Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Sonderzahlung bei Erziehungsurlaub
Leitsatz (amtlich)
Der Zweck einer betrieblichen oder tariflichen Sonderzahlung, wie er sich allein aus deren Voraussetzungen, Ausschluß- und Kürzungstatbeständen ergibt, kann zwar bei der Auslegung der konkreten Regelung zu berücksichtigen sein, nicht aber weitere Ausschluß- oder Kürzungstatbestände begründen.
Normenkette
BGB § 611; Tarifvertrag über eine Jahresleistung in der chemischen Industrie in Westfalen vom 28. Juni 1989 § 2
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 13.12.1991; Aktenzeichen 10 Sa 1336/90) |
ArbG Rheine (Urteil vom 08.08.1990; Aktenzeichen 2 Ca 210/90) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. Dezember 1991 – 10 Sa 1336/90 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die Klägerin ist seit Juli 1987 als pharmazeutisch-technische Assistentin bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung die jeweiligen Tarifverträge für die Angestellten in der chemischen Industrie in Westfalen Anwendung, u.a. auch der Tarifvertrag über eine Jahresleistung in der chemischen Industrie in Westfalen vom 28. Juni 1989, gültig ab 1. August 1989 (im folgenden: TV). In diesem Tarifvertrag heißt es – soweit hier von Interesse – wie folgt:
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Die Klägerin hat im Juli 1989 eine Tochter geboren. Im Anschluß an die Mutterschutzfrist nach der Geburt nahm sie bis zum 20. Oktober 1990 Erziehungsurlaub.
Für das Jahr 1989 hat ihr die Beklagte nur eine Jahresleistung gezahlt, die sie für die Zeit des Erziehungsurlaubs im Jahre 1989 anteilig gekürzt hat (ob um 3/12 oder 4/12 ist nicht ersichtlich). Die gezahlte Jahresleistung belief sich auf 2.200,-- DM.
Die Klägerin ist der Ansicht, daß ihr für das Jahr 1989 die volle Jahresleistung zusteht und verlangt die Nachzahlung eines der Höhe nach unstreitigen Betrages von 968,-- DM. Sie hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 968,-- DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, aus den Bestimmungen des Tarifvertrages über die Jahresleistung ergebe sich, daß die Jahresleistung für Zeiten ohne eine tatsächliche Arbeitsleistung anteilig gekürzt werden könne.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Abweisungsantrag weiter, während die Klägerin um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß der Klägerin die Jahresleistung für 1989 in voller Höhe zusteht.
1. Die Klägerin erfüllt die tariflichen Voraussetzungen für die volle Jahresleistung. Sie stand während des ganzen Jahres 1989 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Sie erfüllt weiter die Voraussetzung nach § 2 III 2 TV, wonach Voraussetzung des Anspruchs auf die Jahresleistung eine mindestens viermonatige Beschäftigungsdauer im Jahr ist. Dabei ist davon auszugehen, daß unter dieser “viermonatigen Beschäftigungsdauer” ein Zeitraum zu verstehen ist, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat. Das folgt aus dem Nebensatz in § 2 III 2 Abs. 2 TV: “auch wenn der Berechtigte im Kalenderjahr nicht vier Monate tatsächlich gearbeitet hat”.
2. Weder aus einer ausdrücklichen Bestimmung, noch aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung oder deren Sinn und Zweck ergibt sich, daß der Anspruch auf die volle Jahresleistung darüber hinaus für Zeiten gekürzt werden kann, in denen es wegen der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub an einer tatsächlichen Arbeitsleistung fehlt.
a) Der Fall, daß der Arbeitnehmer während des Bezugsjahres Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt, wird im Tarifvertrag nicht ausdrücklich geregelt.
b) Aus den weiteren Bestimmungen über die Voraussetzungen für einen Anspruch auf die volle Jahresleistung, über dessen Kürzung oder Wegfall, ergibt sich nicht, daß sich Zeiten der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs auch dann anspruchsmindernd auswirken sollen, wenn eine “viermonatige Beschäftigungsdauer” vorliegt.
Der Tarifvertrag macht in § 2 III 2 TV den Anspruch auf die Jahresleistung grundsätzlich davon abhängig, daß der Berechtigte im Jahr mindestens vier Monate tatsächlich gearbeitet hat. Fehlt es an einer viermonatigen tatsächlichen Arbeitsleistung, so ist in der Regel ein Anspruch auf die tarifliche Jahreszahlung nicht gegeben.
Das Fehlen einer viermonatigen tatsächlichen Arbeitsleistung ist jedoch in den nachfolgend geregelten Fällen unschädlich.
Das gilt einmal dann, wenn der Berechtigte im Laufe des Kalenderjahres wegen Erreichung der Altersgrenze oder wegen Erwerbsunfähigkeit so früh ausscheidet, daß er keine vier Monate tatsächliche Arbeitsleistung mehr aufweisen kann.
