Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezüge Verlust wegen ungenehmigten schuldhaften Fernbleibens vom Dienst. Billigkeitsentscheidung bei der Rückforderung überzahlter Bezüge eines Beamten; – bei Leistungsklage des Dienstherrn. Bindungswirkung eines Disziplinarurteils für den vermögensrechtlichen Folgeprozeß. Erstattung zuviel gezahlter Bezüge eines Beamten bei ungenehmigtem und schuldhaftem Fernbleiben vom Dienst. Fernbleiben vom Dienst – Rückforderung überzahlter Bezüge wegen ungenehmigten und schuldhaften –. Rechtliches Gehör – Verletzung des – durch Überraschungsentscheidung. Rechtskraft – Unbeachtlichkeit der – eines disziplinargerichtlichen Urteils wegen Erschleichens. Rückforderung überzahlter Bezüge wegen ungenehmigten und schuldhaften Fernbleibens vom Dienst. Schadenersatz für Zahlung von Bezügen für die Zeit, während der der Beamte ungenehmigt und schuldhaft dem Dienst ferngeblieben ist; – Konkurrenz zwischen Erstattung und –, wenn der Beamte ungenehmigt und schuldhaft dem Dienst ferngeblieben ist
Leitsatz (amtlich)
1. Die Feststellung des Verlustes der Bezüge gemäß § 9 Satz 3 BBesG hat konstitutive Wirkung für die Rückforderung ohne Rücksicht auf die normative Grundlage des geltend gemachten Anspruches.
2. Bei einer Leistungsklage des Dienstherrn gegen den Beamten muß die Billigkeitsentscheidung gemäß § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG getroffen sein, wenn der Sachantrag beim Tatsachengericht gestellt wird.
3. Der Beamte kann zur Rückzahlung überzahlter Bezüge auch als Schadenersatz verpflichtet sein, wenn er dem Dienst ohne Genehmigung schuldhaft ferngeblieben ist und darüber hinaus durch eine – weitere – vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung seiner Pflichten die Zahlung der Bezüge für die Zeit des Fernbleibens bewirkt hat.
Normenkette
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 108 Abs. 1-2; LBG BW § 96 Abs. 1; BBesG § 3 Abs. 3, 5, §§ 9, 12 Abs. 2; LDO BW §§ 119, 128; BGB § 826
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Entscheidung vom 23.01.1998; Aktenzeichen 4 S 504/95) |
VG Karlsruhe (Entscheidung vom 13.01.1995; Aktenzeichen 13 K 2236/93) |
Tenor
Der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23. Januar 1998 wird insoweit aufgehoben, als die Klage auf Rückzahlung der an den Beklagten für die Zeit vom 3. August bis 2. Dezember 1990 und vom 4. Juli bis 31. Juli 1993 gezahlten Bezüge nebst vier Prozent Zinsen auf diesen Betrag ab dem 19. August 1993 abgewiesen worden ist. In diesem Umfange wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Beklagte war Beamter im Dienste der Finanzverwaltung des klagenden Landes. Seit dem 11. September 1989 blieb er dem Dienst unter Vorlage von Attesten seines behandelnden Arztes fern. Der Aufforderung des Klägers, nach der Versetzung an ein anderes Finanzamt den Dienst unverzüglich aufzunehmen und künftig jede Dienstunfähigkeit durch Vorlage eines amtsärztlichen Attestes nachzuweisen, kam der Kläger zunächst nicht nach. Vom 3. Dezember bis 6. Dezember 1990 versah er Dienst und zeigte am 7. Dezember 1990 – wiederum unter Vorlage privatärztlicher Atteste – seine Dienstunfähigkeit an.
Das Finanzamt A. stellte mit Verfügung vom 13. August 1990 den Verlust der Dienstbezüge für die Zeit ab dem 3. August 1990 wegen ungenehmigten schuldhaften Fernbleibens vom Dienst fest. Auf Antrag des Beklagten hob die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts diese Verfügung auf. Den Beschluß des Verwaltungsgerichts änderte der Disziplinarsenat des Verwaltungsgerichtshofs; er hielt die Verfügung mit der Maßgabe aufrecht, daß der Beklagte seine Dienstbezüge und die sonstigen Leistungen nur für die Zeit vom 3. August 1990 bis einschließlich 2. Dezember 1990 verliere.
