Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufige Vollstreckbarkeit von Abfindung
Leitsatz (redaktionell)
Urteile im Kündigungsschutzprozeß auf Zahlung einer Abfindung nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses sind vorläufig vollstreckbar.
Orientierungssatz
Zeitpunkt der Fälligkeit einer Abfindung; Vollstreckbarkeit von Abfindungsurteilen im Gegensatz zu Gestaltungsurteilen.
Normenkette
KSchG § 9; ArbGG § 62
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 24.06.1987; Aktenzeichen 9 Sa 45/87) |
ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 04.03.1987; Aktenzeichen 8 Ca 150/87) |
Tatbestand
Der beklagte Arbeitnehmer stand in den Diensten der Klägerin. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis zum 7. März 1986. In dem von dem Beklagten angestrengten Kündigungsrechtsstreit verkündete das Arbeitsgericht Freiburg - 8 Ca 95/86 - am 26. November 1986 folgendes Urteil:
1. Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis
des Klägers (jetziger Beklagter)
bei der Beklagten (jetzige Klägerin) durch
die Kündigung vom 18. Februar 1986 nicht
zum 7. März 1986 aufgelöst wurde, sondern
über den 7. März 1986 fortbestand.
2. Das Arbeitsverhältnis wird zum 31. März
1986 aufgelöst.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
eine Sozialabfindung in Höhe von DM
5.000,-- zu zahlen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
5. Der Streitwert wird auf DM 8.100,-- festgesetzt.
Das Arbeitsgericht erteilte am 28. Januar 1987 dem jetzigen Beklagten eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils vom 26. November 1986. Daraufhin hat die Klägerin mit einer am 17. Februar 1987 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil vom 26. November 1986 geltend gemacht. Diese Klage hat das Arbeitsgericht durch Urteil vom 4. März 1987 abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 24. Juni 1987 zurückgewiesen und die Revision zugelassen, über die im vorliegenden Verfahren zu entscheiden ist.
Durch Urteil vom 10. Juni 1987, das der Klägerin am 28. Juli 1987 zugestellt wurde, hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Klägerin gegen das Urteil im Kündigungsschutzprozeß zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Die Klägerin hat gegen dieses Urteil keinen Rechtsbehelf eingelegt.
Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin mit einem am 19. August 1987 beim Bundesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt. Mit Schreiben vom 25. August 1987 übersandte die Klägerin den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten einen Scheck über die Sozialabfindung in Höhe von DM 5.000,--, nachdem der Beklagte erneut mit Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gedroht hatte. Mit Schriftsatz vom 31. August 1987 hat die Klägerin die Hauptsache für erledigt erklärt.
Die Klägerin hat vorgetragen, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil im Kündigungsschutzprozeß, mit der der Beklagte nach Erteilung der Vollstreckungsklausel gedroht habe, sei vor Rechtskraft des Urteils im Kündigungsschutzprozeß unzulässig gewesen. Die Abfindung, zu deren Zahlung die Klägerin verurteilt sei, knüpfe an die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses an. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch gerichtliches Urteil sei ein Gestaltungsurteil, das nicht vorläufig vollstreckbar sei, sondern erst mit Rechtskraft Wirksamkeit erlange. Da der Abfindungsanspruch nur bestehe, wenn das Arbeitsverhältnis durch Gerichtsurteil aufgelöst sei und deshalb untrennbar mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses verbunden sei, könne die Verurteilung zur Zahlung der Abfindung nicht vor der Wirksamkeit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses wirksam werden. Zumindest sei die Erteilung der Vollstreckungsklausel zum Urteil des Arbeitsgerichts unzulässig, solange die Rechtskraft der das Arbeitsverhältnis auflösenden gerichtlichen Entscheidung nicht nachgewiesen sei.
Die Klägerin hat demgemäß beantragt
festzustellen, daß die Zwangsvollstreckung
aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg
- Kammern Villingen-Schwenningen - vom 26.
