Entscheidungsstichwort (Thema)
Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG - Probezeitkündigung
Leitsatz (amtlich)
1. Auf die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG sind Zeiten eines früheren Arbeitsverhältnisses mit demselben Arbeitgeber anzurechnen, wenn das neue Arbeitsverhältnis in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis steht; dabei kommt es insbesondere auf Anlaß und Dauer der Unterbrechung sowie auf die Art der Weiterbeschäftigung an.
2. Werden zwei Lehrer-Arbeitsverhältnisse lediglich durch die Schulferien voneinander getrennt, so wird ein enger sachlicher Zusammenhang u.a. dadurch indiziert, daß im ersten befristeten Arbeitsvertrag für die Zeit nach dessen Ablauf eine bevorzugte Berücksichtigung bei der Besetzung von Dauerarbeitsplätzen zugesagt war.
Leitsatz (redaktionell)
Hinweise des Senats:
Teilweise Parallelurteil vom 20. August 1998 - 2 AZR 83/98 zur Veröffentlichung vorgesehen
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Tenor
Tatbestand
Die Klägerin war als Lehrerin beim beklagten Land beschäftigt, und zwar laut Vertrag vom 11. Oktober 1994 für die Zeit vom 12. Oktober 1994 bis 3. Juli 1996 als vollbeschäftigte Lehrkraft im Angestelltenverhältnis mit einer Unterrichtsverpflichtung von 23,5 Wochenstunden an der Städtischen Gesamtschule in S; die Eingruppierung erfolgte nach VergGr. III BAT. Die Klägerin, die als Vertreterin für eine in Erziehungsurlaub befindliche andere Lehrerin eingestellt worden war, unterrichtete in den Klassen 7 und 9 die Fächer Englisch, Französisch sowie Freiarbeit. Während der nach § 3 des Vertrages vorgesehenen Probezeit wurde am 21. Dezember 1994 von der Schuldirektorin eine für die Klägerin positive Leistungsbeurteilung erstellt. Laut Änderungsvertrag vom 24. Mai 1995 wurde die Klägerin vom 1. August 1995 bis 3. Juli 1996 mit zwölf Wochenstunden im übrigen unverändert weiterbeschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis endete am 3. Juli 1996 unmittelbar vor dem Beginn der Sommerferien in Nordrhein-Westfalen. Unter dem 8. Januar 1996 hatte sich die Klägerin bei dem beklagten Land um eine Einstellung auf unbestimmte Zeit beworben. Laut Arbeitsvertrag vom 31. Juli 1996 wurde die Klägerin ab 19. August 1996 als teilzeitbeschäftigte Lehrkraft im Angestelltenverhältnis unter Beibehaltung der Vergütung nach VergGr. III BAT mit zwölf Wochenstunden erneut eingestellt und der Gesamtschule Mitte II in D zugewiesen. Dort unterrichtete sie in zwei Klassen der Jahrgangsstufe 5 im Fach Englisch und in der Arbeitsgemeinschaft Basteln. Aus Anlaß der Beendigung der in § 3 des Vertrages vereinbarten Probezeit erfolgte eine Beurteilung der Klägerin durch den zuständigen Schuldezernenten, die mit dem Gesamturteil endete, die Klägerin habe sich nicht bewährt, Anhaltspunkte für eine mögliche Leistungssteigerung seien nicht feststellbar. Nach Einschaltung des Personalrats für Lehrer/-innen an Gesamtschulen bei der Bezirksregierung Düsseldorf kündigte das beklagte Land mit Schreiben vom 16. Januar 1997 wegen mangelnder Bewährung zum 28. Februar 1997.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die mit dem beklagten Land abgeschlossenen Arbeitsverträge stellten eine Einheit dar, so daß zu ihren Gunsten das Kündigungsschutzgesetz Anwendung finde. Die Kündigung selbst sei sozialwidrig und habe deshalb das Arbeitsverhältnis nicht beenden können; überdies werde die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats nach § 72 a LPVG bestritten.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 16. Januar 1997 nicht aufgelöst worden ist.
