Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerweiterbildung - Sprachkurs
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Beurteilung der Berufsbezogenheit einer Bildungsveranstaltung ist auf die gegenwärtige und künftige Verwendbarkeit der vermittelten Kenntnisse abzustellen. Dabei sind auch Sachverhalte aus der Vergangenheit einzubeziehen, wenn aus ihnen Rückschlüsse für den künftigen Einsatz gezogen werden können. Es genügt, daß die Kenntnisse voraussichtlich verwendbar sind.
2. Ein Sprachkurs Spanisch-Intensiv für eine Journalistin, die mit der Öffentlichkeitsarbeit eines städtischen Presse- und Informationsamtes betraut ist, dient der beruflichen Weiterbildung im Sinne von § 1 Abs. 2 AWbG, wenn die Stadt regelmäßig, wenn auch in größeren Abständen, kulturelle Veranstaltungen durchführt, an der sich die Bevölkerung spanischer Herkunft beteiligt, oder die sich mit dem spanischen Sprachraum, insbesondere auch mit Lateinamerika, befassen.
Normenkette
AWbG NRW § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 19. April 1996 - 15 Sa 933/95 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf bezahlte Freistellung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (AWbG).
Die Klägerin arbeitet als ausgebildete Journalistin im Presse- und Informationsamt der beklagten Stadt. Das Amt vertritt die städtischen Interessen, insbesondere sind Anfragen von Bürgern und Medienvertretern aus dem In- und Ausland zu allen Belangen der Kommune zu beantworten. Die Stadt führt jährlich Kulturtage durch, an denen fremdsprachige Vereine, Verbände oder Künstler teilnehmen. Die hierbei anfallende Öffentlichkeitsarbeit leistet das Presse- und Informationsamt. Die Klägerin ist ferner Mitglied der Redaktion der von der Beklagten für die städtischen Bediensteten herausgegebenen Zeitschrift "Auf Draht". Außerdem schreibt sie für das "H Heimatbuch" und hat im Auftrag der Beklagten mit einem Mitarbeiter der W eine Dokumentation über das kulturelle Leben der Stadt veröffentlicht. Der Anteil der spanischen Bevölkerung der Beklagten beträgt bei etwa 200.000 Einwohnern 1,4 %.
Die Klägerin hat die Beklagte vergeblich aufgefordert, ihren Bildungsurlaubsanspruch 1993 und 1994 durch bezahlte Freistellung für einen vom zuständigen Ministerium als Bildungsveranstaltung anerkannten Sprachkurs Spanisch-Intensiv zu erfüllen. Nach Absprache mit der Beklagten hat sie sodann vom 28. November bis 9. Dezember 1994 Erholungsurlaub, ersatzweise unbezahlten Urlaub erhalten und an dem Kurs teilgenommen. Die Beklagte hat sich verpflichtet, die Klägerin für zwei Wochen bezahlt freizustellen, falls ihr die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme zu Unrecht verweigert worden ist.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die spanischen Sprachkenntnisse dienten ihrer beruflichen Weiterbildung. Auch verhalte sich die Beklagte widersprüchlich, wenn sie zwar einem ehemaligen Sozialarbeiter des Jugendamtes die Teilnahme an demselben Sprachkurs als Arbeitnehmerweiterbildung ermögliche, nicht aber ihr.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet war, ihr für die Zeit vom 28. November 1994 bis einschließlich 9. Dezember 1994 Sonderurlaub gemäß § 3 AWbG ohne Anrechnung auf den Jahresurlaub unter Fortzahlung der Bezüge zu gewähren, und zwar zur Teilnahme an einem Sprachkurs der Sprachschule L des Vereins zur Förderung des Deutsch-Spanischen Kulturaustausches e.V.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Die Beklagte hat die Berufsbezogenheit des Sprachkurses verneint. Die Klägerin habe ihre Sprachkenntnisse nur vertieft, um ihre Promotion abschließen zu können.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision. Die Klägerin bittet um deren Zurückweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
I. Der Feststellungsantrag ist zulässig. Zwar ist er auf einen in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Sachverhalt gerichtet. Feststellungsanträge mit diesem Inhalt sind jedoch zulässig, wenn sich daraus Rechtsfolgen für die Gegenwart oder Zukunft ergeben (ständige Rechtsprechung des Senats, BAG Urteil vom 15. Juni 1993 - 9 AZR 261/90 - BAGE 73, 225 = AP Nr. 4 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, m.w.N., vgl. außerdem Urteil des Fünften Senats vom 23. April 1997 - 5 AZR 727/95 - EzA § 256 ZPO Nr. 47 und Urteil des Vierten Senats vom 24. September 1997 - 4 AZR 429/95 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). So verhält es sich hier. Denn die Beklagte hat sich zur weiteren Freistellung der Klägerin von der Arbeitspflicht zur Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung verpflichtet, sofern die Klägerin in diesem Rechtsstreit obsiegt.