November 1986 - 8 Ca 95/86 - derzeit unzulässig
ist,
hilfsweise,
die Zwangsvollstreckung aufgrund der zu
dem Urteil vom 26. November 1986 erteilten
Vollstreckungsklausel bis zur Rechtskraft
des Urteils vom 26. November 1986
für unzulässig zu erklären.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, nach § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG seien alle Urteile, gegen die Einspruch oder Berufung zulässig sei, grundsätzlich vorläufig vollstreckbar. Nur wenn der Schuldner einen durch die Vollstreckung zu befürchtenden, nicht ersetzbaren Nachteil glaubhaft machen könne, könne die vorläufige Vollstreckbarkeit ausgeschlossen werden. Diese Voraussetzungen habe die Klägerin jedoch im vorliegenden Fall nicht dargelegt. Auch der Abfindungsanspruch, der an die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das Gericht anknüpfe, sei vorläufig vollstreckbar. Insoweit handele es sich um ein Leistungsurteil, das ebenso wie die Verurteilung zur Zahlung von Arbeitsvergütung vorläufig vollstreckbar sei. Dies entspreche auch dem Sinn des Gesetzes. Danach solle der obsiegende Arbeitnehmer möglichst rasch Zugriff auf die finanziellen Mittel erhalten, die er für die Bestreitung seines Lebensunterhalts benötige. Falls das Auflösungsurteil in der Rechtsmittelinstanz aufgehoben werde, könne der Arbeitgeber die Rückzahlung einer vollstreckten Abfindung verlangen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Feststellung, daß die Hauptsache erledigt ist. Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Entgegen dem Begehren der Klägerin kann der Senat nicht feststellen, daß die Hauptsache erledigt ist. Denn die Klage war von Anfang an unbegründet und bleibt es auch, nachdem sie durch Eintritt neuer Umstände (Rechtskraft des Urteils im Kündigungsschutzprozeß) gegenstandslos geworden ist (vgl. BAGE 19, 342, 347 = AP Nr. 13 zu § 91 a ZPO). Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen - vom 26. November 1986 - 8 Ca 95/86 - war entgegen dem Klagebegehren schon vor Rechtskraft des Urteils zulässig. Hierzu durfte das Arbeitsgericht auch die Vollstreckungsklausel erteilen.
Der Hauptantrag der Klage ist zulässig. Er ist auf die Feststellung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem angeführten Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg gerichtet. Für ihn ist mit dem Landesarbeitsgericht ein Rechtsschutzinteresse zu bejahen. Zu den Rechtsverhältnissen, auf deren Nichtbestehen nach § 256 ZPO geklagt werden kann, gehört auch ein Prozeßrechtsverhältnis, da es die rechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien des Rechtsstreits regelt (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 46. Aufl. 1988, § 256 Anm. 2 I A). Da der Beklagte für sich in Anspruch nahm, aus dem noch nicht rechtskräftigen Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg die Zwangsvollstreckung bezüglich des Abfindungsbetrags betreiben zu dürfen und sie auch androhte, hatte die Klägerin ein rechtliches Interesse daran, die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung feststellen zu lassen. Einen besonderen Rechtsbehelf, mit dem die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Urteil geltend gemacht wird, sieht das 8. Buch der Zivilprozeßordnung über die Zwangsvollstreckung nicht vor, so daß die Feststellungsklage das geeignete Mittel ist, die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung geltend zu machen. Erzielt die klagende Partei hierüber ein obsiegendes Urteil, ist es von den Vollstreckungsorganen (Gerichtsvollzieher, Vollstreckungsgericht) bei der Vollstreckung des ausgeurteilten Betrags zu beachten.
Das Rechtsschutzinteresse für den Hauptantrag ist nicht nachträglich entfallen, weil die Klägerin noch vor Rechtskraft des Auflösungsurteils, die erst einen Monat nach der Zustellung des Urteils des Landesarbeitsgerichts (Ablauf der Frist für die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde) am 28. August 1987 eintrat, die Abfindung an den Beklagten zahlte. Darin liegt kein Anerkenntnis oder Tilgung der Schuld nach § 362 Abs. 1 BGB. Denn die Tilgung einer Schuld durch Erfüllung tritt nur dann ein, wenn Gläubiger und Schuldner darüber einig sind, daß damit das Erlöschen des Schuldverhältnisses herbeigeführt werden soll (vgl. BAGE 19, 342, 346 = AP Nr. 13 zu § 91 a ZPO). Dies trifft vorliegend nicht zu, da die Klägerin unbestritten Zahlung nur aufgrund mehrfacher Drohung mit der Zwangsvollstreckung leistete und damit erkennbar nur die Zwangsvollstreckung abwenden wollte. In diesem Fall bleibt die Tilgung der Schuld bis zur Rechtskraft des Titels in der Schwebe (Palandt/Heinrichs, BGB, 46. Aufl. 1987, § 362 Anm. 4 c mit weiteren Nachweisen).
