Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff des “Anlernens mit zusätzlichen Erfahrungen”. Zur Gleichwertigkeit tätigkeitsbezogener Anforderungen mehrerer Alternativen eines Eingruppierungsmerkmals vgl. das Urteil des Senats vom 26. Oktober 1994 – 4 AZR 843/93 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen
Leitsatz (amtlich)
- Tätigkeitsbezogene Anforderungen mehrerer Alternativen eines Eingruppierungsmerkmals sind grundsätzlich gleichwertig, auch wenn ihre Gleichwertigkeit nicht als Tatbestandsmerkmal genannt ist.
- Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals “Ausbildung in einem Anlernberuf” i. S. der Lohngruppe 5 des § 3 Ziff. 1 LRTV ist an den Begriffsinhalt anzuknüpfen, den dieses bei Inkrafttreten des Berufsbildungsgesetzes hatte (Bestätigung der Rechtsprechung des Senats, Urteil vom 15. Oktober 1986 – 4 AZR 572/85 – AP Nr. 51 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie); im Bereich der Metall- und Elektroindustrie ist damit eine Ausbildung mit einer Dauer von mindestens 18 Monaten gemeint.
- Eine 6 – 7– monatige Anlernzeit allein ist daher der “Ausbildung in einem Anlernberuf” nicht gleichwertig. Sie erfüllt somit nicht das Tatbestandsmerkmal “Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen” i. S. der Lohngruppe 5 des § 3 Ziff. 1 LRTV.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie; Lohnrahmentarifvertrag für die Arbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen vom 15. Januar 1982 – LRTV – § 3 Ziff. 1 Lohngruppe 5
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 09.07.1993; Aktenzeichen 9 Sa 8/93) |
ArbG Offenbach am Main (Urteil vom 26.08.1992; Aktenzeichen 1 Ca 126/91) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 9. Juli 1993 – 9 Sa 8/93 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach a. Main vom 26. August 1992 – 1 Ca 126/91 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Einstufung der Klägerin.
Die Klägerin steht jedenfalls seit dem Jahre 1984 in den Diensten der Beklagten. Seit dieser Zeit ist der Klägerin, die vorher als Löterin von der Beklagten beschäftigt worden ist, im Werk R… die Tätigkeit des Entfehlerns von Leiterplatten übertragen, die im Gruppenakkord vergütet wird. Die Anlerndauer für diese Tätigkeit beträgt sechs bis sieben Monate, aufgegliedert in eine drei- bis viermonatige Anlernzeit im Bestücken, Nachlöten und Sichtprüfen und eine sich daran anschließende zweibis dreimonatige Anlernzeit im Entfehlern von Leiterplatten.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien richtet sich kraft beiderseitiger Tarifbindung nach den Tarifverträgen der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen, insbesondere nach dem Lohnrahmentarifvertrag für Arbeiter vom 15. Januar 1982 (im folgenden: LRTV).
Die Beklagte hat die Akkordarbeit der Klägerin zunächst entsprechend der Lohngruppe 3 des LRTV entlohnt. Mit Schreiben vom 19. Juli 1990 hat die Klägerin “die Höhergruppierung in die Lohngruppe 5” verlangt. Daraufhin wurde sie entsprechend der Lohngruppe 4 entlohnt. An ihrer Forderung auf Entlohnung nach der Lohngruppe 5 hält die Klägerin fest. Die Beklagte hat darauf verzichtet, sich wegen dieses Anspruchs auf die tarifliche Ausschlußfrist zu berufen.
