Kritik an der Neuordnung der Pflegeberufe
Das Pflegeberufegesetz soll die Tätigkeit in der Pflege attraktiver machen, Personalengpässe abbauen und künftige Versorgungslücken verhindern. Das Rezept der Bundesregierung gegen den Pflegenotstand ist die generalistische Ausbildung mit breitem Einsatzspektrum: von der Akut-, der Kinderkrankenpflege über stationäre oder ambulante Langzeitpflege bis hin zur psychiatrischen Versorgung.
Steigende Zahl von Pflegebedürftigen
Die Bundesregierung will die Zahl der Auszubildenden in der Pflege bis 2023 um zehn Prozent erhöhen. Das ist dringend nötig: Bis 2035 fehlen nach früheren Angaben des Instituts der Deutschen Wirtschaft je nach Szenario 130.000 bis 150.000 Pflegefachkräfte. Zugleich steigt die Zahl der Pflegebedürftigen rasch an. In diesem Jahr sind es vier Millionen ältere Menschen mit Hilfebedarf - 80 Prozent mehr als vor 20 Jahren. Laut Statistischem Bundesamt werden es 2050 rund 5,9 Millionen sein. Wie leer gefegt der Markt in der Pflege ist, zeigt die berufsspezifische Arbeitslosenquote von einem Prozent (2018).
Wie viele zusätzliche junge Menschen die Reform in die Pflege bringt, steht noch nicht fest, beginnen die meisten Pflegeschulen doch erst im April oder Oktober mit den neuen Kursen. Erste Anzeichen verraten aber erhöhtes Interesse.
Die neuen Regelungen im Überblick
Die bisher im Altenpflegegesetz und im Krankenpflegegesetz getrennt geregelten Pflegeausbildungen werden in einem neuen Pflegeberufegesetz zusammengeführt.
Alle Auszubildenden erhalten zwei Jahre lang eine gemeinsame, generalistisch ausgerichtete Ausbildung, in der sie einen Vertiefungsbereich in der praktischen Ausbildung wählen. Auszubildende, die im dritten Ausbildungsjahr die generalistische Ausbildung fortsetzen, erwerben den Berufsabschluss „Pflegefachfrau“ bzw. „Pflegefachmann“.
Auszubildende, die ihren Schwerpunkt in der Pflege alter Menschen oder der Versorgung von Kindern und Jugendlichen sehen, können wählen, ob sie – statt die generalistische Ausbildung fortzusetzen – einen gesonderten Abschluss in der Altenpflege oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflege erwerben wollen.
Ergänzend zur beruflichen Pflegeausbildung wird ein Pflegestudium eingeführt.
Es wird kein Schulgeld mehr erhoben. Zudem haben die Auszubildenden Anspruch auf eine angemessene Ausbildungsvergütung.
Die neue generalistische Pflegeausbildung wird über die EU-Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen in anderen EU-Mitgliedstaaten automatisch anerkannt werden. Die gesonderten Abschlüsse in der Altenpflege und der Kinderkrankenpflege können weiterhin im Rahmen einer Einzelfallprüfung in anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt werden.
Unterschiedliche Auffassungen zum Berufsbild der Kinderkrankenschwester
Kritik an der Neuregelung kommt allerdings von Kinderärzten: Sie diagnostizieren den «schleichenden Tod der Kinderkrankenschwester». Das neue Pflegeberufegesetz, würde dem beliebigen Einsatz von Pflegepersonal Tür und Tor öffnen.
«Die Expertise dieser Spezialistinnen für die Gesundheit von Kindern ist unverzichtbar für die Qualität der Versorgung unserer jungen Patienten», betont der Vizechef des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Wolfgang Kölfen. Der Leiter des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin in Mönchengladbach befürchtet, dass der traditionsreiche Beruf der Kinderkrankenschwester im Zuge der Neuordnung der Pflegeberufe zum Auslaufmodell wird. Kritische Stimmen zur Reform, die jährlich etwa 140.000 neue Auszubildende betrifft, kommen auch aus der Altenpflege.
Kölfen bedauert, dass zumindest die Karriere als Kinderkrankenschwester bald der Vergangenheit angehören könnte: Den Pflegeschulen sei es zu aufwendig, den Abschluss anzubieten.
