Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung bei Umsetzung verkürzter tariflicher Arbeitszeit
Leitsatz (redaktionell)
Haben die Betriebsparteien sich über die Umsetzung einer tariflicher Änderung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bis zum Inkrafttreten des Tarifvertrags nicht geeinigt, so ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, Anfang und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage ohne Zustimmung des Betriebsrats einseitig festzulegen, solange die bisherige Verteilung der Arbeitszeit nach dem neuen Tarifvertrag beibehalten werden kann.
Orientierungssatz
Auslegung des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 6.5.1987.
Verfahrensgang
Gründe
A. Der Arbeitgeber ist ein Unternehmen der Druckindustrie und der Antragsteller der bei ihm gebildete Betriebsrat. Für die Arbeitnehmer des Betriebs gilt der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 6. Mai 1987 (MTV). Arbeitgeber und Betriebsrat stritten ursprünglich darüber, ob der Arbeitgeber das Recht habe, die am 1. April 1988 in Kraft getretene tarifliche Arbeitszeitverkürzung in der Druckindustrie von wöchentlich 38,5 auf 37,5 Stunden einseitig umzusetzen, nachdem die angerufene Einigungsstelle bis zum 1. April 1988 keinen Beschluß gefaßt hatte. Da der Arbeitgeber bei dieser Konstellation in der Vergangenheit schon einmal die Arbeitszeit einseitig festgelegt hatte und sich berühmt, auch in Zukunft so verfahren zu dürfen, begehrt der Betriebsrat weiterhin die Feststellung, daß der Arbeitgeber bei einer Verkürzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit im Tarifvertrag nicht berechtigt sei, die Arbeitszeitverkürzung einseitig umzusetzen.
§ 3 MTV lautet, soweit dies für den vorliegenden Fall interessiert:
"1. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit
beträgt 38,5 Stunden. Ab 1. April 1988
beträgt die regelmäßige wöchentliche Ar-
beitszeit 37,5 Stunden, ab 1. April 1989
37 Stunden. Die wöchentliche Arbeitszeit
ist für den einzelnen Arbeitnehmer auf
fünf Tage zu verteilen ... Arbeitszeit-
verteilungspläne über mehrere Wochen sind
zulässig. ..."
Teil des Tarifvertrages sind Durchführungsbestimmungen zu den einzelnen Paragraphen. In der Durchführungsbestimmung zu § 3 heißt es:
"2. Die durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit
entstehende Freizeit ist auf der Basis einer
Quartals-, Halbjahres- oder Jahresplanung,
die jeweils rechtzeitig durch Betriebsver-
einbarung zu regeln ist, wie folgt zu ver-
teilen:
a)Verteilung gleichmäßig (ergibt 38,5/37,5/
37 Stunden pro Woche) oder
b)bezahlte Freistellung in Stunden, verteilt
auf die Arbeitswochen des Quartals, Halb-
jahres oder Jahres oder
c)bezahlte Freistellung in Tagen, verteilt
auf die Arbeitswochen des Quartals, Halb-
jahres oder Jahres oder
d)Kombinationen aus b) bis c)."
Seit Einführung der 38,5-Stunden-Woche galt im Betrieb aufgrund eines Einigungsstellenspruchs vom 13. Januar 1986 folgende Arbeitszeitregelung:
Normalarbeitszeit:
Montag bis Donnerstag 7.00 - 16.00 Uhr
Freitag 7.00 - 12.45 Uhr
Schichtbereich
a) Frühschicht - Montag bis Donnerstag
6.00 - 14.15 Uhr
Freitag
6.00 - 12.45 Uhr
b) Spätschicht - Montag bis Donnerstag
14.00 - 22.15 Uhr
Freitag
12.30 - 19.15 Uhr.
Die Kernarbeitszeit begann um 9.00 Uhr und endete um 16.00 Uhr, die Gleitzeit lief von 7.00 Uhr bis 9.00 Uhr und 16.00 Uhr bis 18.00 Uhr.
