Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifauslegung. Verfallfristen
Normenkette
Manteltarifvertrag vom 22. September 1990 für Redakteure an Zeitschriften in der Bundesrepublik Deutschland und im Lande Berlin § 15
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 23. Oktober 1997 – 4 Sa 1033/96 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger war seit 1. Januar 1993 als Redakteur in der Münchener Redaktion der Beklagten, einem Zeitschriftenverlag, zu einem Monatsgehalt von 5.800,00 DM brutto beschäftigt. Laut Arbeitsvertrag war die Geltung des Manteltarifvertrags für Redakteure an Zeitschriften vereinbart.
Eine Kündigung der Beklagten vom 16. November 1993 zum 31. Dezember 1993 ist rechtskräftig durch Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19. Oktober 1994 (26 Ca 18133/93) für unwirksam erklärt worden. Die von der Beklagten zunächst eingelegte Berufung gegen dieses Urteil (8 Sa 170/95 LAG München) wurde von dieser mit Schriftsatz vom 21. Februar 1995 zurückgenommen. Während des gesamten Jahres 1994 war der Kläger arbeitslos und erhielt von der Bundesanstalt für Arbeit Arbeitslosengeld in Höhe von 16.225,84 DM. Mit Schreiben seiner Prozeßbevollmächtigten vom 28. März 1995 ließ der Kläger die Beklagte auffordern, ihm seine seit 1. Januar 1994 zustehenden Bezüge abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengelds abzurechnen und zur Auszahlung zu bringen. Da die Beklagte trotz Mahnungen nicht zahlte, erhob der Kläger im August 1995 die vorliegende Zahlungsklage, mit der er – soweit für die Revisionsinstanz noch von Belang – die monatliche Vergütung von 5.800,00 DM für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1994 sowie das Weihnachtsgeld für 1993 und 1994 mit jeweils 5.800,00 DM geltend macht. Die Beklagte hat sich darauf berufen, diese Ansprüche seien aufgrund der tariflichen Ausschlußfrist verfallen.
Die maßgebliche Regelung in § 15 des Manteltarifvertrages vom 22. September 1990 für Redakteure an Zeitschriften in der Bundesrepublik Deutschland und im Lande Berlin (im folgenden MTV) hat folgenden Wortlaut:
“1. Mit Ausnahme der Regelung für die Versicherung (§ 8) sind nicht erfüllte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen. Lehnt eine Partei die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs schriftlich ab, so muß dieser innerhalb eines halben Jahres nach Fälligkeit gerichtlich geltend gemacht werden. Durch eine Kündigungsschutzklage werden die Fristen, die für eine Lohnklage gelten, nicht berührt. Bei späterer Geltendmachung als nach Satz 1 und Satz 2 ist die in Anspruch genommene Partei berechtigt, die Erfüllung zu verweigern.
2. Wird die schriftliche Ablehnung nicht erteilt, kann der Anspruchsberechtigte klagen, auch wenn die Halbjahresfrist verstrichen ist. Wird der geltend gemachte Anspruch nach Ablauf eines halben Jahres nach Fälligkeit abgelehnt, so kann die/der Anspruchsberechtigte innerhalb von drei Monaten nach Erteilung der schriftlichen Ablehnung klagen. Erklärt die/der Anspruchsverpflichtete die schriftliche Ablehnung so kurz vor Ablauf der Halbjahresfrist, daß die/der Anspruchsberechtigte nicht mehr innerhalb derselben klagen kann, so kann sich die/der Anspruchsverpflichtete nicht auf den Fristablauf berufen, wenn die/der Anspruchsberechtigte innerhalb von drei Wochen nach Empfang der schriftlichen Ablehnung Klage erhebt.
3. …
4. Vergütungsansprüche, die während eines Rechtsstreits fällig werden und von seinem Ausgang abhängen, sind innerhalb von drei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Rechtsstreits geltend zu machen.”
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, § 15 Ziff. 4 MTV enthalte für Lohnansprüche, die vom Ausgang eines Kündigungsrechtsstreits abhingen, die speziellere Regelung im Vergleich zu § 15 Ziff. 1 Satz 3 MTV; er habe daher nach Rücknahme der Berufung der Beklagten im Kündigungsrechtsstreit mit der schriftlichen Aufforderung vom 28. März 1995 die Verfallfrist nach dem Tarifvertrag gewahrt.
