Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff der Versetzung
Leitsatz (redaktionell)
Der andere Arbeitsbereich im Sinne von § 95 Abs 3 BetrVG kann auch durch die Umstände bestimmt werden, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Seine gegenteilige Ansicht aus dem Beschluß vom 10. April 1984 - 1 ABR 67/82 - (AP Nr 4 zu § 95 BetrVG 1972) gibt der Senat auf.
Orientierungssatz
Ist in der Zuweisung eines dreiachsigen Lkw mit nur 12,5 t Ladegewicht anstelle eines vierachsigen Sattelschleppers mit 21 t Zuladungsgewicht eine Versetzung im Sinne des § 95 Abs 3 Satz 1 BetrVG zu sehen?
Normenkette
BetrVG § 95 Abs. 3, § 99 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 22.01.1987; Aktenzeichen 13 (11) TaBV 134/86) |
ArbG Oberhausen (Entscheidung vom 14.10.1986; Aktenzeichen 2 BV 14/86) |
Gründe
A. Der Betriebsrat verlangt vom Arbeitgeber die Aufhebung einer personellen Maßnahme, die er als Versetzung ansieht.
Der von dieser Maßnahme betroffene Arbeitnehmer M wurde am 4. Juni 1956 von einer Konsumgenossenschaft für deren E Fuhrpark als Kraftfahrer eingestellt. In den ersten vier Wochen fuhr er als Beifahrer, ab Juli 1956 wurde er als Fahrer - mit Beifahrer und Reservefahrer - auf verschiedenen LKW-Typen eingesetzt. Von 1963 bis 1973 fuhr er bestimmte Touren jeweils vom Fuhrpark E aus mit einem ihm persönlich zugewiesenen LKW. Im Sommer 1973 erhielt er im gegenseitigen Einvernehmen einen Sattelschlepper mit 21 t Zuladungsgewicht zugewiesen. Die für den Fuhrpark E zuständige Personalleitung der damaligen Konsumgenossenschaft eGmbH bestätigte unter dem 11. September 1973 die einvernehmlich erzielte Regelung:
Wir nehmen Bezug auf die zwischen Ihnen und Ihrem
Vorgesetzten geführten Gespräche und möchten heute
bestätigen, daß Ihr Lohn ab 1.9.1973 sich wie
folgt zusammensetzt:
Grundlohn gem. Tarif mtl. DM 1.218,--
AT-Zulage " 32,--
------------
DM 1.250,--
Prämienpauschale DM 500,--
Alleinfahrerzulage für " 200,--
Sattelschlepper ------------
DM 1.950,--
============
Die Prämienpauschale von DM 500,-- ist eine Mindestprämie.
Die Zulage für das Alleinfahren in Höhe von DM 200,-- ist
selbstverständlich nur und ausschließlich mit Ihrer
Tätigkeit als Fahrer eines Sattelschleppers verbunden.
Die übrigen Fahrer erhielten demgegenüber nach Maßgabe einer Betriebsvereinbarung vom 28. November 1972 keine pauschalierte, sondern eine auf jeden einzelnen Tag abstellende Alleinfahrerprämie von 12,50 DM. Als im Jahr 1985 der Arbeitgeber - wie in zahlreichen anderen Fällen - auch die Betriebsvereinbarung über die arbeitstägliche Alleinfahrerprämie kündigte, um betriebliche Sozialleistungen abzubauen, stellte er auch die Zahlung der individuell vereinbarten, pauschalierten "Alleinfahrerzulage für Sattelschlepper" ein. Mit Schreiben vom 27. Januar 1986 teilte er dies dem Betroffenen mit. Als der Betroffene Klage auf Weiterzahlung der Zulage bis einschließlich August 1986 erhob, wurde ihm die Zuweisung eines kleineren Lastkraftwagens angekündigt. Am 1. September 1986 ist dem betroffenen Arbeitnehmer vom Arbeitgeber tatsächlich ein kleinerer, dreiachsiger LKW mit 12,5 t Zuladungsgewicht zugeteilt worden.
Mit der am 9. September 1986 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift hat der Betriebsrat zunächst die Nichtigkeit dieser Maßnahme geltend gemacht und die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers M als Sattelschlepperfahrer verlangt.
Er sieht die Änderung des Einsatzes des Betroffenen M als Versetzung an und rügt das Fehlen seiner Beteiligung.
Er hat zuletzt beantragt,
dem Arbeitgeber aufzugeben, die Personalmaßnahme
bezüglich des Beschäftigten M aufzuheben.
Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, die Maßnahme sei durch sein Direktionsrecht gedeckt. Eine Konkretisierung der vertraglichen Beschäftigungspflicht auf das Fahren von Sattelschlepperfahrzeugen sei nicht eingetreten. Von daher stehe es ihm frei, den Arbeitnehmer M zum Fahren aller im Fuhrpark vorhandenen Lastkraftwagen einzusetzen.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Die Beschwerde des Arbeitgebers ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber seinen Abweisungsantrag weiter.
B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann dem Aufhebungsantrag des Betriebsrats nicht stattgegeben werden. Zur endgültigen Entscheidung bedarf es noch weiterer tatsächlicher Feststellungen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß in der Zuweisung eines dreiachsigen LKW mit nur 12,5 t Ladegewicht anstelle eines vierachsigen Sattelschleppers mit 21 t Zuladungsgewicht eine Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zu sehen sei, die nach § 99 Abs. 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats bedurft habe.
Dabei ist das Landesarbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, daß das Betriebsverfassungsgesetz in § 95 Abs. 3 BetrVG einen eigenen Versetzungsbegriff enthält, dessen Inhalt nicht davon abhängig ist, ob der Arbeitgeber aufgrund des Einzelarbeitsvertrags zur "Versetzung" des Arbeitnehmers befugt ist oder nicht. Danach ist eine Versetzung die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs liegt dann vor, wenn dem Arbeitnehmer ein neuer Tätigkeitsbereich zugewiesen wird, so daß der Gegenstand der nunmehr geforderten Arbeitsleistung, der Inhalt der Arbeitsaufgabe, ein anderer wird und sich das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers ändert (BAG Beschluß vom 10. April 1984 - 1 ABR 67/82 - AP Nr. 4 zu § 95 BetrVG 1972).
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer Versetzung in diesem Sinne dient sowohl dem Schutz des zu versetzenden Arbeitnehmers als auch dem Schutz der übrigen Belegschaft vor den sie möglicherweise berührenden Folgen der Versetzung (BAG Beschluß vom 30. April 1981, BAGE 35, 228 = AP Nr. 12 zu § 99 BetrVG 1972). Das macht der Katalog der Zustimmungsverweigerungsgründe in § 99 Abs. 2 BetrVG deutlich. Dann kann aber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei einer Versetzung nicht davon abhängig sein, ob diese Versetzung dem Arbeitnehmer gegenüber individual-rechtlich zulässig ist, der Arbeitgeber also kraft seines Direktionsrechts dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsbereich zuweisen kann. Vom betriebsverfassungsrechtlichen Versetzungsbegriff können daher auch Maßnahmen erfaßt werden, die im betrieblichen Sprachgebrauch "Umsetzungen" genannt werden und die in den Grenzen des arbeitsvertraglich Zulässigen Ort und/oder Art der Tätigkeit ändern.
2. Von diesem rechtlich zutreffenden Ausgangspunkt ist das Landesarbeitsgericht in seinen weiteren Ausführungen abgewichen. Es hat in der Zuweisung eines kleineren Fahrzeuges an den Arbeitnehmer M eine Änderung des Gesamtbildes seiner Tätigkeit deswegen gesehen, weil ihm damit eine übertragene höherwertige Tätigkeit entzogen worden sei. Die Höherwertigkeit der früher ausgeübten Tätigkeit hat es daraus geschlossen, daß der Arbeitnehmer M für seine bisherige Tätigkeit eine "Alleinfahrerzulage für Sattelschlepper" bezogen habe, die den Charakter einer Funktionszulage habe und wie eine Beförderung die bessere Stellung des Arbeitnehmers M im Fuhrpark dokumentiere.
Damit hat das Landesarbeitsgericht allein auf den Inhalt des Arbeitsvertrages des Arbeitnehmers M abgestellt. Seine Begründung, die "Alleinfahrerzulage für Sattelschlepper" dokumentiere eine bessere Stellung, ist schon deswegen nicht haltbar, weil auch die anderen Kraftfahrer "eine Alleinfahrerzulage" erhalten haben, die zwar nur tageweise gezahlt wurde, im Monat jedoch sich u.U. auf einen höheren Betrag belaufen konnte als die dem Arbeitnehmer M gezahlte pauschalierte Zulage.
Schon wegen dieses Rechtsfehlers muß die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben werden.
3. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Zur Beantwortung der Frage, ob mit der Zuweisung eines kleineren LKW dem Arbeitnehmer M ein neuer Tätigkeitsbereich zugewiesen worden ist, so daß der Gegenstand der von ihm geforderten Arbeitsleistung, der Inhalt seiner Arbeitsaufgabe ein anderer geworden ist und das Gesamtbild seiner Tätigkeit sich geändert hat, bedarf es weiterer Feststellungen.
Ob ein anderer Tätigkeitsbereich zugewiesen worden ist, beurteilt sich ausschließlich nach den objektiv vorliegenden tatsächlichen Verhältnissen im Betrieb. Es kommt darauf an, ob sich die Tätigkeiten des Arbeitnehmers vor und nach der Zuweisung so voneinander unterscheiden, daß die neue Tätigkeit in den Augen eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters als eine andere angesehen werden kann. Der Begriff des Arbeitsbereichs wird in § 81 BetrVG durch die Aufgabe und Verantwortung sowie die Art der Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs umschrieben. Welche Arbeitsbereiche in einem Betrieb vorhanden sind, ergibt sich aus der jeweils geltenden Organisation des Betriebes. In jedem Arbeitsbereich treten ständig Änderungen ein, die die Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers nach § 81 BetrVG auslösen. Nicht jede dieser Veränderungen stellt jedoch eine Versetzung dar, die der Zustimmung des Betriebsrats bedarf. Die Veränderung muß so erheblich sein, daß ein "anderer Arbeitsbereich" angenommen werden kann, das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers muß sich geändert haben.
Ob in diesem Sinne der Alleinfahrer eines Sattelschleppers einen anderen Arbeitsbereich hat als ein sonstiger Kraftfahrer, kann der Senat nach dem Vorbringen der Beteiligten nicht beurteilen. Es erscheint möglich, daß Alleinfahrer von Sattelschleppern im Betrieb des Arbeitgebers aufgrund ihrer Tätigkeit, Aufgabe und Verantwortung eine andere Stellung einnehmen als die übrigen Kraftfahrer, die vielleicht nur gelegentlich einen Sattelschlepper allein fahren. Dann würde in der Zuweisung eines kleineren Kraftfahrzeugs die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs liegen.
Ein anderer Arbeitsbereich kann auch dadurch gekennzeichnet sein, daß sich die Umstände der Arbeit, unter denen diese zu leisten ist, erheblich ändern. Zwar kommt es nach dem Wortlaut der Regelung in § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG auf die erhebliche Änderung der Umstände nur dann an, wenn die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs voraussichtlich die Dauer von einem Monat nicht überschreitet. Es wäre jedoch widersprüchlich und würde dem dargelegten Sinn des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei Versetzungen widersprechen, wenn die kurzfristige erhebliche Änderung der Arbeitsumstände eine mitbestimmungspflichtige Versetzung wäre, die längerfristige jedoch nicht (Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 99 Rz 78; Hönn, Anm. zu AP Nr. 4 zu § 95 BetrVG 1972; Belling, DB 1985, 335, 338). Der Senat gibt daher seine gegenteilige Ansicht aus dem Beschluß vom 10. April 1984 (- 1 ABR 67/82 - AP Nr. 4 zu § 95 BetrVG 1972) auf.
Der Betriebsrat hat geltend gemacht, daß sich die Umstände, unter denen die Arbeit auf einem Sattelschlepper und einem kleineren Kraftfahrzeug zu verrichten ist, erheblich unterscheiden. Auch dieses Vorbringen kann von Bedeutung sein. Das Landesarbeitsgericht hat dazu keine Feststellungen getroffen.
Der Rechtsstreit war daher an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
Dr. Kissel Matthes Dr. Weller
Dr. Münzer Lappe
Fundstellen
Haufe-Index 436763 |
BB 1988, 2100-2101 (LT1) |
DB 1988, 2158-2158 (LT1) |
BetrR 1988, Nr 6/7, 14-16 (LT1) |
ARST 1989, 3-4 (LT1) |
JR 1989, 132 |
NZA 1989, 438-439 (LT1) |
RdA 1988, 382 |
AP § 95 BetrVG 1972 (LT1), Nr 13 |
AR-Blattei, ES 1700 Nr 12 (LT1) |
AR-Blattei, Versetzung des Arbeitnehmers Entsch 12 (LT1) |
EzA § 95 BetrVG 1972, Nr 13 (LT1) |
JuS 1989, 848-849 (LT1) |