Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtskrafterstreckung im Beschlußverfahren
Leitsatz (redaktionell)
Eine zwischen den Betriebspartnern ergangene rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über den Inhalt einer Betriebsvereinbarung wirkt auch gegenüber den Arbeitnehmern, die Ansprüche aus der Betriebsvereinbarung geltend machen (im Anschluß an die Entscheidung des Ersten Senats, Urteil vom 10. November 1987, 1 AZR 360/86 = BAGE 56, 304 = AP Nr. 15 zu § 113 BetrVG 1972).
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 01.07.1991; Aktenzeichen 4 (9) Sa 1267/90) |
ArbG Bochum (Entscheidung vom 10.08.1990; Aktenzeichen 1 Ca 715/88) |
Tatbestand
Die Beklagte unterhielt in B ein Kaufhaus, das sie zum 31. Oktober 1986 schloß. Alle Mitarbeiter, darunter der Kläger, wurden entlassen. Anläßlich der Schließung des Kaufhauses vereinbarten die Beklagte und der Betriebsrat am 11. Juli 1986 einen Sozialplan, der hinsichtlich der Höhe der zu zahlenden Abfindungen folgende Regelung enthält:
"2. Abfindung
2.1. Es wird ein Grundbetrag von 3.000,-- DM an jeden ausscheidenden vollbeschäftigten Arbeitnehmer gezahlt. Teilzeitbeschäftigte und Arbeitnehmer mit pauschaler Vergütung erhalten den Grundbetrag im Verhältnis der individuellen im Durchschnitt der letzten 3 Monate geleisteten Arbeitszeit zur tariflichen Arbeitszeit.
2.2. Für jedes vollendete Jahr der Unternehmenszugehörigkeit wird 70 % des zum Zeitpunkt des Ausscheidens zahlbaren monatlichen Bruttoentgeltes zugrundegelegt (Basisabfindung).
2.3. Auf die unter 2.2. genannte Basisabfindung (vollendete Jahre x monatliches Bruttoentgelt x 70 %) kommen, soweit zutreffend, aufgrund der spezifischen Gegebenheiten im Hause B folgende Zuschläge:
(1) a) für jedes unterhaltsberechtigte Kind 15 %
b) für Schwerbehinderte und Gleichgestellte 35 %
c) für Arbeitnehmer der Altersgruppen 40 bis 44 Jahre 20 %
ab 45 Jahre 25 %
(2) Die einzelnen Zuschläge können sich bis zur Höchstgrenze von 125 % (für Schwerbehinderte und Gleichgestellte 140 %) unter Einschluß des vorgenannten Faktors von 70 % summieren.
...
3. Arbeitnehmer, die 59 Jahre und älter sind, erhalten eine Abfindung gem. Nr. 2.2., dieses Sozialplanes. Höchstens jedoch für 12 Jahre der Unternehmenszugehörigkeit. Die Differenz zu der sich üblicherweise ergebenden Abfindung gem. Nr. 2.1. bis einschließlich 2.3. (1) dieses Sozialplanes, fließt in einen Fonds für besonders betroffene Arbeitnehmer und wird auf diejenigen Arbeitnehmer verteilt, welche am 30.11.1987 nachweisen, daß sie bis zu diesem Zeitpunkt ununterbrochen arbeitslos waren. Hierbei ist zu beachten, daß Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt des Ausscheidens eine Abfindung in Höhe von 40.000,-- DM und mehr erhalten haben, nur die Hälfte des Betrages der Arbeitnehmer erhalten, die weniger als 40.000,-- DM bekommen haben. 59-jährige und ältere sind von dieser Regelung ausgeschlossen. Die Abwicklung erfolgt über Herrn Notar H M , K straße 53,
B . Die Aufteilung und Überweisung der Gelder ist bis spätestens 05.12.1987 durch Herrn Notar M vorzunehmen. Der Betrag muß einen Monat nach Abschluß dieses Sozialplanes von H an den Notar überwiesen werden. Die Notarkosten gehen zu Lasten der Firma H . Anfallende Zinsen sind an die Arbeitnehmer mit zur Auszahlung zu bringen."
Die Beklagte berechnete die in Ziff. 2.3. (1) genannten Zuschläge zur Basisabfindung aus der Basisabfindung (z. B. 12 Jahre x 3.000,-- DM mtl. x 70 : 100 = 25.200,-- DM = Basisabfindung; Zuschlag für ein unterhaltsberechtigtes Kind 15 % von 25.200,-- DM = 3.780,-- DM).
