Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdachtskündigung - Berücksichtigung von Entlastungsvorbringen
Leitsatz (redaktionell)
1. Der schwerwiegende Verdacht einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung kann eine Kündigung begründen (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, zuletzt Urteil vom 5. Mai 1994 - 2 AZR 799/93 - nv).
2. Dieser Verdacht muß sich aus objektiven, im Zeitpunkt der Kündigung vorliegenden Tatsachen ergeben.
3. Soweit der Arbeitnehmer zu seiner Entlastung Tatsachen vorträgt, die im Zeitpunkt der Kündigung vorlagen, sind diese unabhängig davon zu berücksichtigen, ob sie dem Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt bekannt waren oder bekannt sein konnten (im Anschluß an BAG Urteil vom 4.6.1964, 2 AZR 310/63 = BAGE 16, 72 = AP Nr 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung und BAG Urteil vom 24.4.1975, 2 AZR 118/74 = BAGE 27, 113 = AP Nr 3 zu § 103 BetrVG 1972).
Verfahrensgang
Tatbestand
Der im Kündigungszeitpunkt 43 Jahre alte, geschiedene Kläger war bei der Beklagten seit 1. Juli 1985 als Gruppenleiter beschäftigt. Seine monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt 6.412,-- DM. Der Kläger war für die Verwertung der nach Ablauf der Leasingverträge zurückgegebenen Geräte zuständig. Diese wurden entweder anderweitig verleast, verkauft oder verschrottet. Verschrottungen erfolgten bei der Firma M .
Mit Schreiben vom 13. und 25. Juni 1991 teilte die Beklagte dem seit 16. April 1991 arbeitsunfähig erkrankten bzw. urlaubsbedingt abwesenden Kläger mit, sie sei bei der vertretungsweisen Bearbeitung seiner Aufgaben auf klärungsbedürftige Dinge gestoßen, deren befriedigende Aufklärung ohne seine Stellungnahme nicht möglich sei. Eine erneute Anfrage unter Fristsetzung bis 27. August 1991 erfolgte mit Schreiben vom 15. August 1991, worin die Beklagte hinsichtlich der zurückgegebenen Computeranlagen dreier Leasingnehmer monierte, daß zwar Kaufangebote vorlägen, aber weder Verkaufserlöse eingegangen noch Verschrottungsbestätigungen auffindbar seien. Eine Nachfrist zur Stellungnahme bis 13. September 1991 setzte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 5. September 1991.
Ende September 1991 nahm die Beklagte Ermittlungen im Lager der Firma H auf, in welchem ein Teil des zurückgegebenen Leasinggutes der Beklagten aufbewahrt wird. Am 8. Oktober 1991 setzte die Beklagte ihre Ermittlungen bei der Firma K fort und teilte das Ergebnis dem Kläger in einem Schreiben vom 11. Oktober 1991 unter Einräumung einer Frist zur Stellungnahme bis spätestens 18. Oktober 1991 mit. In dem vom Kläger zunächst wegen einer Veränderung seines Aufgabenbereichs angestrengten Arbeitsgerichtsverfahren fand am 17. Oktober 1991 die Güteverhandlung statt; bei dieser Gelegenheit ließ der Kläger die geforderte Stellungnahme bis zum 23. Oktober 1991 in Aussicht stellen. Als diese Stellungnahme ausblieb, kündigte die Beklagte nach Anhörung des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. Oktober 1991 fristlos.
Die Beklagte hat die Kündigung damit begründet, der Kläger stehe nach den Recherchen des Zeugen S und den Angaben der Zeugin K in dem dringenden Verdacht, er habe als verschrottet geführte Geräte, unter anderem eine von der Firma I zurückgegebene Nixdorfperipherie, unter Zwischenschaltung einer - nach Bankauskunft seit 1984 nicht mehr existenten - Firma T und eines Herrn He als deren angeblichen Vertreters verkauft, ohne daß der Erlös der Beklagten zugeführt worden wäre.