II. Der Feststellungsantrag ist begründet. Die Klägerin hatte einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit für die Zeit vom 28. November bis 9. Dezember 1994 zur Teilnahme am Spanisch-Intensivkurs für Fortgeschrittene. Die Veranstaltung diente ihrer beruflichen Weiterbildung im Sinne von § 1 Abs. 2 AWbG.
1. Nach der Rechtsprechung des Senats genügt eine Bildungsveranstaltung den gesetzlichen Voraussetzungen der beruflichen Weiterbildung nicht nur, wenn sie Kenntnisse zum ausgeübten Beruf vermittelt, sondern auch, wenn das erlernte Wissen im Beruf verwendet werden kann und so im weitesten Sinne auch für den Arbeitgeber von Vorteil ist, wie z.B. der Erfahrungsgewinn im Umgang mit Menschen und der Erwerb von Eigeninitiative und Verantwortungsbereitschaft (vgl. dazu BVerfG Beschluß vom 11. Februar 1992 - 1 BvR 890/94, 1 BvR 74/87 - AP Nr. 1 zu § 1 SonderurlaubsG Hessen). Die gesetzlichen Voraussetzungen werden deshalb auch dann erfüllt, wenn Kenntnisse vermittelt werden, die zwar zunächst dem Bereich der personenbezogenen Bildung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 7 Weiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen zuzuordnen und von der Arbeitnehmerweiterbildung ausgeschlossen sind, die der Arbeitnehmer aber zum auch nur mittelbar wirkenden Vorteil des Arbeitgebers in seinem Beruf verwenden kann (BAG Urteil vom 15. Juni 1993 - 9 AZR 261/90 - BAGE 73, 225 = AP Nr. 4 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW; BAG Urteil vom 24. August 1993 - 9 AZR 473/90 - AP Nr. 11 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW). Die vermittelten Sprachkenntnisse müssen für den ausgeübten Beruf einen objektiv nachvollziehbaren oder fördernden Bezug ausweisen. Es genügt nicht, daß Sprachkenntnisse als sog. Schlüsselqualifikation angesehen werden (BAG Urteil vom 21. September 1993 - 9 AZR 258/91 - BAGE 74, 218 = AP Nr. 68 zu § 611 BGB Dienstordnungs-Angestelle). Das Aneignen von Vorratswissen ohne absehbare konkrete Verwendbarkeit im Arbeitsverhältnis scheidet damit aus.
2.a) Das Landesarbeitsgericht hat die Berufsbezogenheit des Sprachkurses mit der Öffentlichkeitsarbeit begründet, die dem Presse- und Informationsamt der Stadt übertragen ist. Die Spanischkenntnisse der Klägerin seien förderlich, um die Außenkontakte des Amtes mit Medienvertretern und Mitbürgern aus dem spanischen Sprachraum wahrzunehmen und zu pflegen. Die Verwendung der Muttersprache des Gesprächspartners diene der sprachlichen Absicherung und könne Mißverständnisse vorbeugen. Sie biete eine Chance für einen vertrauensvollen und vorurteilsfreien Umgang und könne das gegenseitige Verständnis fördern. Für die journalistische Arbeit der Klägerin sei dies nützlich.
b) Diese Ausführungen lassen entgegen der Auffassung der Revision Rechtsfehler nicht erkennen. Sie sind nicht spekulativ, sondern berücksichtigen die Arbeit der Klägerin als Journalistin und stellen die Funktion der Sprache als Mittel der Verständigung heraus.
(1) Die Beklagte rügt zu Unrecht, das Landesarbeitsgericht habe den greifbaren Vorteil, der sich für sie als Arbeitgeberin aus der Weiterbildung der Klägerin ergeben müsse, nicht positiv festgestellt. Dabei übersieht die Beklagte, daß die Bildungsveranstaltung keine Kenntnisse vermitteln muß, die der Arbeitgeber selbst als erforderlich oder nützlich ansieht. Maßgebend ist vielmehr der objektive Bezug der Bildungsinhalte zur ausgeübten Tätigkeit. Kann das vermittelte Sachwissen bei der Arbeit verwendet und damit nutzbringend eingesetzt werden, ergibt sich daraus gleichzeitig der jedenfalls mittelbare Vorteil für den Arbeitgeber. Er erhält das "bessere" Arbeitsergebnis (vgl. Urteil des Senats vom 15. Juni 1993 - 9 AZR 261/90 - BAGE 73, 225 = AP Nr. 4 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW).