Die Differenz zwischen den so errechneten Abfindungen und den Abfindungen für höchstens zwölf Jahre Unternehmenszugehörigkeit nach Ziff. 3. des Sozialplanes zahlte sie in den in Ziff. 3. genannten Fond, den sog. Sozialfond, ein. Insgesamt ergab dies einen Betrag von rund 369.000,-- DM. Dieser Fond wurde entsprechend den Bestimmungen in Ziff. 3. des Sozialplanes an die anspruchsberechtigten Arbeitnehmer, u.a. auch an den Kläger, verteilt.
Schon Anfang 1987 kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Betriebsrat und der Beklagten darüber, wie die in Ziff. 2.3. (1) genannten Zuschläge zur Basisabfindung zu berechnen sind. Der Betriebsrat vertrat die Ansicht, daß die Zuschläge nicht aus der Basisabfindung, sondern aus dem Produkt von Jahren der Betriebszugehörigkeit x dem vollen monatlichen Bruttoarbeitsentgelt zu berechnen sei. (In dem obigen Beispiel würde sich danach der Zuschlag für ein unterhaltsberechtigtes Kind auf 12 x 3.000,-- DM x 15 : 100 = 5.400,-- DM belaufen.) Entsprechend höher wäre die Differenz zwischen den Regelabfindungen und den Abfindungen für höchstens zwölf Jahre Unternehmenszugehörigkeit und damit die von der Beklagten geschuldete Zahlung an den Sozialfond. Nach dieser Berechnung hätte die Beklagte rund 61.000,-- DM mehr in den Sozialfond zahlen müssen.
Der Betriebsrat machte gegen die Beklagte ein Beschlußverfahren anhängig mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, diese rund 61.000,-- DM zusätzlich in den Sozialfond einzuzahlen (- 4 BV 180/87 - Arbeitsgericht B , - 12 TaBV 73/88 - LAG Hamm). Das Landesarbeitsgericht wies mit Beschluß vom 25. Oktober 1988 den Antrag des Betriebsrats ab mit der Begründung, die Beklagte habe die Abfindungen und damit auch den an den Sozialfond zu zahlenden Betrag zutreffend berechnet. Diese Entscheidung ist rechtskräftig geworden.
Im vorliegenden Verfahren vertritt der Kläger die schon vom Betriebsrat vertretene Ansicht über die Berechnung der Zuschläge zur Basisabfindung und damit auch über die Berechnung des an den Sozialfond zu zahlenden Betrages. Hätte die Beklagte diesen Betrag zutreffend berechnet, würde auf ihn - rechnerisch unstreitig - ein weiterer Betrag von 1.544,87 DM entfallen. Diesen Betrag macht der Kläger - wie auch eine Reihe weiterer Arbeitnehmer, deren Rechtsstreitigkeiten ausgesetzt sind - im vorliegenden Verfahren geltend und hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.544,87 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 6. April 1988 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, den in den Sozialfond zu zahlenden Betrag zutreffend berechnet zu haben, so daß dem Kläger ein weiterer Anspruch nicht zustehe. Das habe das Landesarbeitsgericht in dem Rechtsstreit zwischen ihr und dem Betriebsrat rechtskräftig entschieden. Diese Entscheidung wirke im vorliegenden Verfahren auch gegen den Kläger.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, daß der Kläger einen weiteren Betrag aus dem Sozialfond nicht verlangen kann.
I.
Das Landesarbeitsgericht hat in einer Hauptbegründung seine Entscheidung damit begründet, daß aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung in dem vorausgegangenen Beschlußverfahren zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat präjudiziell feststehe, daß die Beklagte nicht dazu verpflichtet sei, weitere Zahlungen in den Sozialfond zu leisten. An diese Entscheidung seien die Gerichte auch im vorliegenden Verfahren gebunden. Die Bindungswirkung ergebe sich aus dem besonderen Charakter der Sozialplanansprüche und aus dem Grundsatz, daß die Verfahrensordnung möglichst widersprechende Entscheidungen vermeiden solle. Es hat sich dabei auf die Entscheidung des Ersten Senats vom 10. November 1987 (BAGE 56, 304 = AP Nr. 15 zu § 113 BetrVG 1972) bezogen. Der Erste Senat hat in dieser Entscheidung - zusammengefaßt - den folgenden Rechtssatz aufgestellt:
Wird in einem Beschlußverfahren zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat festgestellt, daß eine geplante Maßnahme des Arbeitgebers diesen nicht zum Versuch eines Interessenausgleichs verpflichte, dann könne das Gericht in einem Verfahren über einen Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG diese Rechtsfrage nicht anders beurteilen.
