Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung bei der Anordnung von Überstunden
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs 1 Nr 3 BetrVG mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber Überstunden anordnet, die notwendig werden, weil die im Betrieb oder in einzelnen Abteilungen anfallende Arbeit nicht mit den vorhandenen Arbeitskräften erledigt werden kann.
2. Dieses Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht auch dann, wenn der Arbeitgeber nur für einen Arbeitnehmer Überstunden anordnen will.
3. Das Mitbestimmungsrecht entfällt nicht deshalb, weil ein Arbeitnehmer auf Wunsch des Arbeitgebers freiwillig Überstunden leistet.
4. Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten bestehen dann nicht, wenn sich die beabsichtigte Maßnahme des Arbeitgebers ausschließlich auf leitende Angestellte im Sinne von § 5 Abs 3 Nr 3 BetrVG beschränkt.
5. Der Antrag festzustellen, daß der Betriebsrat mitzubestimmen hat, wenn der Arbeitgeber Überstunden anordnen will, die darauf beruhen, daß die im Betrieb oder in einzelnen Abteilungen anfallende Arbeit mit den vorhandenen Arbeitskräften nicht bewältigt werden kann, ist bestimmt genug im Sinne von § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO. Für diesen auf die Zukunft gerichteten Feststellungsantrag besteht auch ein Rechtsschutzinteresse (§ 256 Abs 1 ZPO), wenn Überstunden aus den genannten Gründen in Zukunft anfallen können.
Normenkette
ZPO § 256 Abs. 1, § 253 Abs. 2 Nr. 2; BetrVG § 5 Abs. 3 Nr. 3, § 87 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 16.06.1984; Aktenzeichen 10 TaBV 16/84) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 14.12.1983; Aktenzeichen 3 BV 198/83) |
Gründe
A. Arbeitgeber und Betriebsrat streiten darüber, ob der Betriebsrat bei der künftigen Anordnung oder Duldung von Mehrarbeit mitbestimmen darf, die ein einzelner Arbeitnehmer leistet.
Der Arbeitgeber betreibt mit einer Belegschaft von über 100 Arbeitnehmern eine Fachfabrik für Präzisions- und Feinschneidteile. Einer der Arbeitnehmer, der Angestellte B, verrichtete seit 1983 in erheblichem Umfang Mehrarbeit. Dieser Angestellte war Leiter der Einkaufsabteilung des Betriebes und übernahm ab Januar 1983 eine zusätzliche Tätigkeit für die Verkaufsabteilung, nachdem dort zum Jahresende ein Mitarbeiter ausgeschieden war. Der Arbeitgeber stellte zum 17. Januar 1983 eine neue Mitarbeiterin für die Verkaufsabteilung ein, um den Angestellten B auf diesem Gebiet zu entlasten. Diese Mitarbeiterin benötigte eine Einarbeitungszeit. Der Angestellte B leistete mit seinem Einverständnis aus diesem Grunde ab Januar 1983 Mehrarbeit für die Verkaufsabteilung, die im wesentlichen durch Freizeit ausgeglichen wurde. Der Betriebsrat wurde nicht beteiligt. Lediglich für eine Vertretung des Geschäftsführers Werner S, der für vier Wochen zur Kur weilte, beantragte der Arbeitgeber die Zustimmung zur Anordnung von Mehrarbeit für den Angestellten B in der Verkaufsabteilung. Der Betriebsrat lehnte die Zustimmung mit Schreiben vom 15. April 1983 ab. Die Tätigkeit des Angestellten B für die Verkaufsabteilung verminderte sich schließlich dadurch, daß der Arbeitgeber zum 1. Mai 1983 eine Verkaufsassistentin und zum 1. Oktober 1983 eine weitere Verkaufskraft einstellte; sie beschränkte sich schließlich auf den Paßscheiben-Verkauf. In der Zwischenzeit waren zum 31. Juli 1983 und 31. August 1983 aus der Abteilung Einkauf zwei Mitarbeiter ausgeschieden. Ein bis dahin in der Versandabteilung tätiger Arbeitnehmer, der aufgrund seiner Schwerbehinderung umzusetzen war, übernahm am 25. Mai 1983 Aufgaben des Ein- und Verkaufs (Normteile/Paßscheiben) und mußte eingearbeitet werden. In den Monaten Juni bis August 1983 übernahm der Angestellte B Mehrarbeit in der Einkaufsabteilung infolge Urlaubs, Ausscheidens einer Mitarbeiterin zum 31. Juli und anschließender Krankheit eines weiteren Mitarbeiters.