Der Hauptantrag ist jedoch unbegründet. Der Beklagte durfte vor Rechtskraft des Urteils des Arbeitsgerichts die Zwangsvollstreckung des ausgeurteilten Abfindungsbetrags betreiben. Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind Urteile der Arbeitsgerichte, gegen die Einspruch oder Berufung zulässig ist, vorläufig vollstreckbar. Nur wenn der Beklagte glaubhaft macht, daß die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, hat das Arbeitsgericht auf seinen Antrag die vorläufige Vollstreckbarkeit im Urteil auszuschließen (§ 62 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). Einen solchen Antrag hat die Klägerin als Beklagte des Kündigungsschutzprozesses nicht gestellt. Weitere Einschränkungen hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit enthält das Arbeitsgerichtsgesetz nicht. Daraus folgt, daß auch die Verurteilung zur Zahlung einer Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG vorläufig vollstreckbar ist (Grunsky, ArbGG, 5. Aufl. 1987, § 62 Rz 1; LAG Baden-Württemberg vom 9. Juli 1986 - 7 Ta 5/86 -, DB 1986, 2192; LAG Frankfurt am Main vom 22. Januar 1986 - 10 Ta 401/85 -, unveröffentlicht, und vom 14. August 1986 - 3 Ta 178/86 -, BB 1987, 552; LAG Bremen vom 31. August 1983 - 2 Ta 72/82 -, DB 1983, 2315; LAG Hamm vom 17. Juli 1975 - 3 Sa 251/75 -, BB 1975, 1068).
Demgegenüber kann nicht eingewendet werden, der Anspruch auf die Abfindung entstehe erst mit Rechtskraft des Urteils des Arbeitsgerichts über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses (so aber: LAG Berlin vom 17. Februar 1986 - 9 Sa 110/85 -, LAGE § 9 KSchG Nr. 1 = DB 1986, 753; LAG Hamburg vom 28. Dezember 1982 - 1 Sa 6/82 -, DB 1983, 724; KR-Becker, 2. Aufl. 1984, § 10 KSchG Rz 14). Diese Auffassung ist unzutreffend. Der Anspruch auf den Abfindungsbetrag entsteht vielmehr durch die richterliche Festsetzung im Urteil und wird damit, frühestens jedoch zum Zeitpunkt des festgesetzten Endes des Arbeitsverhältnisses, fällig. Daraus hat das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 13. Mai 1969 (- 5 AZR 309/68 -, AP Nr. 2 zu § 8 KSchG) folgerichtig abgeleitet, daß der obsiegende Arbeitnehmer für die Zeit ab richterlicher Festsetzung der Abfindung (also vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils ]) eine Verzinsung des Abfindungsbetrags verlangen kann. Würde der Abfindungsanspruch erst mit Rechtskraft des Auflösungsurteils entstehen, könnte erst ab Eintritt der Rechtskraft eine Verzinsung verlangt werden. Dies verkennen das Landesarbeitsgericht Berlin (aaO) und Becker (aaO). Richtig ist, daß mit der richterlichen Festsetzung der Abfindung der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung der Abfindung noch nicht unbedingt entstanden ist, vielmehr ist er auflösend bedingt durch die Aufhebung des Urteils. Insoweit unterscheidet sich die Verurteilung des beklagten Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung aber nicht von der Verurteilung zur Zahlung von Vergütungsansprüchen. Auch diese Verurteilung des Arbeitgebers ist auflösend bedingt durch die Aufhebung des Urteils. Der materiell-rechtliche Unterschied zwischen diesen beiden Urteilen liegt darin, daß die Vergütungsansprüche bereits vor Verkündung des arbeitsgerichtlichen Urteils entstanden sind, während der Abfindungsbetrag erst durch die richterliche Festsetzung entsteht.
Bei der vorläufigen Vollstreckbarkeit von Urteilen geht es jedoch nicht um materiell-rechtliche Fragen, sondern darum, ob ein vom Gericht durch Urteil festgestellter und mit einem Leistungsbefehl versehener Anspruch vor Rechtskraft des Urteils vollstreckt werden kann. Insoweit stehen sich die Verurteilung des Arbeitgebers zur Zahlung von Vergütung und die Verurteilung zur Zahlung eines Abfindungsbetrags völlig gleich. In beiden Fällen hat das Gericht einen Anspruch des Arbeitnehmers in einer bestimmten Höhe festgestellt und den Arbeitgeber zur Zahlung verurteilt. Beide Ansprüche sind prozessual auflösend bedingt durch die Aufhebung des Urteils. Für die vorläufige Vollstreckbarkeit sind die Vorschriften des Prozeßrechts maßgebend. Diese legen in § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG die vorläufige Vollstreckbarkeit für beide Urteile fest.
