Entscheidungsstichwort (Thema)
Tantiemeanspruch bei langanhaltender Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die einem leitenden Angestellten zugesagte Beteiligung am Jahresgewinn des von ihm geführten Betriebs (Tantieme) ist eine Erfolgsvergütung. Nach §§ 275 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB erlischt der Anspruch, wenn der Angestellte während des gesamten Geschäftsjahres arbeitsunfähig erkrankt ist und keine Entgeltfortzahlung beanspruchen kann.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 275 Abs. 1, § 323 Abs. 1, § 611 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 19. Februar 1997 - 7 Sa 1067/96 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Tantiemeansprüche des Klägers für 1993 und 1994.
Der 1937 geborene Kläger hat seit Juni 1973 den A Reinigungsbetrieb der Beklagten mit etwa 500 Arbeitnehmern geleitet. Ihm war Prokura erteilt. Sein Monatsgehalt belief sich zuletzt auf 14.000,00 DM brutto. Außerdem erhielt er seit dem Geschäftsjahr 1981 eine Tantieme. Deren Bedingungen sind in einem von beiden Parteien unter dem 9. Juli 1982 unterzeichneten Aktenvermerk festgehalten. Dieser lautet auszugsweise:
„Die erfolgsorientierte und mit steigendem Gewinn progressive prozentuale Tantieme – Berechnungsart für die Steigerungsbeträge siehe unten – wird wie folgt … zugesagt:
…
Als Berechnungsgrundlage gilt der festgestellte Gewinn in der dem Finanzamt eingereichten Steuerbilanz …
Diese Tantieme-Zusage für … gilt bis auf Widerruf …”
In der Zusatzvereinbarung vom 31. Mai 1985 bestätigte die Beklagte zunächst die dem Kläger als ihrem „Geschäftsführer” gezahlte „gewinnabhängige Tantieme”. Bemessungsgrundlage sei der Jahresüberschuß vor Gewerbesteuer. Die Parteien vereinbarten außerdem, daß die Erlöse aus einem von der Beklagten zum
1. Januar 1985 erworbenen Grundstück bei der Berechnung der Tantieme nicht zu berücksichtigen seien.
Seit dem 15. Juni 1992 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Im August 1993 teilte er der Beklagten schriftlich mit, seinem Antrag auf Erwerbsunfähigkeit sei beginnend mit dem 1. Januar 1993 für die Dauer von drei Jahren stattgegeben worden; bis zum 31. Dezember 1995 müsse sein Beschäftigungsverhältnis deshalb ruhen. Für die Jahre 1992 bis 1994 hat die Beklagte keine Tantieme gezahlt. Die jährliche Höhe der Tantieme hat der Kläger mit durchschnittlich 30.000,00 DM angegeben.
Mit seiner am 15. Januar 1996 erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Auskunft und Rechnungslegung sowie Zahlung der Tantieme für die Jahre 1992 bis 1994 in Anspruch genommen.
Das Arbeitsgericht hat den Tantiemeanspruch für 1992 bejaht und die weitergehende Klage abgewiesen. Der Kläger hat zuletzt beantragt,
unter teilweiser Abänderung des am 20. Juni 1996 verkündeten Teilurteils des Arbeitsgerichts Aachen - 7 Ca 3464/95 - wird die Beklagte verurteilt,
- dem Kläger durch Vorlage ihrer Steuerbilanzen für die Geschäftsjahre 1993 und 1994 auch Auskunft über die von ihr in diesen Geschäftsjahren erzielten Jahresüberschüsse vor Gewerbesteuer zu erteilen,
dem Kläger durch Vorlage geeigneter Belege auch Auskunft
- über die in den Geschäftsjahren 1993 und 1994 in den Kontengruppen 23 und 27 erfaßten Aufwendungen und Erträge sowie
- über die Salden des Kontos 2115 der Geschäftsjahre 1993 und 1994 zu erteilen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision. Die Beklagte bittet um deren Zurückweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat für die Geschäftsjahre 1993 und 1994 keinen Anspruch auf Tantieme; damit entfällt auch ein etwaiger Hilfsanspruch auf Auskunft.
I. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Auskunft verneint, weil der Kläger keinen Zahlungsanspruch habe. Die vertragliche Regelung sei lückenhaft und der Vertrag deshalb ergänzend auszulegen. Eine Gewinnbeteiligung solle den vom Arbeitnehmer geleisteten Beitrag am wirtschaftlichen Erfolg belohnen; dieser Zweck werde verfehlt, wenn der Arbeitnehmer die Tantieme auch ohne Arbeitsleistung beanspruchen könne.
II. Diesen Ausführungen ist im Ergebnis zuzustimmen.
1. Der Auskunftsanspruch eines am Gewinn beteiligten Arbeitnehmers ist ein Hilfsanspruch. Er dient der Durchsetzung des Zahlungsanspruchs, den der Arbeitnehmer wegen fehlender Kenntnis über dessen Höhe nicht selbst beziffern kann. Hauptanspruch ist der Anspruch auf Tantieme. Steht fest, daß der Hauptanspruch nicht besteht, wird der Hilfsanspruch gegenstandslos (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. BAG Urteil vom 5. September 1995 - 9 AZR 660/94 - AP Nr. 16 zu § 196 BGB, m.w.N.).
So liegt der Fall hier. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung für 1993 und 1994 und deshalb auch keinen Anspruch auf Auskunft.
2. Die Parteien haben nicht ausdrücklich geregelt, ob der Anspruch des Klägers auf Gewinnbeteiligung von einer tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig ist. Der Vertrag bedarf deshalb der Auslegung.
a) Die Auslegung der Tantiemeabrede ist in der Revisionsinstanz nur eingeschränkt überprüfbar. Das Revisionsgericht kann die Auslegung durch das Berufungsgericht nur daraufhin überprüfen, ob die Rechtsvorschriften über die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt sind, ob dabei gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen und das tatsächliche Vorbringen der Parteien vollständig verwertet worden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteil vom 26. Mai 1992 - 9 AZR 27/91 - AP Nr. 63 zu § 74 HGB).
b) Auch bei Anlegung dieses eingeschränkten Prüfmaßstabs ist der Senat an die Auslegung des Landesarbeitsgerichts nicht gebunden.
Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt nur in Betracht, wenn zu einer bestimmten regelungsbedürftigen Frage eine Vereinbarung der Parteien fehlt oder wenn sich später durch Umstände, die bei Vertragsschluß noch nicht erkennbar waren, nachträglich eine Vertragslücke eröffnet (BAG Urteil vom 8. November 1972 - 4 AZR 15/72 - AP Nr. 3 zu § 157 BGB; BAG Urteil vom 22. Januar 1997 - 5 AZR 658/95 - AP Nr. 6 zu § 620 BGB Teilkündigung). Ob eine vertragliche Regelung lückenhaft ist, richtet sich nach den abgegebenen Willenserklärungen. Deren Inhalt ist zunächst nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Das hat das Landesarbeitsgericht unterlassen, wie die Revision zu Recht rügt.
3. Die Tantiemeregelung der Parteien ist nicht lückenhaft. Ihre Auslegung ergibt aber entgegen der Revision, daß der Kläger nur dann einen Anspruch auf Zahlung hat, wenn er in dem jeweiligen Geschäftsjahr durch tatsächliche Arbeitsleistung zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens beigetragen hat oder zumindest durch die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall noch ein gewisser Bezug zwischen der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und dem Geschäftsergebnis besteht.
a) Die Tantieme gehört zu den Vergütungsbestandteilen, die in das Austauschverhältnis „Arbeit gegen Lohn” einbezogen sind. Sie ist Arbeitsentgelt im Sinne von § 611 Satz 1 BGB und keine Gratifikation, die ohne Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu zahlen ist.
(1) Eine Tantieme wird als Gewinnbeteiligung regelmäßig einzelnen Arbeitnehmern, insbesondere leitenden Angestellten, zugesagt, um sie zu motivieren, sich für das Unternehmen nachhaltig einzusetzen. Sie ist eine Erfolgsvergütung, mit der die besondere Leistung des Arbeitnehmers für das Geschäftsergebnis, also den wirtschaftlichen Ertrag des Arbeitgebers honoriert wird und die als zusätzliches Entgelt zu den sonstigen Bezügen hinzutritt. Fehlt jegliche Arbeitsleistung in dem für die Berechnung der Tantieme maßgeblichen Zeitraum, besteht kein Grund, den Arbeitnehmer trotzdem am Gewinn zu beteiligen.
