Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Verdachtskündigung
Orientierungssatz
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nicht nur eine erwiesene strafbare Handlung, sondern bereits der Verdacht, eine strafbare Handlung oder eine sonstige Vertragsverletzung begangen zu haben, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein.
2. An die Voraussetzung einer solchen Verdachtskündigung werden jedoch strenge Anforderungen gestellt, um die Gefahr, daß einem Unschuldigen gekündigt wird, in hinnehmbaren Grenzen zu halten.
Normenkette
BGB § 626; BetrVG § 102 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 03.06.1985; Aktenzeichen 2 Sa 1157/84) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 03.12.1984; Aktenzeichen 13 Ca 7896/83) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Verdachtskündigung.
Der Kläger war seit Juni 1969 bei der Beklagten beschäftigt. Im Rahmen seines Anstellungsverhältnisses wurde er für die D (D-AG) eingesetzt; zuletzt war er dort als Abteilungsleiter für den Einkauf zuständig, ihm war Prokura erteilt. Die D ist u.a. Versicherungsvermittler zwischen den Mitarbeitern der Beklagten und anderen Versicherungsgesellschaften.
Im Juni 1982 sprach die Beklagte dem Kläger gegenüber eine Änderungskündigung aus und bot ihm eine Tätigkeit als Sachbearbeiter an. Durch rechtskräftiges Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 13. April 1983 wurde der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Mit Datum vom 21. Dezember 1982 kündigte die Beklagte eine weiteres Mal. Auch diese Kündigung wurde durch Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 29. August 1983 für unwirksam erklärt.
Im vorliegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen eine am 26. August 1983 ausgesprochene fristlose Kündigung der Beklagten; gleichzeitig verlangt er seine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen.
Der fristlosen Kündigung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger erwarb in der ersten Jahreshälfte 1980 bei der Firma H, Inhaber Horst Dieter B, einen Zwei-Pferdeanhänger der Marke Sinclair zum Preise von 5.950,-- DM sowie Gummimatten hierfür zum Preis von 690,-- DM. Nach dem Kauf ließ der Kläger in der Autoreparaturwerkstatt des Herrn Do an dem Anhänger ein Kraftfahrzeugkennzeichen montieren und eine Trennwand versetzen. Der Wagen wurde auf dem Betriebsgelände des Herrn Do abgestellt, wo er bis zum September 1981 regelmäßig stand.
Am 29. Juni 1981 meldete der Kläger den Anhänger über die D zu einer Kaskoversicherung bei der Nürnberger Merkur-Versicherung an. Am 3. September 1981 meldete der Kläger den Pferdeanhänger bei der Polizei als gestohlen, wobei er angab, er habe den Anhänger am Vorabend auf der Straße vor dem Grundstück der Autoreparaturwerkstatt Do abgestellt, damit er am folgenden Morgen bei Öffnung des Betriebes auf seinen Standplatz hätte gebracht werden können. Am selben Tage meldete der Kläger auf einem bei der D dafür vorgesehenen Formular den Schaden bei der Nürnberger Allgemeinen Versicherungs-AG an und fügte eine Erklärung des Zeugen B vom 29. August 1981 bei, in der der Wert des Pferdeanhängers mit 6.500,-- DM angegeben wurde. Die Versicherung regulierte den Schaden in voller Höhe.
Im August 1983 - der genaue Tag ist zwischen den Parteien streitig - teilte der Zeuge Bo dem Vorstand der Beklagten mit, der Zeuge W, der für die D Druckaufträge erledige, habe sinngemäß geäußert, er wisse vom Kläger, daß dieser der Polizei einen Pferdeanhänger als gestohlen gemeldet habe, der gar nicht entwendet worden sei. Die Beklagte erfuhr sodann, daß der Kläger am 3. September 1981 einen Pferdeanhänger als gestohlen gemeldet und die Versicherung den Verlust reguliert hatte. Mit Schreiben vom 17. August 1983 forderte die Beklagte den Kläger wie folgt zur Stellungnahme auf:
"Sehr geehrter Herr M ,
am 15. August 1983 wurde uns folgender
Sachverhalt bekannt:
Im Herbst 1981 sollen Sie einen Pferde-
anhänger bei Herrn H. P. W , Inhaber
der Firma W , abgestellt haben.
