Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmitteleinlegung durch Telefax – Begründungsfrist
Leitsatz (amtlich)
Geht eine Berufung vorab durch Telefax und anschließend noch innerhalb der Berufungsfrist im Original beim Berufungsgericht ein, so richtet sich die Frist zur Begründung der Berufung nach dem Eingang der Original-Berufungsschrift (wie BGH Beschluß vom 20. September 1993 - II ZB 10/93 - AP Nr. 62 zu § 518 ZPO und entgegen LAG Schleswig-Holstein Beschluß vom 18. März 1999 - 4 Sa 71/98 -).
Normenkette
ZPO §§ 518-519
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 18. März 1999 - 4 Sa 71/98 - aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsbeschwerde, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I. Der Beklagte war bei den Klägern als Fahrlehrer beschäftigt. Er hat vereinnahmte Fahrschulgelder in zwischen den Parteien streitigem Umfang unterschlagen. Die Kläger fordern Schadensersatz in Höhe von 250.000,00 DM.
Das Arbeitsgericht hat den Beklagten mit Teilurteil vom 9. Dezember 1997 zur Zahlung von 107.624,00 DM verurteilt. Dieses Teilurteil ist dem Beklagten am 13. Januar 1998 zugestellt worden. Der Beklagte hat mit einem beim Landesarbeitsgericht am 12. Februar 1998 eingegangenen Telefax Berufung eingelegt. Das Original der Berufungsschrift ging am 13. Februar 1998 beim Landesarbeitsgericht ein. Mit am 13. März 1998 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz (Telefax) hat der Beklagte die Berufung begründet.
Das Landesarbeitsgericht hat durch Beschluß vom 18. März 1999 die Berufung des Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Es hat ausgeführt, die Berufungsbegründung hätte zur Fristwahrung bereits am 12. März 1998 eingehen müssen, und den vorsorglich gestellten Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten für unbegründet erachtet. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revisionsbeschwerde begehrt der Beklagte die Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses.
II. Die Revisionsbeschwerde ist begründet. Die Berufung des Beklagten ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts zulässig, sie wurde insbesondere rechtzeitig begründet. Der Wiedereinsetzungsantrag ist deshalb gegenstandslos.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt mangels abweichender Anhaltspunkte die mehrfache Einlegung eines einheitlichen Rechtsmittels vor, wenn per Telefax zulässigerweise Berufung eingelegt und innerhalb der Berufungsfrist auch das Original des Schriftsatzes bei Gericht eingereicht wird. Danach ist die zusätzliche Einreichung der Berufungsschrift dahin zu verstehen, daß der Rechtsmittelführer den bekannten Unsicherheiten der fernmeldetechnischen Übermittlung seines Schriftsatzes Rechnung tragen und vorsorglich das Rechtsmittel erneut einlegen will. Es gelten die in der Rechtsprechung entwickelten Regeln über die wiederholte Rechtsmitteleinlegung. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels kann nur unter Berücksichtigung der mehreren, in ihrer Wirksamkeit voneinander abhängigen Einlegungsakte entschieden werden. Die zunächst wirkungslose zweite Einlegung wird wirksam, wenn die per Telefax eingelegte Berufung ihre Wirksamkeit verliert (BGH Beschluß vom 20. September 1993 - II ZB 10/93 - AP Nr. 62 zu § 518 ZPO = NJW 1993, 3141, m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen hat der Bundsgerichtshof (aaO) für den Lauf der Berufungsbegründungsfrist nicht auf das vorab eingereichte Fax, sondern auf den noch innerhalb der Berufungsfrist bewirkten Eingang der Original-Berufungsschrift abgestellt.
2. Diese Rechtsprechung hat in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden (u.a. Thomas/Putzo, ZPO, 21. Aufl., § 518 Rz 10; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 57. Aufl., § 518 Rz 18; Musielak/Ball, ZPO, § 518 Rz 23 f.; vgl. auch Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 518 Rz 9 ff.; MünchKomm ZPO-Rimmelspacher, § 518 Rz 36 ff.).
3. Bedenken gegen die Rechtsprechung hat vor allem Gummer erhoben: Die Telekopie betreffe nur die Art einer verkürzten Übermittlung zum Zwecke der Zeitersparnis. Demgemäß lasse sich die Bedeutung der telekopischen Übermittlung durchaus auf die Fristfrage beschränken. Im übrigen könne maßgeblich auf die Originalschrift abgestellt werden. Erforderlich wäre dann, daß die Originalschrift, wie in der Praxis weitgehend üblich, nachträglich zu den Akten gegeben werde, wofür auch Gründe der Aktensicherung sprächen. Bei einer derartigen Anwendung der Technik der Telekopie würde die Ungereimtheit der BGH-Rechtsprechung vermieden, welche die technischen Abläufe und den Willen des Rechtsmittelführers auf den Kopf stelle. Es könne keine Rede sein, daß der Rechtsmittelführer das gleiche Rechtsmittel zweimal einlege, indem er den Rechtsmittelschriftsatz vorweg mittels Telefax und zugleich im herkömmlichen Postweg übermittle. Es liege vielmehr ein und dieselbe (einzige) Rechtsmittelerklärung vor, die jedoch, in der Regel aus Gründen der Frist, vorweg elektronisch übermittelt werde (Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl., § 518 Rz 18 b, 18 c). Auf diese Erwägungen stützt auch das Berufungsgericht seine Annahme, die Berufungsbegründung sei im Streitfalle verspätet.
4. Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an. Die dargestellten Bedenken greifen nicht durch.
a) Nach § 518 Abs. 1 ZPO wird die Berufung durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. § 518 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO stellt bestimmte Anforderungen an die Berufungsschrift. Danach ist für das Rechtsmittel in erster Linie der Eingang der vom Prozeßvertreter ordnungsgemäß unterzeichneten Original-Rechtsmittelschrift maßgebend. Mit dem technischen Fortschritt werden zwar – soweit nötig – neue Übertragungswege zugelassen. Die Originalschrift verliert dadurch aber nicht ohne weiteres ihre eigentliche Bedeutung. Es hieße, die Verhältnisse auf den Kopf zu stellen, die Einreichung der Original-Rechtsmittelschrift innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist nicht als selbständigen Einlegungsakt zu würdigen.
b) Dementsprechend dienen Fax oder Telegramm der schnellen und sicheren Übermittlung, um eine Frist in jedem Falle zu wahren. Es handelt sich um eine letztlich dem technischen Fortschritt geschuldete und deshalb zulässige Vorabübemittlung, die der Einreichung der Original-Rechtsmittelschrift möglichst nahekommen muß, ohne aber deren Anforderungen und deren Sicherheit erreichen zu können (vgl. nur BAG Urteil vom 27. März 1996 - 5 AZR 576/94 - AP Nr. 67 zu § 518 ZPO, zu I 3 b der Gründe = NJW 1996, 3164, 3165). Die eigentliche Rechtsmittelschrift dient deshalb nicht lediglich der Akten- oder Beweissicherung, ihr kommt vielmehr eine eigene Qualität zu. Es entspricht nach Überzeugung des Senats dem Willen des Rechtsmittelführers, die Übersendung der Originalschrift solle rechtliche Bedeutung jedenfalls dann haben, wenn die Vorabübermittlung, aus welchen Gründen auch immer, dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen kann. Das müssen auch das Rechtsmittelgericht und die übrigen Prozeßbeteiligten so sehen.
c) Damit wird den Bedenken von Gummer (aaO) wenigstens teilweise Rechnung getragen: Maßgebend ist der Originalschriftsatz, der alle Anforderungen an eine zulässige Berufung erfüllt. Nach ihm richtet sich die Frist zur Begründung der Berufung. Das Fax zur Fristwahrung ist gegenstandslos, weil es weder zur Fristwahrung noch aus einem anderen Grunde erforderlich war, wie sich nachträglich herausgestellt hat. Die Bedeutung des Fax beschränkt sich somit im Ergebnis auf die Wahrung der Frist, wenn der Originalschriftsatz nicht rechtzeitig eingeht.
d) Dieses Verständnis zum Verhältnis von Rechtsmitteleinlegung und Vorabübermittlung durch Fax steht nicht im Widerspruch zum Urteil des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 17. Oktober 1995 (- 3 AZR 863/94 - AP Nr. 66 zu § 518 ZPO = NJW 1996, 1365, 1366). In der genannten Entscheidung ging es um die nachträgliche Zusendung von beglaubigten Abschriften der Rechtsmittelschrift. Wie die Einreichung einer weiteren Berufungsschrift per Brief zu verstehen ist, hat der Dritte Senat ausdrücklich offengelassen (aaO, zu I 2 d der Gründe).
III. Da das Berufungsgericht die Berufung somit zu Unrecht als unzulässig verworfen hat, muß der angefochtene Beschluß aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat nunmehr in der Sache über den Schadensersatz zu entscheiden.
IV. Streitwert: 107.624,00 DM.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch
Fundstellen
Haufe-Index 436086 |
BB 1999, 1766 |
DB 1999, 1812 |
NJW 1999, 2989 |
NWB 1999, 2914 |
EBE/BAG 1999, 106 |
NVwZ 1999, 1260 |
ARST 1999, 284 |
CR 2000, 303 |
FA 1999, 262 |
FA 1999, 298 |
NZA 1999, 895 |
SAE 2000, 82 |
ZTR 1999, 480 |
AP, 0 |
AuA 2000, 505 |
DVP 1999, 482 |
Consultant 1999, 12 |
MittRKKöln 1999, 333 |
RdW 1999, 628 |
LL 1999, 718 |