Der Senat folgt der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis und auch weitgehend in der Begründung.
II.
1.
Die genannte Entscheidung des Ersten Senats vom 10. November 1987 ist im Schrifttum zwar als "praktikabel" und "vernünftig" bezeichnet, gleichwohl aber auch mit der Begründung kritisiert worden, sie stehe im Widerspruch zum geltenden Verfahrensrecht, das eine Erstreckung der Rechtskraftwirkung auf nicht am Verfahren beteiligte Personen grundsätzlich nicht kenne (vgl. ausführlich Jox, Probleme der Bindung an Gerichtsentscheidungen im Rahmen von §§ 111, 113 BetrVG, NZA 1990, 424; Zeiss, SAE 1988, 230; Grunsky, EWiR 1988, 329, 330). Nur Leipold (Anm. zu AP Nr. 15 zu § 113 BetrVG 1972) hält die Entscheidung auch im Ergebnis für zutreffend, allerdings auf der Grundlage der Annahme einer kollektivrechtlichen Repräsentation der Arbeitnehmer durch den Betriebsrat i. Verb. mit einer analogen Anwendung von § 9 TVG.
In letzter Zeit hat Prütting (Prozessuale Koordinierung von kollektivem und Individualarbeitsrecht, RdA 1991, 257) ausführlich die Bindungswirkung von gerichtlichen Entscheidungen im Beschlußverfahren für Individualrechtsstreitigkeiten der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber behandelt und eine solche Bindungswirkung grundsätzlich verneint, jedoch festgestellt, daß es Fälle gebe, in denen bereits die rein materiell-rechtliche Abhängigkeit des Individualanspruchs vom Gegenstand des Beschlußverfahrens die Möglichkeit einer Divergenz ausschließe.
Der Erste Senat hat in einer weiteren Entscheidung (Urteil vom 9. April 1991 - 1 AZR 488/90 - EzA § 18 BetrVG 1972 Nr. 7, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) dahingestellt sein lassen, ob diese Kritik berechtigt ist. Er hat ausgeführt, es ließe sich nicht für alle Entscheidungen zwischen den Betriebspartnern, die im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren ergehen, einheitlich die Frage beantworten, ob und inwieweit diese Entscheidungen eine Bindung auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen den Arbeitnehmern des Betriebes und dem Arbeitgeber entfalten. Er hat eine solche Bindungswirkung jedenfalls für Entscheidungen über einen Antrag nach § 18 Abs. 2 BetrVG bejaht, mit der festgestellt wird, ob ein Nebenbetrieb oder ein Betriebsteil selbständig oder dem Hauptbetrieb zuzuordnen ist oder ob zwei selbständige Betriebe zweier verschiedener Arbeitgeber vorliegen oder ob mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb unterhalten. Eine solche Entscheidung wirke auch gegenüber den Arbeitnehmern des Betriebes, die gegenüber dem Arbeitgeber Ansprüche geltend machen, die von dem Vorhandensein und der Größe des Betriebes abhängen.
2.
Der Erste Senat hat die in seiner Entscheidung vom 10. November 1987 angenommene "präjudizielle Bindungswirkung" aus dem besonderen Charakter der Ansprüche eines Arbeitnehmers aus § 113 Abs. 3 BetrVG hergeleitet. Auch im vorliegenden Verfahren führt die Rechtsnatur des vom Kläger geltend gemachten Anspruches auf Zahlung einer weiteren Sozialplanabfindung dazu, daß aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts in dem vorausgegangenen Beschlußverfahren feststeht, daß dem Kläger dieser Anspruch nicht zusteht.
a)
Der Kläger macht einen Anspruch aus einem Sozialplan geltend. Anspruchsgrundlage für den Klageanspruch ist allein dieser Sozialplan. Eine andere Anspruchsgrundlage scheidet aus. Da alle zusätzlichen Abfindungen nach Ziff. 3. des Sozialplanes aus dem Betrag des Sozialfonds errechnet worden sind, wie er sich aus der einheitlichen Berechnung der Regelabfindungen durch die Beklagte ergab, sind alle in Betracht kommenden Arbeitnehmer gleichbehandelt worden, so daß auch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz als Anspruchsgrundlage ausscheidet.