Der Kläger hat – soweit noch in der Revisionsinstanz anhängig – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 81.200,00 DM brutto abzüglich 16.225,84 DM Arbeitslosengeld zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag sich darauf berufen, § 15 Ziff. 1 Satz 3 MTV stelle umgekehrt die speziellere Regelung gegenüber § 15 Ziff. 4 MTV dar, so daß der Kläger die jetzt noch anhängigen Ansprüche jeweils während des Kündigungsrechtsstreits hätte geltend machen und rechtzeitig einklagen müssen.
Das Arbeitsgericht hat hinsichtlich der jetzt noch anhängigen Ansprüche die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht insoweit die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und nach dem vorstehenden Klageantrag erkannt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, daß die aus §§ 615, 293 f. BGB hergeleiteten Ansprüche des Klägers nicht nach § 15 MTV verfallen sind. Die Auslegung dieser Vorschrift durch das Landesarbeitsgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (nachfolgend zu II 1). Aber auch eine andere, vom Senat für vertretbar gehaltene Auslegung (nachfolgend zu II 2) führt nicht zu einem anderen Ergebnis.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 15 Ziff. 4 MTV würden speziell Ansprüche aus § 615 BGB von dieser Tarifnorm erfaßt, so daß die klägerischen Ansprüche nicht verfallen seien. Erkennbarer Sinn und Zweck dieser Vorschrift sei es, die kostenträchtige, arbeitsaufwendige Belastung laufend zusätzlicher Zahlungsklagen den Parteien eines Kündigungsrechtsstreits zu ersparen. Demgegenüber befasse sich § 15 Ziff. 1 Satz 3 MTV mit nicht erfüllten Lohnansprüchen sonstiger Art, die gerade nicht vom Ausgang eines Kündigungsrechtsstreits abhingen; insoweit werde der Arbeitnehmer darauf hingewiesen, daß eine Kündigungsschutzklage ihn vor dem Verfall derartiger Ansprüche nicht schütze. Selbst wenn die letztere Tarifvorschrift zu Mißverständnissen bei der Anwendung der tariflichen Ausschlußfristen führen könne, gebühre jedenfalls der Tarifauslegung der Vorzug, die aus der Sicht der Tarifunterworfenen zur Erhaltung der Lohnansprüche aus § 615 BGB führe.
II. Diese Auslegung hält der Senat für vertretbar. Die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe § 15 Abs. 4 MTV falsch ausgelegt, greift nicht durch.
1. Das Landesarbeitsgericht ist bei seiner Tarifauslegung von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen, wonach Tarifnormen wie Gesetze auszulegen sind. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen und alsdann über den reinen Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mit zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen berücksichtigt werden muß, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und so nur bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs als den stets und in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Kriterien, wie die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags zurückgegriffen werden, ohne daß die Gerichte dabei an eine bestimmte Reihenfolge der Heranziehung dieser Auslegungsmittel gebunden wären (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. u. a. Urteil vom 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; Senatsurteil vom 28. Februar 1990 – 2 AZR 425/89 – BAGE 64, 209 = AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit, zu II 1a der Gründe). Im Zweifel gebührt dabei derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG Urteil vom 16. Mai 1995 – 3 AZR 395/94 – AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Papierindustrie, zu I 1 der Gründe, m. w. N.). Läßt eine tarifliche Norm mehrere Auslegungen zu, so muß die weitergehende und dem Arbeitnehmer ungünstige Auslegung unterbleiben (BAG Urteil vom 17. September 1957 – 1 AZR 312/56 – AP Nr. 4 zu § 1 TVG Auslegung).