Eine weitere vorsorgliche fristlose und ordentliche Kündigungserklärung der Beklagten datiert vom 5. November 1991.
Der Kläger hat sich mit Klageerweiterung vom 8. November 1991, eingegangen beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main am 13. November 1991, gegen die Kündigung vom 29. Oktober 1991 gewandt und vorgetragen, in einem Gespräch mit dem Zeugen S am 19. September 1991 seien die gegen ihn erhobenen Vorwürfe "abgelegt" worden. Wenn Geräte verschrottet worden seien, habe der Inhaber der Firma M , Ko , nur das abgezeichnet, was er an Geräten in Besitz genommen habe. Die Firma K sei langjährige Geschäftspartnerin der Beklagten gewesen. Deren Inhaberin, die Zeugin K , sei ihm nur fernmündlich bekannt. Warenlieferungen an diese seien stets gegen Rechnungen erfolgt. Die Firma K verfüge auch über ein Debitorenkonto bei der Beklagten. Eine Firma K sei entgegen der Aussage der Zeugin K nie in die Verwertungsgeschäfte der Beklagten mit der Firma K zwischengeschaltet gewesen. Er kenne weder eine Firma T noch einen Herrn He . Die von der Firma I zurückgegebenen Geräte seien verschrottet worden. Der schlecht zu lesende und wegen des Datums handschriftlich auf 8. Juni 90 geänderte Speditionsübernahmeschein und die ebenfalls schlecht lesbaren angeblich zugehörigen Rechnungen der Firmen H und T könnten nichts Gegenteiliges belegen. Es sei nicht erkennbar, ob es sich bei der der Firma K gelieferten Anlage um die von der Firma I zurückgegebene Peripherie handele. Mit dem Verpackungsklebeband der Firma I seien nicht die Geräte, sondern allenfalls Kartonagen versehen gewesen, mit denen Geräte an die Firma K geliefert wurden. Blankoverschrottungsbescheinigungen habe er selbst nie erhalten. Um Blankoverschrottungsbescheinigungen sei Herr Ko von der Mitarbeiterin der Beklagten Fi angegangen worden. Hierüber und über die Frage, ob die vermißten Geräte tatsächlich verschrottet wurden, hätte sich die Beklagte bei Herrn Ko Klarheit verschaffen müssen. Die Zeugin K sei unglaubwürdig. Insbesondere bestünden Widersprüche zwischen ihrer Aussage vor dem Arbeitsgericht am 4. Juni 1992 und einer Aussage der Zeugin bei der Kriminalpolizei in B am 5. Mai 1992 zu der Frage, ob sie den Kläger persönlich gekannt habe. Nach den unzureichenden Ermittlungen der Beklagten könne nicht ausgeschlossen werden, daß ein Zusammenwirken der Zeugin mit anderen Mitarbeitern der Beklagten, etwa aus dem Bereich Rechnungserstellung, vorliege. Zum Lager der Beklagten bei der Firma H hätten sich auch andere Personen Zugang verschaffen können; Schlüssel hätten sich zum einen im Büro der Firma H - und zum anderen in seinem unverschlossenen Schreibtisch befunden, was den Mitarbeitern der Beklagten wie auch seinen Vorgesetzten bekannt gewesen sei.