Der Betriebsrat ist der Ansicht, daß ihm hinsichtlich der dargelegten Mehrarbeit des Angestellten B ein Mitbestimmungsrecht zustehe. Das Einverständnis des Angestellten schließe sein Mitbestimmungsrecht nicht aus. Für die Anordnung der Mehrarbeit bestehe ein betriebliches Regelungsbedürfnis. Der Bedarf an weiterer Arbeitsleistung sei regelmäßig aufgetreten und vorhersehbar gewesen. Dem Ausscheiden von Mitarbeitern seien Kündigungsfristen von teilweise sechs Wochen zum Quartalsende vorausgegangen; auch die Einarbeitungsschwierigkeiten der Mitarbeiter seien längerfristig bekannt gewesen.
Das Mitbestimmungsrecht ergebe sich nicht nur aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, sondern auch aus § 4 Ziff. 5 Abs. 1 des Manteltarifvertrages für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW vom 30. April 1980 (MTV), der - unstreitig - auf die Arbeitsverhältnisse im Betrieb der Antragsgegnerin wegen Tarifgebundenheit anzuwenden sei. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach dieser Tarifvorschrift gehe über das Betriebsverfassungsgesetz hinaus und erfasse nicht nur einen kollektiven Tatbestand, sondern jeden Einzelfall und mithin auch die Anordnung von Mehrarbeit für einen einzelnen Arbeitnehmer.
Der Betriebsrat hat beim Landesarbeitsgericht zuletzt - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - beantragt
festzustellen, daß die Anordnung von Mehrarbeit
für den Mitarbeiter B für die Zeit ab
16. April 1983 der Mitbestimmung des Antrag-
stellers unterlag.
Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hat geltend gemacht, der Angestellte B sei ab 1. Januar 1984 als selbständiger und eigenverantwortlicher Leiter der Abteilung Einkauf zum leitenden Angestellten ernannt worden. Er hat insoweit die Auffassung vertreten, die Position des Einkaufsleiters sei die eines leitenden Angestellten i. S. von § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG. Für den vorherigen Stelleninhaber habe der Betriebsrat dies nicht bestritten. Im übrigen bestehe ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats deshalb nicht, weil der Angestellte B die Mehrarbeit freiwillig aus eigenem Verantwortungsbewußtsein heraus nach eigenem Ermessen und eigener Zeiteinteilung ohne Honorierung, lediglich gegen Verrechnung von Freizeiten und nicht auf Anweisung der Antragsgegnerin geleistet habe. Ein Bedürfnis für eine kollektive Regelung der Mehrarbeit habe nicht bestanden, da allein der Angestellte B betroffen sei. Außerdem habe es sich nicht um einen erhöhten Arbeitsbedarf gehandelt, der regelmäßig aufgetreten und vorhersehbar gewesen sei. Mehrarbeit des Angestellten B an Samstagen und Sonntagen sei ihr nicht bekannt und werde mit Nichtwissen bestritten.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde des Betriebsrats ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Antrag eingeschränkt weiter. Er hat beantragt
festzustellen, daß der Betriebsrat mitzubestimmen
hat, wenn der Arbeitgeber Überstunden des Ange-
stellten B anordnet oder von ihm entgegen-
nimmt, die darauf beruhen, daß die in den Abtei-
lungen Einkauf und Verkauf anfallende Arbeit
mit den vorhandenen Arbeitskräften nicht bewäl-
tigt werden kann.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hat Erfolg. Die Begründung, mit der das Landesarbeitsgericht den Antrag des Betriebsrats abgewiesen hat, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Allerdings kann der Senat nicht selbst entscheiden. Es muß noch geprüft werden, ob der Angestellte B leitender Angestellter i. S. von § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG ist.