Weiter ist das Fehlen einer viermonatigen tatsächlichen Beschäftigung dann ohne Einfluß auf den Anspruch auf die volle Jahresleistung, wenn die fehlende tatsächliche Beschäftigung auf längere Arbeitsunfähigkeit zurückzuführen ist, wenn nur der Berechtigte im Kalenderjahr mindestens einen Monat zusammenhängend gearbeitet hat.
Unschädlich für den Anspruch auf die volle Jahresleistung ist es schließlich, wenn die berechtigte Arbeitnehmerin eine tatsächliche Beschäftigung von vier Monaten im Kalenderjahr deswegen nicht aufweisen kann, weil sie infolge der Beschäftigungsverbote nach dem Mutterschutzgesetz vor und nach der Niederkunft keine Arbeitsleistung erbringen konnte. Die Zeiten dieser Beschäftigungsverbote sollen den Anspruch auf die Jahresleistung nicht mindern, sie sind so anzusehen, als hätte die Arbeitnehmerin während dieser Zeiten tatsächlich gearbeitet.
Schon aus diesen Bestimmungen folgt, daß Arbeitnehmer, die im Laufe des Jahres ihren Erziehungsurlaub antreten oder aus dem Erziehungsurlaub zurückkehren, dann keinen Anspruch auf die volle Jahresleistung haben, wenn sie vor bzw. nach dem Erziehungsurlaub im betreffenden Jahr keine tatsächliche Arbeitsleistung von vier Monaten erbringen können.
c) Von dem Grundsatz, daß Arbeitnehmer einen Anspruch auf die volle Jahresleistung nur haben, sofern sie nur im Jahr vier Monate tatsächlich gearbeitet haben, macht § 2 III 2 Abs. 4 TV eine weitere Ausnahme für diejenigen Berechtigten, deren Arbeitsverhältnis während ihres Grundwehr- oder Ersatzdienstes ruht. Diese erhalten im Jahr der Einberufung und im Jahr des Wiedereintritts in den Betrieb für jeden vollen Monat der Tätigkeit im Betrieb 1/12 der Jahresleistung, gleichgültig, ob sie vor oder nach dem Grundwehr- oder Ersatzdienst im betreffenden Jahr noch vier volle Monate gearbeitet haben oder nicht.
3. Die Klägerin hat im Jahre 1989 unstreitig vier Monate gearbeitet. Damit steht ihr der Anspruch auf die volle tarifliche Jahresleistung zu. Der dargestellten tariflichen Regelung läßt sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht entnehmen, daß Zeiten fehlender Arbeitsleistung auch dann zu einer Minderung des Anspruchs auf die volle Jahresleistung führen sollen, wenn der Berechtigte jedenfalls während des Jahres vier Monate tatsächlich gearbeitet hat.
Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 5. August 1992 (– 10 AZR 88/90 – DB 1992, 2348 = BB 1992, 2218, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) ausgesprochen und im einzelnen begründet, daß eine tarifliche Regelung über eine jährliche Sonderzahlung, deren Zweck es – auch – ist, im Bezugszeitraum für den Betrieb geleistete Arbeit zusätzlich zu vergüten, im einzelnen bestimmen kann, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen. Von dieser Möglichkeit haben die Tarifvertragsparteien des Tarifvertrages über eine Jahresleistung in der chemischen Industrie in Westfalen Gebrauch gemacht.
Sie haben zunächst in § 2 II und III 1 TV bestimmt, daß Berechtigte, die im Laufe des Jahres eintreten oder ausscheiden, für jeden vollen Monat ihrer Beschäftigung nur 1/12 der Jahresleistung erhalten und daß sich die Jahresleistung Teilzeitbeschäftigter der Höhe nach im Verhältnis ihrer persönlichen Arbeitszeit zur tariflichen Arbeitszeit mindert. Sie haben damit zum Ausdruck gebracht, daß mit der Jahresleistung die Zugehörigkeit zum Betrieb und die im Betrieb erbrachte Arbeitsleistung während dieser Zeit zusätzlich honoriert werden soll. Sie haben mit diesen Bestimmungen jedoch noch nicht auf die tatsächliche Arbeitsleistung abgestellt, sondern diese – gleichsam pauschal – an der Dauer und dem Umfang der Zugehörigkeit zum Betrieb gemessen.
Erst § 2 III 2 TV macht den Anspruch auf die Jahresleistung nicht nur von der Dauer und dem Umfang der Zugehörigkeit zum Betrieb, sondern auch von einer tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig, die tatsächliche Arbeitsleistung muß aber nicht der Dauer und dem Umfang der Zugehörigkeit zum Betrieb entsprechen. Es genügt vielmehr, daß der Arbeitnehmer während der Zeit seiner Betriebszugehörigkeit im Jahr mindestens vier Monate tatsächlich gearbeitet hat. Ist das der Fall, bemißt sich der Anspruch auf die Jahresleistung allein nach der Dauer und dem Umfang der Zugehörigkeit zum Betrieb. Dabei ist zusätzlich das Fehlen einer viermonatigen tatsächlichen Tätigkeit für den Betrieb für den Anspruch auf die so bemessene Jahresleistung dann unschädlich, wenn dieses Fehlen auf bestimmte Umstände, das Ausscheiden wegen Erreichens der Altersgrenze bzw. Erwerbsunfähigkeit, auf längere Arbeitsunfähigkeit oder auf Beschäftigungsverbote nach dem Mutterschutzgesetz zurückzuführen ist.