Der Kläger hat bestritten, daß die Beklagte den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört und die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten habe. Auch den Zugang des Kündigungsschreibens vom 5. November 1991 hat der Kläger bestritten.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch
die fristlose Kündigung vom 29. Oktober 1991
nicht aufgelöst worden ist, sondern ungekündigt
fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, im Lager der Firma H sei während der Abwesenheit des Klägers ab dem 16. April 1991 ein erheblicher Warenfehlbestand festgestellt worden. Die am 5. Juni 1991 durchgeführte Inventur habe einen Fehlbestand von 178 Geräten ergeben. So hätten im Lager der Firma H drei Nixdorf-Magnetplattensysteme gefehlt, welche an die Firma Sch KG verleast wurden und am 9. Juli 1990 im Lager eingegangen, aber nicht in die Lagerliste eingetragen worden seien. Für diese Geräte habe ein Kaufangebot der Firma BO GmbH über 15.000,-- DM vorgelegen. Die Beklagte habe in Erfahrung gebracht, daß in der Vergangenheit gelegentlich Paletten mit Ware der Beklagten an die Firma K ausgeliefert worden seien, ohne daß insoweit bei der Beklagten Belege existierten. In einem Gespräch am 8. Oktober 1991 mit der Zeugin K habe diese bestätigt, daß sie gelegentlich über den Kläger Geräte der Beklagten bezogen habe. Ab 1989 habe der Kläger ihr, der Zeugin, gesagt, daß Geräte der Beklagten über eine Firma T verwertet würden. In der Folgezeit habe der Kläger der Zeugin Angebote über Geräte der Beklagten unterbreitet. Die bestellten Geräte seien sodann durch die Firma H an die Firma K ausgeliefert worden. Anschließend habe für die Firma T ein Herr He , den ihr der Kläger als Vertreter der Firma T genannt habe, den Kaufpreis unter Übergabe einer Rechnung bar kassiert. So sei am 20. Juni 1990 über die Firma H die Peripherie einer Nixdorf-Anlage 8890 aus dem Lager der Beklagten mit dem Kläger als Auftraggeber an die Zeugin K geliefert worden. Mit Rechnung vom 13. Juli 1990 habe eine Firma T den Kaufpreis in Höhe von 30.780,-- DM in Rechnung gestellt. Am 18. Juli 1990 habe die Zeugin den Kaufpreis bar ausgezahlt. Bei dieser an die Zeugin verkauften Anlage müsse es sich um die Anlage handeln, die von der Beklagten an die Firma I verleast und von dieser zurückgegeben worden sei. Es habe sich um das einzige Gerät dieser Art im Lager der Beklagten gehandelt. Laut Verschrottungsbescheinigung der Firma M ohne Datum sowie Verschrottungsrechnung vom 27. Juni 1990 sei diese Anlage nach Aktenlage verschrottet worden. Wie sich aus dem Lieferschein ergebe, sei die Lieferung an die Zeugin K mit einem Aufklebeband der Firma I versehen gewesen. Eine Firma T sei in öffentlichen Registern seit 1984 nicht eingetragen; ein Herr T habe sich damals unter Zurücklassung erheblicher Verbindlichkeiten ins Ausland abgesetzt. Sie, die Beklagte, habe ihre Ermittlungen am 9. Oktober 1991 abgeschlossen. Nachdem dann der Kläger die zunächst bis 18. Oktober 1991 gesetzte und bis 23. Oktober 1991 verlängerte Frist zur Stellungnahme habe verstreichen lassen, sei der bereits mit Schreiben vom 11. und 23. Oktober 1991 informierte Betriebsrat mit Schreiben vom 25. Oktober 1991 ordnungsgemäß angehört worden. Nach dessen Stellungnahme vom 28. Oktober 1991 sei die Kündigung vom 29. Oktober 1991 innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt worden. Auch das Kündigungsschreiben vom 5. November 1991 sei dem Kläger zugegangen, indem es durch einen Boten am 7. November 1991 um 18.00 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingeworfen worden sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Beweiserhebung durch Vernehmung der Zeugen K und S abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen zuletzt gestellten Antrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