Auch der Einwand, die Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG sei nur eine zwingende Folge der gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses und könne daher nicht vor ihr Wirksamkeit erlangen, ist unbegründet. Es trifft zu, daß die Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG materiell-rechtlich die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses voraussetzt. Dies schließt es aber nicht aus, daß ein entsprechendes Urteil bezüglich der Abfindung vorläufig vollstreckbar ist. Prozeßrechtlich ist allein maßgebend, daß der beklagte Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung verurteilt ist, die an einen festgesetzten Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpft. Der Abfindungsanspruch ist insoweit auflösend bedingt durch die Aufhebung des Urteils, und gerade deshalb nur "vorläufig" vollstreckbar. Damit wird vorausgesetzt, daß sich die Vollstreckbarkeit bei einem anderslautenden rechtskräftigen Urteil als nicht gerechtfertigt erweist. Dann aber greifen die gesetzlichen Vorschriften über die Rückabwicklung des bereits vollstreckten Urteils ein (vgl. § 717 Abs. 2 und 3 ZPO).
Die Rechtslage ist insoweit vergleichbar mit einem Urteil, durch das das Arbeitsgericht feststellt, das Arbeitsverhältnis sei durch eine Kündigung nicht aufgelöst worden, und den Arbeitgeber zugleich zur Zahlung von Vergütung für die Zeit nach Ablauf des Kündigungstermins verurteilt (ebenso: LAG Hamm vom 17. Juli 1975 - 3 Sa 251/75 -, BB 1975, 1068). Auch in diesem Fall ist die Verurteilung zur Zahlung von Vergütung nur die zwingende Folge der Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst wurde. Der Vergütungsanspruch besteht insoweit auch nur, wenn die Feststellung über die Unwirksamkeit der Kündigung endgültig wirksam, d. h. rechtskräftig ist. Gleichwohl kann der Vergütungsanspruch bereits vor Rechtskraft des Urteils vorläufig vollstreckt werden. Dies wird - soweit ersichtlich - von niemandem bezweifelt.
Auch der Einwand, bei der Verurteilung zur Zahlung einer Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG handele es sich um ein Gestaltungsurteil, so daß es seine Funktion erst beim Vorliegen der äußeren Rechtskraft entfalten könne (so: LAG Berlin, aaO), ist unbegründet. Die Höhe der Abfindung wird zwar durch richterliches Urteil festgesetzt. Daraus folgt aber noch nicht, daß es sich um ein Gestaltungsurteil handelt. Auch der Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 847 BGB wird oft durch richterlichen Spruch festgesetzt, wenn der Kläger die Höhe des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts stellt. Auch in diesen Fällen ist die Auffassung nicht gerechtfertigt, daß es sich um ein Gestaltungsurteil handelt, das erst mit Eintritt der Rechtskraft seine Funktion entfaltet. Vielmehr werden in Schmerzensgeldrechtsstreiten auch bei unbeziffertem Klageantrag Zinsen sogar ab Rechtshängigkeit zugesprochen (vgl. Palandt/Thomas, BGB, 46. Aufl. 1987, § 847 Anm. 5 d).
Gestaltungsurteile im prozeßrechtlichen Sinne sind Urteile, durch die ausschließlich Rechtsbeziehungen ohne einen bestimmten Leistungsbefehl gestaltet werden, z. B. Auflösung einer Gesellschaft, Ausschließung eines Gesellschafters, Scheidung einer Ehe, Auflösung eines Arbeitsverhältnisses. Hingegen sind Urteile, die Ansprüche aus einer durch richterliche Festsetzung gestalteten Rechtsbeziehung feststellen und zu entsprechenden Leistungen verurteilen, keine Gestaltungsurteile. Der Abfindungsbetrag knüpft nur an die durch Richterspruch gestaltete Rechtsbeziehung (Auflösung des Arbeitsverhältnisses) an. Die Verurteilung zur Zahlung der Abfindung ist ein Leistungsbefehl und damit kein Gestaltungsurteil.