Die Tätigkeit der Klägerin ist in dem von der Beklagten aufgestellten Arbeitsbeispiel Nummer 7420.04 “Leiterplatten am FMS 1 und FMS 2 entfehlern” wie folgt beschrieben:
“
…
Werkstück: |
Leiterplatten-Mehrfach- und Einzelnutzen 371 × 218,5 mm, div. elektronische Bauteile |
Arbeitsunterlagen: |
Schriftliche Arbeitsunterweisung allgemeiner Art, besondere schriftliche Hinweise, Zeichnungen, Zeichnungen auf Mikrofilm, Arbeitsrichtlinie “Reparaturen und Änderungen” Ausg. 2, Fehleraufzeichnungskarte, Fehlerarten und -ursachenliste, Reparaturcode-Liste für EDV-Erfassung, Fehlerkarte für Seriennummern. |
Betriebsmittel: |
Flexibles Montagesystem in Form eines Doppelgurtbandes mit steuerbaren Werkstückträgern, schwenkbare GWS-Konsolen, Bauteile-Gefachschrank, Bildschirm mit Tastatur, Mikrofilm-Bildschirm, Lötdampf-Absorber, Lötkolben, Absaug-Lötkolben, Lötkolbenhälter, Lötdrahthalter, Lötspitzenreiniger, Multimeter, Pinzette, Seitenschneider, Justierzange, Skalpell, Schraubendreher, Spiralbohrer mit Halter, Stielbürste, Barcodeleser, höhenverstellbarer Drehstuhl. |
Arbeitsplatz: |
Der Arbeitsplatz ist in ein programmierbares Transport- und Montagesystem integriert. Er ist mit vorgelagerten Bestückplätzen einer Schwallötanlage, einem Sichtprüfplatz, einem Nachlötplatz, Funktionsprüfplatz sowie einem nachgeordneten Trennplatz verknüpft. Die zu bearbeitenden Leiterplatten liegen auf Werkstückträger, die entsprechend codiert, die jeweiligen Bearbeitungsstationen anfahren. An dem Arbeitsplatz besteht die Möglichkeit sowohl stehend als auch sitzend zu arbeiten. Im unmittelbaren Griffbereich steht rechts neben dem Stuhl ein Gefachschrank mit den gebräuchlichsten Bauteilen. Auf dem Schrank steht ein Bildschirm und die dazugehörende Tastatur. Der Mikrofilm-Bildschirm steht auf einer GWS-Konsole, ebenfalls der Halter für die Lötkolben und den Lötzspitzenreiniger. Der Lötdampfabsorber hängt an einem verstellbaren Halter. Über den Werkstückträger kann eine Abdeckplatte geschoben werden. Einige Kleinwerkzeuge liegen auf dieser Platte. Auf einer weiteren Konsole liegt das Multimeter sowie noch weitere Kleinwerkzeuge. Die Aufzeichnungslisten liegen auf der Ablage des Gefachschrankes. Die Arbeitsperson sitzt auf einem höhenverstellbaren Drehstuhl. |
Der Raum ist hell und zugluftfrei. |
Arbeitsvorgang und Arbeitsablauf: |
Die in einem Werkstückträger liegende Leiterplatte wird über das Transportsystem dem Reparaturplatz zugeleitet. Die direkte Zuführung wird von der Arbeitsperson durch Betätigung eines Fußschalters vorgenommen. Mit einem Barcode-Lesestift wird der Plattencode in das Fehler-Erfassungssystem eingelesen; der beim Funktionstest festgestellte Fehler wird auf dem Bildschirm angezeigt. Die Leiterplatte wird dem Werkträger entnommen, mit Hilfe der Zeichnung, der Mikrofilmprojektion, oder des Multimeters wird der Fehler auf der Leiterplatte geortet und beseitigt. Dabei sind Kurzschlüsse zu beseitigen, fehlerhafte Bauteile auszulöten und durch neue Bauteile zu ersetzen. Der beseitigte Fehler wird in einer Aufzeichnungskarte registriert und codiert über Tastatur in das Fehlererfassungssystem eingegeben. Der Barcode wird erneut in das Steuerungssystem eingelesen, die LP in den Werkträger eingelegt und durch Betätigung des Fußschalters dem Transportsystem übergeben. |
Bemerkungen: |
Die Zykluszeiten liegen zwischen ca. 3,1 und 4,5 Min. Der Arbeitsplatz ist taktbestimmt. Es wird im Gruppenakkord gearbeitet. Schwierige Fehler sowie Fehler, die mehrmals zur Beseitigung anstehen, werden aus dem Transportsystem ausgeschleust und außerhalb des Systems von einem Facharbeiter beseitigt. |
Bewertungsbegründung: |
Können: |
Für die Ausführung der Arbeit ist eine Zweckausbildung im Bestücken, Nachlöten und Sichtprüfen Voraussetzung. Danach ist ein Anlernen in der Fehlerbeseitigung erforderlich. Dabei werden oberflächliche Bauteil- und Schaltungskenntnisse sowie Kenntnisse im Umgang mit Meßinstrumenten und mit Datensicht- und – eingabegeräten vermittelt. |
Die Anlerndauer beträgt insgesamt ca. 6-7 Monate. Die Qualitätsüberwachung obliegt einem Vorarbeiter. Die organisatorische Verantwortung liegt bei einem Bandführer, die personelle bei dem Abteilungsmeister. |
… |
Einstufungsbegründung: |
Arbeiten mit Anlernen Einarbeitungszeit ca. 6-7 Monate |
…
Lohngruppe: 4”