a) Geht man vom Tarifwortlaut aus, so wirken die in Rede stehenden tariflichen Normen auf den ersten Blick widersprüchlich: § 15 Ziff. 1 MTV regelt, daß durch eine Kündigungsschutzklage die Fristen, die für eine Lohnklage gelten, nicht berührt werden, während § 15 Ziff. 4 MTV bestimmt, daß Vergütungsansprüche, die während eines Rechtsstreits fällig werden und von seinem Ausgang abhängen, erst innerhalb von drei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Rechtsstreits geltend zu machen sind. Der Begriff “Lohnklage” meint ersichtlich alle Klagen auf Entgelt und würde daher an sich auch eine aus § 615 BGB (Annahmeverzug) begründete Leistungsklage, wie sie hier der Kläger erhoben hat, einschließen. Ebenso sind Annahmeverzugsansprüche “Vergütungsansprüche, die während eines Rechtsstreits fällig werden und von seinem Ausgang (Zusatz: z.B. im Fall der Kündigungsschutzklage) abhängen”. Der Begriff “Rechtsstreit” in § 15 Ziff. 4 MTV ist dabei ersichtlich weiter als der der Kündigungsschutzklage in § 15 Ziff. 1 MTV. Er umfaßt nicht nur die Kündigungsschutzklage, sondern z.B. außerdem eine allgemeine Feststellungsklage, sei es als Befristungs-, sei es als Eingruppierungsfeststellungsklage. Es läßt sich daher nicht – zumindest nicht mit Eindeutigkeit aufgrund eines Rückschlusses im Wege des argumentum e contrario – sagen, wenn in § 15 Ziff. 1 MTV von Kündigungsschutzklage die Rede sei, könne wegen der anderen Begrifflichkeit in § 15 Ziff. 4 MTV dort die Kündigungsschutzklage nicht gemeint sein, denn dabei würde nicht berücksichtigt, daß der Begriff “Rechtsstreit” der allgemeine Oberbegriff für alle Arten von Klagen, jedenfalls auch für eine Lohnklage und eine Kündigungsschutzklage ist. Die reine Wortlautinterpretation der fraglichen Begriffe führt daher eher zur Annahme einer Perplexität, will man nicht § 15 Ziff. 1 MTV ohnehin als sprachlich mißglückt und in sich unverständlich ansehen (vgl. aber auch die Lesart zu II 2). Denn Fristen können nach herkömmlichem Sprachgebrauch gewahrt oder eingehalten, aber kaum “berührt” werden. Insofern ist gerade Sozialpartnern, die die arbeitsrechtliche Begrifflichkeit normalerweise beherrschen, zuzutrauen, das, was sie regeln wollen, klar und unmißverständlich zu formulieren. Insofern fällt auf, daß § 15 Ziff. 4 MTV richtigerweise von der Geltendmachung von Vergütungsansprüchen spricht, während trotz der gleichen Begrifflichkeit in § 15 Ziff. 1 Satz 1 und Satz 2 MTV (… sind geltend zu machen … sowie … muß geltend gemacht werden …) diese klare Wortwahl in § 15 Ziff. 1 Satz 3 MTV nicht verwendet wird und schon damit zum Unverständnis beiträgt. Es ist daher nicht abwegig, wenn das Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang von einem Redaktionsversehen spricht.
b) Versucht man nun, den Sinn und Zweck der in Rede stehenden Klauseln zu erschließen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben, so führt auch dies auf Anhieb kaum zu eindeutigen Schlüssen: § 15 Ziff. 1 MTV regelt allgemein wie auch in anderen tariflichen Ausschlußfristen-Regelungen das Erfordernis einer Geltendmachung von nicht erfüllten Ansprüchen nach deren Fälligkeit, und zwar in Form einer sogenannten zweistufigen Ausschlußfrist, daß heißt auf der ersten Stufe wird gefordert, daß der Anspruch – in welcher Form auch immer – geltend gemacht wird (§ 15 Ziff. 1 Satz 1 MTV), und auf der zweiten Stufe wird bei Ablehnung des Anspruchs weiter die gerichtliche Geltendmachung eingefordert (§ 15 Ziff. 1 Satz 2 MTV). Der Sinn der nachfolgenden, hier in Rede stehenden Bestimmung kann daher nur in diesem Zusammenhang erschlossen werden. Wenn danach durch eine Kündigungsschutzklage Fristen, die für eine Lohnklage gelten, “nicht berührt werden”, kann der Regelungsgehalt in der Tat der sein, daß die vorher genannten Fristen für Lohnansprüche, wie sie im vorliegenden Prozeß ganz überwiegend geltend gemacht werden, ablaufen, durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage also nicht gewahrt werden. Es ergibt auch wenig Sinn, zwischen “Lohnklage” (§ 15 Ziff. 1 Satz 3 MTV) und “Vergütungsansprüchen” (§ 15 Ziff. 4 MTV) zu differenzieren, d. h. anderweitige Ansprüche, z.B. auf Urlaubsgeld, Weihnachtsgratifikation usw., als nicht durch den Begriff “Lohn bzw. Vergütung” erfaßt anzusehen, weil auch letztere Begriffe im allgemeinen synonym und umfassend verwendet werden.