Mit Schreiben vom 25. Juni 1987 wandte sich der Arbeitgeber an den Betriebsrat und teilte ihm mit, er benötige für die Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung die Vorstellungen des Betriebsrats. Er sei der Auffassung, es sei sowohl für den Betriebsrat als auch für die Geschäftsleitung von Vorteil, frühzeitig in Verhandlungen einzutreten. Der Betriebsrat erwiderte mit Schreiben vom 2. Juli 1987, für die Diskussion im Betriebsrat sei es von Bedeutung, die Vorstellungen der Geschäftsleitung kennenzulernen. Er werde im Herbst 1987 mit einem Vorschlag für die neue Arbeitszeit nach dem MTV der Druckindustrie auf die Geschäftsleitung zukommen. Es bedürfe einer angemessenen Zeit der Meinungsbildung im Betrieb; zur Zeit seien die Betriebsratsmitglieder zum Teil noch im Urlaub. Mit Schreiben vom 5. November 1987 hat der Betriebsrat seine Vorstellungen zur Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung dem Arbeitgeber mitgeteilt. Am 10. November 1987 erläuterte der Arbeitgeber erstmals, wie er sich die zukünftige Arbeitszeitregelung im Betrieb vorstelle. Nachdem dann in der Folgezeit die Verhandlungen über die Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung um eine Stunde ab dem 1. April 1988 scheiterten, beantragte der Arbeitgeber am 28. März 1988 beim Arbeitsgericht die Bestellung eines Vorsitzenden der Einigungsstelle über diese Frage. Mit Aushang vom 31. März 1988 teilte er der Belegschaft mit, er setze einstweilen vorläufig die Arbeitszeit einseitig fest, und zwar für die Normalarbeitszeit montags bis donnerstags von 7.00 Uhr bis 15.45 Uhr, für die Frühschicht montags bis donnerstags von 6.00 Uhr bis 14.00 Uhr und für die Spätschicht montags bis donnerstags von 13.45 Uhr bis 21.45 Uhr.
Bereits im Jahre 1985 hatte der Arbeitgeber die ab dem 1. April 1985 geltende wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden mangels Einigung der Betriebsparteien vor dem 1. April 1985 einseitig umgesetzt.
Mit dem vorliegenden Verfahren wendet sich der Betriebsrat gegen die einseitige Umsetzung der Verkürzung der Arbeitszeit.
Der Betriebsrat hat vorgetragen, wegen des zwingenden Mitbestimmungsrechts bei der Umsetzung der tariflichen Arbeitszeitverkürzung dürfe der Arbeitgeber diese nicht einseitig durchführen. Es liege weder ein Eil- noch ein Notfall vor. Die Eilbedürftigkeit der zu treffenden Maßnahme lasse ohnehin schon ein Mitbestimmungsrecht nicht entfallen.
Der Betriebsrat hat zunächst beantragt, dem Arbeitgeber aufzugeben, es zu unterlassen, die betriebliche Arbeitszeit einseitig ohne Zustimmung des Betriebsrats so festzulegen, daß die Normalarbeitszeit stattfindet in der Zeit von Montag bis Donnerstag 7.00 Uhr bis 15.45 Uhr, Freitag wie bisher 7.00 Uhr bis 12.45 Uhr und die Schichtarbeitszeit in der Frühschicht von Montag bis Donnerstag von 6.00 Uhr bis 14.00 Uhr und Freitag wie bisher von 6.00 Uhr bis 12.45 Uhr, in der Spätschicht Montag bis Donnerstag 13.45 Uhr bis 21.45 Uhr, Freitag wie bisher von 12.30 Uhr bis 19.15 Uhr, und die Sollarbeitszeit der Gleitzeit - Angestellte bei zunächst unveränderter Gleitzeitregelung - von Montag bis Donnerstag um eine Viertelstunde zu verringern.
Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Zur Begründung hat er vorgetragen, er sei zu der einseitigen vorläufigen Arbeitszeitregelung berechtigt, da er vor der Wahl gestanden habe, sich entweder tarifwidrig oder betriebsverfassungswidrig zu verhalten. Hierbei gehe seine Verpflichtung, sich tarifgemäß zu verhalten, vor. Er müsse sich nur eng an die bisherige Arbeitszeitregelung halten. Dies habe er getan.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts hat der Betriebsrat Beschwerde eingelegt und in dem Beschwerdeverfahren den weiteren Antrag gestellt, festzustellen, daß der Arbeitgeber nicht berechtigt ist, die betriebliche Arbeitszeit einseitig ohne Zustimmung des Betriebsrats bei tariflicher Änderung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit festzulegen.