Das beklagte Land hat zu seinem Klageabweisungsantrag vorgetragen, die beiden Arbeitsverträge seien als rechtlich selbständig zu bewerten, zumal die Klägerin zunächst nur eine befristete Vertretung an der sechszügigen und bis zur Jahrgangsstufe 13 voll ausgebauten Gesamtschule in S erhalten habe, während ihre Tätigkeit an der vierzügigen Gesamtschule in D, die gerade mit der Jahrgangsstufe 5 begonnen habe, die eines normalen Probezeitlehrers im Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit gewesen sei. Die Personalratsanhörung sei nicht zu beanstanden, da die beabsichtigte Kündigung über das Anhörungsschreiben vom 16. Januar 1997 hinaus mit dem Personalrat mündlich erörtert worden sei.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Die Berufung des beklagten Landes ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält das beklagte Land nach wie vor an seinem Klageabweisungsantrag fest.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß die gegenüber der Klägerin ausgesprochene Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, § 1 Abs. 2 KSchG.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Zwar fordere das Kündigungsschutzgesetz eine ununterbrochene Beschäftigung von sechs Monaten für die Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der Sozialwidrigkeit, woran es im letzten Arbeitsverhältnis fehle; vorliegend sei aber das neue und das alte Arbeitsverhältnis lediglich durch die Schulferien unterbrochen worden, in denen die Klägerin ohnehin vom beklagten Land nicht hätte beschäftigt werden können. Die Schulferien seien mithin kein rechtlich relevanter Zeitraum, der die Annahme einer nur kurzen und deshalb rechtlich nicht erheblichen Unterbrechung der Arbeitsverhältnisse hindere. Da das beklagte Land die Kündigung nicht als sozial gerechtfertigt begründet habe, sei es nicht mehr entscheidungserheblich darauf angekommen, ob eine ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats stattgefunden habe.
II. Dem folgt der Senat. Die Revision rügt zu Unrecht, die beiden Arbeitsverhältnisse hätten unter dem Gesichtspunkt des Kündigungsschutzes nicht als ein Arbeitsverhältnis bewertet werden dürfen, so daß die Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG erfüllt sei.
1. Das Kündigungsschutzgesetz verlangt in § 1 Abs. 1 für den Eintritt des allgemeinen Kündigungsschutzes, daß das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat. Bei einer wörtlichen Anwendung dieser Vorschrift würde die Klage schon daran scheitern, daß die Rechtsbeziehungen der Parteien zwischen dem 3. Juli 1996 und dem 19. August 1996 unterbrochen gewesen sind. Aus dem sozialen Schutzzweck des Kündigungsschutzgesetzes hat jedoch das Bundesarbeitsgericht entnommen, daß jedenfalls die Zeit eines früheren Arbeitsverhältnisses mit demselben Arbeitgeber auf die Wartefrist dann anzurechnen ist, wenn das neue Arbeitsverhältnis in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis steht (ständige Rechtsprechung, grundlegend BAG Urteile vom 23. September 1976 - 2 AZR 309/75 - BAGE 28, 176, 181 f. = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit, zu I 2 c der Gründe; vom 6. Dezember 1976 - 2 AZR 470/75 - BAGE 28, 252, 254 ff. = AP Nr. 2, aaO, zu 3 a bis c der Gründe; vom 18. Januar 1979 - 2 AZR 254/77 - AP Nr. 3, aaO, zu I 2 der Gründe sowie vom 10. Mai 1989 - 7 AZR 450/88 - BAGE 62, 48, 52 ff. = AP Nr. 7, aaO, zu II c der Gründe). Ob das zutrifft, läßt sich nicht anhand starrer zeitlicher Grenzen festlegen, insbesondere hindert nicht jede zumindest dreiwöchige rechtliche Unterbrechung die Anrechenbarkeit (vgl. BAG Urteil vom 4. April 1990 - 7 AZR 310/89 - RzK I 4 d Nr. 15, zu II 2 der Gründe). Der Dauer der Unterbrechung kommt zwar eine wichtige, aber nicht allein maßgebliche Bedeutung zu; ferner sind u.a. der Anlaß der Unterbrechung sowie die Art der Weiterbeschäftigung zu berücksichtigen (vgl. u.a. Urteil vom 10. Mai 1989, aaO, zu II c aa der Gründe). Je länger die rein zeitliche "Unterbrechung" währt, umso gewichtiger müssen die für einen sachlichen Zusammenhang sprechenden Umstände sein.
