). Bereits nach §§ 2, 11, 28 BSHG steht Sozialhilfe nur dem zu, der seinen notwendigen Bedarf nicht mit eigenen Mitteln, vor allem Einkommen und Vermögen, selbst decken kann. Danach ist Voraussetzung für den Einsatz von Einkommen und Vermögen deren bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit, nicht notwendig dagegen eine Zweckbestimmung.
Wenn § 76 Abs. 1 BSHG bestimmt, daß zum Einkommen „alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert …” gehören, so bezeichnet es damit als Einkommen alle eingehenden Einnahmen, Zahlungen, Zuflüsse, Zuwendungen und anderen Leistungen. Im Gegensatz zum Vermögen, dem Inbegriff all dessen, was einem Rechtsträger schon zusteht, was er (bereits) hat, ist Einkommen demnach dasjenige, was er (erst/gerade) erhält, was sein Geld oder seine geldwerten Mittel vermehrt.
Wenn auch beiden, dem Einkommen und dem Vermögen, sozialhilferechtlich der Bezug zur Bedarfszeit wesentlich ist, so grenzen sie sich doch auch gerade dadurch voneinander ab, daß Einkommen alles das ist, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazuerhält, und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Mittel, die der Hilfesuchende (erst) in der Bedarfszeit erhält, sind als Zufluß in der Bedarfszeit Einkommen. Mittel, die der Hilfesuchende früher, wenn auch erst in der vorangegangenen Bedarfszeit, als Einkommen erhalten hat, sind, soweit sie in der nun aktuellen Bedarfszeit (noch, gegebenenfalls auch wieder) vorhanden sind, Vermögen. Dabei ist Bedarfszeit die Zeit, in der der Bedarf besteht und (grundsätzlich rechtzeitig) zu decken ist.
Zur Frage, wann etwas zufließt, ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluß auszugehen. Damit wird nicht unzulässig an einen mehr oder weniger zufälligen Zeitpunkt angeknüpft (vgl. dazu BVerwGE 29, 295 ≪298≫), sondern einer aktuellen Notlage ein aktuelles Einkommen gegenübergestellt.
Allerdings kann abweichend vom tatsächlichen Zufluß rechtlich ein anderer Zufluß als maßgeblich bestimmt werden. Beispiele für einen solchen normativen Zufluß sind nicht die Fälle nach § 84 Abs. 2 und 3 BSHG. Denn dort werden Einkünfte auch nach ihrem tatsächlichen Zufluß als Einkommen bewertet und ist nur besonders geregelt, daß in diesen Fällen der Einsatz des Einkommens aus einer späteren Zeit für einen Bedarf in früherer Zeit verlangt werden kann. Beispiele für einen vom tatsächlichen abweichenden, normativen Zufluß finden sich in der Verordnung zur Durchführung des § 76 des Bundessozialhilfegesetzes (DVO zu § 76 BSHG), z.B. in dessen § 3 Abs. 3 und § 11 i.V.m. §§ 4, 6, 7 und 8. So sind Sonderzuwendungen, Gratifikationen und gleichartige Bezüge und Vorteile, die in größeren als monatlichen Zeitabständen gewährt werden, sowie einmalige Einnahmen von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie anfallen; sie sind, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt ist, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen (§ 3 Abs. 3 Satz 2 und 3, § 8 Abs. 1 Satz 3 DVO zu § 76 BSHG).
Zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach dem, was zufließt, und dem, was bereits vorhanden ist, ist weiter zu berücksichtigen, daß Einnahmen grundsätzlich aus bereits bestehenden Rechtspositionen erzielt werden (z.B. Auszahlung des Gehalts als Erfüllung der Gehaltsforderung; hier: Auszahlung der geerbten Unterhaltsforderung). Da eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete (noch nicht erfüllte) Forderung einen wirtschaftlichen Wert darstellt, gehört sie, wenn sie dem Inhaber bereits zusteht (z.B. noch nicht erfüllte Gehaltsforderungen für zurückliegende Monate; dagegen baut sich die Gehaltsforderung für den laufenden Monat erst auf), zu seinem Vermögen. Das führt jedoch nicht zu einer Konkurrenz dergestalt, daß die Forderung als Vermögen und daneben die Leistung aus der Forderung als Einkommen zu berücksichtigen wären. Vielmehr ist der Regelung in § 76 BSHG zu entnehmen, daß im Falle der Auszahlung einer Forderung sozialhilferechtlich grundsätzlich nicht das Schicksal der Forderung interessiert, sondern das Gesetz insofern allein auf die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert als Einkommen abstellt. Das gilt allerdings nicht für Fälle, in denen mit bereits erlangten Einkünften Vermögen angespart wurde, z.B. bei Banken, Sparkassen oder Versicherungen. Denn andernfalls wertete man den Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen. Dementsprechend gilt § 76 BSHG auch nicht für die Erfüllung einer (Geld-)Forderung, die als fällige und liquide Forderung bewußt nicht geltend gemacht, sondern angespart wurde.
Danach steht der Vermögenswert einer geerbten Unterhaltsforderung der rechtlichen Bewertung der Auszahlung als Einkommen i.S.d. § 76 Abs. 1 BSHG nicht entgegen. Die Klägerin hatte diese Forderung nicht zur Vermögensbildung „angespart”, sondern ihre Auszahlung nicht früher erreichen können. Auf den von der Vorinstanz als maßgeblich herausgestellten Gesichtspunkt, daß der zugrundeliegende Unterhaltsanspruch sich in einen neutralen Zahlungsanspruch umgewandelt habe, kommt es daher nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Fundstellen
NJW 1999, 3210 |
NVwZ 1999, 1343 |
SGb 2000, 24 |
VR 2000, 107 |