Der Sozialplan hat nach § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG zumindest die Wirkung einer Betriebsvereinbarung. Seine Regelungen gelten damit nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend. Nur soweit der Sozialplan Leistungen an die Arbeitnehmer zum Ausgleich oder zur Milderung der ihnen aus Anlaß einer Betriebsänderung entstandenen Nachteile vorsieht, haben diese einen Anspruch auf diese Leistungen gegen den Arbeitgeber.
Daraus folgt, daß der Anspruch des Klägers nur dann begründet ist, wenn der Inhalt des Sozialplanes ergibt, daß die Abfindungen, insbesondere die auf die Basisabfindung zu zahlenden Zuschläge, so zu berechnen sind, wie es der Kläger für zutreffend hält. Ergibt der Inhalt des Sozialplanes, daß die Berechnungsweise der Beklagten zutreffend ist, ist der Anspruch des Klägers unbegründet.
b)
Welchen Inhalt ein Sozialplan hat, bestimmen die Betriebspartner durch ihre Einigung. Welche Nachteile in welchem Umfang ausgeglichen oder gemildert werden sollen, ist der Vereinbarung der Betriebspartner überlassen (BAG Urteil vom 25. Oktober 1983 - 1 AZR 620/82 - AP Nr. 18 zu § 112 BetrVG 1972, ständige Rechtsprechung).
Über den Inhalt ihrer Einigung und damit über den Inhalt des Sozialplanes haben die Betriebspartner gestritten. Dieser Streit ist in dem genannten Beschlußverfahren dahin entschieden worden, daß die Einigung so erfolgt ist, wie sie die Beklagte verstanden hat. Diese Entscheidung ist rechtskräftig geworden. Damit steht unter den Betriebspartnern fest, welchen Inhalt ihre Einigung hat. Können die Betriebspartner über den Inhalt ihrer Einigung nicht mehr streiten, dann folgt daraus, daß ihre Einigung von Anfang an hinsichtlich der Berechnung der Abfindungen den Inhalt hatte, von dem die Beklagte bei ihrer Berechnung ausgegangen ist.
Steht damit im Verhältnis der Betriebspartner zueinander fest, welchen Inhalt der Sozialplan hat, so kann auch im Verhältnis der Beklagten zu ihren Arbeitnehmern nur dieser Inhalt zugrundegelegt werden, da die Ansprüche der Arbeitnehmer allein von dem Inhalt der unter den Betriebspartnern getroffenen Einigung abhängen. Hätten die Betriebspartner von Anfang an erkannt, daß die von ihnen bei Niederlegung des Sozialplanes gewählten Formulierungen Anlaß zu Mißverständnissen geben könnten, hätten sie die Regelung so formulieren können, daß sie zweifelsfrei ihre Einigung wiedergab. Diese unterbliebene Klarstellung durch die Betriebspartner wird durch die sie bindende rechtskräftige gerichtliche Entscheidung ersetzt. Dieser gerichtlichen Entscheidung kann daher im Verhältnis der Beklagten zu ihren Arbeitnehmern keine andere Wirkung zukommen als die Einigung der Beteiligten selbst.
3.