Nach unserer Ansicht handelt es sich da-
bei um den Spezialanhänger für Pferde-
transporte, für den sie am 3. September
1981 bei der Nürnberger Merkur eine Fahr-
zeug- (Kasko) -Schadenanzeige abgegeben und
bei der Staatsanwaltschaft Köln Strafanzeige
wegen Diebstahl erstattet haben. Zwischen-
zeitlich hat die Nürnberger Merkur eine
Schadensregulierung in Höhe von DM 6.640,--
vorgenommen.
Sollte dieser Sachverhalt zutreffen, so
liegt unserer Meinung nach ein Kündigungsgrund
vor.
Wir bitten Sie bis ... entweder persönlich mit
uns zu sprechen oder uns eine schriftliche
Stellungnahme zukommen zu lassen."
Der Kläger ließ hierauf durch seinen Prozeßbevollmächtigten mit Schreiben vom 20. August 1983 mitteilen, daß die Sachverhaltsdarstellung im Schreiben der Beklagten vom 17. August 1983 unrichtig sei und nachdrücklich zurückgewiesen werde; er behalte sich rechtliche Schritte wegen unwahrer Tatsachenbehauptungen vor; ein Kündigungsgrund bestehe nicht.
Daraufhin leitete die Beklagte mit formularmäßigem Anschreiben vom 23. August 1983 das Anhörungsverfahren ein und teilte dem Betriebsrat mit, sie beabsichtige, dem Kläger außerordentlich zu kündigen. Mit Schreiben vom 26. August 1983 sprach die Beklagte die fristlose Kündigung aus, gegen die sich der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit zur Wehr gesetzt hat.
Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren (60 Js 87/84 StA Köln) wurde durch Beschluß vom 23. Oktober 1984 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Der Kläger hat geltend gemacht, der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß gehört worden; insbesondere bestreitet er, der Betriebsrat habe am 25. August zur beabsichtigten Kündigung Stellung genommen. Ferner meint der Kläger, die Beklagte habe den Betriebsrat über den Zeitpunkt falsch unterrichtet, an dem sie Kenntnis von dem Sachverhalt erlangt habe, mit dem die Kündigung begründet worden sei. Entgegen ihrer Information habe die Beklagte spätestens am 9. August 1983 erfahren, daß der Kläger auf dem Gelände des Herrn W einen Pferdeanhänger abgestellt haben soll. Die Kündigung sei auch deshalb unwirksam, weil die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten habe. Weiter hat der Kläger vorgetragen, es fehle auch an einem wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung. In diesem Zusammenhang hat er bestritten, er habe Herrn W einen Versicherungsbetrug zugegeben und Herr W habe dies dem Zeugen Bo erzählt. Darüber hinaus hat der Kläger bestritten, im Jahre 1981 einen Versicherungsbetrug begangen zu haben. Die Behauptung der Beklagten, er habe im Herbst 1981 einen Pferdeanhänger bei Herrn W abgestellt, sei nicht geeignet, einen Betrugsverdacht gegen ihn zu begründen. Die Auffassung der Beklagten, dabei habe es sich um den Pferdeanhänger gehandelt, den er am 3. September 1981 als gestohlen gemeldet habe, sei unzutreffend und durch keinen Sachvortrag begründet. In den letzten Jahren habe er mehrere Pferdeanhänger in Besitz gehabt. Insoweit hat er in der Berufungsinstanz konkret behauptet, er habe im Jahre 1980 zwei Pferdeanhänger der Marke Sinclair gekauft, und zwar den ersten im Januar 1980, den zweiten im April 1980. Der Pferdeanhänger, den er am 3. September 1981 als gestohlen gemeldet habe, sei ihm tatsächlich in der Nacht vom 2. auf den 3. September 1981 entwendet worden. Da er in einem Mehrfamilienhaus zur Miete wohne, habe er für seine Pferdeanhänger keine Dauerstellplätze besessen und die Wagen an unterschiedlichen Plätzen abgestellt. U.a. habe er in den Jahren 1980/81 einen Abstellplatz bei Herrn W gehabt.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis
der Parteien durch die fristlose Kündigung
vom 26. August 1983 nicht aufgelöst worden
ist, sondern weiterhin fortbesteht;
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über
den 26. August 1983 hinaus als Dienststellen-
leiter ZH 1 weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß gehört worden. Die Kündigung sei zwar vor Ablauf der 3-tägigen Frist des § 102 BetrVG ausgesprochen worden, der Betriebsrat habe ihr aber am 25. August 1983 mitgeteilt, daß er auf eine Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung verzichte. Damit sei das Anhörungsverfahren abgeschlossen gewesen.