I. Der Betriebsrat hat seinen Antrag im Rechtsbeschwerdeverfahren klargestellt. Das ist rechtlich zulässig und war aufgrund des Sachvortrages in den Vorinstanzen auch geboten.
1. Der Antrag des Betriebsrats bezog sich von Anfang an nicht nur auf die umstrittenen Anordnungen von Mehrarbeit in der Vergangenheit. Insoweit hat der Betriebsrat den Feststellungsantrag ausdrücklich zurückgenommen. Ihm ging es, für das Gericht und für den Arbeitgeber erkennbar, auch um eine Klärung der streitigen Rechtsfrage für die Zukunft. So hatte der Betriebsrat in den Vorinstanzen wiederholt vorgetragen, daß seit Ende des Jahres 1982 in den Abteilungen Verkauf und Einkauf bei der Antragsgegnerin, wenn auch aus unterschiedlichen betrieblichen Anlässen, ein zusätzlicher Arbeitsbedarf entstanden war, der mit den dort vorhandenen Arbeitskräften nicht bewältigt werden konnte und durch Mehrarbeit des Angestellten B ausgeglichen wurde. Dieser Streit, ob der Betriebsrat mitzubestimmen hat, wenn in den Abteilungen Verkauf und Einkauf wegen Kündigung von Mitarbeitern, Umsetzung von Mitarbeitern, Notwendigkeit langfristiger Einarbeitung neu eingetretener Mitarbeiter, Urlaub und Krankheit von Mitarbeitern Mehrarbeit angeordnet wird, besteht zwischen den Beteiligten nach wie vor. Der Betriebsrat hat damit eine streitige Rechtsfrage zur Entscheidung gestellt, die von den schon abgeschlossenen Maßnahmen, die Anlaß zum Streit der Beteiligten gegeben hatten, losgelöst ist, sich aber künftig wiederholen kann.
Der beim Landesarbeitsgericht gestellte Antrag des Betriebsrats trug allerdings, seinem Wortlaut nach, dem in die Zukunft gerichteten Feststellungsbegehren des Betriebsrats nicht ausreichend Rechnung. Dieser Antrag war jedoch im Hinblick auf seine Begründung und den Anlaß des Streites der Beteiligten auszulegen (Beschlüsse des Senats vom 16. Juli 1985 - 1 ABR 35/83 -; vom 3. Dezember 1985 - 1 ABR 29/84 - und vom 18. Februar 1986 - 1 ABR 27/84 -, alle zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts und in der Fachpresse bestimmt). Der Betriebsrat hatte seinen Feststellungsantrag mit einem Unterlassungsantrag verbunden, der eindeutig auf die Zukunft gerichtet war.
2. Der Betriebsrat hat mehrere Anlässe genannt, die in der Vergangenheit zur Anordnung von Mehrarbeit geführt haben. Diese Anlässe lassen sich zusammenfassend dahin beschreiben: Die Mehrarbeit beruhte in all diesen Fällen darauf, daß die in den Abteilungen "Einkauf" und "Verkauf" anfallenden Arbeiten mit den dort vorhandenen Mitarbeitern nicht innerhalb der normalen Arbeitszeit bewältigt werden konnten. Für diesen Fall nimmt der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht in Anspruch.
3. Der Antrag des Betriebsrats enthält darüber hinaus noch weitere Einschränkungen. Er betrifft nur die Anordnung von Mehrarbeit in den Abteilungen "Verkauf" und "Einkauf". Offenbar gab es in anderen Abteilungen keinen Streit. Schließlich ist der Antrag beschränkt auf die Anordnung von Mehrarbeit in bezug auf den Angestellten B. Das kann darauf zurückzuführen sein, daß dieser Arbeitnehmer vom Arbeitgeber als leitender Angestellter i. S. von § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG angesehen wird.