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie übe Spezialarbeiten im Sinne der Lohngruppe 5 des § 3 Ziff. 1 LRTV aus. Für ihre Tätigkeit sei ein Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen erforderlich. Obwohl sie bereits vorher als Löterin gearbeitet habe, sei für den Reparaturarbeitsplatz eine erneute Anlernzeit erforderlich gewesen. Aus dem Bereich “Nachlöten und Sichtkontrolle” übernehme die Beklagte nur die qualifiziertesten Mitarbeiterinnen auf einen Reparaturarbeitsplatz. Die von ihr geforderten Kenntnisse und Fertigkeiten gingen weit über Grundfertigkeiten hinaus. Zudem kämen laufend neue Leiterplattentypen hinzu, was eine ständige Weiterbildung erforderlich mache. Häufig seien bei der Einführung von neuen Leiterplatten Schalt- und Meßpunktpläne noch nicht vorhanden. Die Reparatur solcher Leiterplatten ohne vollständige Unterlagen sei nur aufgrund der gesammelten Erfahrungen möglich. Sie sei darauf angewiesen, die möglichen Fehler ohne vorherige Meßvorgänge einzugrenzen, da eine systematische Fehlersuche zu viel Zeit in Anspruch nehme. Aufgrund ihrer Erfahrungen kenne sie die Fehlerschwerpunkte der einzelnen Leiterplattentypen. Nur so könne sie der Erwartung der Beklagten gerecht werden, daß möglichst wenig Leiterplatten zur Reparatur an den Facharbeiter weitergereicht würden.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß sie mit Wirkung vom 1. August 1990 in Lohngruppe 5 LRTV eingruppiert ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, für die Tätigkeit der Klägerin seien weder eine Ausbildung in einem Anlernberuf noch ein Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen erforderlich. Die notwendigen Kenntnisse zum Entfehlern von Leiterplatten würden im Rahmen des Anlernens vermittelt. Mit diesen könnten später auch neue Leiterplatten entfehlert werden. Darüber hinaus seien keine weiteren Erfahrungen zur Ausübung der Tätigkeit erforderlich. Abgesehen davon setze die Einstufung in der Lohngruppe 5 voraus, daß die durch Anlernen und zusätzliche Erfahrungen erworbenen Kenntnisse mit denen durch eine Ausbildung in einem Anlernberuf erworbenen vergleichbar seien. Dies sei bei den durch eine Anlernzeit von sechs bis sieben Monaten vermittelten Kenntnissen nicht der Fall. Unerheblich sei schließlich, daß die Klägerin sich ständig weiterbilden müsse. Die Weiterbildung diene allein dem Erhalt der vorhandenen Qualifikation und könne deshalb eine Höherstufung nicht rechtfertigen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Zu Unrecht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben. Die Tätigkeit der Klägerin entspricht nicht den Merkmalen der Lohngruppe 5 des § 3 Ziff. 1 LRTV. Für die erste Alternative dieser Lohngruppe – “Spezialarbeiten, die eine Ausbildung in einem Anlernberuf erfordern” – ist dies zwischen den Parteien unstreitig. Nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt verrichtet die Klägerin aber auch keine Arbeiten, die der zweiten Alternative dieser Lohngruppe (“Spezialarbeiten, die ein Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen erfordern”), entsprechen.
I. Die Klage ist zulässig.
Nach dem von der Klägerin im Berufungsrechtzug klargestellten Antrag handelt es sich um eine allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage. Für solche Klagen besteht auch außerhalb des öffentlichen Dienstes das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse (Senatsurteile vom 25. September 1991 – 4 AZR 87/91 – AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, zu I der Gründe = EzA § 4 TVG Großhandel Nr. 2; vom 26. Mai 1993 – 4 AZR 358/92 – AP Nr. 2 zu § 12 AVR Caritasverband, zu B I der Gründe).
II. Die Klage ist aber nicht begründet. Die Klägerin verrichtet keine Spezialarbeiten, die ein Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen im Sinne der Lohngruppe 5 des § 3 Ziff. 1 LRTV erfordern.
1. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft Verbandszugehörigkeit der Parteien der LRTV mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG).
2. Für die Einstufung des Akkordlohnarbeiters bestimmt § 5 Ziff. 4 Abs. 1 Satz 2 LRTV, daß jede Akkordarbeit entsprechend der Lohngruppe des betreffenden Akkordlohnarbeiters zu entlohnen ist. Der die Lohngruppen regelnde § 3 Ziff. 1 LRTV hat, soweit für die Entscheidung von Interesse, folgenden Wortlaut:
Ҥ 3
Lohngruppen
Lohngruppe 2: |
Einfache Arbeiten, die keine Arbeitskenntnisse, jedoch eine Zweckausbildung voraussetzen und nur eine geringe körperliche Belastung erfordern. |
Lohngruppe 3: |
Einfache Arbeiten, die unter körperlicher Belastung, die über die vorgenannte Lohngruppe hinausgeht, auszuführen sind oder einfache Arbeiten, deren Ausführung gegenüber der vorgenannten Lohngruppe zusätzliche Erfahrung voraussetzt. |
Lohngruppe 4: |
Arbeiten, zu deren Ausführung die erforderlichen Kenntnisse durch Anlernen erworben sind oder Arbeiten der Lohngruppe 2 mit einer körperlichen Belastung, die über die der Lohngruppe 2 hinausgeht. |
Lohngruppe 5: |
Spezialarbeiten, die eine Ausbildung in einem Anlernberuf oder ein Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen erfordern. |
Lohngruppe 6: |
Arbeiten, deren Ausführung eine Lehre voraussetzen oder Fähigkeiten und Kenntnisse, die denen eines Facharbeiters gleichzusetzen sind. |
… |
“Zweckausbildung” ist die Ausbildung für bestimmte Arbeitsverrichtungen, die nicht nur nach Anweisung ausgeführt werden können.
