Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung der Arbeitsvertragsparteien an rechtskräftige Entscheidung im Beschlussverfahren über Inhalt und Bestand eines Sozialplans
Leitsatz (amtlich)
Eine rechtskräftige Entscheidung im Beschlussverfahren über Inhalt und Bestand eines Sozialplans ist gem. § 9 TVG analog auch in einem Rechtsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über eine Abfindung bindend (BAG v. 17.02.1992 - 10 AZR 448/91).
Normenkette
BetrVG § 112 Abs. 1; BGB §§ 125, 177; TVG § 9; BGB §§ 313, 611 Abs. 1; BetrVG § 77 Abs. 4, § 112 Abs. 1 Sätze 2-3; BGB § 125 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 25.07.2012; Aktenzeichen 53 Ca 7552/12) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. Juli 2012 - 53 Ca 7552/12- wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses über die Zahlung einer Abfindung.
Die Beklagte gehört zu einem niederländischen Konzern, der weltweit als Managing Contractor für Rohrleitungssysteme tätig ist. Der am .....1963 geborene Kläger war bei ihr vom 01.09.1984 bis zum 31.03.2012 zuletzt als Polier in der Niederlassung Berlin beschäftigt. Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten entschloss sich die Beklagte dazu, Niederlassungen in Berlin und Leipzig zum 30.09.2012 zu schließen. In Vorbereitung dieser Maßnahme vereinbarte sie mit dem für diese Niederlassungen zuständigen Betriebsrat unter dem 20.02.2012 einen Interessenausgleich und Sozialplan, der für die zu kündigenden Mitarbeiter Abfindungen sowie bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine sog. Sprinterprämie vorsah. Bei den Verhandlungen trat auf Seiten der Beklagten der als "Chief Restructuring Officer" eingesetzten Mitarbeiter Schön auf. Ob dieser ordnungsgemäß bevollmächtigt war und den Sozialplan unterzeichnet hat, ist zwischen den Parteien streitig.
Mit Schreiben vom 28.02.2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30.09.2012. Unter dem 15./17.03.2012 schlossen die Parteien zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Aufhebungsvertrag (Bl. 10 - 14 d.A.), in dem unter 3. die Zahlung einer Abfindung nach dem Sozialplan vom 20.02.2012 in Höhe von 39.690 EUR brutto zzgl. einer Sprinterprämie gem. § 2 Ziff.2.4 des Sozialplans vom 20.02.2012 in Höhe von 16.036,29 EUR brutto vorgesehen war.
Kurz nach Abschluss des Aufhebungsvertrages forderte die Beklagte den Betriebsrat zu Nachverhandlungen über den Sozialplan mit der Begründung auf, die bei seinem Abschluss zugrunde gelegten wirtschaftlichen Verhältnisse hätten sich maßgeblich geändert, nachdem ein Großauftrag überraschend gekündigt worden sei und die Beklagte nunmehr entschieden habe, ihren operativen Geschäftsbetrieb zum 30.06.2012 insgesamt einzustellen. Vor diesem Hintergrund lehnte die Beklagte auch eine Auszahlung der Abfindung an den Kläger ab. Da der Betriebsrat mit Beschluss vom 15.06.2012 eine Nachverhandlung und Anpassung des Sozialplans einschließlich der dort vorgesehenen Abfindungen ablehnte, vereinbarten die Betriebsparteien die Einrichtung einer Einigungsstelle. Diese entschied durch Spruch vom 20.09.2012, für dessen Einzelheiten auf Bl. 262 - 264 d.A. Bezug genommen wird. Zu einer Änderung des Sozialplans kam es in diesem Zusammenhang nicht.
In einem Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht Leipzig (Az 9 BV 72/12) hat die Beklagte beantragt, den Sozialplan vom 20.02.2012 für unwirksam zu erklären. Sie hat sich dabei zum einen auf die fehlende Schriftform berufen und dies damit begründet, der Sozialplan sei auf ihrer Seite von dem Mitarbeiter Schön unterzeichnet worden, der nur von einem Geschäftsführer bevollmächtigt worden sei, obwohl die Beklagte von den Geschäftsführern nur gemeinsam oder aber von einem Geschäftsführer zusammen mit einem Prokuristen habe vertreten werden können. Zum anderen hat die Beklagte geltend gemacht, die Geschäftsgrundlage für den Sozialplan sei nachträglich in Wegfall geraten. Das Arbeitsgericht Leipzig hat mit Beschluss vom 25.01.2013 den Antrag der Beklagten zurückgewiesen und dabei zum einen darauf abgestellt, die Beklagte könne sich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht auf die Unwirksamkeit des Sozialplans wegen fehlender Schriftform berufen, zum anderen angenommen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage sei im Einigungsstellenverfahren abschließend verhandelt und entschieden worden. Etwaige Ermessensfehler der Einigungsstelle habe die Beklagte nicht rechtzeitig geltend gemacht. Die Beklagte hat gegen diesen Beschluss kein Rechtsmittel eingelegt.
Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 25. Juli 2013, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens Bezug genommen wird, die Beklagte verurteilt, an den Kläger 55.726,29 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2012 zu zahlen und die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Zur Begründung hat ...