Danach hat der Betriebsrat von Anfang an das beantragt, was er jetzt ausdrücklich mit seinem Antrag klargestellt hat.
II. Dieser Antrag des Betriebsrats ist zulässig.
1. Der allgemeine, von einer abgeschlossenen Maßnahme losgelöste Feststellungsantrag ist möglich (vgl. BAG 39, 259 = AP Nr. 5 zu § 83 ArbGG 1979 und Beschluß des Senats vom 10. April 1984 - 1 ABR 73/82 - AP Nr. 3 zu § 81 ArbGG 1979 und von da an ständige Rechtsprechung). Dabei ist nicht erforderlich, daß dieser allgemeine Feststellungsantrag neben einem Antrag gestellt wird, der sich auf eine konkrete Maßnahme bezieht. Er kann auch für sich allein gestellt werden, wenn die konkrete Maßnahme abgeschlossen ist und an der Entscheidung der Frage, ob der Betriebsrat bei dieser Maßnahme zu beteiligen war, kein Interesse mehr besteht (Beschluß des Senats vom 18. Februar 1986 - 1 ABR 27/84 - zu B I 2 b der Gründe, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung und in der Fachpresse vorgesehen). Das ist im vorliegenden Fall geschehen.
2. Der richtig verstandene Antrag des Betriebsrats ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bestimmt genug.
Ein Antrag im Beschlußverfahren muß ebenso bestimmt sein wie eine Klageschrift im Urteilsverfahren. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist auf das Beschlußverfahren und die in ihm gestellten Anträge entsprechend anwendbar (BAG 44, 226, 232 f. = AP Nr. 11 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, zu B der Gründe; Beschluß vom 22. Oktober 1985 - 1 ABR 38/83 - zu B I 2 der Gründe, zur Veröffentlichung bestimmt).
Bei einem Streit über bestehende Mitbestimmungsrechte muß derjenige, der das Bestehen oder Nichtbestehen des Mitbestimmungsrechts festgestellt wissen will, diejenige Maßnahme des Arbeitgebers oder denjenigen betrieblichen Vorgang, für die bzw. für den er ein Mitbestimmungsrecht in Anspruch nimmt oder leugnet, so genau bezeichnen, daß mit einer Entscheidung über den Antrag feststeht, für welche Maßnahmen oder Vorgänge das Mitbestimmungsrecht bejaht oder verneint worden ist (BAG Beschluß vom 16. August 1983 - 1 ABR 11/82 - AP Nr. 2 zu § 81 ArbGG 1979; BAG 46, 367, 372 = AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung, zu B I 1; Beschluß vom 18. Februar 1986, aa0, zu B I 2 c). Das ist im vorliegenden Fall ausreichend geschehen.
Unter Berufung auf die Entscheidung des Senats vom 8. November 1983 - 1 ABR 57/81 - (BAG 44, 226 = AP Nr. 11 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit) hat das Landesarbeitsgericht (S. 12-15 des Beschlusses) ausgeführt, der Antrag des Betriebsrats sei zu weit gefaßt ("Globalantrag") und erstrecke sich auf alle nur denkbaren Möglichkeiten von Mehrarbeit, obwohl sich unter zutreffender Auslegung des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG im Einzelfall ergeben könnte, daß die Mehrarbeit ohne kollektiven Bezug geleistet werde und mithin auch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausscheide. Der Antragsteller hätte bereits in dem Antrag mehr Einzelheiten zu konkreten Fallgestaltungen mitteilen müssen, für die der Betriebsrat in der Zukunft ein Mitbestimmungsrecht in Anspruch nehmen wolle.