“Anlernen” ist das systematische Vermitteln von verschiedenen Grundfertigkeiten.
- …”
3. Das Landesarbeitsgericht hat zu den Tatbestandsmerkmalen “Spezialarbeiten, die ein Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen erfordern”, ausgeführt, die von der Klägerin auszuführenden Arbeiten verlangten ein Anlernen, d. h. das systematische Vermitteln von verschiedenen Grundfertigkeiten. Eine Grundfertigkeit sei das Sichtprüfen. Hinzu träten bei der Klägerin zusätzliche Erfahrungen, nämlich das von der Beklagten so genannte Anlernen in der Fehlerbeseitigung und das von der Klägerin unwidersprochen dargelegte praktische Wissen in der Fehlererkennung, wo der am Bildschirm gemeldete Fehler genau sein und worin er bestehen könne. Entgegen der Ansicht der Beklagten müsse das Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen zeitlich nicht der früheren Ausbildung in einem Anlernberuf von zwei Jahren gleichkommen. Die Beklagte weise selbst darauf hin, daß es Anlernberufe seit 1969 nicht mehr gebe. Zwar ergebe der tarifliche Zusammenhang, daß die Anforderungen an das Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen ähnlich wie die an einen Anlernberuf alter Art sein müßten. Diese könnten aber auch im Inhalt der vermittelten Kenntnisse liegen. Es könne ohne weiteres angenommen werden, daß die Arbeiten der Klägerin, die vor einigen Jahren noch von Facharbeitern ausgeführt worden seien, qualitativ an das heranreichten, was bis 1969 von einem Arbeiter in einem Anlernberuf für die damaligen Tätigkeiten verlangt worden sei.
4. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraums der Tatsachengerichte bei unbestimmten Rechtsbegriffen.
a) Das Eingruppierungsmerkmal der Erforderlichkeit eines Anlernens mit zusätzlichen Erfahrungen ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der den Tatsachengerichten einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Subsumtion eröffnet.
Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist bei einem unbestimmten Rechtsbegriff darauf beschränkt, ob das Landesarbeitsgericht vom zutreffenden Rechtsbegriff ausgegangen ist, ob es diesen bei der Subsumtion beibehalten hat, ob ihm bei seiner Anwendung Verstöße gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze unterlaufen sind und ob es alle entscheidungserheblichen Tatbestände berücksichtigt hat (ständige Rechtsprechung des Senats; Urteil vom 14. August 1985 – 4 AZR 322/84 – AP Nr. 105 zu §§ 22, 23 BAT 1975; Urteil vom 4. August 1993 – 4 AZR 511/92 – AP Nr. 38 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel; vgl. jüngst auch den Beschluß des Ersten Senats vom 17. Mai 1994 – 1 ABR 56/93 –, n.v.). Auch bei Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs erweisen sich die vorstehenden Ausführungen des Landesarbeitsgerichts als nicht zutreffend.
Es ist wegen Außerachtlassung wesentlicher Umstände offensichtlich fehlerhaft, wenn das Landesarbeitsgericht daraus, daß die Fehlerbeseitigung an Leiterplatten vor einigen Jahren noch von Facharbeitern ausgeführt worden sind, folgert, die – ab August 1990 – von der Klägerin ausgeführten Arbeiten reichten qualitativ an das heran, was bis 1969 von einem Arbeiter in einem Anlernberuf für die damaligen Tätigkeiten verlangt worden sei. War vor “einigen Jahren” – welche Jahre damit gemeint sind, bleibt undeutlich – noch eine Lehre für die Fehlerbeseitigung an Leiterplatten erforderlich, dann hätte das Landesarbeitsgericht konsequenterweise annehmen müssen, daß diese Arbeiten nicht nur an das heranreichten, was bis 1969 von einem Arbeiter in einem Anlernberuf für die damaligen Tätigkeiten verlangt worden sei, sondern diese nach ihren fachlichen Anforderungen sogar übertrafen. Davon abgesehen berücksichtigt das Landesarbeitsgericht nicht den technischen Fortschritt in der Elektroindustrie. Der Klägerin stehen für die Fehlersuche technische Hilfsmittel zur Verfügung, die “vor einigen Jahren” kaum im Einsatz waren, deren Vorhandensein vom Landesarbeitsgericht jedenfalls nicht festgestellt worden ist. Die Fehlersuche durch die Klägerin vollzieht sich in der Weise, daß sie mit einem Barcode-Lesestift den Plattencode in das Fehler-Erfassungssystem einliest. Der beim Funktionstest festgestellte Fehler wird dann auf dem Bildschirm angezeigt. Die Leiterplatte wird dem Werkträger entnommen, und mit Hilfe der Zeichnung, der Mikrofilmprojektion oder des Multimeters wird der Fehler auf der Leiterplatte geortet.