Es macht schließlich auch keinen Sinn, worauf die Revision abhebt, die vom Ausgang einer Kündigungsschutzklage abhängigen Verzugslohnansprüche in Anwendung von § 15 Ziff. 1 MTV, die von einem sonstigen Rechtsstreit (Befristungsschutz, Anfechtung des Arbeitsverhältnisses, Eingruppierungsfeststellungsklage) abhängigen Ansprüche dagegen im Hinblick auf § 15 Ziff. 4 MTV erst nach dessen rechtskräftigem Abschluß verfallen zu lassen. Es kann nicht angenommen werden, daß die Tarifpartner die relativ seltenen Fälle von Befristungs-, Anfechtungs- bzw. Eingruppierungsfeststellungsklagen im Vergleich zu den häufigeren Kündigungsschutzklagen hinsichtlich der zugrundeliegenden Ansprüche derart privilegieren wollten. Es ist auch das Argument des Landesarbeitsgerichts nicht von der Hand zu weisen, daß die Erhebung einer Eingruppierungsfeststellungsklage ohnehin dem Grunde nach zur Wahrung der zweistufigen Verfallfrist führt und damit § 15 Ziff. 4 MTV nur noch einen engen Regelungsgehalt, z.B. für die von einem Befristungs- oder Anfechtungsrechtsstreit abhängigen Ansprüche, hätte.
Dagegen würde es immerhin noch Sinn machen, § 15 Ziff. 1 Satz 3 MTV einengend dahin zu interpretieren, damit sollten nur Lohnansprüche gemeint sein, die während einer laufenden Kündigungsschutzklage nicht von deren Erfolg abhängen, z.B. also Ansprüche aus dem Zeitraum des unangefochtenen Bestands des Arbeitsverhältnisses. Sinn und Zweck dieser Regelung bestünden dann darin, den Arbeitnehmer gleichsam zu warnen, sich nicht nur auf den Kündigungsrechtsstreit zu konzentrieren, sondern seine davon unabhängigen Forderungen frühzeitig geltend zu machen, damit sie im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit ihrem Entstehungsgrund realisiert bzw. geklärt werden können. Damit ist auch das Argument des Arbeitsgerichts entkräftet, daß – wollte man nicht die mit einer Kündigungsschutzklage im Zusammenhang stehenden Verzugsansprüche unter § 15 Ziff. 1 MTV erfassen – überhaupt keine Sachverhalte im Rahmen der Ziff. 1 verblieben.
c) Es entspricht den vom Bundesarbeitsgericht anerkannten Auslegungsgrundsätzen (vgl. u. a. Urteil vom 31. Oktober 1990 – 4 AZR 114/90 – BAGE 66, 177, 179 f. = AP Nr. 11 zu § 1 Tarifverträge: Presse), daß gerade bei der Frage, ob eine verwendete Formulierung “eindeutig” ist, darauf abzustellen ist, daß der Wortlaut einzelner Bestimmungen nicht losgelöst von den übrigen Vorschriften zu betrachten ist, wobei der Gesamtzusammenhang mitzuberücksichtigen ist, wie ihn die tarifunterworfenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erkennen können. Nimmt man aber beide hier in Rede stehenden Bestimmungen gleichzeitig in den Blick, spricht mehr dafür, sie in dem zuletzt angedeuteten Sinn, das heißt § 15 Ziff. 1 Satz 3 MTV eng und § 15 Ziff. 4 MTV weit zu interpretieren. Denn auch der tarifunterworfene Arbeitgeber wird im Regelfall – ebenso wie der Arbeitnehmer – davon ausgehen, mit der Entscheidung über die Kündigungschutzsklage werde gleichzeitig auch über deren wirtschaftlichen Hintergrund, also die Vergütungsansprüche, entschieden, das heißt diese würden mit Hilfe der Kündigungsschutzklage geltend gemacht (so ständige BAG Rechtsprechung, u. a. Senatsurteil vom 7. November 1991 – 2 AZR 34/91 – AP Nr. 114 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu B II der Gründe, m. w. N.) und seien bei deren Erfolg noch zu erfüllen. Diesem Regelungsziel entspricht § 15 Ziff. 4 MTV zumindest im allgemeinen.
