Entgeltzuschlag: Diskriminierung wegen Behinderung
Im zugrundeliegenden Fall war die Klägerin bei einem Krankenhaus in Polen von Oktober 2011 bis September 2016 beschäftigt. Im Dezember 2011 erhielt sie eine Bescheinigung über die Anerkennung einer Behinderung. Diese Bescheinigung übermittelte sie ihrem Arbeitgeber im selben Monat.
Zuschlag zum Entgelt
Der Direktor dieses Krankenhauses entschied bei einem Personaltreffen, den Arbeitnehmern, die ihm nach diesem Treffen eine Bescheinigung über die Anerkennung ihrer Behinderung einreichten, einen Zuschlag zum monatlichen Arbeitsentgelt zu gewähren. Dadurch sollte die Summe der Beiträge des Krankenhauses an den Staatsfonds für die Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen verringert werden.
Auf der Grundlage dieser Entscheidung wurde der Entgeltzuschlag dreizehn Arbeitnehmern gewährt, die ihre Bescheinigung nach diesem Treffen einreichten, während sechzehn andere Arbeitnehmer, darunter die Klägerin, die ihre Bescheinigung schon vorher übermittelt hatten, diesen nicht erhielten.
Diskriminierung wegen Behinderung
Die Klägerin war der Ansicht, dass die Praxis eines Arbeitgebers, die dazu führe, dass von der Gewährung eines Zuschlags zum Arbeitsentgelt für Arbeitnehmer mit Behinderung bestimmte Arbeitnehmer mit Behinderung ausgeschlossen würden, und die allein darauf abziele, die Beiträge des Krankenhauses zu verringern, gegen das in der Richtlinie 2000/78 aufgestellte Verbot jeder unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung wegen einer Behinderung verstoße. Hiermit werde für Arbeitnehmer mit Behinderung, die noch keine Bescheinigung über eine Behinderung eingereicht hätten, ein Anreiz gesetzt, dies zu tun.
Diskriminierung bei gleichem geschützten Merkmal
Nachdem die Klage in 1. Instanz abgewiesen wurde, legte das angerufene Bezirksgericht dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob eine Diskriminierung i. S. d. Art. 2 der Richtlinie 2000/78 auch dann vorliege, wenn ein Arbeitgeber eine Unterscheidung innerhalb ein und derselben Gruppe von Arbeitnehmern mit dem gleichen geschützten Merkmal treffe.
EuGH: Diskriminierung kann vorliegen
Der EuGH hatte in einem 1. Schritt festzustellen, ob eine Ungleichbehandlung innerhalb einer Gruppe von an einer Behinderung leidenden Personen unter den Begriff "Diskriminierung" nach Art. 2 der Richtlinie 2000/78/EG fallen könne.
Es führte hierzu aus, dass eine unmittelbare Diskriminierung vorliege, wenn eine Person in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie liege eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutralen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit u. a. einer bestimmten Behinderung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können.
Andere Behandlung in Abhängigkeit von Merkmal
Das Gericht führte weiter aus, dass die Auslegung des Wortlauts der Richtlinie nicht den Schluss zulasse, dass das Diskriminierungsverbot allein auf Ungleichbehandlungen beschränkt sei, die zwischen Personen beständen, die an einer Behinderung leiden, und Personen, die nicht an einer Behinderung leiden. Aus dem Ausdruck "wegen" ergebe sich, dass eine Diskriminierung wegen einer Behinderung im Sinne der Richtlinie nur dann festgestellt werden könne, wenn die fragliche weniger günstige Behandlung oder besondere Benachteiligung in Abhängigkeit von der Behinderung erfahren werde.
Ziel der Vorschrift maßgebend
Bestätigt werde dieses Ergebnis aufgrund des von der Richtlinie verfolgten Zieles. Die Auslegung ergebe, dass die Richtlinie den Kreis von Personen, gegenüber denen ein Vergleich vorgenommen werden könne, um eine Diskriminierung wegen einer Behinderung festzustellen, nicht auf die Personen beschränkt sei, die keine Behinderung haben; denn der Zweck bestehe darin, in Beschäftigung und Beruf jede Form der Diskriminierung wegen einer Behinderung zu bekämpfen.
Andernfalls Schutz verkürzt
Zwar seien Fälle einer Diskriminierung wegen einer Behinderung i. S. d. Richtlinie 2000/78/EG im Allgemeinen solche, in denen Personen mit einer Behinderung eine weniger günstige Behandlung oder eine besondere Benachteiligung gegenüber Personen ohne eine Behinderung erfahren. Jedoch würde der durch die Richtlinie verliehene Schutz verkürzt werden, wenn davon ausgegangen werden müsste, dass ein Fall, in dem eine solche Behandlung innerhalb einer Gruppe von Personen vorliege, die alle an einer Behinderung leiden, deshalb definitionsgemäß dem von der Richtlinie aufgestellten Diskriminierungsverbot entzogen wäre.
(EuGH, Urteil v. 26.1.2021, C 16/19)
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