2. Das Berufungsgericht kommt unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung zu dem zutreffenden Ergebnis, daß jedenfalls wegen der Besonderheit des vorliegenden Falles von einer Einhaltung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG auszugehen ist. Der vertragsfreie Zeitraum vom 4. Juli 1996 bis 18. August 1996 ist in der Tat erheblich und überschreitet damit einen Unterbrechungszeitraum von drei Wochen, den der Senat (vgl. Urteil vom 18. Januar 1979, aaO) als einen verhältnismäßig erheblichen Zeitraum angesehen hat, der es im allgemeinen ausschließt, von einer sachlich nicht ins Gewicht fallenden Unterbrechung auszugehen. Zutreffend hat aber das Landesarbeitsgericht hier darauf hingewiesen, daß der Unterbrechungszeitraum bis auf den Tag genau den offiziellen Schulferien in Nordrhein-Westfalen entsprach, so daß die Klägerin in der Tat von dem beklagten Land in diesem Zeitraum nicht hätte beschäftigt werden können.
Bei dieser Sachlage ist entscheidend darauf abzustellen, ob ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen den beiden Arbeitsverhältnissen besteht. Dies ist vorliegend zu bejahen: Die Klägerin ist in beiden Arbeitsverhältnissen an einer Gesamtschule, also dem gleichen Schultyp, beschäftigt worden. Dabei kann es nicht ins Gewicht fallen, wie die Revision erneut geltend macht, daß die Klägerin im ersten Arbeitsverhältnis an einer sechszügigen und bis Jahrgangsstufe 13 voll ausgebauten Schule, später jedoch an einer nur vierzügigen, bis zur Jahrgangsstufe 5 ausgebauten Gesamtschule tätig war. Denn dabei handelt es sich, was die Art ihres Einsatzes angeht, um marginale Unterschiede, zumal die Klägerin in beiden Arbeitsverhältnissen - jedenfalls zuletzt - im gleichen Umfang (teilzeitweise mit zwölf Wochenstunden) und mit der gleichen Vergütung (VergGr. III BAT) beschäftigt worden ist. Außerdem sind beide Verträge mit derselben Anstellungsbehörde, nämlich der Bezirksregierung in Düsseldorf, abgeschlossen worden. Ein wesentliches Indiz für die Annahme eines engen sachlichen Zusammenhangs ist schließlich, worauf die Klägerin schon in beiden Vorinstanzen hingewiesen hat, die Tatsache, daß bereits im ersten Arbeitsvertrag in § 5 Ziff. 1 vereinbart war, daß sie nach Ablauf der Befristung bei der Besetzung von Dauerarbeitsplätzen bevorzugt zu berücksichtigen sei, wenn die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen erfüllt seien und entsprechende Einstellungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Die in § 5 des Arbeitsvertrages vom 11. Oktober 1994 vereinbarte Option für eine Wiedereinstellung sicherte der Klägerin eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Wiedereinstellung bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen zu. Dieser rechtliche Umstand spricht daher ganz entscheidend für die Annahme eines engen sachlichen Zusammenhangs zwischen beiden Arbeitsverhältnissen. Im Unterschied zu dem ebenfalls am 20. August 1998 entschiedenen Parallelfall ( - 2 AZR 83/98 -) ist daher in dieser Vertragsgestaltung eine Verknüpfung der Arbeitsverhältnisse zu sehen, die es rechtfertigt, von einer Erfüllung der Wartezeit im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG unter Einbeziehung der bereits im ersten Arbeitsverhältnis abgeleisteten Dienstzeit auszugehen.
Dies wird durch folgende Kontrollüberlegung gestützt: Würde das beklagte Land der Klägerin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz positiver Leistungsbeurteilung im ersten Arbeitsverhältnis versagen, würde es selbst wider Treu und Glauben eine Bedingung herbeiführen (§ 162 Abs. 2 BGB), die ihm zum Vorteil gereichen würde; der Eintritt dieser Bedingung gilt nach dieser Bestimmung dann als nicht erfolgt.
3. Der Feststellung des Landesarbeitsgerichts (§ 561 ZPO), das beklagte Land habe die Kündigung vom 16. Januar 1997 nicht im Hinblick auf § 1 Abs. 2 KSchG begründet, ist die Revision nicht entgegengetreten. Mithin ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), weil sie weder durch Gründe in der Person noch im Verhalten der Klägerin bedingt ist.
Unterschriften
Etzel Bitter Bröhl Nipperdey Thelen
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.08.1998 durch Anderl, Amtsinspektorin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436370 |
BB 1998, 2480 |
DB 1998, 2533 |
ARST 1998, 281 |
FA 1999, 20 |
NZA 1999, 481 |
RdA 1999, 229 |
SAE 1999, 160 |
ZAP 1999, 11 |
ZTR 1999, 43 |
AP, 0 |
KomVerw 1999, 341 |