Folgerichtig wird auch in der Rechtsprechung und im Schrifttum die Auffassung vertreten, daß Gestaltungsurteile nicht vollstreckbar, d. h. weder vollstreckungsfähig noch vollstreckungsbedürftig sind (vgl. RG vom 5. Oktober 1920 - VII 166/20 -, RGZ 100, 98, 100; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl. 1986, § 95 III 1; Zöller/Vollkommer, ZPO, 15. Aufl. 1987, vor § 300 Rz 9). Wäre das Urteil zur Zahlung einer Abfindung ein Gestaltungsurteil, wäre es demgemäß (auch nach Rechtskraft ]) nicht vollstreckbar und nicht vollstreckungsfähig. Diese Auffassung vertritt niemand.
Eine hiervon abweichende Auffassung zum Wesen eines Gestaltungsurteils vertritt der Kommentar von Stein/Jonas. Er räumt zwar ein, daß Gestaltungsurteile keinen Leistungsbefehl kennen (Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl. 1986, vor § 253 Rz 60). In allen Fällen, in denen der Verurteilung zu einer bestimmten Leistung eine gerichtliche Ermessensentscheidung über die Höhe der Leistung vorausgeht (z. B. § 315 BGB und demgemäß auch §§ 9, 10 KSchG), sieht der Kommentar jedoch in der dem Leistungsbefehl vorangehenden Ermessensentscheidung des Gerichts eine stillschweigende Gestaltung und spricht von einem sogenannten verdeckten Gestaltungsurteil (Stein/Jonas/Schumann, aaO, vor § 253 Rz 60, 74, 56). Folgerichtig räumt Stein/Jonas aber ein, daß Gestaltungsurteile in dem von ihm verstandenen Sinne, soweit sie zugleich Leistungsurteile sind, vollstreckt werden können (Stein/Jonas/Münzberg, aaO, vor § 704 Rz 46). Darüber hinaus versteht Stein/Jonas unter Vollstreckbarkeit im Sinne der ZPO nicht nur die Möglichkeit, die in einem Titel angeordnete Rechtsfolge durch staatliche Organe zu erzwingen (sogenannte Zwangsvollstreckung im engeren Sinne), sondern auch die Fähigkeit eines Titels (Urteils), Grundlage sonstiger realer Urteilswirkungen zu sein. In diesem Sinne sind dann auch echte Gestaltungsurteile vorläufig vollstreckbar, wenn dies - wie in § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG - gesetzlich bestimmt ist. Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Auflösungsurteils des Arbeitsgerichts bedeutet insoweit, daß das Auflösungsurteil auch vor Rechtskraft die Fähigkeit hat, Grundlage daraus folgender Urteilswirkungen und damit Grundlage für einen Abfindungsanspruch zu sein. Dies bedeutet dann zugleich, daß auch die Verurteilung zur Zahlung der Abfindung vorläufig vollstreckbar ist (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, aaO, vor § 704 Rz 50). Daher kann offenbleiben, ob der Auffassung von Stein/Jonas zum Wesen eines Gestaltungsurteils gefolgt werden kann.
Schließlich wird die vorläufige Vollstreckbarkeit der Abfindungsurteile auch dem besonderen Sinn und Zweck des § 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG gerecht. Dieser liegt darin, in allen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten der klagenden Partei (und das ist in der Regel der Arbeitnehmer) möglichst rasch die Befriedigung eines gerichtlich zuerkannten Anspruchs zu ermöglichen (ebenso: LAG Hamm vom 17. Juli 1975 - 3 Sa 251/75 -, BB 1975, 1068). Damit trägt das Gesetz dem Umstand Rechnung, daß Arbeitnehmer in aller Regel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf ihr Arbeitseinkommen angewiesen sind. Dies trifft auch und insbesondere dann zu, wenn Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verloren haben und ihnen wegen sozialwidriger Kündigung eine Abfindung zuerkannt wird. Die Abfindung wird in der Regel wegen Wegfalls des bisherigen Arbeitseinkommens auch zur Bestreitung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers benötigt.