Die Kündigung sei auch wegen dringenden Verdachts eines Betrugs zum Nachteil der Nürnberger Versicherung berechtigt gewesen. Anfang August 1983 habe sich der Inhaber der Firma W GmbH, Herr W, bei dem Zeugen Bo der D nach der Bezahlung einer Druckereirechnung aus dem Jahre 1981 erkundigt. Im Rahmen dieses Gesprächs habe Herr Bo von Herrn W erfahren, daß der Kläger auf dessen Grundstück einen Pferdeanhänger abgestellt hatte, der der Versicherung als gestohlen gemeldet worden sei; Herr W habe dabei geäußert, er könne diese Angelegenheit nicht weitergeben, weil er zum Mitwisser geworden sei. Zwar habe Herr W bei einer späteren Nachfrage erklärt, der Pferdeanhänger habe nur in der Zeit von November 1980 bis Mai 1981 auf seinem Grundstück gestanden. Das sei jedoch unglaubwürdig, da der Pferdeanhänger durchgehend auf dem Gelände der Firma Do abgestellt gewesen sei. Es müsse daher angenommen werden, daß Herr W den Kläger wieder habe entlasten wollen. Das erhärte noch den ursprünglichen Verdacht. In Wirklichkeit habe der Pferdeanhänger nicht bis Mai 1981, sondern erst ab September 1981 bei Herrn W gestanden. Die Behauptung des Klägers, er habe in den letzten Jahren mehrere Pferdeanhänger besessen, sei eine Schutzbehauptung. Es widerspreche der Lebenserfahrung, daß jemand, der ein Pferd besitze, zwei Doppelpferdeanhänger anschaffe und diese auch noch an unterschiedlichen Plätzen abstelle, die mehrere Kilometer auseinander lägen und wiederum kilometerweit von seiner Wohnung entfernt seien. Wenn es tatsächlich so gewesen wäre, hätte der Kläger mit Leichtigkeit die Behauptungen der Beklagten widerlegen können.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 3. Dezember 1984 festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 26. August 1983 nicht aufgelöst worden ist, sondern weiter fortbesteht. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweiserhebung der Berufung des Klägers stattgegeben und die Beklagte auch verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen, während es die selbständige Anschlußberufung der Beklagten zurückgewiesen hat. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage in vollem Umfang.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Anhörung des Betriebsrats zu der beabsichtigten Kündigung sei ordnungsgemäß gewesen. Der Verdacht einer strafbaren Handlung könne zwar je nach den Umständen eine fristlose Kündigung rechtfertigen, aber es könne im zu entscheidenden Fall nicht von so dringenden Verdachtsgründen ausgegangen werden, daß der Beklagten eine Weiterbeschäftigung des Klägers unzumutbar geworden wäre. Der Verdächtigte habe grundsätzlich bei der Suche nach entlastenden Gesichtspunkten mitzuwirken; dem sei der Kläger nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Es habe aber vor allem berücksichtigt werden müssen, daß sich der Verdacht im Laufe des zweitinstanzlichen Verfahrens abgeschwächt habe. Im Kündigungsrechtsstreit seien auch Umstände zu berücksichtigen, die erst aufgrund einer Beweisaufnahme festgestellt würden, von denen die Beklagte im vorliegenden Fall auch bei sorgfältigen Ermittlungen vor Ausspruch der Kündigung keine Kenntnis erlangt hätte. Der Kläger sei auch zu unveränderten Bedingungen von der Beklagten weiterzubeschäftigen, nachdem die KÜndigung in zwei Instanzen einer Überprüfung nicht standgehalten habe und ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers nicht anerkannt werden könne.
B. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat im Ergebnis und im wesentlichen auch in der Begründung an.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß die Kündigung der Beklagten nicht deshalb gemäß § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG unwirksam ist, weil die Kündigung vor Ablauf der Drei-Tages-Frist des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG ausgesprochen worden war. Normalerweise kann ein Arbeitgeber eine Kündigung erst nach Ablauf der Anhörungsfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 bzw. 3 BetrVG aussprechen. Bereits vor Ablauf dieser Fristen kann jedoch eine Kündigung ausgesprochen werden, wenn der Betriebsrat, ohne diese Fristen auszuschöpfen, zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers eine Stellungnahme abgegeben hat, aus der sich ergibt, daß eine weitere Erörterung der Maßnahme nicht beabsichtigt ist und die Erklärung des Betriebsrats eine abschließende Äußerung darstellt (BAG 27, 209, 213 = AP Nr. 4 zu § 102 BetrVG 1972 und BAG 28, 81 = AP Nr. 8 zu § 102 BetrVG 1972).
Die Unterrichtung des Betriebsrats ist vorliegend durch das Formularschreiben vom 23. August 1983 sowie die beigefügte Anlage erfolgt. Dieses Schreiben ging beim Betriebsrat am gleichen Tage ein. Die Drei-Tage-Frist wäre damit am 26. August 1983 abgelaufen gewesen, so daß gemäß § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 1 BGB erst am 27. August 1983 die Kündigung hätte ausgesprochen werden dürfen. Das vom Betriebsrat unterzeichnete Antwortschreiben ist handschriftlich mit dem Datum des 25. August 1983 versehen und ging am 25. August 1983 bei der Personalabteilung der Beklagten ein. Dieses Schreiben enthält keinen vom Betriebsrat in das Formular eingefügten Text; auch ist bei der vorgesehenen Wahlmöglichkeit "der Betriebsrat hat keine/folgende Bedenken:" das Wort "folgende" nicht durchgestrichen, sondern in dem für eine Begründung des Betriebsrats vorgesehenen Freiraum ein Schrägstrich eingesetzt worden. Hierzu hat das Landesarbeitsgericht aufgrund der Vernehmung des Betriebsratsvorsitzenden und Zeugen I festgestellt, der Betriebsrat habe durch den Strich zum Ausdruck gebracht, daß er sich nicht äußern wolle, da er gegen die Kündigung keine Bedenken gehabt habe.
Hatte der Betriebsrat also abschließend bereits am 25. August 1983 zu der beabsichtigten Kündigung Stellung genommen, hat die Beklagte die Kündigung auch am 26. August 1983 aussprechen dürfen.
II. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die mit einem Verdacht einer strafbaren Handlung begründete fristlose Kündigung der Beklagten nicht beendet worden, da ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliege.
1. Die Anwendung des § 626 Abs. 1 BGB durch das Berufungsgericht kann vom Revisionsgericht nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob der Sachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei berücksichtigt worden sind (BAG Urteile vom 26. August 1976 - 2 AZR 377/75 - AP Nr. 68 zu § 626 BGB und vom 20. September 1984 - 2 AZR 633/82 - AP Nr. 80 zu § 626 BGB). Unter Berücksichtigung dieser eingeschränkten Überprüfungsmöglichkeit hält das angefochtene Urteil der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
2. Das Berufungsgericht ist von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 16, 72, 79 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG vom 8. August 1968 - 2 AZR 348/67 - AP Nr. 57 zu § 626 BGB, zu II 2 der Gründe; BAG 24, 99, 102; BAG 29, 7 = AP Nr. 9 zu § 103 BetrVG 1972, zu III 1 der Gründe sowie BAG vom 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu B I 2 a der Gründe) ausgegangen, wonach nicht nur eine erwiesene strafbare Handlung, sondern bereits der Verdacht, eine strafbare Handlung oder eine sonstige Vertragsverletzung begangen zu haben, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein kann. An die Voraussetzungen einer Kündigung wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung werden jedoch strenge Anforderungen gestellt, um die Gefahr, daß einem Unschuldigen gekündigt wird, in hinnehmbaren Grenzen zu halten (BAG 16, 72, 82 ff.).