Mit Wirkung vom 4. Juli 1993 wurde der Beklagte auf eigenen Antrag aus dem Landesdienst entlassen.
Im August 1993 hat der Kläger Leistungsklage erhoben, mit der er vom Beklagten die Zahlung von 186 583,59 DM nebst vier Prozent Zinsen seit Zustellung der Klage wegen der in der Zeit vom 11. September 1989 bis 31. Juli 1993 ausgezahlten Dienstbezüge gefordert hat. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, an den Kläger die für die Zeit vom 16. August bis 2. Dezember 1990 ausgezahlten Bezüge in Höhe von 13 856,60 DM nebst vier Prozent Zinsen hieraus seit dem 19. August 1993 zurückzuzahlen. Die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Auf die Anschlußberufung des Beklagten hat er die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt:
Der geltend gemachte Anspruch könne nicht auf § 12 Abs. 2 BBesG gestützt werden. Zwar habe der Beklagte nach der rechtskräftigen disziplinargerichtlichen Entscheidung, durch die für die Zeit vom 3. August bis 2. Dezember 1990 der Verlust der Dienstbezüge festgestellt worden und an die das Berufungsgericht gebunden sei, die in diesem Zeitraum gezahlten Dienstbezüge ohne Rechtsgrund erlangt. Auch hafte er verschärft und könne sich nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Für die Zeit nach der Entlassung aus dem Landesdienst vom 4. Juli bis 31. Juli 1993 habe der Beklagte die Dienstbezüge ebenfalls ohne Rechtsgrund erhalten. Der Rückforderungsanspruch scheitere aber daran, daß der Kläger die nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG erforderliche Billigkeitsentscheidung nicht getroffen habe.
Für die Zeiträume vom 11. September 1989 bis 2. August 1990 und vom 7. Dezember 1990 bis 3. Juli 1993 scheide ein Rückforderungsanspruch nach § 12 Abs. 2 BBesG auch deshalb aus, weil die Feststellung des Verlustes der Bezüge nach § 9 Satz 3 BBesG fehle.
Die Rückforderung der in der Zeit vom 11. September 1989 bis 2. Dezember 1990 und vom 7. Dezember 1990 bis zu der Entlassung aus dem Dienst gezahlten Bezüge könne nicht auf § 96 Abs. 1 LBG gestützt werden. Soweit es um den Verlust der Bezüge wegen schuldhaften Fernbleibens vom Dienst gehe, enthielten die §§ 9, 12 Abs. 2 BBesG eine abschließende Sonderregelung. Gleiches gelte, soweit der Verlust der Dienstbezüge für den Zeitraum vom 3. August bis einschließlich 2. Dezember 1990 aufgrund der rechtskräftigen disziplinargerichtlichen Entscheidung feststehe. Für den Zeitraum vom 7. Dezember 1990 bis zur disziplinargerichtlichen Entscheidung am 20. Oktober 1992 sei die Rückforderung der gezahlten Dienstbezüge aus dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes unabhängig vom abschließenden Charakter der Regelungen der §§ 9, 12 BBesG wegen der Bindungswirkung der disziplinargerichtlichen Entscheidung ausgeschlossen.
Der Kläger könne gegenüber der Bindungswirkung nicht mit Erfolg einwenden, die Entscheidung des Disziplinarsenats sei durch Prozeßbetrug des Beklagten herbeigeführt worden und deshalb unbeachtlich. Zwar bestehe nach § 826 BGB unter engen Voraussetzungen die Möglichkeit, gegen unrichtige, weil sittenwidrig herbeigeführte Urteile mit dem Ziel vorzugehen, unter Durchbrechung der Rechtskraft den vermögensrechtlichen Zustand herzustellen, wie er bei richtiger Entscheidung entstanden wäre. Die darauf gerichtete Klage sei aber abzuweisen, weil der Kläger im Grunde nur dasselbe vorbringe, was er schon im Vorprozeß vorgetragen habe.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beantragt der Kläger,
den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23. Januar 1998 sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 13. Januar 1995, soweit es die Klage abgewiesen hat, aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger insgesamt 187 233,39 DM nebst vier Prozent Zinsen seit Zustellung der Klage zu zahlen.
Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Der Beklagte verteidigt den angefochtenen Beschluß und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Soweit sie begründet ist, wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO). In dem Umfang, in dem sie unbegründet ist, wird die Revision zurückgewiesen (§ 144 Abs. 2 VwGO).