Welche technischen Geräte “vor einigen Jahren” Facharbeiter für die Fehlersuche an Leiterplatten zur Verfügung hatten und mit welchen Methoden sie seinerzeit diese Suche ausgeführt haben, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Diese Feststellung ist unentbehrlich, wenn man die an die Klägerin gestellten fachlichen Anforderungen mit den an Facharbeiter vor einigen Jahren gestellten vergleichen will.
b) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages, über die hier zwischen den Parteien Streit besteht, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut jedoch nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. z. B. Senatsurteil vom 23. September 1992 – 4 AZR 66/92 – AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, zu I 2a der Gründe, m.w.N.; Senatsurteil vom 21. Juli 1993 – 4 AZR 468/92 – AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung; siehe auch die zusammenfassende Darstellung bei Schaub, Auslegung und Regelungsmacht von Tarifverträgen, NZA 1994, 597 ff.).
c) Die Tätigkeit der Klägerin erfordert zunächst ein Anlernen. Darunter versteht der Tarifvertrag das systematische Vermitteln von verschiedenen Grundfertigkeiten (§ 3 Ziff. 2 Satz 2 LRTV).
Aus dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien ergibt sich, daß nur ein im tarifvertraglichen Sinne angelernter Mitarbeiter mit der Tätigkeit des Leiterplattenentfehlerns beschäftigt werden kann. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Arbeitsbeispiel Nr. 7420.04. Dort ist am Ende unter dem Gliederungspunkt “Einstufungsbegründung” vermerkt: “Arbeiten mit Anlernen”. Unter der Überschrift “Bewertungsbegründung” ist ausgeführt: “Die Anlerndauer beträgt ca. 6-7 Monate”. Es ist davon auszugehen, daß die Beklagte den Begriff des Anlernens in dem Arbeitsbeispiel im tarifvertraglichen Sinne verwendet hat, da dieses auch als Grundlage für die Einstufung dienen soll.
Im übrigen hat die Beklagte auch anerkannt, daß die Klägerin eine Anlerntätigkeit ausübt. Mittlerweile wird diese nach Lohngruppe 4 vergütet. Nach der Lohngruppe 4 werden Arbeiten entlohnt, “zu deren Ausführung die erforderlichen Kenntnisse durch Anlernen erworben sind” (erste Alternative) oder “Arbeiten der Lohngruppe 2 mit einer körperlichen Belastung, die über die der Lohngruppe 2 hinausgeht” (zweite Alternative). Da die Beklagte in Abrede stellt, daß die Tätigkeit der Klägerin mit solchen Belastungen verbunden ist, beruht die Entlohnung der Klägerin nach Lohngruppe 4 darauf, daß die Beklagte die Voraussetzungen der ersten Alternative der Lohngruppe 4 durch die Tätigkeit der Klägerin als erfüllt ansieht.
d) Nach dem festgestellten Sachverhalt sind über das Anlernen hinaus keine zusätzlichen Erfahrungen für die Tätigkeit der Klägerin erforderlich.
Die tarifvertragliche Formulierung “Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen” ist so zu verstehen, daß ein Anlernen und zusätzliche Erfahrungen gefordert werden. Das Wort “mit” hat hier die Bedeutung von “und”.
Das Wort “mit”, als Präposition gebraucht, kann u. a. die Bedeutung haben, daß es den Gegensatz zu “ohne” meint, eine Ausstattung, ein Zubehör (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 4. Bd., 1982, Stichwort: “mit”), also etwas Zusammengehöriges. Eine andere Bedeutung kommt vorliegend nicht in Betracht. Insbesondere kann die tarifvertragliche Formulierung “Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen” nicht dahin verstanden werden, daß die Erfahrungen den Gegenstand des Anlernens bilden. Ein Anlernen von Erfahrungen ist bereits begrifflich ausgeschlossen. “Anlernen” bezeichnet die Vermittlung von Kenntnissen, “Erfahrung” demgegenüber das Erlebnis, aus dem man lernt, im Plural “Erfahrungen” die in der Praxis erworbenen Kenntnisse und Übung (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 2. Bd., 1981, Stichwort: “Erfahrung”).
Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Lohngruppenregelungen ergibt sich, daß zu dem Anlernen zusätzliche Erfahrungen hinzutreten müssen. Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff “zusätzliche Erfahrung” auch in der Lohngruppe 3 verwandt, hier allerdings im Unterschied zur Lohngruppe 5 im Singular. In der Lohngruppe 3 sind u. a. solche Mitarbeiter eingestuft, die für ihre Tätigkeit zum einen eine Zweckausbildung benötigen und zum anderen zusätzliche Erfahrung. Erfordert eine Tätigkeit nur eine Zweckausbildung und keine zusätzliche Erfahrung, so ist die Lohngruppe 2 einschlägig. Die Höherstufung in die Lohngruppe 3 ist davon abhängig, daß neben den vermittelten Kenntnissen (Zweckausbildung) weitere, durch Erfahrung gesammelte Kenntnisse erforderlich sind. Da die Tarifvertragsparteien bei den Lohngruppen 2 und 3 deutlich zwischen Ausbildungs- und zusätzlichen Kenntnissen aus Erfahrung getrennt haben, ist gleiches auch für das Verhältnis der Lohngruppen 4 und 5 anzunehmen: Die Lohngruppe 4 erfordert in der ersten Alternative eine Qualifikation, die durch – bloßes – Anlernen erworben wird, die der Lohngruppe 5 eine solche mit zusätzlichen Erfahrungen, die nicht angelernt worden sind.
Erforderlich sind die zusätzlichen Erfahrungen für die Spezialarbeiten im Sinne der Lohngruppe 5 dann, wenn diese ohne die zusätzlichen Erfahrungen nicht ausgeführt werden können. Die Klägerin ist aber nach der 6 – 7-monatigen Anlernzeit im Gruppenakkord eingesetzt worden. Sie macht selbst nicht geltend, für die von ihr unter Akkordbedingungen verrichtete Tätigkeit des Entfehlerns von Leiterplatten nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein und anfangs keine Normalleistung erbracht zu haben. Mangels diesbezüglichen gegenteiligen Sachvortrags muß davon ausgegangen werden, daß sie von Anfang an ausreichend für ihre Tätigkeit unter Akkordbedingungen angelernt war. Dann hat sie keine Spezialarbeiten zu verrichten, für die über die durch das Anlernen vermittelte Qualifikation hinaus zusätzliche Erfahrungen erforderlich sind.
Unerheblich sind ein Erfahrungszuwachs und ein Routinegewinn, die bei längerer Ausübung einer bestimmten Tätigkeit eintreten und sich beim Akkordlöhner im Akkordergebnis niederschlagen. Sie waren nach dem festgestellten Sachverhalt nicht erforderlich, um den Anforderungen des Arbeitsplatzes bereits nach sechs bis sieben Monaten gewachsen zu sein.
Für die Einstufung spielt es auch keine Rolle, daß die Leiterplatten, an denen die Klägerin Fehler zu beheben hat, infolge technischer Weiterentwicklung wechseln. Veränderungen im Fertigungsprogramm sind in Industriebetrieben der Normalfall. Auch Arbeitnehmer der Lohngruppen 2 – 4 müssen sich auf solche Änderungen einstellen. Eine Anpassung an veränderte Arbeitsbedingungen und die damit verbundene und darauf beschränkte Weiterbildung sind in vielen Berufen und Tätigkeiten zum Erhalt der vorhandenen Qualifikation notwendig und führen in diesem Falle nicht zu einem Anspruch auf eine höhere Vergütung. Etwas anderes gilt für das Einstufungsmerkmal der Lohngruppe 5 dann, wenn sich durch den neuen Arbeitsinhalt der Ausbildungsumfang ändert, im Streitfall also im Jahre 1990 höhere Anforderungen an Kenntnisse und Fertigkeiten für das Entfehlern von Leiterplatten gestellt werden als zum Zeitpunkt der Beendigung der Anlernzeit der Klägerin. Dem Vortrag der Klägerin ist aber nicht zu entnehmen, daß die Anforderungen bei der Fehlersuche insgesamt gewachsen seien. Dann aber hätte sie bei den Leiterplatten, die erst nach Beendigung ihrer Anlernzeit im Laufe der Jahre entwickelt worden sind, wären sie schon damals in der Produktion gewesen, ebenfalls die Fehlerbehebung leisten können, also kraft der ihr in der 6 – 7-monatigen Anlernzeit vermittelten Kenntnisse und Fertigkeiten ohne zusätzliche Erfahrungen.
5. Auch wenn entgegen der vorstehenden Auslegung anzunehmen wäre, daß der Klägerin während ihrer 6 – 7-monatigen Anlernzeit zusätzliche Erfahrungen vermittelt worden sind, kraft derer sie dann nach Abschluß der Anlernzeit den Anforderungen ihres Arbeitsplatzes gewachsen war, ist die Klage unbegründet. Ein auch zusätzliche Erfahrungen vermittelndes Anlernen von dieser Dauer entspricht nicht der zweiten Alternative der Lohngruppe 5.