Daher muß der Verdacht objektiv durch bestimmte Tatsachen begründet sein, wobei die subjektive Wertung des Arbeitgebers nicht entscheidend ist. Als Kündigungsgrund ist nur ein solcher Verdacht geeignet, der einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen kann. Der Verdacht muß dringend sein, d. h. eine Prüfung muß ergeben, daß der verdächtigte Arbeitnehmer mit großer Wahrscheinlichkeit die Tat begangen hat. Dabei ist u. a. von Bedeutung, ob der Verdächtige durch schuldhaftes Verhalten erhebliche Gründe für den Verdacht gegeben und sich nicht um die Aufklärung der ihm zur Last gelegten Tat bemüht hat. Auch muß die strafbare Handlung, deren der Arbeitnehmer verdächtigt ist, selbst schwer sein. Der Arbeitgeber muß darüber hinaus alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan haben, wozu auch die Anhörung des verdächtigten Arbeitnehmers gehört (BAG 16, 72, 82 ff.; BAG vom 11. April 1985, aaO, zu C IV 2 und 3 der Gründe).
3. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, daß der Verdacht eines Versicherungsbetrugs zu Lasten einer fremden Versicherungsgesellschaft gegenüber einem Prokuristen, der selbst bei einer Versicherungsgesellschaft beschäftigt ist, an sich geeignet ist, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist notwendige Vertrauen zu erschüttern.
4. Das Berufungsgericht hat aber in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, vorliegend hätten keine so dringenden Verdachtsgründe vorgelegen, daß der Beklagten die weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger unzumutbar geworden wäre.
a) Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, für die Wirksamkeit der Kündigung seien die Tatsachen entscheidungserheblich, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vorgelegen haben (BAG 16, 72, 81; 27, 113, 123 = AP Nr. 3 zu § 103 BetrVG 1972). Es kommt also auf die Gründe an, die zum Zeitpunkt des Zugangs o b j e k t i v vorgelegen haben (vgl. statt vieler BAG 14, 65 = AP Nr. 50 zu § 626 BGB). Dies gilt auch für die Verdachtskündigung (BAG 16, 72, 81; BAG vom 30. Juni 1983 - 2 AZR 540/81 - nicht veröffentlicht, zu III 6 a der Gründe; BAG vom 20. Januar 1984 - 7 AZR 143/82 - nicht veröffentlicht, zu III 2 der Gründe); auf die - zwangsläufig - subjektiven Vorstellungen des Arbeitgebers kommt es daher nicht an (BAG 16, 72, 82).
Dementsprechend ist eine fristlose Kündigung, die mit einem Fehlverhalten des Arbeitnehmers begründet wird, nicht schon dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung nach gründlicher Prüfung die Gewißheit hatte, der Arbeitnehmer habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten trotz Abmahnung verletzt, vielmehr kommt es allein darauf an, ob der Arbeitnehmer sich tatsächlich einer kündigungsrelevanten Vertragsverletzung schuldig gemacht hat und der Arbeitgeber ihm dies hat nachweisen können. Ob dies der Fall ist, stellt das Gericht in der Tatsacheninstanz erst in der letzten mündlichen Verhandlung fest, ggf. aufgrund einer Beweisaufnahme. Schon hieraus ergibt sich, daß be- und entlastende Umstände, wie z.B. Zeugenaussagen, nach dem Zugang der Kündigung nicht nur berücksichtigt werden können, sondern auch müssen, um feststellen zu können, ob die objektiven Umstände zum Zeitpunkt der Kündigung den Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung berechtigt haben.
b) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht zutreffend unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgeführt, auch bei der Verdachtskündigung könne im Laufe des Rechtsstreits der ursprüngliche Verdacht durch später bekannt gewordene Umstände noch abgeschwächt oder verstärkt werden (BAG 16, 72, 81 ff.; BAG 27, 113, 123; BAG vom 24. Januar 1985 - 2 AZR 317/84 - EzA Nr. 2 zu § 4 TVG Einzelhandel, zu III 4 d bb der Gründe; a.A. BGH vom 13. Juli 1956 - VI ZR 88/55 - AP Nr. 2 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu VII der Gründe; Grunsky, ZfA 1977, 167, 170 ff.; Herschel, BlStSozArbR 1977, 113, 114; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 180; Moritz, NJW 1978, 402), weil die Umstände entscheidungserheblich sind, die objektiv zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vorgelegen haben.