Der vorliegende Fall ist mit dem der Entscheidung des Senats vom 8. November 1983 zugrunde liegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Im damaligen Fall schloß der Antrag des Betriebsrats alle nur denkbaren Möglichkeiten von Mehrarbeit ein, ohne daß konkrete betriebliche Fallgestaltungen genannt wurden. Trotz des ausdrücklichen Hinweises des Landesarbeitsgerichts waren betriebliche Vorfälle nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden. Im vorliegend zu beurteilenden Fall sind betriebliche Fallgestaltungen genannt und diese zur Beurteilung gestellt worden. Wie im Tatbestand im einzelnen wiedergegeben ist, handelt es sich um Mehrarbeit in zwei Abteilungen aus Anlaß von Kündigungen von Mitarbeitern, Umsetzungen von Mitarbeitern, der Notwendigkeit langfristiger Einarbeitung neuer Mitarbeiter und aus Anlaß von Urlaubs- und Krankheitsvertretung. Welche Vorgänge im einzelnen die Mehrarbeit in den beiden Abteilungen auslösten, ist den Beteiligten klar. Aus betrieblichen Gründen, wenn auch aus unterschiedlichen Anlässen, ergibt sich in den beiden Abteilungen seit 1982 ein zusätzlicher Arbeitsbedarf, der mit den dort vorhandenen Arbeitskräften nicht mehr bewältigt werden kann und der durch Mehrarbeit des Mitarbeiters B ausgeglichen wird.
Im übrigen weist der Senat darauf hin, daß der Antrag des Betriebsrats in jenem Verfahren nicht als unzulässig hätte abgewiesen werden dürfen. Er war bestimmt genug, weil er alle Fälle der Anordnung von Mehrarbeit erfassen sollte. Eine solche weite - aber bestimmte - Fassung des Antrages muß dazu führen, daß der Antrag als unbegründet abgewiesen wird, wenn auch nur in einem Fall ein Mitbestimmungsrecht zu bejahen oder zu verneinen ist (zu einer vergleichbaren Fallgestaltung in bezug auf einen Unterlassungsanspruch im Urteilsverfahren vgl. Urteil des Senats vom 12. September 1984 - 1 AZR 342/83 - Warnstreikurteil - BAG 44, 322, 329 = AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A I 1 b der Gründe).
3. Schließlich besteht für diesen Antrag ein Rechtsschutzinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO entsprechend). Davon, daß solche Mehrarbeit auch künftig vorkommt, gehen die Beteiligten aus. Der Arbeitgeber nimmt nach wie vor das Recht für sich in Anspruch, bei den dargestellten Fallgestaltungen den Angestellten B in den beiden Abteilungen ohne Zustimmung des Betriebsrats mit Mehrarbeit zu beschäftigen.
4. Das Landesarbeitsgericht hätte den Antrag des Betriebsrats deshalb nicht als unzulässig abweisen dürfen.
III. Ob der Antrag des Betriebsrats begründet ist, läßt sich noch nicht abschließend beurteilen.
1. Das Landesarbeitsgericht wird davon ausgehen dürfen, daß sich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nur aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ergeben kann, nicht aus dem vom Betriebsrat herangezogenen Manteltarifvertrag.
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der vorübergehenden Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit. Das gilt jedoch nur, soweit keine tarifliche Regelung besteht (§ 87 Abs. 1 BetrVG Einleitung). Hier besteht keine solche tarifliche Regelung. § 4 des Manteltarifvertrages vom 30. April 1980 in der Fassung vom 3. Juli 1984 lautet:
"§ 4
Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit;
Rufbereitschaft
1. Mehrarbeit sind die über die nach den §§ 2 und 3
festgelegte individuelle regelmäßige tägliche
Arbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden;
hierunter fallen nicht die Arbeitsstunden, die
im Rahmen des § 3 Nr. 4 außerhalb der regelmäßi-
gen Arbeitszeit zum Ausgleich ausgefallener Ar-
beitsstunden vor- oder nachgearbeitet werden.