I. Das Berufungsgericht hat die fristlose Kündigung vom 29. Oktober 1991 für wirksam angesehen, weil im Zeitpunkt der Kündigung gegen den Kläger der dringende Verdacht bestanden habe, von der Firma I zurückgelaufene Leasinggeräte an die Firma K geliefert, über eine Firma T den Kaufpreis kassiert und diesen der Beklagten vorenthalten zu haben. Dieser Verdacht eines schwerwiegenden, das notwendige Vertrauen zum Kläger zerstörenden Fehlverhaltens habe sich objektiv auf bestimmte - durch die Beweisaufnahme bestätigte - Tatsachen gegründet. Zu nennen seien insoweit der als Frachtbrief geltende Speditionsübernahmeschein der Spedition H vom 3. März bzw. 8. Juni 1990, der sich durchaus auf die I Geräte beziehen könne, die im Empfänger und der Nr. 80322 dazu passende Speditionsrechnung vom 20. Juni 1990 wegen eines Transportes vom 8. Juni 1990 und die diesbezüglichen Angaben der jedenfalls im Kündigungszeitpunkt glaubwürdigen Zeugin K . Unberücksichtigt bleibe dabei die Aussage der Zeugin, sie habe eine Lieferung auch einmal an den Kläger selbst als angeblichen Vertreter der Firma K bezahlt, weil dies zum Kündigungszeitpunkt noch keine Rolle gespielt habe. Angesichts der vorliegenden Urkunden und Mitteilungen der Zeugin K habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, daß die die I Geräte betreffende - undatierte - Verschrottungsbescheinigung inhaltlich nicht zutreffe, zumal dies zu ihrer damaligen Information gepaßt habe; nach Angaben des Inhabers der Firma M Ko habe dieser dem Kläger sowohl Verschrottungsbescheinigungen im nachhinein abgezeichnet als auch Blankoverschrottungsbescheinigungen zur Verfügung gestellt. Auch habe der Kläger keinerlei Bereitschaft gezeigt, sich zu den konkretisierten Verdachtsmomenten zu äußern, weshalb die Beklagte keinen Anlaß zu weiteren Nachforschungen gehabt habe. Die Beweisanträge des Klägers seien zum Teil unzulässig; auch im übrigen sei den angebotenen Entlastungsbeweisen nicht nachzugehen gewesen, weil sie allenfalls geeignet seien, den Kläger vom Vorwurf der behaupteten Tat zu entlasten, nicht aber die zum Kündigungszeitpunkt bestehenden Verdachtsmomente auszuräumen. So könne das Protokoll der kriminalpolizeilichen Vernehmung der Zeugin K vom 5. Mai 1992 nicht zugunsten des Klägers berücksichtigt werden, weil es nichts daran ändere, daß die Beklagte zum Kündigungszeitpunkt den Bericht der Zeugin als glaubhaft habe ansehen dürfen. Auch der Inhaber der Firma M Ko habe nicht zu den Behauptungen des Klägers vernommen werden müssen, ihm seien keine Blankoverschrottungsbescheinigungen zur Verfügung gestellt und die fragliche Lieferung der Firma I sei tatsächlich verschrottet worden, denn eine Bestätigung der Behauptungen durch den angebotenen Zeugen ändere nichts am gegenteiligen Informationsstand der Beklagten im Kündigungszeitpunkt. Die abweichende Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 16, 72, 81) sei nicht mit dem Grundsatz vereinbar, maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Wirksamkeit einer Kündigung sei der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Dafür, daß der Kläger mit seinem Antrag (auch) einen Wiedereinstellungsanspruch geltend machen wolle, bestehe vorliegend kein Anhaltspunkt. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB habe die Beklagte gewahrt, denn ihr für den Verdacht als Kündigungsgrund maßgeblicher Kenntnisstand sei am 8. Oktober 1991 erlangt worden; durch die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendige und mit der gebotenen Eile in Angriff genommene Anhörung des Klägers sei die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB mindestens um eine Woche gehemmt gewesen, weshalb die Kündigung vom 29. Oktober 1991 noch innerhalb der Frist zugegangen sei. Auch den Betriebsrat habe die Beklagte mit den Schreiben vom 11., 23. und 25. Oktober 1991 ordnungsgemäß angehört und dessen Stellungnahme vom 28. Oktober 1991 abgewartet.