Es besteht kein Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen, ist doch das Institut der Verdachtskündigung von der Rechtsprechung für die Ausnahmefälle entwickelt worden, in denen trotz aller Aufklärungsversuche - auch im Prozeß - ein dringender Tatverdacht nicht ausgeräumt, aber auch die Tat nicht nachgewiesen werden kann und gerade dieser verbleibende Verdacht es dem Arbeitgeber unzumutbar macht, mit dem Arbeitnehmer weiter zusammen zu arbeiten. Würde dem Arbeitnehmer nun die Möglichkeit genommen, im Prozeß den Verdacht zu entkräften, würde die Verdachtskündigung zur Regel werden, dann hätte der Arbeitgeber nur noch ein sehr geringes Prozeßrisiko, er müßte nur noch nachweisen, daß er zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung einen dringenden Tatverdacht haben durfte.
c) Hat das Gericht also alle Umstände zu würdigen, die geeignet sind, den Verdacht zu verstärken oder zu entkräften, hat das Berufungsgericht auch den neuen Tatsachenvortrag, die Zeugenaussagen, die vorgelegten Urkunden, den Inhalt der beigezogenen Ermittlungsakten und das Verhalten des Klägers auf die Vorwürfe würdigen können und müssen.
aa) Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, daß unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Zeuge W den Versicherungsfall mit einem Pferdeanhänger gekannt hat und vom Kläger auf die Bitte, sich zu dem Vorwurf, einen Versicherungsbetrug begangen zu haben, zu äußern, nur lapidar die Sachdarstellung der Beklagten bestritten worden ist, zum Zeitpunkt der Kündigung ein ganz erheblicher Tatverdacht bestanden hat. Dies ist eine mögliche tatrichterliche Würdigung, von der der Senat auszugehen hatte.
bb) Die Revision rügt zu Unrecht, der Anfangsverdacht habe vorliegend durch weiteren Vortrag des Klägers im Prozeß nicht abgeschwächt werden können, weil der Kläger seine Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Verdachts vor Ausspruch der Kündigung verletzt hatte. Der Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht führt nach Rechtsprechung und Literatur zunächst einmal zu einer Verstärkung der Verdachtsmomente, weil durch ihn das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber weiter erschüttert wird (RAG Urteil vom 23. Juni 1934 - RAG 318/33 - ARS 21 (RAG), 145 mit zust. Anm. von A. Hueck; BAG 16, 72, 83; Heilmann, Verdachtskündigung und Wiedereinstellung nach Rehabilitierung, 1964, S. 57, 60; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. I, S. 585; Nikisch, Arbeitsrecht, 3. Aufl., Bd. 1, S. 729, beide mit weiteren Nachweisen). Die Auffassung, durch die Untätigkeit bei der Aufklärung könne der Verdächtigte das Recht verwirken, im nachfolgenden Prozeß zur Erschütterung des Verdachts Einwendungen zu erheben, wird im Schrifttum nicht vertreten und wäre auch eine zu weitgehende Sanktion.
cc) Die Verfahrensrüge, mit der sich die Revision gegen die Berücksichtigung des ihrer Ansicht nach verspäteten Vortrags des Klägers im Berufungsverfahren wendet, er habe 1981 zwei Zwei- Pferdeanhänger erworben, hat keinen Erfolg haben können. Die Zulassung verspäteten Vorbringens durch das Berufungsgericht kann nämlich mit der Revision nicht gerügt werden, das gilt selbst dann, wenn der Vortrag durch das Berufungsgericht hätte zurückgewiesen werden müssen, denn die "Beseitigung" der Beweisaufnahme dient nicht der Beschleunigung des Verfahrens, sondern verzögert dieses noch mehr und dient noch weniger der Wahrheitsfindung (BAG 42, 244, 256 ff.; BGH vom 21. Januar 1981 - VIII ZR 10/80 - NJW 1981, 928, zu I 2 der Gründe; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 44. Aufl., Anm. 2 C zu § 527; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl., § 527 Rz 24).