F ü r A n g e s t e l l t e :
Geringfügige Mehrarbeit, soweit sie nur gelegent-
lich auftritt und im Grenzfall eine halbe Stunde
nicht überschreitet, gilt nicht als Mehrarbeit und
kann im Einvernehmen mit dem zuständigen Vorgesetz-
ten auf die regelmäßige Arbeitszeit des folgenden
Arbeitstages angerechnet werden. ...
...
5. Notwendige Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonntags- und
Feiertagsarbeit ist zwischen Arbeitgeber und Be-
triebsrat zu vereinbaren und ist zu leisten, wo-
bei berechtigte Wünsche der Arbeitnehmer nach
Möglichkeit berücksichtigt werden.
Soweit in unvorhergesehenen Bedarfsfällen Arbeit-
nehmer zu Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonntags- und
Feiertagsarbeit herangezogen werden müssen, ist
der Betriebsrat nachträglich unverzüglich zu
verständigen.
6. Im Rahmen der Nr. 5 kann die werktägliche Arbeits-
zeit auf bis zu 10 Stunden, die wöchentliche Ar-
beitszeit um bis zu 10 Stunden ausgedehnt werden.
Ausnahmsweise kann für einzelne Arbeitnehmer oder
Gruppen von Arbeitnehmern ein größeres Mehrar-
beitsvolumen betrieblich vereinbart werden, jedoch
auf nicht mehr als eine Wochenarbeitszeit von
53 Stunden. Dies darf nicht zu dauerhafter Mehrar-
beit führen. Eine solche ist möglichst durch Neu-
einstellungen zu vermeiden."
Diese tarifliche Regelung begründet nur Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis. Der Arbeitnehmer hat unter den in der Bestimmung genannten Voraussetzungen die zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat festgelegte Mehrarbeit zu leisten. Dabei wird - nur erinnernd - auf das gesetzliche Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hingewiesen. Anhaltspunkte dafür, daß eine eigenständige in sich abgeschlossene und von der gesetzlichen Regelung abweichende Mitbestimmung vereinbart worden wäre, gibt es nicht (vgl. Ziepke, Kommentar zum MTV Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW vom 30. April 1980, 2. Aufl., § 4 Anm. 24; ders., Kommentar zum Tarifvertrag vom 3. Juli 1984 zur Änderung des MTV vom 30. April 1980 sowie zum Lohnabkommen vom 3. Juli 1984, § 4 Anm. 28). Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 8. Juli 1982 - 13 Ta BV 37/82 - und vom 26. Oktober 1981 - 10 Ta BV 53/81 -, die Tarifvertragsparteien hätten das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats dahingehend erweitert, daß der Betriebsrat in jedem Einzelfalle mitzubestimmen habe, läßt sich mit dem Wortlaut des § 4 Nr. 5 MTV nicht vereinbaren. Auch aus der Entstehungsgeschichte der Tarifvorschrift ergibt sich nichts anderes. Die Tarifvertragsparteien haben zu keinem Zeitpunkt Tarifverhandlungen über eine Erweiterung des gesetzlichen Mitbestimmungsrechts in diesem Punkt geführt. Sie haben vielmehr die tarifvertragliche Bestimmung nahezu unverändert jahrzehntelang in immer wieder neue Manteltarifverträge übernommen (vgl. dazu ausführlich Ziepke, Kommentar zum Tarifvertrag vom 3. Juli 1984 zur Änderung des MTV, § 4 Anm. 28). Lediglich zur Regelung in § 4 Nr. 6 Abs. 2 des MTV in der Fassung vom 3. Juli 1984 wäre eine andere Rechtsauffassung vertretbar. Die mögliche Erweiterung der Mitbestimmung gilt aber nur in dem engen Zusammenhang der Ausnahmefälle, auf die § 4 Nr. 6 Abs. 2 MTV abzielt, also nicht für die normale Mehrarbeit. Dies ergibt sich auch aus dem Vergleich des Wortlauts zwischen Nr. 5 und Nr. 6 Abs. 2 des § 4 MTV (Ziepke, aa0, Anm. 28). Für die vergleichbare Regelung von Kurzarbeit in demselben MTV (§ 6) hat der Senat im übrigen bereits ausgesprochen, daß sich die tarifliche Regelung eng an § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG anlehnt und lediglich unwesentliche Modifikationen enthält (BAG 34, 331, 339 = AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu C I 1 c der Gründe).