a)
Diese notwendige materielle Abhängigkeit der individualrechtlichen Ansprüche der Arbeitnehmer aus einer Betriebsvereinbarung von einer zwischen den Betriebspartnern ergangenen rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über den Inhalt der Betriebsvereinbarung wird im Schrifttum weitgehend anerkannt. Sie wird als Erstreckung der Rechtskraft auf Dritte wegen materiell-rechtlicher Abhängigkeit verstanden (vgl. die Nachweise bei Prütting, aaO, S. 262, 263). Ob es eine solche Erstreckung der Rechtskraftwirkung auf Dritte in allen Fällen materiell-rechtlicher Abhängigkeit gibt bzw. geben kann, braucht vom Senat nicht entschieden zu werden. Jedenfalls dann, wenn der individual-rechtliche Anspruch von dem Bestand oder dem Inhalt eines Normenvertrages abhängig ist, muß eine rechtskräftige Entscheidung über den Bestand oder den Inhalt dieses Normenvertrages auch gegenüber denjenigen Wirkung entfalten, die ihren Anspruch gerade auf diesen Normenvertrag stützen. Das wird für Ansprüche aus einem Tarifvertrag durch § 9 TVG ausdrücklich angeordnet. Danach sind rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte für Arbeitssachen, die in Rechtsstreitigkeiten zwischen den Tarifvertragsparteien aus dem Tarifvertrag oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Tarifvertrages ergangen sind, auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern für die Gerichte bindend. Zu den Rechtsstreitigkeiten "aus dem Tarifvertrag" gehören auch Rechtsstreitigkeiten über die Auslegung und damit über den Inhalt des Tarifvertrages, d.h. der tarifvertraglichen Normen (BAG Urteil vom 28. September 1977 - 4 AZR 446/76 - BAGE 29, 321 = AP Nr. 1 zu § 9 TVG 1969; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 9 Rz 6; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 2. Aufl.,§ 9 Rz 1).
b)
Für Betriebsvereinbarungen fehlt eine entsprechende gesetzliche Vorschrift. Das schließt eine analoge Anwendung des in § 9 TVG zum Ausdruck gebrachten Rechtsgrundsatzes nicht aus, daß in individual-rechtlichen Streitigkeiten über einen Anspruch aus einem Normenvertrag - wie dem Tarifvertrag - der Inhalt dieses Normenvertrages nicht anders beurteilt werden kann, als er durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung im Verhältnis der Tarifvertragsparteien zueinander beurteilt worden ist. Daß für eine solche analoge Anwendung ein zwingendes Bedürfnis besteht, wird vielfach anerkannt und liegt auf der Hand. Der Umstand, daß § 77 BetrVG keine § 9 TVG entsprechende Bestimmung enthält, läßt nicht den Schluß zu, der Gesetzgeber habe eine solche Bindungswirkung bewußt nicht schaffen wollen. § 77 BetrVG enthält auch keine § 4 Abs. 3 TVG entsprechende Bestimmung, daß günstigere Abmachungen den Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung vorgehen. Gleichwohl gilt im Verhältnis zwischen Arbeitsvertrag und Betriebsvereinbarung das Günstigkeitsprinzip (BAG GS Beschluß vom 16. September 1986 - GS 1/82 - BAGE 53, 42 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972). Der aufgezeigte Rechtsgrundsatz trifft für Betriebsvereinbarungen in gleicher Weise wie für Tarifverträge zu. Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen sind Normenverträge (s. auch Fastrich, SAE 1992, 13, 16 ff.). Ebenso wie unter den Tarifvertragsparteien Streit über das Bestehen oder den Inhalt eines Tarifvertrages entstehen und über diesen Streit eine gerichtliche Entscheidung ergehen kann, können die Betriebspartner über das Bestehen oder den Inhalt einer Betriebsvereinbarung streiten und diesen Streit gerichtlich entscheiden lassen. Sowohl Tarifverträge als auch Betriebsvereinbarungen gelten für die an ihre Regelungen gebundenen Arbeitsvertragsparteien unmittelbar und zwingend.
Von daher wird im Schrifttum auch eine analoge Anwendung von § 9 TVG auf Betriebsvereinbarungen jedenfalls für den Fall bejaht, daß zwischen den Betriebspartnern eine rechtskräftige Entscheidung über den Inhalt einer Betriebsvereinbarung ergangen ist (Kraft in Anm. zu AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972; Otto, Entscheidungsharmonie, Verfahrensökonomie und rechtliches Gehör bei Streitigkeiten mit kollektivem Bezug, RdA 1989, 247, 252; Dütz, Kollektivrechtliche Fragestellungen im Arbeitsgerichtsverfahren, ArbRGegw. Bd. 20 S. 33, 34, 53; BAGE 53, 42 = AP, aaO; a. A. Hanau Rechtswirkungen der Betriebsvereinbarung, RdA 1989, 207). Die gegenteilige Ansicht von Prütting (aaO, S. 265) vermag aus den dargelegten Gründen nicht zu überzeugen. Auch der Umstand, daß eine Erstreckung der Rechtskraft auf Dritte stets eine Präklusionsnorm enthält und damit das Recht einer Partei auf rechtliches Gehör verkürzt, steht einer analogen Anwendung des in § 9 TVG zum Ausdruck gekommenen Rechtssatzes nicht entgegen. Zwar trifft es zu, daß die Arbeitnehmer in dem Rechtsstreit der Betriebspartner über den Inhalt der Betriebsvereinbarung nicht gehört werden. Die Erstreckung der Wirkung der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über den Inhalt der Betriebsvereinbarung auf die Arbeitnehmer stellt gleichwohl keinen Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs in Art. 103 GG dar. Entscheiden die Betriebspartner allein über den Inhalt einer Betriebsvereinbarung und sind die Ansprüche der Arbeitnehmer allein von diesem Inhalt abhängig, betrifft auch ein Streit der Betriebspartner über den Inhalt der Betriebsvereinbarung und eine gerichtliche Entscheidung über diesen Streit nur die Betriebspartner, in dem die Arbeitnehmer ebensowenig einen Anspruch darauf haben, gehört zu werden, wie sie von den Betriebspartnern vor ihrer Einigung nicht gehört werden müssen.