dd) Das Landesarbeitsgericht ist schließlich im Rahmen seines tatrichterlichen Beurteilungsspielraums zu dem Ergebnis gelangt, der Verdacht des Versicherungsbetrugs sei im Verlaufe des Prozesses soweit abgeschwächt worden, daß die Verdachtskündigung sich als unwirksam erwiesen habe. Dabei hat es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt: Es ist von den merkwürdigen Begleitumständen des Versicherungsfalles ausgegangen, die den erheblichen Anfangsverdacht für einen Versicherungsbetrug begründet haben. Das gilt für die Tatsachen, daß gerade zu dem Zeitpunkt, als ihm ein Pferdeanhänger gestohlen worden sein soll, vom Kläger ein Pferdeanhänger bei dem Zeugen W abgestellt gewesen sein soll, daß er drei Tage vor dem Versicherungsfall von dem Zeugen B sich ein Wertgutachten über den später angeblich gestohlenen Pferdeanhänger hat geben lassen, der Zeuge W von dem Versicherungsfall gewußt hat und der Kläger sich an der Aufklärung des Verdachts nur unzureichend beteiligt hat.
Das Berufungsgericht hat sich aber im Rahmen seines tatrichterlichen Beurteilungsspielraums gehalten, ohne gegen Denkgesetze zu verstoßen, wenn es zu dem Ergebnis kommt, der Verdacht habe sich während des Prozesses soweit abgeschwächt, daß ein wichtiger Grund für eine Verdachtskündigung nicht mehr vorgelegen habe. Nach der Aussage des Zeugen W hat dieser nämlich dem Angestellten der Beklagten Bo nicht gesagt, der Kläger habe ihm erzählt, einen Versicherungsfall angemeldet zu haben, obwohl ihm der Pferdeanhänger gar nicht gestohlen worden sei. Weiter hat der Zeuge W bekundet, der Kläger habe den Pferdeanhänger bei ihm nicht ab September 1981 (also nach dem Versicherungsfall) abgestellt, sondern bis zum Mai 1981. Es ist wiederum kein Verstoß gegen die Denkgesetze, wenn das Landesarbeitsgericht den Aussagen der Ehefrau des Klägers als Zeugin und des Händlers für Reiterbedarf, B, als Zeugen eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür entnommen hat, daß der Kläger in den Jahren 1980/81 bis zu dem Versicherungsfall Anfang September 1981 zwei Pferdeanhänger gehabt habe, und hieraus den Schluß gezogen hat, der Verdacht des Versicherungsbetruges habe sich aufgrund dieser Aussagen abgeschwächt. Es spricht schließlich auch kein Erfahrungssatz dagegen, daß der Eigentümer eines Pferdes zwei Pferdeanhänger hat, weil es durchaus reitsportbegeisterte Familien geben kann, die nur die Möglichkeiten für den Besitz eines Pferdes haben, sich ein weiteres aber von Fall zu Fall mieten.
Dementsprechend begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, daß das Landesarbeitsgericht vorliegend festgestellt hat, daß durch die fristlose Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden ist.
III. Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Weiterbeschäftigung ist der Senat ohne Einschränkung gefolgt.
Außerhalb der Regelungen der § 102 Abs. 5 BetrVG, § 79 Abs. 2 BPersVG hat der gekündigte Arbeitnehmer nach dem Beschluß des Großen Senats vom 27. Februar 1985 (- GS 1/84 - EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9) einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Zugang der fristlosen Kündigung hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Nach dem Beschluß des Großen Senats begründet die Ungewißheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses zunächst ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses, das in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozeß ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht, überwiegt. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewißheit des Prozeßausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers aber nicht mehr begründen. Vorliegend hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, daß die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. In einem solchen Falle besteht ein Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nur dann nicht, wenn sich aus zusätzlichen Umständen ergibt, daß trotz dieser Feststellung ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers besteht, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen. Solche zusätzlichen Umstände, die gegen eine weitere Beschäftigung des Klägers sprechen, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Dementsprechend war die Revision auch insoweit zurückzuweisen.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller
Jansen Nipperdey
Fundstellen
Haufe-Index 437864 |
RzK, I 8c Nr 9 (ST1-3) |