Diese Schranke wahrt die angefochtene Entscheidung. Sie stellt auf die dem Presse- und Informationsamt übertragene Öffentlichkeitsarbeit ab. Die Berufsbezogenheit des Sprachkurses wird nicht nur abstrakt beurteilt, sondern unter Berücksichtigung der konkreten Arbeitsaufgaben der Klägerin als Journalistin.
(2) Die Beklagte macht ferner geltend, das Landesarbeitsgericht habe die Nützlichkeit der Bildungsmaßnahme mit Vorgängen aus der Vergangenheit begründet, deren Wiederholung nicht feststehe. Das sei rechtsfehlerhaft.
Dem folgt der Senat nicht.
Berufliche Weiterbildung ist zukunftsorientiert. Ob der Arbeitnehmer die Sprachkenntnisse in seiner beruflichen Praxis anwenden kann, ist deshalb vorab zu beurteilen. Maßgebend ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber über die bezahlte Freistellung des Arbeitnehmers zu entscheiden hat. In die Einschätzung sind alle Umstände einzubeziehen, die für die Beurteilung der Bildungsmaßnahme bestimmend sein können. Hierzu zählen auch Erfahrungen aus der Vergangenheit, soweit aus ihnen auf eine künftige Verwendbarkeit geschlossen werden kann. Der danach mögliche Einsatz muß allerdings entgegen der Auffassung der Beklagten nicht "feststehen". Da die berufliche Weiterbildung den Arbeitnehmer auch befähigen soll, künftigen Anforderungen gerecht zu werden und seine fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse zu erweitern, genügt es, wenn die Prognose den Erwerb des Sachwissens als sinnvoll erscheinen läßt.
(3) Die von der Beklagten angezogene Rechtsprechung des Senats steht der Auffassung des Senats in dieser Sache nicht entgegen.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 24. August 1993 (- 9 AZR 473/90 - AP Nr. 11 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW) ausgeführt, ein hinreichender Bezug zur beruflichen Tätigkeit erfordere eine Kontinuität in der Verwendung der Sprache in der beruflichen Tätigkeit, wie dies bei einem berufsbedingten Umgang mit Ausländern der Fall sei. Der Gesichtspunkt der Kontinuität dient der Abgrenzung der beruflichen Weiterbildung zur allgemeinen Weiterbildung bei Sprachkursen. Damit wird nicht vorausgesetzt, daß der Arbeitnehmer ständig mit Ausländern oder Deutschen, die aus einem fremden Sprachraum stammen, umzugehen hat. Der nicht auf den Einzelfall beschränkte berufsbedingte Kontakt genügt.
Diese Voraussetzungen hat das Landesarbeitsgericht unter Hinweis auf die regelmäßigen kulturellen städtischen Veranstaltungen, an denen auch Bürger aus dem spanischen Sprachraum teilnehmen, oder die sich mit dem spanischen Sprachraum, insbesondere mit Lateinamerika, befassen, zu Recht für gegeben erachtet.
Eine Journalistin, deren Arbeitsgebiet auch darin besteht, kommunale Aufgaben in der Öffentlichkeit darzustellen, ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darauf zu verweisen, im internationalen Medienbereich werde Englisch gesprochen. DieNützlichkeit vertiefter Kenntnisse der spanischen Sprache wird durch das Übergewicht der englischen Sprache nicht ausgeschlossen. Die Klägerin braucht auch nicht nachzuweisen, daß die mit den kulturellen Veranstaltungen verbundene Öffentlichkeitsarbeit durch ihre spanischen Sprachkenntnisse besser erledigt werden kann. Über die Muttersprache wird der Zugang zum fremden Sprachraum und zu den aus ihm stammenden Bevölkerungsgruppen erleichtert. Diesen Umstand hat die Beklagte für die Sozialbetreuung spanischer Jugendlicher bereits anerkannt, als sie dafür die Weiterbildung in Spanisch zugelassen hat. Für die im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit mit spanischen Vereinen und Teilnehmern zu pflegenden Kontakte kann nichts anderes gelten.
Die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu den kulturellen Veranstaltungen sind von der Beklagten nicht gerügt. Auf ihre weitere Rüge, das angefochtene Urteil vernachlässige ihren Sachvortrag, es habe keine Anfragen in spanischer Sprache aus dem spanisch sprechenden Bevölkerungsanteil der Stadt beim Presse- und Informationsamt gegeben, kommt es deshalb nicht an. Ebenso unbeachtlich ist, daß die Klägerin die spanischen Sprachkenntnisse auch zur Fertigstellung ihrer Promotion benötigt.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Leinemann Düwell Reinecke Schwarz Busch
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.10.1997 durch Brüne, Justizsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436541 |
BB 1998, 956 |
DB 1998, 1135 |
FA 1998, 168 |
NZA 1998, 758 |
RdA 1998, 250 |
ZAP 1998, 535 |
ArbuR 1998, 284 |
PersR 1998, 213 |