Beamtenbesoldung in Hessen verfassungswidrig zu niedrig
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Kassel beschäftigte sich mit der Besoldung der hessischen Landesbeamten.
Kriterien des Bundesverfassungsgerichts zur Beamtenbesoldung
Der VGH stellte fest, dass das Land Hessen durch das Grundgesetz verpflichtet ist, seine Beamtinnen und Beamten angemessen zu besolden.
Das Bundesverfassungsgericht hat verschiedene Kriterien entwickelt, mit deren Hilfe die Angemessenheit der Beamtenbesoldung überprüft werden kann. Dazu gehört unter anderem ein Abstand der Beamtenbesoldung zur Grundsicherung für Arbeitssuchende. Die Besoldung der Beamtinnen und Beamten in der untersten Besoldungsgruppe muss mindestens 15 Prozent über dem Grundsicherungsniveau liegen. Verglichen werden dabei Alleinverdienerfamilien mit zwei minderjährigen Kindern, da die vierköpfige Alleinverdienerfamilie Bezugsgröße in der Besoldungspraxis ist.
Außerdem muss zwischen den einzelnen Besoldungsgruppen ein hinreichend großer Abstand gewahrt werden. Das heißt, Beamtinnen und Beamte der höheren Besoldungsgruppen müssen wegen der höheren Wertigkeit der ihnen anvertrauten Tätigkeiten ein höheres Einkommen haben als Beamtinnen und Beamte der niedrigeren Besoldungsgruppen.
Klage eines Justizwachtmeisters
Geklagt hatte ein Justizwachtmeister. Er hatte sich, unterstützt vom Deutschen Beamtenbund (dbb) in Hessen, gegen die ihm von Juli 2016 bis zum Jahr 2020 gewährten Bezüge der Besoldungsgruppe A6 gewendet. Diese seien verfassungswidrig zu niedrig, da sie nicht den gesetzlich erforderlichen Mindestabstand von 15 Prozent zur Grundsicherung für Arbeitssuchende aufwiesen. In der Vorinstanz beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hatte die Klage keinen Erfolg.
Außerdem beschäftigte sich der VGH mit dem Fall eines nach W2 besoldeten Professors.
VGH Kassel: Beamtenbesoldung 2013 bis 2020 in Hessen war nicht verfassungsgemäß
Der für das öffentliche Dienstrecht zuständige 1. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat in den beiden Verfahren festgestellt, dass die Beamtenbesoldung in Hessen in den Jahren 2013 bis 2020 nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprochen hat.
In den einzelnen Jahren wird bis zur Besoldungsgruppe A 9, teilweise auch bis zur Besoldungsgruppe A 10 der notwendige Mindestabstand zur Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht eingehalten. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung hierfür gibt es nicht.
Besonders deutlich sei der Verstoß bei der Besoldungsgruppe A5 geworden. Den Berechnungen des VGH zufolge hätten die Bezüge im Jahr 2020 dort sogar 9,3 Prozent unter dem Grundsicherungsniveau gelegen, erläuterte der Vorsitzende Richter. «Wir haben dieses Ergebnis mit einiger Verwunderung gesehen», betonte er.
Von diesem Defizit der A-Besoldung der Beamtinnen und Beamten wird auch die nach der Besoldungsgruppe W 2 erfolgende Besoldung von Professorinnen und Professoren erfasst, da sich diese an der A-Besoldung orientiert. Das hatten die Kasseler Richter in einem vorangegangenen Verfahren festgestellt.
VGH legt Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vor
Da es dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof verwehrt ist, die Verfassungswidrigkeit der vom Gesetzgeber geschaffenen Beamtenbesoldung selbst verbindlich festzustellen, hat er dem hierfür zuständigen Bundesverfassungsgericht ein die Besoldung nach Besoldungsgruppe A 6 betreffendes sowie ein die Professorenbesoldung nach Besoldungsgruppe W 2 betreffendes Verfahren zur Entscheidung vorgelegt, ob die jeweilige Besoldung im Zeitraum 1. Juli 2016 bis einschließlich 2020 (Besoldung nach A 6) und im Zeitraum von 2013 bis 2020 (Besoldung nach W 2) verfassungsgemäß gewesen ist (VGH Kassel, Beschlüsse v. 30.11.2021, 1 A 863/18 zur Besoldungsgruppe A 6, 1 A 2704/20 zur Besoldungsgruppe W 2).
Mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist üblicherweise erst in zwei bis drei Jahren zu rechnen.
Beamtenbund dbb erfreut über das Urteil
«Wir freuen uns sehr über die heutige Entscheidung», sagte der Landesvorsitzende des Beamtenbundes dbb Hessen, Heini Schmitt, nach der mündlichen Verhandlung. Nun sei es die Aufgabe der Landesregierung, dieses Urteil in eine Besoldungsstruktur umzumünzen, die dem Begriff verfassungskonform entspreche. «Und zwar mit deutlichen Nachbesserungen, bevor das Bundesverfassungsgericht abschließend dazu entscheidet.» Der dbb sei gerne bereit, «gemeinsam mit der Landesregierung an einer für alle Seiten vernünftigen, aber vor allem rechtssicheren Besoldungstabelle mitzuarbeiten, wenn wir hierfür einen ernsthaften Willen erkennen können».
Land erwartet Klarheit nach Votum des Bundesverfassungsgerichts
Das Land Hessen teilte mit, die Begründung der Vorlagebeschlüsse aus Kassel sorgfältig prüfen zu wollen. «Wie die künftige Beamtenbesoldung konkret durch den hessischen Landesgesetzgeber ausgestaltet werden muss, kann aber erst nach einer abschließenden Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht abgesehen werden», hieß es in einer Stellungnahme des zuständigen Innenministeriums. Die Beschlüsse seien für das Land Hessen und alle weiteren Bundesländer «eine weitere wichtige Etappe zur Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Karlsruhe zur Besoldung in der Bundesrepublik».
Opposition kritisiert Landesregierung
Die SPD-Fraktion im hessischen Landtag wirft der schwarz-grünen Landesregierung Untätigkeit vor. «Entgegen ihrer blumigen Sonntagsreden» unternehme sie nichts dafür, die Beamtinnen und Beamten angemessen zu alimentieren, sagte deren parlamentarischer Geschäftsführer Günter Rudolph laut Pressemitteilung. «Seit 2016 hätte das zuständige Innenministerium proaktiv handeln können, um die Attraktivität des öffentlichen Dienstes nachhaltig zu stärken. Wirkliche Wertschätzung für die Landesbeamtinnen und Landesbeamten sieht anders aus.»
Die Linke-Landtagsfraktion forderte die Landesregierung ebenfalls zum Handeln auf. Die Beamtenbesoldung müsse unverzüglich neu geregelt und auch rückwirkend angehoben werden, sagte der Abgeordnete Hermann Schaus. «Wir brauchen weiterhin gut qualifiziertes, gut bezahltes und voll motiviertes Personal an unseren Schulen und Universitäten, in unseren Gerichten, im Polizeidienst und in der Landes- und Kommunalverwaltung.»
Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des DGB Hessen-Thüringen, Michael Rudolph. Es müsse jetzt schnell ein Gesetz vorgelegt werden, dass die Nachzahlungen für alle Beamtinnen und Beamten regele, unabhängig davon, ob sie geklagt oder Widerspruch eingelegt hätten.
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