a) Die Lohngruppen des § 3 Ziff. 1 LRTV unterscheiden hinsichtlich der für die verrichteten Arbeiten erforderlichen Ausbildung zwischen der “Zweckausbildung” (Lohngruppe 2, 3), dem “Anlernen” (Lohngruppe 4, 5), der “Ausbildung in einem Anlernberuf” (Lohngruppe 5) und der “Lehre” (Lohngruppe 6). Der systematische Aufbau des § 3 Ziff. 1 LRTV zeigt, daß eine Ausbildung in einem Anlernberuf über eine Zweckausbildung und ein bloßes Anlernen hinausgeht. Die über der Lohngruppe 5 liegenden Lohngruppen setzen demgegenüber eine “Lehre” voraus. Damit knüpfen die Tarifvertragsparteien mit dem Eingruppierungsmerkmal der Lohngruppe 5, das noch aus der Zeit vor Inkrafttreten des Berufsbildungsgesetzes stammt – das Merkmal gilt spätestens seit dem 12. August 1959 –, ersichtlich an die Begriffe und Berufsausbildungsverhältnisse an, wie sie vor Inkraftreten (1. September 1969) des Berufsbildungsgesetzes vom 14. August 1969 bestanden. Damals unterschied man zwischen Lehrling und Anlernling. Lehrlinge waren Arbeitnehmer, die systematisch in einem anerkannten Lehrberuf ausgebildet wurden. Anlernlinge waren dagegen Arbeitnehmer, die in einem engeren Fachgebiet eine planmäßige Spezialausbildung erhalten haben. Der Anlernling unterschied sich vom Lehrling durch die kürzere Dauer der Ausbildung, die geringeren persönlichen Bindungen an den Ausbildungsherrn und die begrenzte Ausbildung auf einem Spezialgebiet. Darüber hinaus waren damals bestimmte Anlernberufe staatlich anerkannt. Die bei Inkraftreten des Berufsbildungsgesetzes am 1. September 1969 bestehenden anerkannten Lehrberufe und Anlernberufe sind nach der Übergangsvorschrift des § 108 BBiG ausdrücklich als Ausbildungsberuf im Sinne des Berufsbildungsgesetzes anerkannt. Das Berufsbildungsgesetz kennt keinen Unterschied mehr zwischen Lehrberuf und Anlernberuf, sondern nur noch Ausbildungsberufe, die auch die früheren Anlernberufe umfassen. Die neuen Ausbildungsordnungen, die nach § 25 BBiG erlassen werden, lösen damit auch frühere Ausbildungsordnungen für Anlernberufe ab (Urteil des Senats vom 15. Oktober 1986 – 4 AZR 572/85 – AP Nr. 51 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie). Obwohl es die von den Tarifvertragsparteien getroffene Differenzierung zwischen Anlernberuf und Lehrberuf in den Lohngruppen 5 und 6 nicht mehr gibt, ist bei der Auslegung der Tarifnorm an die Differenzierung anzuknüpfen, wie sie vor Inkrafttreten des BBiG bestand (so der Senat in seinem Urteil vom 15. Oktober 1986 – 4 AZR 572/85 – AP, aaO, zu einer tariflichen Regelung aus dem Jahre 1967). Dies entspricht dem Willen der Tarifvertragsparteien, die die Differenzierung entsprechend der damals geltenden Rechtslage getroffen, es dann aber in der Folgezeit bei Änderungen des LRTV – z. B. am 15. Dezember 1971 und 15. Januar 1982 – unterlassen haben, die Lohngruppen der durch das BBiG geschaffenen neuen Rechtslage anzugleichen.
b) Die anerkannten Anlernberufe hatten weitaus überwiegend eine Ausbildungszeit von 2 Jahren. Nach Stemme (Lehr- und Anlernberufe in Industrie und Handel, 1955, S. 7) hatten im Jahre 1954, also etwa zu der Zeit, seitdem es das Eingruppierungsmerkmal der “Ausbildung in einem Anlernberuf” im LRTV gibt, von insgesamt 154 Anlernberufen 115 eine Ausbildungszeit von 2 Jahren, 30 eine solche von 1 1/2 Jahren und 9 eine Ausbildungszeit von 1 Jahr. Im Wirtschaftszweig “Eisen und Metall – Industrie und Handwerk -” (Stemme, aaO) hatten von 44 Anlernberufen nur 5 eine Ausbildungszeit von 1 1/2 Jahren, die restlichen eine solche von 2 Jahren; anerkannte Ausbildungsberufe mit kürzerer Dauer gab es in Industrie und Handwerk im Wirtschaftszweig Eisen und Metall nicht.