Die im Hinblick auf die Bindungswirkung der disziplinargerichtlichen Entscheidung erhobene Rüge der Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO und des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO greift nicht durch.
Nach ständiger Rechtsprechung kann das Unterbleiben tatsächlicher Aufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) nur dann mit Erfolg gerügt werden, wenn es auf die fraglichen Tatumstände nach der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts ankommt, und zwar selbst dann, wenn diese Auffassung rechtlich bedenklich sein sollte (z.B. Urteil vom 25. März 1987 – BVerwG 6 C 10.84 – ≪Buchholz 310 § 108 Nr. 183≫). Dies gilt auch für die Rüge einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Verpflichtung, seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnen, gebietet dem Gericht, den Sachverhalt, wie er aus dem Vorbringen der Beteiligten oder sonstigen Erkenntnisquellen ermittelt worden ist, unter dem Gesichtspunkt der Entscheidungserheblichkeit vollständig seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Kommt es nach der Rechtsauffassung des Gerichts auf festgestellte oder von den Parteien behauptete Umstände nicht an, ist ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausgeschlossen.
Der von der Revision vermißte und von ihr im einzelnen dargelegte Vergleich der bis zum 20. September 1992 bekannten und erst danach bekannt gewordenen „Indiztatsachen und Beweismittel” war für die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs unerheblich. Entscheidungserheblich war für das Berufungsgericht, daß es an einer Billigkeitsentscheidung bei der Rückforderung der Bezüge gemäß § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG fehlte und daß neben dem Rückforderungsanspruch nach dieser Vorschrift ein Schadenersatzanspruch nach § 96 LBG ausgeschlossen ist. Soweit das Berufungsgericht darüber hinaus ausgeführt hat, es habe für die Zeiträume 11. September 1989 bis 2. August 1990 und 7. Dezember 1990 bis 3. Juli 1993 an der Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge nach § 9 Satz 3 BBesG gefehlt, weil – für die Zeit ab dem 7. Dezember 1990 – durch den Beschluß des Disziplinarsenats die Feststellungsverfügung vom 13. August 1990 aufgehoben worden und die Bindungswirkung dieses Beschlusses nicht nach § 826 BGB durchbrochen sei, handelt es sich nur um eine zusätzliche Begründung. Bezieht sich der gerügte Verfahrensfehler nur auf eine von mehreren selbständigen Begründungen für die angefochtene Entscheidung, kann er sich auf das Ergebnis nicht ausgewirkt haben und rechtfertigt deshalb nicht eine Aufhebung (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO).
Im übrigen waren für den Verwaltungsgerichtshof die mit der Revision geltend gemachten, vom Berufungsgericht nicht weiter aufgeklärten Umstände auch deshalb nicht entscheidungserheblich, weil es – nach seiner Würdigung – für die Entscheidung des Disziplinargerichts hinsichtlich des Vorwurfes, der Beklagte sei auch nach dem 2. Dezember 1990 dem Dienst schuldhaft ferngeblieben, nicht auf die Intensität und das Ausmaß seiner Tätigkeit angekommen sei.
Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger die für die Zeit vom 11. September 1989 bis 2. August 1990 und vom 3. Dezember 1990 bis 3. Juli 1993 gezahlten Bezüge nicht zurückfordern kann. Für diese Zeiträume fehlt es an einer bestandskräftigen Feststellung des Verlustes der Bezüge gemäß § 9 Satz 3 BBesG. Diese Feststellung hat konstitutive Wirkung für die Rückforderung von Bezügen ohne Rücksicht auf die normative Grundlage des geltend gemachten Rückzahlungsanspruches.
Gemäß § 9 Satz 1 BBesG verliert der Beamte für die Zeit, während der er keinen Dienst leistet, seine Bezüge, wenn er ohne Genehmigung schuldhaft dem Dienst fernbleibt. Der nach materiellem Recht eintretende Anspruchsverlust ist gemäß § 9 Satz 3 BBesG festzustellen. Diese systematisch zwar nicht erforderliche, gesetzlich jedoch zwingend vorgesehene Feststellung erfolgt durch Verwaltungsakt (vgl. BVerwGE 83, 40 ≪42≫; Beschlüsse vom 10. August 1992 – BVerwG 1 DB 7.91 – ≪DokBer B 1992, 287≫ und vom 9. September 1994 – BVerwG 1 DB 4.93 – ≪DokBer B 1994, 306≫). Die Feststellungsverfügung, die auch auf zurückliegende Zeiträume erstreckt werden darf (BVerwGE 93, 393 ≪394≫), erschöpft sich nicht in dem bloßen Hinweis auf eine gesetzliche Folge. Vielmehr ist sie verfahrensrechtliche Voraussetzung, um dem Anspruchsverlust durch Einbehaltung der Bezüge oder durch Rückforderung der bereits ausgezahlten Bezüge Rechnung zu tragen.