Die Anordnungen des Arbeitgebers in bezug auf die Mehrarbeit des Angestellten B unterliegen deshalb nur dann der Mitbestimmung des Betriebsrats, wenn es sich um einen Tatbestand handelt, der nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt.
2. Abgesehen von den Bedenken, die sich daraus ergeben können, daß der Angestellte B leitender Angestellter i. S. von § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG ist, hat der Betriebsrat bei der Anordnung oder Duldung von Mehrarbeit in dem beanspruchten Umfang nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitzubestimmen.
a) Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anordnung von Mehrarbeit oder Überstunden setzt einen kollektiven Tatbestand voraus. Es greift nicht ein bei individuellen Regelungen ohne kollektiven Bezug (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. Beschluß vom 18. November 1980 - 1 ABR 87/78 - AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, zu 1 b der Gründe; Beschluß vom 2. März 1982 - BAG 38, 96 = AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Beschluß vom 8. Juni 1982 - 1 ABR 56/80 - AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Beschluß vom 21. Dezember 1982 - BAG 41, 200 = AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Beschluß vom 22. Februar 1983 - BAG 42, 11 = AP Nr. 2 zu § 23 BetrVG 1972; Beschluß vom 8. November 1983 - BAG 44, 226 = AP Nr. 11 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit). Dabei liegt ein kollektiver Tatbestand immer dann vor, wenn sich eine Regelungsfrage stellt, die kollektive Interessen der Arbeitnehmer des Betriebes berührt. So ist bei einem zusätzlichen Arbeitsbedarf immer die Frage zu regeln, ob und in welchem Umfang zur Abdeckung dieses Arbeitsbedarfes Überstunden geleistet werden sollen oder ob die Neueinstellung eines Arbeitnehmers zweckmäßiger wäre. Weiter ist zu entscheiden, wann und von wem die Überstunden geleistet werden sollen. Diese Regelungsprobleme bestehen unabhängig von der Person und den individuellen Wünschen eines einzelnen Arbeitnehmers. Auf die Zahl der Arbeitnehmer, für die Mehrarbeit oder Überstunden angeordnet werden, kommt es deshalb nicht an. Die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer ist allenfalls ein Indiz dafür, daß ein kollektiver Tatbestand vorliegt.
Auf der anderen Seite endet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats dort, wo es um die Gestaltung konkreter Arbeitsverhältnisse geht und wo besondere, nur den einzelnen Arbeitnehmer betreffende Umstände die Maßnahme veranlassen oder inhaltlich bestimmen.
b) Danach besteht im vorliegenden Fall ein Mitbestimmungsrecht.
Die Notwendigkeit, Mehrarbeit zu leisten, ergab sich aus betrieblichen Gründen. In den genannten Abteilungen entstand aus verschiedenen, nicht in der Person des Arbeitnehmers B liegenden Gründen ein zusätzlicher Arbeitsbedarf, der mit den vorhandenen Arbeitnehmern nicht bewältigt werden konnte. Dieses Bedürfnis stellt sich auch in Zukunft immer wieder. Es muß geregelt werden, wie diesem Arbeitsanfall begegnet werden soll.
c) In der Rechtsbeschwerdeerwiderung hat der Arbeitgeber geltend gemacht, die Entgegennahme von Mehrarbeit sei eine mitbestimmungsfreie Einzelfallregelung; Herr B habe aus eigener Entschließung "freiwillig" länger gearbeitet.