Eine Spezialität des Verhältnisses dieser Bestimmungen in dem Sinne, daß – wie die Revision nun meint – die von einer Kündigungsschutzklage abhängigen Ansprüche von § 15 Ziff. 1 MTV, die übrigen von andersartigen Rechtsstreiten abhängigen Ansprüche dagegen von § 15 Ziff. 4 MTV erfaßt würden, läßt sich mit einer am Sinn und Zweck sowie Systematik orientierten Auslegung nicht vereinbaren. Insbesondere ist ein Eingriff in bereits erworbene Rechtspositionen des Arbeitnehmers – wie hier Ansprüche aus § 615 BGB – nur durch solche tariflichen Normen möglich, die wie z.B. im Fall des § 19 MTV Tageszeitungen i. d. F. vom 21. Mai 1986, der in Ziff. 3 klar formuliert, Vergütungsansprüche, die während eines Kündigungsrechtsstreits fällig würden und von seinem Ausgang abhingen, seien innerhalb von drei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Rechtsstreits geltend zu machen, klar und eindeutig sind (im Anschluß an BAG Urteil vom 17. September 1957 – 1 AZR 312/56 – AP Nr. 4 zu § 1 TVG Auslegung mit zustimmender Anmerkung Neumann/Duesberg). Im Sinne der Auffassung der Beklagten kann von einer derartigen Klarheit nicht die Rede sein.
Im Zweifel gebührt jedenfalls derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG Urteile vom 21. Juli 1993 – 4 AZR 468/92 – BAGE 73, 364 = AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung und vom 16. Mai 1995 – 3 AZR 395/94 – AP, aaO). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze führt die Auslegung des Landesarbeitsgerichts zu einer sachgerechten und brauchbaren Regelung. Das gilt nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Argumentation des Landesarbeitsgerichts, aus der Tarifgeschichte ließen sich ebenfalls Anhaltspunkte für die hier gewonnene Interpretation der in Rede stehenden tariflichen Normen entnehmen. Das Landesarbeitsgericht hatte darauf abgestellt (Berufungsurteil S. 11), § 15 Ziff. 4 MTV sei der spätere Zusatz im Tarifvertrag und damit hätten die Tarifparteien der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Geltendmachung von Vergütungsansprüchen durch die Erhebung einer Kündigungsschutzklage (vgl. auch noch nachfolgend zu 2) Rechnung tragen wollen und dabei sei es infolge eines Redaktionsversehens unterblieben, § 15 Ziff. 1 Satz 3 MTV zu streichen. Mit dieser Begründung setzt die Revision sich inhaltlich auch nicht auseinander.
2. Schließlich ist auch noch nachfolgende Interpretation vertretbar: Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt BAG Urteile vom 7. November 1992 – 2 AZR 34/91 – AP, aaO und vom 21. März 1996 – 2 AZR 368/95 – RzK I 13a Nr. 46) kann die Erhebung einer Kündigungsschutzklage je nach Lage des Falles als ein geeignetes Mittel angesehen werden, die Ansprüche, die während des Kündigungsstreits fällig werden und von dessen Ausgang abhängen, geltend zu machen, sofern die einschlägige Verfallklausel nur eine formlose oder schriftliche Geltendmachung verlangt. Sieht man in diesem Sinne auch vorliegend die Erhebung der Kündigungsschutzklage als Geltendmachung der Verzugslohnansprüche im Sinne von § 15 Ziff. 1 Satz 1 MTV an, so regelt § 15 Ziff. 1 Satz 2 MTV, daß eine gerichtliche Geltendmachung nur erforderlich ist, wenn eine schriftliche Ablehnung des Anspruchs vorliegt (ebenso § 15 Ziff. 2 Sätze 2 und 3 MTV). Eine derartige förmliche schriftliche Ablehnung liegt nicht vor und kann auch nicht ohne weiteres in dem schriftlichen Klageabweisungsantrag im Kündigungsschutzprozeß gesehen werden, zumal seinerzeit noch gar nicht feststand, ob und in welcher Höhe Verzugsansprüche überhaupt entstanden waren. Damit ist die zweite Stufe der klageweisen Geltendmachung zur Zeit des Kündigungssssschutzprozesses noch nicht eröffnet, so daß es in jedem Fall bei § 15 Ziff. 4 MTV verbleibt, der eine Geltendmachung von Vergütungsansprüchen, die während eines Rechtsstreits fällig werden und von seinem Ausgang abhängen, erst binnen drei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Rechtsstreits erfordert. Daß der Kläger diese Frist gewahrt hat, steht nach den für den Senat verbindlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 561 ZPO) fest.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Fischermeier, Lenz, Bensinger
Fundstellen