Bereits dem Wortlaut nach hat die Feststellung nach § 9 Satz 3 BBesG nicht ausschließlich Bedeutung für Ansprüche, die ihre Grundlage im Bundesbesoldungsgesetz haben. Die Voraussetzungen für den Verlust des Anspruches auf Bezüge wegen unerlaubten Dienstversäumnisses werden in § 9 BBesG abschließend geregelt. Nur wenn den materiell- und verfahrensrechtlichen Anforderungen dieser Bestimmung entsprochen ist, hat die Behörde ggfs. die Möglichkeit, die für die Zeit des Fernbleibens gezahlten Bezüge zurückzufordern. Ob die Rückforderung als Erstattungsanspruch oder als Schadenersatzanspruch geltend gemacht werden kann, ist unter den Voraussetzungen des § 9 Satz 1 BBesG ohne Belang.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, an die der Senat mangels beachtlicher Verfahrensrügen gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), fehlt es für die Zeit vom 11. September 1989 bis zum 2. August 1990 an einer vom Kläger getroffenen Verlustfeststellung gemäß § 9 Satz 3 BBesG. Schon deshalb können die für diesen Zeitraum gezahlten Bezüge nicht zurückgefordert werden.
Für die Zeit ab dem 3. August 1990 hat der Kläger zwar den Verlust der Bezüge durch Bescheid vom 13. August 1990 festgestellt. Dieser Bescheid ist jedoch durch die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts – Disziplinarkammer – und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg – Disziplinarsenat – für die Zeit ab dem 3. Dezember 1990 aufgehoben worden.
An diese Beschlüsse sind die Gerichte gemäß § 128 Abs. 2 LDO (ebenso § 130 Abs. 2 BDO) bei dem Streit um den vom Kläger geltend gemachten Zahlungsanspruch gebunden. Nach ständiger Rechtsprechung zu inhaltsgleichen Vorschriften erstreckt sich die durch § 128 Abs. 2 LDO angeordnete Bindungswirkung auf Beschlüsse nach § 119 LDO und bezieht sich jedenfalls auf den Tenor und die disziplinarrechtliche Würdigung des Sachverhalts (vgl. BVerwGE 95, 86 ≪90≫; Beschlüsse vom 2. Juli 1998 – BVerwG 2 B 130.97 – ≪Buchholz 240 § 9 Nr. 9≫ und vom 17. Januar 1990 – BVerwG 1 DB 35.89 – ≪DVBl 1990, 642≫). Aufgrund dieser Bindungswirkung sind die Gerichte bei vermögens- oder statusrechtlichen Folgeprozessen gehalten, die Entscheidung des Disziplinargerichts in der Gestalt zu beachten, daß sie sich die im Urteil zum Ausdruck gekommene rechtliche Würdigung des Sachverhalts als vorgegeben zu eigen machen müssen (BVerwGE 95, 86 ≪90≫).
Das Vorbringen des Klägers, der Beklagte habe die Entscheidungen der Disziplinargerichte im Umfang der Aufhebung des Bescheides vom 13. August 1990 erschlichen, so daß er sich gemäß § 826 BGB nicht auf deren Rechtskraft berufen dürfe, greift nicht durch. Es scheitert jedenfalls daran, daß die strengen Voraussetzungen, unter denen die Bindungswirkung eines Gerichtsurteils gemäß § 826 BGB entfallen kann, nach den für den Senat verbindlichen Feststellungen nicht gegeben sind. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Kläger im Grunde nur dasselbe vorgebracht hat, was er schon im Vorprozeß vorgetragen hatte. Es hat zudem – wiederum als weitere selbständig tragende Begründung – festgestellt, der Disziplinarsenat habe „ein schuldhaftes Fernbleiben vom Dienst unabhängig von Intensität und Ausmaß der Tätigkeit des Beklagten seit dem Fernbleiben vom Dienst ab 11. September 1989” verneint. Auf diese Tatsachenwürdigung, die revisionsgerichtlicher Kontrolle grundsätzlich entzogen ist, beziehen sich nicht die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen; deshalb ist das Revisionsgericht an diese Tatsachenwürdigung gebunden.