Damit läßt sich jedoch nicht begründen, daß die Anordnungen von Mehrarbeit in der Vergangenheit mitbestimmungsfrei waren und in der Zukunft mitbestimmungsfrei sein werden. Bereits in den Beschlüssen vom 21. Dezember 1982 (1 ABR 14/81 - BAG 41, 200, 205 = AP Nr. 9 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, zu II 3 b der Gründe) und vom 22. Februar 1983 (1 ABR 27/81 - BAG 42, 11, 15 = AP Nr. 2 zu § 23 BetrVG 1972, zu I 1 a der Gründe) hat der Senat darauf hingewiesen, daß der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats weder dadurch ausschließen kann, daß er dem Regelungsbedürfnis entsprechend einzelvertragliche Vereinbarungen trifft, noch dadurch, daß er dem Regelungswunsch aller oder einzelner Arbeitnehmer nachkommt.
d) Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil zur Mehrarbeit nur ein einzelner Arbeitnehmer erforderlich war oder sein wird. Auch wenn nur ein einzelner Arbeitnehmer für die anfallende Mehrarbeit aus betrieblichen Gründen erforderlich ist, geht es nicht um eine Regelung, die individuellen Besonderheiten oder Wünschen dieses Arbeitnehmers Rechnung trät, sondern um die Befriedigung eines betrieblichen Bedürfnisses. Es bleibt zu regeln und damit dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zugänglich, welcher der in Frage kommenden Arbeitnehmer jeweils unter welchen Voraussetzungen heranzuziehen ist (Beschluß des Senats vom 22. Februar 1983, aa0, zu I 1 a der Gründe). Anhaltspunkte dafür, daß die anfallende Mehrarbeit nur durch die Heranziehung des Arbeitnehmers B erledigt werden könnte, sind nicht ersichtlich. Nach dem unstreitigen Sachverhalt wurde der Angestellte B teilweise von anderen Arbeiten entlastet, wenn er Mitarbeiter einarbeiten mußte. Eine andere Verteilung der Arbeit war danach möglich. Das mag bei der Vertretung des Geschäftsführers anders gewesen sein. Für diesen Fall nimmt der Betriebsrat aber kein Mitbestimmungsrecht in Anspruch. Diese Mehrarbeit beruhte nicht auf dem Arbeitsanfall in den Abteilungen "Einkauf" und "Verkauf".
3. Dagegen ist der Einwand des Arbeitgebers beachtlich, der Angestellte B sei leitender Angestellter i. S. von § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG. Nach § 5 Abs. 3 BetrVG findet das Betriebsverfassungsgesetz, soweit in ihm nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, keine Anwendung auf leitende Angestellte. Deshalb bestehen Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten dann nicht, wenn die Maßnahme sich ausschließlich auf leitende Angestellte beschränkt (Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 5 Rz 175; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 5 Rz 2). Ob der Arbeitnehmer B leitender Angestellter war, kann der Senat nicht entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat dies ausdrücklich offengelassen. Es hat keine Feststellungen getroffen, die eine Beurteilung zuließen. Deshalb muß die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.
Bei der rechtlichen Beurteilung dieser Frage wird das Landesarbeitsgericht von der die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zusammenfassenden Entscheidung des Sechsten Senats vom 23. Januar 1986 (6 ABR 51/81 - DB 1986, 1131) ausgehen dürfen.
Dr. Kissel Dr. Heither Matthes
Andersch Dr. Giese
Fundstellen
Haufe-Index 436992 |
BAGE 52, 160-171 (LT1-5) |
BAGE, 160 |
BB 1987, 543-544 (LT1-5) |
DB 1986, 2391-2392 (LT1-5) |
AuB 1987, 371-371 (T) |
BetrR 1986, 662-667 (LT1-5) |
NZA 1986, 840-841 (LT1-5) |
RdA 1986, 404 |
SAE 1988, 184-187 (LT1-5) |
AP § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit (LT1-5), Nr 18 |
EzA § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, Nr 18 (LT1-5) |