Der Hilfsantrag der Klägerin ist unzulässig, weil für ihn kein Rechtsschutzinteresse im Sinne von § 256 ZPO besteht. Ein Feststellungsinteresse ist dann nicht gegeben, wenn die klagende Partei einen einfacheren Weg als die Klage wählen kann, um das mit ihr verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 256 Anm. 3 D a). Im vorliegenden Fall wendet sich die Klägerin mit dem Hilfsantrag gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel. Hierfür sieht § 732 ZPO einen besonderen Rechtsbehelf vor. Danach entscheidet das Gericht, von dessen Geschäftsstelle die Vollstreckungsklausel erteilt ist, über Einwendungen des Schuldners gegen die Zulässigkeit der Vollstreckungsklausel, wobei die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen kann. Da dies für die Klägerin der einfachere Weg ist, ist für den Feststellungsantrag ein Rechtsschutzinteresse zu verneinen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann die Zulässigkeit des Feststellungsantrags auch nicht auf § 768 ZPO in Verb. mit § 726 ZPO gestützt werden (a.A. LAG Hamburg vom 28. Dezember 1982 - 1 Sa 6/82 -, DB 1983, 724). Nach § 768 ZPO kann zwar der Schuldner in den Fällen des § 726 Abs. 1 ZPO gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO erheben. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich jedoch im vorliegenden Fall nicht um eine Vollstreckung nach § 726 ZPO. Danach darf von Urteilen, deren Vollstreckung nach ihrem Inhalt von dem durch den Gläubiger zu beweisenden Eintritt einer anderen Tatsache als einer dem Gläubiger obliegenden Sicherheitsleistung abhängt, eine vollstreckbare Ausfertigung nur erteilt werden, wenn der Beweis durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden geführt wird. Nach dem Inhalt des Urteils des Arbeitsgerichts im Kündigungsschutzprozeß hängt die Vollstreckung des Abfindungsbetrags nicht von einem durch den Gläubiger (Beklagter) zu beweisenden Eintritt einer anderen Tatsache ab. Die Klägerin will in das Urteil des Arbeitsgerichts im Kündigungsschutzprozeß hineininterpretieren, daß die Abfindung erst nach Rechtskraft des gestaltenden Teils des Urteils (Auflösung des Arbeitsverhältnisses) zu zahlen ist. Das ist jedoch nicht möglich. Aus dem Urteil des Arbeitsgerichts im Kündigungsschutzprozeß ist nicht der geringste Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß die Zahlung der Abfindung von der Rechtskraft der Auflösung des Arbeitsverhältnisses abhängig sein soll.
Auch eine entsprechende Anwendung des § 726 ZPO ist nicht möglich. Selbst wenn man der Auffassung folgt, daß die Abfindung erst nach Rechtskraft des Auflösungsurteils vollstreckt werden kann, hat diese Auffassung jedoch nicht ihren Niederschlag im Urteil des Arbeitsgerichts gefunden, was unabdingbare Voraussetzung des § 726 Abs. 1 ZPO ist. Für den Gerichtsvollzieher, der mit der Vollstreckung eines Urteils beauftragt ist, muß aus dem Titel klar erkennbar sein, ob die Leistung, die er vollstrecken soll, vom Eintritt einer anderen Tatsache abhängig ist. Dies ist ein Gebot der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, dem im Vollstreckungsverfahren besondere Bedeutung zukommt (BAGE 46, 148, 157 = AP Nr. 6 zu § 850 c ZPO) und das in § 726 Abs. 1 ZPO seinen Niederschlag gefunden hat. Da aus dem Urteil des Arbeitsgerichts nicht ersichtlich ist, daß die Vollstreckung der Abfindung von der Rechtskraft des Auflösungsurteils abhängen soll, ist für eine entsprechende Anwendung des § 726 Abs. 1 ZPO kein Raum. Auch der Hinweis der Revision auf das Urteil des Reichsgerichts vom 10. Februar 1913 - Rep. VI 502/12 - (RGZ 81, 299) geht fehl. In dem damaligen Fall hing die Vollstreckung eines Titels nach dessen Inhalt von der Rechtskraft einer anderen Entscheidung ab. In einer notariellen Urkunde war vereinbart, daß der Schuldner 6.000 Mark nach Beendigung eines bestimmten Prozesses zahlen sollte. Davon kann vorliegend keine Rede sein.
Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Dr. Neumann Dr. Freitag Dr. Etzel
Koerner Dr. Apfel
Fundstellen
Haufe-Index 439469 |
BAGE 57, 120-130 (LT1) |
BAGE, 120 |
BB 1988, 843-844 (LT1) |
DB 1988, 659-660 (LT1) |
JR 1988, 396 |
JR 1988, 396 (S1) |
NZA 1988, 329-330 (LT1) |
RdA 1988, 188 |
RzK, I 11c Nr 5 (LT1) |
AP § 62 ArbGG 1979 (LT1), Nr 4 |
AR-Blattei, ES 1020 Nr 290 (LT1) |
AR-Blattei, Kündigungsschutz Entsch 290 (LT1) |
EzA § 9 nF KSchG, Nr 22 (LT1) |
MDR 1988, 523-524 (LT1) |