Hinsichtlich der Bezüge, die der Beklagte für die Zeit vom 3. August bis 2. Dezember 1990 erhalten hat, ist die Verlustfeststellung vom 13. August 1990 nach dem Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg – Disziplinarsenat – bestandskräftig geworden.
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der Kläger dem Beklagten in dem vorgenannten Zeitraum „zuviel” Bezüge gezahlt hat, weil die Zahlung ohne rechtlichen Grund erfolgte. Der Rechtsgrund war nach dem Bescheid vom 13. August 1990 in der Fassung, die er aufgrund des rechtskräftigen Beschlusses des Disziplinarsenats erlangt hat, entfallen. Der Beklagte kann sich auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG i.V.m. § 818 Abs. 3 BGB berufen, weil er nach § 12 Abs. 2 Satz 2 BBesG i.V.m. § 820 Abs. 1 Satz 2, § 818 Abs. 4 BGB verschärft haftet. Der Anspruch auf Dienstbezüge, die gemäß § 3 Abs. 5 BBesG im voraus gezahlt werden, steht unter dem gesetzlichen Vorbehalt der Feststellung ihres Verlustes wegen ungenehmigten schuldhaften Fernbleibens vom Dienst gemäß § 9 BBesG (vgl. BVerwGE 95, 94 ≪96≫). Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung eine Berufung auf den Wegfall der Bereicherung auch in Fällen der verschärften Haftung nicht schlechthin ausgeschlossen (vgl. BVerwGE 28, 68 ≪76 f.≫; 95, 94 ≪96≫). Solche Umstände, die den Verbrauch der Bezüge ausnahmsweise unter Berücksichtigung des auch im öffentlichen Recht anwendbaren Grundsatzes von Treu und Glauben als gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, hat das Berufungsgericht jedoch nicht festgestellt.
Wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, fehlt es an einer Entscheidung des Klägers darüber, ob aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise von der Rückforderung abgesehen wird (§ 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG). Nach ständiger Rechtsprechung hat die Billigkeitsentscheidung die Aufgabe, eine allen Umständen des Einzelfalls gerecht werdende, für die Behörde zumutbare, für den Bereicherten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen (vgl. BVerwGE 66, 251 ≪255 f.≫ m.w.N.; Urteil vom 21. September 1989 – BVerwG 2 C 68.86 – ≪Buchholz 240 § 12 Nr. 15≫; BVerwGE 95, 94 ≪97≫; Urteil vom 8. Oktober 1998 – BVerwG 2 C 21.97 – ≪DVBl 1999, 322 f.≫). Eine solche Billigkeitsentscheidung, die schon mit Blick auf die Höhe der gegen den Beklagten geltend gemachten Forderung von Amts wegen ergehen mußte, ist auch dann zu treffen, wenn der Erstattungsanspruch im Wege der verwaltungsgerichtlichen Leistungsklage geltend gemacht wird (stRspr; u.a. BVerwGE 18, 72 ≪77≫; 28, 68 ≪79≫; 30, 296 ≪301≫). Die Billigkeitsentscheidung kann darin bestehen, daß von der Rückforderung insgesamt oder teilweise endgültig abgesehen oder daß die Rückzahlung ganz oder teilweise erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen soll oder daß eine Rückzahlung in Teilbeträgen (Ratenzahlung) festgesetzt wird (vgl. u.a. BVerwGE 24, 92 ≪103≫; 28, 68 ≪79≫; 95, 94 ≪97≫; Urteil vom 8. Oktober 1998 – BVerwG 2 C 21.97 – ≪a.a.O.≫). Da die schon bei der Rückforderung zu berücksichtigende Billigkeitsentscheidung den geltend gemachten Rückzahlungsanspruch zu modifizieren vermag, muß sie getroffen sein, wenn der Sachantrag beim Tatsachengericht gestellt wird.
Die erforderliche Billigkeitsentscheidung kann im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden. Gleichwohl hat die Revision insoweit Erfolg. Sie rügt in diesem Zusammenhang zu Recht, die angefochtene Entscheidung sei als „Überraschungsbeschluß” ergangen.