II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten nicht in allen Punkten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht allerdings angenommen, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.
Ein Anfangsverdacht, der Kläger habe sie durch Straftaten geschädigt, entstand für die Beklagte erst im Zuge der Ende September 1991 im Lager H aufgenommenen Ermittlungen. Zuvor ging die Beklagte unbestritten davon aus, die fehlenden Geräte seien verschrottet und die Verschrottungen in den Akten nur nicht komplett dokumentiert. Die folgenden Ermittlungen hat die Beklagte zügig durchgeführt und am 8. Oktober 1991 zu einem vorläufigen Abschluß gebracht. Sie war dann gehalten, den Kläger vor Ausspruch einer Kündigung zu den ermittelten Tatsachen innerhalb einer kurz bemessenen Frist anzuhören, was die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 11. Oktober 1991 auch getan hat. Wegen der notwendigen Anhörung war der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB zunächst gehemmt, und zwar - wie das Landesarbeitsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 10. Juni 1988 - 2 AZR 25/88 - AP Nr. 27 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, m.w.N.) mit Recht angenommen hat - um nochmals mindestens eine Woche. Die am 29. Oktober 1991 zugegangene Kündigung erfolgte also fristgerecht (vgl. ferner BAG Urteil vom 29. Juli 1993 - 2 AZR 90/93 - AP Nr. 31, aaO). Die Revision hat hierzu auch keine Rügen mehr erhoben.
2. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert nicht an einer unzureichenden Anhörung des Betriebsrats. Die dazu getroffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und werden vom Kläger auch nicht angegriffen.
3. Ob die Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB wirksam ist, kann dagegen auf der Grundlage der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden.
a) Nach der genannten Vorschrift kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Prüfung, ob ein bestimmter Sachverhalt die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes erfüllt, ist vorrangig Sache des Tatsachengerichts. Es handelt sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Diese kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 626 BGB Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen eine außerordentliche Kündigung sprechen, beachtet hat (ständige Rechtsprechung des Senats, z. B. Urteil vom 6. August 1987 - 2 AZR 226/87 - und Urteil vom 2. April 1987 - 2 AZR 418/86 - AP Nr. 97 und 96 zu § 626 BGB).
b) Das Landesarbeitsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer sein kann. Nach der ständigen Senatsrechtsprechung liegt eine Verdachtskündigung dann vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAGE 16, 72 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; Senatsurteile vom 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - AP Nr. 18, aaO und vom 26. März 1992 - 2 AZR 519/91 - AP Nr. 23, aaO, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist. Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluß maßgebend, daß der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist (Senatsurteil vom 26. März 1992, aaO, zu B II 1 der Gründe).
c) An dem Rechtsinstitut der Verdachtskündigung ist entgegen den teilweise in der Literatur (vgl. zuletzt Schütte, NZA Beil. 2/1991, S. 17 ff.; Dörner, NZA 1992, 865; ders., NZA 1993, 873) erhobenen Bedenken, auf die sich die Revision stützt, festzuhalten. Jedes Arbeitsverhältnis setzt als personenbezogenes Dauerschuldverhältnis ein gewisses gegenseitiges Vertrauen der Vertragspartner voraus. Dann kann aber auch der Verlust dieses Vertrauens einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen (vgl. Senatsurteil vom 5. Mai 1994 - 2 AZR 799/93 - n. v.; Belling, Festschrift für Otto Rudolf Kissel zum 65. Geburtstag, 1994, S. 11 ff.).