Im Jahre 1969, also im Jahr des Inkrafttreten des BBiG, gab es in Handwerk und Industrie im Wirtschaftszweig Eisen und Metall noch 27 anerkannte Anlernberufe, davon 4 mit einer Ausbildungszeit von 1 1/2 Jahren, der Rest mit zweijähriger Ausbildungszeit (Anerkannte Ausbildungsberufe in Industrie, Handel und Verkehr, Arbeitsstelle für betriebliche Berufsausbildung, Bonn, 1969, S. 1 bis 3).
c) Wenn die Tarifvertragsparteien somit auch nach Inkraftreten des BBiG an dem Eingruppierungsmerkmal “Spezialarbeiten, die eine Ausbildung in einem Anlernberuf erfordern” festgehalten haben, ist damit eine mindestens 18-monatige Dauer der Ausbildung in einem Anlernberuf gemeint. Stellt man konkret auf den Anlernberuf ab, der am ehesten der Tätigkeit der Klägerin entspricht, dann ist dies der der Elektroprüferin gewesen, zu deren Aufgaben das Prüfen und Abgleichen von Einzelteilen und Geräten, insbesondere der Reihenfertigung auf den Gebieten der Fernmeldetechnik, sowie das Beheben einfach zu beseitigender Fehler gehörte (Berufsbild der Elektroprüferin, Bielefeld); die Ausbildung in diesem Anlernberuf dauerte zwei Jahre.
d) Der tarifliche Gesamtzusammenhang gebietet es, aus der Dauer der Ausbildung in den Anlernberufen in der Metall- und Elektroindustrie allgemein oder der der Elektroprüferin konkret Folgerungen dafür zu ziehen, nach welcher Zeit die Voraussetzungen der zweiten Alternative der Lohngruppe 5 – Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen – vorliegen können. Tätigkeitsbezogene Anforderungen mehrerer Alternativen eines Eingruppierungsmerkmals sind gleichwertig. Es wäre nicht sachgerecht, wenn die Tarifvertragsparteien dieselbe Lohnhöhe für Tätigkeiten mit unterschiedlichen tätigkeitsbezogenen Anforderungen vorsähen. Spezialarbeiten, die ein Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen erfordern, müssen also denjenigen gleichwertig sein, die eine Ausbildung in einem Anlernberuf erfordern. Dies setzt eine Anlern- und Tätigkeitsdauer voraus, die zu solchen gleichwertigen Spezialarbeiten befähigt. Anderenfalls käme es zu Wertungswidersprüchen. Dies sieht die Klägerin selbst so, wie sie in der Revisionsverhandlung klargestellt hat.
e) Dieser Auslegung des Einstufungsmerkmals der Lohngruppe 5 steht nicht der Umstand entgegen, daß im Unterschied zu der Regelung der Lohngruppe 6 in § 3 des Lohnrahmenabkommens in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens – NW – vom 19. Februar 1975 (LRA) – dies war Gegenstand der Entscheidung des Senats vom 15. Oktober 1986 – 4 AZR 572/85 – AP, aaO –, in der Lohngruppe 5 LRTV dem Substantiv “Anlernen” nicht das Adjektiv “gleichzubewertendes” oder “gleichwertiges” beigefügt ist. Nach der Rechtsprechung des Senats können zur Auslegung eines Tarifvertrages andere Tarifverträge nicht ohne weiteres herangezogen werden (Urteil des Senats vom 31. Oktober 1984 – 4 AZR 604/82 – AP Nr. 3 zu § 42 TVAL II). Die Identität der tätigkeitsbezogenen Anforderungen mehrerer Alternativen folgt schon aus dem Zweck der Eingruppierungsmerkmale, die Höhe der Vergütung des Arbeitnehmers zu bestimmen, so daß die Äquivalenz nicht als Tatbestandsmerkmal genannt sein muß. Dies hat der Senat für das Merkmal des mindestens zweijährigen berufsbegleitenden Lehrgangs im Verhältnis zu einem einjährigen Lehrgang in der Anmerkung (Protokollnotiz) Nr. 15 zur Vergütungsgruppe KR VI Fallgruppe 7 PVergOBAT-KF entschieden (Urteil vom 26. Oktober 1994 – 4 AZR 843/93 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
f) Die Kenntnisse und Fertigkeiten, die ein Arbeiter durch ein Anlernen, bei dem auch zusätzliche Erfahrungen vermittelt werden, in sechs bis sieben Monaten erwerben kann, können denjenigen, die eine 18-monatige Ausbildung in einem Anlernberuf vermittelt, insbesondere auch denjenigen einer Elektroprüferin mit zweijähriger Ausbildungsdauer, nicht gleichwertig sein. Auch wenn die Klägerin somit bereits in der 6 – 7-monatigen Anlernzeit zusätzliche Erfahrungen i. S. der Lohngruppe 5 gemacht hat, steht ihr kein Lohn nach dieser Lohngruppe zu. Die allein in einer Anlernzeit von sechs bis sieben Monaten erlangte Qualifikation vermag den Anspruch auf Lohn nach dieser – unmittelbar unterhalb der Lohngruppe für Facharbeiter mit regelmäßig dreijähriger Lehre liegenden – Lohngruppe nicht zu rechtfertigen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Schaub, Friedrich, Bott, Hecker, Schwarz
Fundstellen
Haufe-Index 857036 |
BAGE, 21 |
NZA 1995, 1044 |