Ein den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO; Art. 103 Abs. 1 GG) verletzendes Überraschungsurteil liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (z.B. BVerwGE 36, 264 ≪267≫; Urteil vom 22. Oktober 1981 – BVerwG 3 C 38.81 – ≪Buchholz 310 § 108 Nr. 124≫ m.w.N.; auch BVerfGE 86, 133 ≪144 f.≫). Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage hinsichtlich der Rückzahlung von Bezügen für die Zeit vom 3. August bis 2. Dezember 1990 mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe keine Entscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG getroffen. Das war nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht vorherzusehen. Dieser Gesichtspunkt war in dem Urteil des Verwaltungsgerichts nicht erörtert und auch von den Beteiligten bis dahin nicht angesprochen worden. Ebensowenig ergaben sich aus dem Hinweisschreiben des Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Dezember 1997 Anhaltspunkte dafür, daß diesem Umstand entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen könnte.
Damit hat der Verwaltungsgerichtshof seine Hinweispflicht aus § 86 Abs. 3 VwGO und den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO; Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Da dieser Verfahrensfehler nur für einen abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes vorliegt, nämlich das Verlangen auf Rückzahlung der für die Zeit vom 3. August bis 2. Dezember 1990 an den Beklagten gezahlten Bezüge, ist eine Zurückverweisung der Sache nur in diesem Umfange gerechtfertigt.
Die Revision hat auch insoweit Erfolg, als das Berufungsgericht unter Verletzung revisiblen Rechts davon ausgegangen ist, daß die Rückforderung der dem Kläger für die Zeit vom 3. August bis 2. Dezember 1990 gezahlten Bezüge nicht als Schadenersatzanspruch geltend gemacht werden könne. Vielmehr kann die Forderung des Klägers – bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen – ihre Grundlage auch in § 96 Abs. 1 LBG (i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Landesbeamtengesetzes und des Landesrichtergesetzes vom 7. Februar 1994, GBl S. 85; vgl. BVerwGE 100, 280 ≪284≫) finden, der als beamtenrechtliche Sonderregelung die Haftungsverhältnisse zwischen Dienstherrn und Beamten abschließend bestimmt (stRspr; BVerwGE 52, 255 ≪256 f.≫; Urteil vom 15. September 1977 – BVerwG 2 C 41.74 – ≪Buchholz 232 § 78 Nr. 25≫; Urteil vom 13. Oktober 1994 – BVerwG 2 C 20.93 – ≪Buchholz 448.11 § 34 Nr. 1≫) und der unter den gegebenen Voraussetzungen ebenfalls im Wege der Leistungsklage verfolgt werden kann (vgl. Urteil vom 17. Juli 1963 – BVerwG 6 C 173.61 – ≪Buchholz 237.7 § 84 Nr. 1≫; BVerwGE 24, 225 ≪226 f.≫; 100, 280 ff.). Danach hat der Beamte dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den Schaden zu ersetzen, der daraus entstanden ist, daß er vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt hat.
Zwar besteht kein Anspruch auf Rückzahlung von Bezügen allein unter den Voraussetzungen des § 9 Satz 1 BBesG als Schadenersatz. Die Zahlung von Dienstbezügen für eine Zeit, während der der Beamte keinen Dienst geleistet hat, ist nicht deshalb ein vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführter Schaden des Dienstherrn, weil der Beamte ohne Genehmigung schuldhaft dem Dienst ferngeblieben ist. § 9 BBesG behandelt die Bezüge nicht normativ als Schaden, sondern regelt einen Anspruchsverlust. Dieser Regelung hätte es nicht bedurft, wenn schon nach den allgemeinen Bestimmungen über die Beamtenhaftung eine Pflicht zur Rückzahlung von Bezügen bestünde, die der Beamte für einen Zeitraum erhalten hat, in dem er schuldhaft dem Dienst ferngeblieben ist.