Dem steht die in Art. 6 Abs. 2 MRK verankerte Unschuldsvermutung nicht entgegen; diese bindet unmittelbar nur den Richter, der über die Begründetheit der Anklage zu entscheiden hat (so zutreffend Belling, aaO, S. 25, m.w.N.). Würde man mit der Anwendung des Art. 6 Abs. 2 MRK im Privatrecht ernst machen, so bliebe zudem bis zu einer strafrechtlichen Verurteilung überhaupt keine Kündigungsmöglichkeit, und der Arbeitgeber könnte auf den begründeten Verdacht einer strafbaren Handlung nur mit einer sicherlich zulässigen Suspendierung des Arbeitnehmers reagieren, was dem Arbeitnehmer im Ergebnis eine bezahlte Freistellung bis zum Abschluß des Strafverfahrens verschaffen würde. Selbst wenn aus der Sicht des Arbeitgebers die Verdachtsmomente gegen den Arbeitnehmer "erdrückend" sind, bleibt es ihm unbenommen, lediglich eine Verdachtskündigung auszusprechen, etwa weil er den Arbeitnehmer schonen oder vor Abschluß des Strafverfahrens nicht einer Straftat bezichtigen möchte. Auch die Gegner des Rechtsinstituts der Verdachtskündigung vertreten in letzterem Fall nicht ernsthaft die Ansicht, der Klage des Arbeitnehmers auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung sei stattzugeben, wenn im Prozeß die Begehung der Straftat nachgewiesen ist, der Arbeitgeber die Kündigung aber nur auf den Verdacht einer Straftat gestützt hatte (vgl. BAG, aaO, m.w.N.).
Auch der Hinweis der Revision auf Art. 12 und 20 GG verfängt nicht. Bei der Verdachtskündigung sind Kündigungsgrund objektive Tatsachen, die für den Verlust des zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendigen Vertrauens ursächlich sind. Daß nicht die Gewißheit, sondern der Verdacht einer Pflichtverletzung ein Element in der entsprechenden Kausalkette darstellt, ist keine Besonderheit, die die Verdachtskündigung aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausfallen läßt. Die Anerkennung der Möglichkeit einer Verdachtskündigung stellt also keine Rechtsfortbildung dar, deren Zulässigkeitsvoraussetzungen erst geklärt werden müßten, vielmehr hält sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Verdachtskündigung im Rahmen der gewöhnlichen Gesetzesauslegung.
Zutreffend ist, daß bei der Auslegung von § 626 Abs. 1 BGB auch Grundrechtspositionen Berücksichtigung finden müssen (vgl. KR-Wolf, 3. Aufl., Grunds. Rz 42 a). Für den betroffenen Arbeitnehmer streitet hier Art. 12 Abs. 1 GG als das auch die Beibehaltung des gewählten Arbeitsplatzes umfassende Freiheitsrecht (vgl. BVerfGE 84, 133; KR-Wolf, aaO, Rz 42 b). So würde etwa eine Auslegung von § 626 Abs. 1 BGB dahingehend, daß bereits der rein subjektive Verlust des Vertrauens eines Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers als Kündigungsgrund anzuerkennen ist, der Grundrechtsposition des Arbeitnehmers nicht hinreichend Rechnung tragen. Andererseits fällt aber auch die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers einschließlich der Entscheidung darüber, welche Arbeitnehmer er wielange beschäftigt, unter den Schutz der Grundrechte (Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG; vgl. KR-Wolf, aaO; Scholz in Maunz/Dürig, GG, Stand: September 1991, Art. 12 Rz 50). Es ist zunächst Aufgabe des Gesetzgebers und dort, wo der Gesetzgeber - wie in § 626 Abs. 1 BGB - im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit Generalklauseln verwendet, Sache der Rechtsprechung, den konkurrierenden Grundrechtspositionen ausgewogen Rechnung zu tragen. Hiervon ausgehend ist daran festzuhalten, daß § 626 Abs. 1 BGB bereits im Fall des Verdachts einer Straftat eine außerordentliche Kündigung zuläßt, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, wenn die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (vgl. BAGE 49, 39 = AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972 und Senatsurteil vom 26. März 1992 - 2 AZR 519/91 - AP Nr. 23 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, m.w.N.).
