Entschädigungsanspruch für muslimische Lehrerin bei Nichteinstellung wegen Tragen eines Kopftuchs
Der Entscheidung lag der Fall einer Lehrerin mit muslimischem Glauben zugrunde, die sich im Jahr 2013 um die Einstellung in den niedersächsischen Schuldienst beworben hatte.
Lehrerin bestand auf dem Tragen eines Kopftuchs im Unterricht
Bei einem Gespräch mit der Direktorin der Grundschule, an der sie eine Tätigkeit hätte aufnehmen können, erklärte sie im Jahr 2013, sie würde ihr Kopftuch unter keinen Umständen während des Unterrichts ablegen, weil sie dann nicht „authentisch“ wäre. Daraufhin teilte die Direktorin der Klägerin mit, dass sie die Klägerin „unter diesen Bedingungen“ nicht beschäftigen könne.
Die zuständige Behörde lehnte eine Einstellung durch einen Rücknahmebescheid vom 10.7.2013 ab und berief sich auf § 51 Abs. 3 Satz 1 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG). Danach dürfe das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften in der Schule, auch wenn es von einer Lehrkraft aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen gewählt werde, keine Zweifel an der Eignung der Lehrkraft begründen, den Bildungsauftrag der Schule überzeugend erfüllen zu können. Auch die aus Art. 4 Abs. 1 GG herzuleitende Verpflichtung zu einer religiös und weltanschaulich neutralen Amtsführung gehöre zu den Dienstpflichten eines Beamten. Das Vorhaben der Lehrerin, im Unterricht ein Kopftuch aus religiösen Gründen zu tragen, widerspreche dem Neutralitätsgebot, dem Mäßigungsgebot für Beamte und dem Recht auf negative Religionsfreiheit der Schüler. Die verfassungsrechtlich geforderte Neutralität der Schule und das Erziehungsrecht der Eltern nach Art. 6 Abs. 2 GG forderten eine Bekleidung, mit der Schüler nicht einem ihrer Überzeugung widersprechenden religiösen oder weltanschaulichen Einfluss ausgesetzt seien.
Im Mai 2015 machte die Lehrerin mit Berufung auf das sogenannte Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27.1.2015 (1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10) Schadensersatzansprüche aus AGG bzw. Entschädigungsansprüche aus einer Persönlichkeitsverletzung aufgrund einer Benachteiligung durch das Kopftuchverbot (Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit) geltend. Sie habe eine „Inaussichtnahme ins Beamtenverhältnis“ gehabt, die seitens der Beklagten nicht aufrechterhalten worden sei.
Nach einer ablehnenden Entscheidung der Behörde erhob die Lehrerin Klage auf Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG. Es liege eine unmittelbare Benachteiligung durch den Rücknahmebescheid der Beklagten vom 10.7.2013 vor. Das Kopftuch stelle für sie einen Ausdruck der eigenen Religiosität gegenüber der Umwelt dar. Die Beklagte könne sich nicht auf die seinerzeit geltende Rechtslage und die religiöse Neutralität als wesentliche Voraussetzung des Beamtenrechts berufen.
Verwaltungsgericht wies Klage ab
Das Verwaltungsgericht Osnabrück wies die Klage ab. Ein Entschädigungsanspruch bestehe nicht, da eine eventuelle Ungleichbehandlung der Klägerin gerechtfertigt sei. Gegen diese Entscheidung legte die Lehrerin Berufung ein.
OVG: Benachteiligung ist nicht gerechtfertigt
Das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen entschied dagegen zugunsten der Klägerin. Ihr stehe ein Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu, weil sie wegen ihrer Religion bei ihrer Bewerbung um die Einstellung in den Schuldienst benachteiligt wurde.
Gemäß § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes nur dann zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.
Diese Benachteiligung sei nicht gemäß § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt gewesen, so das OVG. Der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zur weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen sei, stehe der Betätigung ihrer positiven Glaubensfreiheit durch das Tragen eines muslimischen Kopftuchs nicht generell entgegen.
Die Klägerin hat nach Auffassung des Gerichts eine unmittelbare Benachteiligung wegen ihrer islamischen Religion und eine mittelbare Benachteiligung wegen ihres Geschlechts (da nur Frauen ein islamisches Kopftuch tragen) erlitten.
Nach neuer Rechtslage Kopftuchverbot nur bei konkreter Gefahr für den Schulfrieden
Die beklagte Behörde hat zum Zeitpunkt des Erlasses des Rücknahmebescheides am 10.7.2013 nur die Gesetzeslage unter Berücksichtigung der damaligen Rechtsprechung zugrunde gelegt, wonach mit dem Tragen eines Kopftuchs aus religiösen Gründen eine abstrakte Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität einherging und deshalb eine Einstellung mangels Eignung der Pädagogin, die aus religiösen Gründen im Unterricht ein Kopftuch tragen wollte, nicht erfolgen durfte.
Würde sich die Lehrerin oder eine andere aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragende Pädagogin nunmehr um die Einstellung in den niedersächsischen Schuldienst bewerben, würde die Beklagte sie - sofern alle weiteren Einstellungsvoraussetzungen vorlägen - einstellen, wenn nicht eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität bestünde. Das geht aus dem Runderlass des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 26.8.2015 (-14-03019 (27) -, VORIS 20480) hervor. Das Niedersächsische Kultusministerium hat darin angeordnet, § 51 Abs. 3 Satz 1 NSchG sei im Lichte des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 27.1.2015 verfassungskonform auszulegen und nicht mehr als präventive Verbotsnorm aufzufassen. Es sei grundsätzlich zulässig, dass Lehrkräfte in Niedersachsen ein islamisches Kopftuch trügen.
Das Unterlassen des Tragens eines islamischen Kopftuchs im Unterricht stelle keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Tätigkeit als verbeamtete Lehrkraft im niedersächsischen Schuldienst dar, so das Gericht (OVG Niedersachsen, Urteil v. 24.4.2020, 5 LB 129/18).
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