Zur Begründung dieses allgemeinen Antrags hat er vorgetragen, er habe unabhängig von dem sich möglicherweise erledigenden Anlaßfall ein Rechtsschutzinteresse für die Feststellung, daß der Arbeitgeber bei einer tariflichen Arbeitszeitverkürzung nicht einseitig die Arbeitszeit und die Verteilung der neuen wöchentlichen Arbeitszeit festlegen könne, da der Arbeitgeber in den Jahren 1985 und 1987 bereits zweimal so verfahren sei und zu erkennen gegeben habe, daß er auch in der Zukunft nicht anders handeln werde.
Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen.
Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat den in der zweiten Instanz gestellten Feststellungsantrag weiter und stellt hilfsweise erstmals den Antrag festzustellen, daß der Arbeitgeber nicht berechtigt ist, die Lage der Arbeitszeit ohne Zustimmung des Betriebsrats bei tariflicher Änderung des Volumens der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer einseitig festzulegen. Mit diesem sogenannten Hilfsantrag soll nach der Rechtsbeschwerdebegründung nur präzisiert werden, daß der Feststellungsantrag dahingehend zu verstehen sei, daß mit der betrieblichen Arbeitszeit Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage für die Arbeitnehmer des Betriebes zu verstehen sei. Der Arbeitgeber beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
I. Der Feststellungsantrag des Betriebsrats (zu 1) ist zulässig.
1. Der Antrag ist auslegungsbedürftig und der Auslegung fähig.
Zu Recht hat der Verfahrensbevollmächtigte des Arbeitgebers darauf hingewiesen, daß der Begriff "betriebliche Arbeitszeit" mehrdeutig ist. Damit könnte auch gemeint sein, daß der Betriebsrat für sich ein Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit in Anspruch nimmt, obwohl ein Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit gerade nicht besteht (vgl. statt vieler: Senatsbeschluß vom 13. Oktober 1987, BAGE 56, 197 = AP Nr. 24 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit). Daß der Betriebsrat im vorliegenden Falle sich eines solchen Mitbestimmungsrechts nicht berühmt, ergibt sich aus dem Antrag selbst, denn er will festgestellt wissen, daß der Arbeitgeber nicht berechtigt ist, ohne Zustimmung des Betriebsrats bei tariflicher Änderung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit die betriebliche Arbeitszeit einseitig festzulegen. Betrachtet der Betriebsrat selber die wöchentliche Arbeitszeit als Vorgabe seines Mitbestimmungsrechts, so wird dadurch klar, daß er mit der Festlegung der betrieblichen Arbeitszeit nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage versteht. Um etwas anderes als die einseitige Festlegung des Beginns und des Endes der täglichen Arbeitszeit sowie der Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelne Wochentage ist es während des ganzen Rechtsstreits nicht gegangen. Dem Wortlaut des Antrags könnte entnommen werden, der Betriebsrat begehre festzustellen, daß der Arbeitgeber auch dann nicht einseitig die tariflich verkürzte wöchentliche Arbeitszeit im Betrieb umsetzen dürfe, wenn die bisherige betriebliche Arbeitszeitordnung tarifwidrig wird. Dies entspricht jedoch nicht dem Willen des Betriebsrats. Wie sich aus seiner Begründung des Antrags ergibt, ist er vielmehr der Auffassung, der Manteltarifvertrag sei so ausgestaltet, daß die bisherige Arbeitszeitordnung infolge der tariflichen Änderung der wöchentlichen Arbeitszeit nicht tarifwidrig werde. Nur für diese Fälle bestreitet der Betriebsrat dem Arbeitgeber das Recht, die veränderte wöchentliche Arbeitszeit vorläufig einseitig umzusetzen (auf die einzelnen Wochentage zu verteilen und Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit festzusetzen).
2. Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers hat der Betriebsrat auch ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung, daß der Arbeitgeber nicht einseitig Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit festlegen darf, wenn durch einen Tarifvertrag die wöchentliche Arbeitszeit geändert wird und die Betriebsparteien nicht rechtzeitig sich auf eine neue Arbeitszeitregelung geeinigt haben. Denn der Arbeitgeber hat bereits zweimal in der Vergangenheit bei tariflichen Arbeitszeitverkürzungen einseitig Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Tage vorläufig festgelegt und will dies auch in der Zukunft tun, wenn die Betriebsparteien sich nicht vor Inkrafttreten einer Tarifänderung geeinigt haben.
3. Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers begehrt der Betriebsrat vorliegend kein Rechtsgutachten. Zwischen den Betriebsparteien besteht ein akuter Streit über eine Rechtsfrage, deren Klärung für die Zukunft gerade in diesem Betrieb von großer Bedeutung ist. Gerade für diese Fälle hat der Senat entschieden, daß auch losgelöst vom Anlaßfall im Beschlußverfahren die Feststellung beantragt werden kann, daß ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats besteht bzw. nicht besteht (vgl. Senatsbeschluß vom 18. Februar 1986, BAGE 51, 151 = AP Nr. 33 zu § 99 BetrVG 1972 und Senatsbeschluß vom 18. Oktober 1988 - 1 ABR 26/87 - AP Nr. 56 zu § 99 BetrVG 1972). Das Feststellungsinteresse ist immer zu bejahen, wenn unter den Beteiligten Streit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Beteiligungsrechts besteht (vgl. Senatsbeschluß vom 13. Oktober 1987, aaO und Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 81 Rz 31, m.w.N.).
Ob ein Antrag eng oder weit formuliert wird, berührt nicht dessen Zulässigkeit, wie der Verfahrensbevollmächtigte des Arbeitgebers meint, sondern dessen Begründetheit. Wenn nur ein denkbarer Fall von dem gestellten Antrag nicht gedeckt wird, ist der Antrag insgesamt abzuweisen. Deshalb ist die Sorge des Arbeitgebers nicht begründet, durch einen "Globalantrag" könne das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausgedehnt werden.
II. Der Antrag ist auch begründet.
1. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Vorliegend ist dieses Mitbestimmungsrecht durch den Tarifvertrag nur insoweit eingeschränkt, als der Tarifvertrag für die Verteilung der verkürzten wöchentlichen Arbeitszeit die Betriebsparteien auf vier abschließende Grundmodelle verweist.
2. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats entfällt nicht in sogenannten Eilfällen. Das hat der Senat in ständiger Recht-sprechung entschieden (vgl. statt vieler: Senatsbeschluß vom 2. März 1982, BAGE 38, 96 = AP Nr. 6 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 16. Aufl., § 87 Rz 21; Wiese, GK-BetrVG , 4. Aufl., § 87 Rz 113; Dietz/ Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rz 40 f., alle m.w.N.). Bereits zur Zeit des BetrVG 1952 war diese Frage umstritten. Trotz der damals geführten Diskussion hat der Gesetzgeber keinen Anlaß gesehen, für Eilfälle eine Ausnahme vom Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten zuzulassen. Bei anderen Beteiligungsrechten hat er dies getan, insbesondere bei § 100 BetrVG, der dem Arbeitgeber ermöglicht, die zustimmungspflichtigen personellen Einzelmaßnahmen vorläufig ohne Zustimmung des Betriebsrats durchzuführen, wenn dies aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist. Ebenso hat der Gesetzgeber dem Kapitän in Angelegenheiten, die der Mitbestimmung der Bordvertretung unterliegen, das Recht eingeräumt, vorläufige Regelungen zu treffen, wenn dies zur Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Schiffsbetriebs dringend erforderlich ist. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber ausgerechnet bei dem am stärksten ausgestalteten Beteiligungsrecht des Betriebsrats in § 87 BetrVG das Problem übersehen hat.
3. Diskutiert wird ein Recht des Arbeitgebers für einseitige Anordnungen nur in sogenannten Notfällen, in denen sofort gehandelt werden muß, um von dem Betrieb oder den Arbeitnehmern Schaden abzuwenden und in denen entweder der Betriebsrat nicht erreichbar ist oder keinen ordnungsgemäßen Beschluß fassen kann. Schon dem Grundsatz der vertrauensvollen Arbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) kann entnommen werden, daß in solchen extremen Notsituationen der Arbeitgeber das Recht hat, vorläufig zur Abwendung akuter Gefahren oder Schäden eine Maßnahme durchzuführen, wenn er unverzüglich die Beteiligung des Betriebsrats nachholt.
4. Vorliegend bestand für den Arbeitgeber kein Notfall. Die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf die Wochentage und Arbeitsbeginn sowie -ende an den Wochentagen war geregelt durch die Betriebsvereinbarung vom 13. Januar 1986.