Die Tarifvertragsparteien haben damit ausführlich und detailliert bestimmt, in welchem Umfange die Jahresleistung trotz ihres angenommenen Zweckes, für den Betrieb geleistete Tätigkeit zusätzlich zu vergüten, von einer tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig sein soll. Von daher kann allein aus dem Zweck der tariflichen Regelung nicht hergeleitet werden, daß Zeiten fehlender tatsächlicher Arbeitsleistung – gleich aus welchem Grund – auch dann zu einer Kürzung des an sich gegebenen Anspruchs auf die Jahresleistung führen sollen, wenn der Berechtigte im Kalenderjahr vier Monate tatsächlich gearbeitet hat. Ebenso, wie sich der Zweck einer Jahresleistung jeweils nur aus ihren normierten Voraussetzungen ergibt, ergibt sich aus eben diesen Voraussetzungen, in welchem Umfang und mit welchen Regelungen dieser Zweck – nur – erreicht werden soll. Läßt die Regelung grundsätzlich eine tatsächliche Arbeitsleistung von vier Monaten im Jahr und in Einzelfällen auch eine geringere tatsächliche Arbeitsleistung genügen, dann wird daraus deutlich, daß die Jahresleistung eben nicht nur auf die tatsächlich für den Betrieb erbrachte Arbeitsleistung abstellt, sondern im übrigen eben auch den Umfang und die Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb honoriert.
Der Zweck einer betrieblichen oder tariflichen Sonderleistung, wie er sich allein aus deren Anspruchsvoraussetzungen, Ausschluß- und Kürzungstatbeständen ergibt, kann daher zwar für die Auslegung der jeweiligen Regelung von Bedeutung sein, nicht aber über die konkrete Regelung hinaus weitere Ausschluß- oder Kürzungstatbestände begründen.
4. Eine Berechtigung zur Kürzung der Jahresleistung für Arbeitnehmer, die Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, folgt auch nicht aus der Regelung der Jahresleistung für Berechtigte, die Grundwehr- oder Ersatzdienst leisten. Zwar kommt in dieser Bestimmung des § 2 III 2 Abs. 4 TV zum Ausdruck, daß für die Zeit, in der das Arbeitsverhältnis wegen des Grundwehr- oder Ersatzdienstes ruht, es also an einer tatsächlichen Arbeitsleistung fehlt, die Jahresleistung gekürzt werden kann. Daraus folgt jedoch nicht, daß die Jahresleistung auch in anderen Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis – wie beim Erziehungsurlaub – ruht, um die Zeiten des Ruhens zu kürzen ist.
Den Tarifvertragsparteien war bei Abschluß des Tarifvertrages im Juni 1989 bekannt, daß Arbeitnehmer Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen können, dessen Dauer auch damals schon dem Grundwehr- oder Ersatzdienst im wesentlichen entsprach. Sie haben gleichwohl für den Fall der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs und für andere Fälle, in denen das Arbeitsverhältnis ruht, keine entsprechende Regelung getroffen, wie dies in anderen Tarifverträgen vielfach geschehen ist.
Eine analoge Anwendung der Bestimmung für Grundwehr- oder Ersatzdienstleistende auf Arbeitnehmer, die Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, verbietet sich auch deswegen, weil die genannte Bestimmung nicht nur eine Regelung enthält, die für Arbeitnehmer im Grundwehr- oder Ersatzdienst zu einer Kürzung des an sich gegebenen Anspruchs auf die Jahresleistung führt, sondern auch eine diese Arbeitnehmer begünstigende Regelung zum Inhalt hat, indem sie diesen Arbeitnehmern im Jahr der Einberufung oder des Wiedereintritts in den Betrieb die Jahresleistung auch dann anteilig zuerkennt, wenn es an einer viermonatigen tatsächlichen Beschäftigung im Betrieb fehlt und daher an sich überhaupt kein Anspruch auf eine Jahreszahlung gegeben wäre. Der Bestimmung kann daher kein die gesamte Regelung beherrschendes allgemeines Rechtsprinzip entnommen werden, daß Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis – gleich aus welchen Gründen – ruht, zur anteilsmäßigen Kürzung der Jahresleistung führen.
Damit steht der Klägerin der Anspruch auf die volle Jahresleistung zu. Das hat das Landesarbeitsgericht zu Recht erkannt. Die Revision der Beklagten ist daher unbegründet.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Stabenow
Der ehrenamtliche Richter Grimm ist wegen Beendigung seiner Amtszeit an der Unterschrift verhindert
Matthes
Fundstellen
Haufe-Index 845812 |
BB 1994, 503 |
NZA 1993, 1043 |