Nach einer Umfrage der Chefärzte der Kinderkliniken hätten 30 bis 50 Prozent von ihnen diese Spezialisierung nicht im Portfolio. Sie seien Anhänger der generalistischen Pflegeausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann mit den gleichen Theorieanteilen für alle Absolventen; manche davon betrachteten eine Spezialisierung nach der dreijährigen Ausbildung als potenzielles Geschäftsfeld.
Gegenwind erhält der Verbandsvertreter auch aus den Bundesländern. Die favorisieren in einem Brief an den Gemeinsamen Bundesausschuss im Gesundheitswesen die Pflegefachfrau mit pädiatrischer Vertiefung und verlangen, dass auch mehrjährige einschlägige Berufserfahrung für den Einsatz in der Kinder- und Jugendmedizin ausreicht.
«Diese Verwässerung der Qualifizierung der Kinderkrankenschwester ist ein Skandal», meint Kölfen. Damit verliere die Pflege viele engagierte junge Frauen. «Die zu uns kommen, haben eine Vision - sie wollen Kindern helfen, nicht Erwachsenen oder Senioren.» Die 7.000 Ausbildungsplätze seien heiß begehrt. Die Neuerungen konterkarierten den Ruf nach Qualität. Ob der Patient in deren Genuss komme, hänge von Zufällen ab: «Bringen Eltern ihr Kind in die Kinderklinik, können sie einer Generalistin mit maximal 120 Stunden pädiatrischer Ausbildung begegnen oder einer Kinderkrankenpflegerin mit künftig 2.800 Stunden pädiatrischer Theorie und Praxis.» Und dieser Wert liege noch unter den Anforderungen an die klassischen Kinderkrankenschwestern, von denen es laut Kölfen 38.000 gibt.
Positive Stimmen zum neuen Gesetz
Stefanie Brase, Pflegedirektorin des Klinikums Darmstadt, ist von der generalistischen Ausbildung dagegen sehr angetan. «Ich bin überzeugt, dass damit mehr Auszubildende für die Pflege gewonnen werden und sich für die Arbeitnehmer wie die Arbeitgeber mehr Chancen als Risiken eröffnen.» Die Pflegemanagerin fügt hinzu: «Erstmals umfasst die Ausbildung alle Lebenslagen und Versorgungsformen - vom Kind bis hin zu älteren Kranken.» Das entspreche auch den veränderten Patientengruppen in Kliniken und Pflegeeinrichtungen. «Immer mehr multimorbide alte Patienten werden im Krankenhaus und jüngere, schwerkranke Patienten in Langzeitpflegeeinrichtungen versorgt.» Die Reform trage dem Rechnung und werde sich durchsetzen, prognostiziert sie.
Kritik aus der Altenpflege
Viel kritischer sehen das Vertreter der Altenpflege. Wolfgang Hahl, Leiter der Mannheimer Akademie für soziale Berufe und Vorsitzender der Konferenz der Altenpflegeschulen in Baden-Württemberg, rechnet nicht damit, dass die neuen Pflegeberufe seiner Branche mehr Azubis bescheren. «Die Krankenhäuser können die neuen Anforderungen viel besser als Seniorenheime oder ambulante Pflegedienste erfüllen», erläutert Hahl. Denn die Auszubildenden müssen bis zu fünf Praktika absolvieren. Die meisten dieser Stationen könnten bequem unter dem Dach einer Klinik durchlaufen werden. «Ein kleiner ambulanter Dienst kann das gar nicht leisten», sagt Hahl.
Dass Senioreneinrichtungen von den generalistisch ausgebildeten Kräften profitieren, sei unwahrscheinlich, insbesondere kurzfristig. «Gewöhnlich ist der Wechsel umgekehrt: Die Krankenpfleger kommen nach vielen Jahren in der Klinik zu uns.» Obwohl auf 100 freie Fachkraftstellen in der Altenpflege lediglich 19 Arbeitslose (2018) kommen, sei die Bereitschaft auszubilden in der Altenheimen verhalten. Abseits von allen gesetzlichen Regelungen habe der Arbeitsplatz Krankenhaus durch Klinik-Serien ein ganz anderes Image als die Altenpflege, findet Hahl: «Der Aspekt, dass Krankenschwestern dort zumindest in der Vorstellung Ärzte kennenlernen können, ist bei jungen Frauen nicht zu unterschätzen.»
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