Diese Arbeitszeitregelung galt mangels einer Einigung der Betriebsparteien über eine neue Arbeitszeitregelung zunächst über den 1. April 1988 hinaus weiter, selbst wenn davon ausgegangen wird, die Betriebsvereinbarung vom 13. Januar 1986 wirke nicht nach, weil sie durch Zweckerfüllung abgelaufen sei. Gegen eine Nachwirkung spricht, daß die Betriebsvereinbarung 1986 ausdrücklich zur Umsetzung der Arbeitszeitverkürzung auf 38,5 Stunden nach dem MTV Druck geschlossen wurde. Für eine Nachwirkung spricht aber, daß der Zweck einer Betriebsvereinbarung nur dann erfüllt ist, wenn der Regelungsgegenstand entfallen ist, z.B. eine Sozialeinrichtung aufgelöst wurde über deren Verwaltung eine Betriebsvereinbarung besteht. In den Fällen, in denen - wie vorliegend - der Regelungsgegenstand weiterbesteht, der Inhalt der Betriebsvereinbarung aber wegen einer Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen angepaßt werden soll, erfüllt die Nachwirkung gerade ihren Zweck, die bisherige betriebliche Regelung zu erhalten, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt wird.
Der Senat hat die Frage, ob die Betriebsvereinbarung 1986 nach § 77 Abs. 6 BetrVG über den 1. April 1988 nachgewirkt hat, nicht abschließend entscheiden müssen. Nach Überzeugung des Senats würde nämlich auch ein Ablaufen der Betriebsvereinbarung wegen Zweckerfüllung nicht dazu führen, daß für den Betrieb die Arbeitszeit vorübergehend ungeregelt wäre, so daß jeder Arbeitnehmer zu jeder beliebigen Zeit die Arbeit aufnehmen und beenden könnte. Vielmehr bleibt die bisher durch Betriebsvereinbarung geregelte Arbeitszeitordnung als betriebliche Arbeitszeitordnung bestehen, bis sich die Betriebsparteien auf eine Verteilung der verkürzten wöchentlichen Arbeitszeit geeinigt haben bzw. die Einigungsstelle einen Beschluß gefaßt hat. Erst wenn die bisherige Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage tarifwidrig wird, stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber diese einseitig ändern kann.
5. Die bisherige betriebliche Arbeitszeitordnung wurde auch nicht am 1. April 1988 tarifwidrig. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts befand sich der Arbeitgeber nicht in der Zwangslage, sich entweder tarifwidrig oder betriebsverfassungswidrig zu verhalten. Die Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV, die Teil des Tarifvertrages sind, überlassen den Betriebsparteien die Umsetzung der Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit und geben ihnen hierfür die Auswahl zwischen vier Alternativen. Eine besteht darin, es bei der bisherigen betriebsüblichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden zu belassen und dafür den Arbeitnehmern bezahlte freie Tage oder freie Stunden zu gewähren, jeweils verteilt auf die Arbeitswochen des Quartals, Halbjahres oder Jahres. Die Einigung zwischen den Betriebsparteien erst nach Inkrafttreten der Arbeitszeitverkürzung auf 37,5 Stunden ab 1. April 1988 hat nur zur Folge, daß die Betriebsparteien eine von vier Alternativen,nämlich die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit gleichmäßig zu verteilen, für die Vergangenheit nicht mehr in Anspruch nehmen können, so daß für eine vorübergehende Zeit auf jeden Fall ein Freizeitanspruch entsteht. Ein Notfall käme nur dann in Betracht, wenn die bisherige betriebliche Arbeitszeitordnung tarifwidrig geworden wäre.
Dementsprechend war dem Antrag mit der Einschränkung stattzugeben, der Arbeitgeber sei bei tariflicher Änderung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit nicht berechtigt, Anfang und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage ohne Zustimmung des Betriebsrats einseitig festzulegen, solange die bisherige Verteilung der Arbeitszeit nach dem neuen Tarifvertrag beibehalten werden kann.
Matthes Dr. Weller Dr. Steckhan
Koerner Dr. Giese
Fundstellen
Haufe-Index 436831 |
DB 1991, 2043-2044 (LT1) |
AiB 1991, 431 (LT1) |
BetrVG EnnR BetrVG § 87 Abs 1, Nr 2 (9) (LT1) |
NZA 1991, 609-611 (LT1) |
RdA 1991, 192 |
SAE 1992, 320-323 (LT1) |
AP § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit (LT1), Nr 42 |
EzA § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, Nr 46 (LT1) |
PersR 1991, 309-310 (LT1) |
VersR 1991, 905 (L) |