d) Nicht frei von Rechtsfehlern ist allerdings die Ansicht des Berufungsgerichts, erst nach der Kündigung gewonnene Erkenntnisse dürften im Prozeß nicht mehr zugunsten des gekündigten Arbeitnehmers berücksichtigt werden, seinem Entlastungsvorbringen sei nicht nachzugehen. Diese auch in der Literatur (vgl. Belling, aaO, S. 27 f.; vgl. ferner Grunsky, ZfA 1977, 167, 171) vertretene Auffassung verkennt, daß auch bei der Verdachtskündigung letztlich objektive Tatsachen den Verdacht begründen und so das Vertrauen in den Vertragspartner zerstören. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Kündigung sind die unstreitigen oder im Wege der Beweisaufnahme festgestellten Umstände im Zeitpunkt der Kündigung. Die Darlegungslast im Prozeß hat dabei derjenige, der für sich das Recht zur Kündigung in Anspruch genommen hat. Wird ein entsprechender hinreichender Tatsachenvortrag bestritten, so hat ihn der Kündigende zu beweisen. Werden von dem Verdächtigten seinerseits zusätzliche Umstände vorgetragen, die den zunächst ausreichenden Indizwert des unstreitigen bzw. bewiesenen Sachverhalts entkräften, so hat der Kündigende aufgrund der ihm obliegenden Beweislast diesen Vortrag zu widerlegen. Die ständige Senatsrechtsprechung (vgl. BAGE 16, 72, 81 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAGE 27, 113 = AP Nr. 3 zu § 103 BetrVG 1972), wonach für die rechtliche Beurteilung der Kündigung der Erkenntnisstand zum Schluß der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz maßgeblich ist, grundsätzlich also auch nachträgliches Be- und Entlastungsvorbringen zu berücksichtigen ist, ist keine Besonderheit der Verdachtskündigung. So ist etwa die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung von einer negativen Zukunftsprognose abhängig. Es mag sein, daß der kündigende Arbeitgeber nach seinen Erkenntnissen im Kündigungszeitpunkt, etwa aufgrund entsprechender Angaben des Arbeitnehmers, eine solch negative Zukunftsprognose treffen durfte. Gleichwohl ist der Arbeitnehmer im Prozeß nicht gehindert, Tatsachen vorzutragen, die - wenn auch unerkannt - im Kündigungszeitpunkt vorgelegen haben, die die Prognose als unberechtigt erscheinen lassen und die der Arbeitgeber nicht widerlegen kann. Die Kündigung wegen einer Straftat mag sich auf eine nach dem Erkenntnisstand im Kündigungszeitpunkt absolut eindeutige Beweislage stützen; nichts schützt den Arbeitgeber davor, daß etwa sein Belastungszeuge während des Prozesses seine Aussage ändert oder daß der Arbeitnehmer einen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorbringt, mit dem im Kündigungszeitpunkt nicht gerechnet werden konnte und den der Arbeitgeber nicht zu widerlegen vermag. Umgekehrt mag ein Arbeitnehmer aufgrund des zunächst angegebenen Kündigungsgrundes voll darauf vertrauen dürfen, dieser werde sich im Prozeß als unhaltbar herausstellen, und er mag seine Dispositionen danach ausrichten; wenn es dem Arbeitgeber im Verlauf des Prozesses gelingt, einen anderen stichhaltigen Kündigungsgrund nachzuschieben, ist die Klage des Arbeitnehmers abzuweisen. Wie der Arbeitgeber durch das Nachschieben von Tatsachen bei einer Verdachtskündigung den zunächst unzureichenden Verdacht erhärten kann, muß es auch dem Arbeitnehmer möglich sein, den zunächst berechtigt erscheinenden Verdacht durch Tatsachenvortrag zu entkräften. Dies gebietet bereits das erwähnte Grundrecht des Arbeitnehmers auf Beibehaltung des gewählten Arbeitsplatzes (Art. 12 Abs. 1 GG). Unberücksichtigt müssen lediglich solche Tatsachen bleiben, die erst nach der Kündigung entstanden sind, etwa weitere Vorfälle der Art, die den Verdacht begründeten, oder umgekehrt eine Verhaltensänderung des Arbeitnehmers, die erneute Vertrauensstörungen unwahrscheinlich macht.