Indessen besteht nach ständiger Rechtsprechung kein allgemeiner Anwendungsvorrang des § 12 Abs. 2 BBesG gegenüber der Haftungsregelung nach Bundes- oder Landesrecht (vgl. BVerwGE 17, 286 ≪288 f.≫; 29, 114 f.; 39, 307 ≪308 f.≫ hinsichtlich der Haftung eines Soldaten für Überzahlungen der Dienstbezüge; BVerwGE 71, 354 ≪358 f.≫; Urteil vom 29. August 1991 – BVerwG 2 C 5.91 – ≪Buchholz 240 § 40 Nr. 24≫). § 12 Abs. 2 BBesG verdrängt § 96 LBG auch dann nicht als Spezialregelung, wenn Bezüge gezahlt worden sind, obgleich der Beamte ohne Genehmigung schuldhaft dem Dienst ferngeblieben ist. Vielmehr kann der Beamte zur Rückzahlung überzahlter Bezüge als Schadenersatz verpflichtet sein, wenn er dem Dienst ohne Genehmigung schuldhaft ferngeblieben ist und darüber hinaus durch eine – weitere – vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung seiner Pflichten die Zahlung der Bezüge für die Zeit des Fernbleibens bewirkt hat. Liegen sowohl die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 BBesG als auch die des § 96 LBG vor, besteht Anspruchskonkurrenz (vgl. BVerwGE 71, 354 ≪358≫).
Ob die Zahlung der Bezüge für die Zeit vom 3. August bis 2. Dezember 1990 auf einer solchen weiteren Pflichtverletzung des Beklagten beruhte, hat das Berufungsgericht nicht geprüft. Auch um dahin gehende Feststellungen zu ermöglichen, ist der Rechtsstreit in diesem Umfang an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Hinsichtlich der Bezüge, die dem Beklagten für die Zeit nach seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis vom 4. Juli bis 31. Juli 1993 zugeflossen sind, kommt eine Rückforderung ausschließlich nach § 12 Abs. 2 BBesG (zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift, wenn ein Beamtenverhältnis nicht besteht, vgl. Urteil vom heutigen Tage – BVerwG 2 C 11.99 – ≪zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung vorgesehen≫) in Betracht. Insoweit bedurfte es keiner Verlustfeststellung nach § 9 Satz 3 BBesG, da der Beklagte nach der Beendigung des Beamtenverhältnisses durch Entlassung nicht mehr zur Dienstleistung verpflichtet war.
Für den vorgenannten Zeitraum sind dem Beklagten die Bezüge „zuviel” gezahlt worden, weil gemäß § 3 Abs. 3 BBesG der Anspruch auf Besoldung mit Ablauf des Tages endet, an dem der Beamte aus dem Dienstverhältnis ausscheidet. Der Beklagte kann sich insoweit ebenfalls nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen, weil er nach § 12 Abs. 2 BBesG i.V.m. § 820 Abs. 1 Satz 2, § 818 Abs. 4 BGB verschärft haftet. Der Anspruch auf Dienstbezüge, die gemäß § 3 Abs. 5 BBesG im voraus gezahlt werden, steht unter dem gesetzlichen Vorbehalt des Fortbestehens des Dienstverhältnisses in dem Zeitraum, für den die Bezüge im voraus gezahlt worden sind. Umstände, die den Verbrauch der Bezüge für die Zeit ab dem 4. Juli 1993 ausnahmsweise als gerechtfertigt erscheinen lassen können und deshalb eine Berufung auf den Wegfall der Bereicherung trotz verschärfter Haftung nicht ausschließen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Eine Rückforderung der für diese Zeit an den Beklagten gezahlten Bezüge scheidet jedoch ebenfalls aus, weil der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch insoweit die nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG erforderliche Billigkeitsentscheidung nicht getroffen hat.
Dennoch ist eine Zurückverweisung des Rechtsstreits in diesem Umfang ebenfalls geboten, weil der Kläger aus den bereits dargelegten Gründen zu Recht eine Verletzung des Gebots der Hinweispflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO und des Anspruches auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO; Art. 103 Abs. 1 GG) rügt.
Mit der Schlußentscheidung ist über die Kosten des Revisionsverfahrens auch insoweit zu entscheiden, als die Revision zurückgewiesen worden ist.
Unterschriften
Dr. Franke, Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele, Dr. Bayer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.10.1999 durch Pompe Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
NJW 2000, 1737 |
BVerwGE, 357 |
NVwZ 2000, 445 |
ZBR 2000, 240 |
DÖD 2000, 202 |
DÖV 2000, 290 |
BayVBl. 2000, 696 |
DVBl. 2000, 495 |
GV/RP 2000, 261 |
KomVerw 2000, 264 |
NPA 2000 |
FuBW 2000, 527 |
FuNds 2000, 549 |
GK/Bay 2000, 275 |