(2) Für die dem Kläger zugesagte Tantieme gilt kein anderer Inhalt. Im Aktenvermerk vom 9. Juli 1982 haben die Parteien die Sonderzahlung ausdrücklich als „erfolgsorientiert” gekennzeichnet und sie an den steigenden Gewinn des vom Kläger geleiteten Betriebs gekoppelt. Die 1985 in der Zusatzvereinbarung getroffene Regelung bestätigt die Bindung der Tantieme an die Arbeitsleistung des Klägers. Dort haben die Parteien ausdrücklich die von der Beklagten für die Tochtergesellschaft erworbene Immobilie aus der Gewinnbeteiligung ausgenommen, weil der Kläger auf deren Erlöse keinen Einfluß hatte. Die Zusage war zudem durch die hervorgehobene Stellung des Klägers als leitender Angestellter und Prokurist bestimmt, wie sich aus dem von der Beklagten verwandten Titel „Geschäftsführer” ergibt.
(3) Entgegen der Auffassung der Revision rechtfertigt der Umstand, daß sich die Beklagte den Widerruf der Tantieme vorbehalten hat, kein anderes Verständnis. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 10. Mai 1995 - 10 AZR 648/94 - AP Nr. 174 zu § 611 BGB Gratifikation) ausgeführt, eine Sonderzahlung stehe dann nicht im Austauschverhältnis, wenn sie unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs erfolgt und der Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch auf die Leistung (dort: Weihnachtsgeld) hat. Der Kläger übersieht aber, daß er aufgrund der Zusage der Beklagten einen Rechtsanspruch auf die zugesagte Gewinnbeteiligung hat. Das aus Anlaß des Weihnachtsfestes gezahlte Weihnachtsgeld ist zudem mit der Gewinnbeteiligung eines leitenden Angestellten nicht vergleichbar. Wie das Bundesarbeitsgericht klargestellt hat, gilt die Rechtsprechung zur Gratifikation nicht für sog. arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlungen (Urteil vom 16. März 1994 - 10 AZR 669/92 - BAGE 76, 134 = AP Nr. 162 zu § 611 BGB Gratifikation).
b) Der Kläger war sowohl 1993 wie auch 1994 ohne sein Verschulden gehindert, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Damit ist er nach § 275 Abs. 1 BGB von seiner Arbeitspflicht befreit worden. Da auch die Beklagte es nicht zu vertreten hat, daß der Kläger nicht arbeiten konnte, ist der Anspruch des Klägers nach § 323 Abs. 1 BGB gleichfalls erloschen.
Der Einwand der Revision, die allgemeinen Vorschriften über Leistungsstörungen seien nicht anzuwenden, weil sich die Beklagte von ihrer Zahlungspflicht nur durch Widerruf habe lösen können, verfängt nicht. Diese Bedeutung läßt sich dem Vorbehalt nicht entnehmen.
Zwar haben die Parteien nicht näher vereinbart, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte berechtigt ist, die Tantiemezusage zu widerrufen. Das ist aber unschädlich. Regelmäßig will sich der Arbeitgeber mit einem Widerrufsvorbehalt die Möglichkeit offen halten, die widerruflich vereinbarten Arbeitsbedingungen einseitig zu verändern, um sie an eine neue Situation anzupassen. Der Widerrufsvorbehalt betrifft deshalb in aller Regel nur solche Sachverhalte, die nicht bereits vom allgemeinen Arbeitsvertragsrecht erfaßt werden, sondern ein Handeln des Arbeitgebers, also den Widerruf, voraussetzen. Das ist bei einer Leistungsstörung wie hier, nämlich dem langanhaltenden Arbeitsausfall des Klägers, gerade nicht der Fall. Daß einzelvertraglich etwas anderes gelten soll, ist nicht ersichtlich.
III. Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels nach § 97 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Düwell, Reinecke, Schmidt, Furche, Busch
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 08.09.1998 durch Brüne, Reg. Obersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436060 |
DB 1999, 696 |
NWB 1999, 1538 |
ARST 1999, 97 |
FA 1999, 101 |
FA 1999, 155 |
NZA 1999, 824 |
RdA 1999, 357 |
SAE 1999, 207 |
AP, 0 |