e) Dementsprechend hätte das Landesarbeitsgericht das Entlastungsvorbringen des Klägers nicht unberücksichtigt lassen dürfen. Dies gilt insbesondere für die unter Berufung auf den Zeugen Ko aufgestellten Behauptungen, er habe von dem Zeugen keine Blankoverschrottungsbescheinigungen erhalten und die von der Firma I zurückgegebenen Geräte seien von der Firma M entsprechend der erteilten Verschrottungsbescheinigung tatsächlich verschrottet worden. Aber auch die Widersprüche, die hinsichtlich der Vernehmungen der Zeugin K durch die Kriminalpolizei in B am 5. Mai 1992 einerseits und durch das Arbeitsgericht am 4. Juni 1992 andererseits festzustellen sind, wird das Berufungsgericht zu beachten haben. Diese Widersprüche berühren die Glaubwürdigkeit der Zeugin. Glaubwürdigkeit ist eine der Person anhaftende Eigenschaft, die im Kündigungszeitpunkt bereits bestand oder auch nicht. Die Widersprüche in den Aussagen der Zeugin sind daher nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil die Aussagen erst nach der streitgegenständlichen Kündigung gemacht wurden.
f) Sollte das Berufungsgericht erneut zu der Feststellung kommen, gegen den Kläger bestehe der dringende Verdacht des Verkaufs zurückgegebener Geräte an der Beklagten vorbei und unter Vortäuschung der Verschrottung, wird es die gemäß § 626 Abs. 1 BGB gebotene abschließende Interessenabwägung nachzuholen haben.
Sollte das Berufungsgericht einen entsprechenden dringenden Verdacht gegen den Kläger nicht mehr feststellen können oder sollte die Interessenabwägung ergeben, daß die außerordentliche Kündigung vom 29. Oktober 1991 unwirksam ist, so wird das Berufungsgericht - ggf. über § 139 Abs. 1 ZPO - weiter zu klären haben, welche Bedeutung der Antrag des Klägers auf Feststellung des ungekündigten Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses hat (vgl. BAG Urteil vom 27. Januar 1994 - 2 AZR 484/93 - EzA § 4 n.F. KSchG Nr. 48). Von dem Ergebnis dieser Klärung wird es dann abhängen, ob das Landesarbeitsgericht die Wirksamkeit der Kündigungen vom 5. November 1991 zu prüfen haben wird.
Bitter Fischermeier Bröhl
Timpe Beckerle
Fundstellen
Haufe-Index 437563 |
BAGE 00, 00 |
BAGE, 18 |
BB 1995, 1358 |
BB 1995, 1358-1359 (LT1-3) |
DB 1995, 534-535 (LT1-3) |
DStR 1995, 947 (K) |
NJW 1995, 1110 |
NJW 1995, 1110-1112 (LT1-2) |
EBE/BAG 1995, 21-24 (LT1-3) |
WiB 1995, 473-474 (LT) |
ARST 1995, 81-83 (LT1-3) |
JR 1995, 220 |
JR 1995, 220 (L) |
NZA 1995, 269 |
NZA 1995, 269-272 (LT1-3) |
RzK, I 8c Nr 33 (LT1-3) |
VersorgW 1995, 189 (T) |
AP § 626 BGB, Nr 24 |
AR-Blattei, ES 1010.9 Nr 81 (LT1-3) |
ArbuR 1995, 229-231 (LT1-3) |
EzA-SD 1995, Nr 1-2, 7-10 (LT1-3) |
EzA § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, Nr 5 (LT1-3) |
MDR 1995, 505-506 (LT) |
Belling / Luckey 2000, 194 |