Damit wirkt eine zwischen den Betriebspartnern ergangene rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über den Inhalt einer Betriebsvereinbarung auch gegenüber den Arbeitnehmern, die Ansprüche aus dieser Betriebsvereinbarung geltend machen.
4.
Die rechtskräftige Entscheidung des Landesarbeitsgerichts in dem vorausgegangenen Beschlußverfahren besagt in ihrem Tenor allerdings nur, daß der Betriebsrat vom Arbeitgeber nicht verlangen kann, daß dieser noch denjenigen Betrag in den Sozialfond zahlt, den er bei Berechnung der Abfindung entsprechend der Ansicht des Betriebsrats noch zu zahlen hätte. Der Inhalt der strittigen Berechnungsregel des Sozialplanes wird im Tenor der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht festgestellt. Das ist im vorliegenden Fall jedoch unschädlich.
Der vom Betriebsrat geltend gemachte Zahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber war allein davon abhängig, wie die Regelung in Ziff. 2.3. (1) über die Berechnung der Zuschläge zur Basisabfindung zu verstehen war. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch des Betriebsrats deswegen abgewiesen, weil diese Berechnungsregel nicht den vom Betriebsrat angenommenen Inhalt hatte, sondern so zu verstehen ist, wie ihn die Beklagte verstanden hat. Auch damit ist über den Inhalt des Sozialplanes rechtskräftig entschieden. Zwar hat der Betriebsrat keinen entsprechenden Zwischenfeststellungsantrag hinsichtlich des Inhalts der Berechnungsregel gestellt, gleichwohl kommt eine erneute gerichtliche Feststellung über den Inhalt der Berechnungsregel und damit auch eine Feststellung i. S. des Verständnisses des Betriebsrats nicht mehr in Betracht. Für einen solchen Feststellungsantrag des Betriebsrats würde es am Feststellungsinteresse fehlen. Wenn die Beklagte dem Betriebsrat gegenüber nicht verpflichtet ist, weitere Zahlungen in den Sozialfond zu leisten, besteht für den Betriebsrat kein Interesse mehr an der Feststellung, daß die Berechnungsregel gleichwohl eine solche Verpflichtung ergibt. Ein solches Feststellungsinteresse würde sich auch nicht im Hinblick auf die An sprüche der Arbeitnehmer ergeben. Muß die Beklagte keine Zahlungen mehr an den Sozialfond leisten, entfallen auch weitere Ansprüche der Arbeitnehmer, da mangels weiterer Mittel im Sozialfond keine Beträge mehr verteilt werden können.
Damit erweist sich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts schon in ihrer Hauptbegründung als zutreffend, so daß die Revision des Klägers unbegründet ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Matthes Dr. Freitag Dr. Müller-Glöge
Hauk Dr. Apfel
Fundstellen
Haufe-Index 518986 |
BAGE 69, 367-377 (LT1) |
BAGE, 367 |
BB 1992, 2083 |
BB 1992, 2083-2084 (LT1) |
DB 1992, 1833-1835 (LT1) |
AiB 1992, 651-652 (LT1) |
BetrVG, (20) (LT1) |
NZA 1992, 999 |
NZA 1992, 999-1002 (LT1) |
AP § 84 ArbGG 1979 (LT1), Nr 1 |
EzA § 112 BetrVG 1972, Nr 59 (LT1) |
MDR 1993, 57-58 (LT1) |