Entscheidungsstichwort (Thema)
Rationalisierung. Vertragliche Ausgleichszulage statt einer tariflichen Technikerzulage
Leitsatz (amtlich)
Die Streichung eines Personalpostens stellt keine Rationalisierungsmaßnahme i. S. des § 1 Abs. 1 Buchst. d des Tarifvertrages Nr. 307 für die Angestellten der Deutschen Bundespost dar. Vielmehr muß eine tatsächliche Änderung der Arbeitsbedingungen bzw. des Arbeitsplatzes hinzukommen.
Normenkette
TV Ang Deutsche Bundespost § 29 Abs. 2; Tarifvertrag Nr. 307 vom 4. Mai 1972 für die Angestellten der Deutschen Bundespost § 1 Abs. 1 Buchst. d, § 3 Abs. 1, 6
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 07.05.1993; Aktenzeichen 7 Sa 487/91) |
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 12.12.1990; Aktenzeichen 14 Ca 273/88) |
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. Mai 1993 – 7 Sa 487/91 – aufgehoben.
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 12. Dezember 1990 – 14 Ca 273/88 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß das Datum in Ziffer 1 des Tenors des Urteils des Arbeitsgerichts im Wege der Berichtigung durch das Datum “30. November 1989” ersetzt wird.
- Von den Kosten der ersten und der zweiten Instanz hat der Kläger 5/11 zu tragen. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um Beginn und Ende einer Ausgleichszulage aus Anlaß einer Rationalisierungsmaßnahme.
Der Kläger ist seit dem 1. April 1970 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für die Angestellten der Deutschen Bundespost Anwendung.
Der Kläger war als technischer Angestellter beim Fernmeldeamt F… in der Linien- und Zeichenstelle beschäftigt. Er erhielt eine Technikerzulage nach § 29 Abs. 2 des Tarifvertrages für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang) i.V. mit § 3 der Anlage 7 zum TV Ang. Im Jahr 1986 führte die Beklagte in der Beschäftigungsstelle des Klägers eine bundesweit angeordnete Neubemessung des Personals durch, deren Ergebnis am 25. Juli 1986 der Dienststelle des Klägers zuging. Daraufhin wurde der Personalposten des Klägers zum 31. Juli 1986 gestrichen. Der Kläger wurde jedoch zunächst weiterbeschäftigt. Zum 1. Februar 1987 wurde der Kläger in die Anweisungsstelle F… umgesetzt. Seine tarifliche Eingruppierung änderte sich nicht. Die Beklagte zahlte dem Kläger aufgrund einer Verfügung des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen vom 10. Mai 1974 unter entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 1 und 6 des Tarifvertrages Nr. 307 vom 4. Mai 1972, der den Rationalisierungsschutz für die Angestellten der Beklagten regelt, bis zum 31. Mai 1989 eine Ausgleichszulage in Höhe der Technikerzulage.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Anspruch auf die Ausgleichszulage, die – insoweit streiten die Parteien nicht – gemäß § 3 Abs. 1 TV Nr. 307 sechs Monate lang (Vorschaltfrist) und dann nach § 3 Abs. 6 TV Nr. 307 im Hinblick auf die lange Postdienstzeit des Klägers weitere 28 Monate, insgesamt also 34 Monate lang zu zahlen ist, habe mit der Zustimmung des Personalrats zum Sozialplan am 2. Juli 1987, jedenfalls aber nicht vor der Umsetzung zur Anweisungsstelle F… begonnen. Der Anspruch ende daher erst am 30. April 1990.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm die Technikerzulage bis zum 30. April 1990 weiterzuzahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, schon die Streichung des Personalpostens des Klägers sei eine Rationalisierungsmaßnahme gewesen und habe den Anspruch auf die Ausgleichszulage begründet. Der Zeitraum von 34 Monaten sei somit am 31. Mai 1989 beendet gewesen.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß dem Kläger die Ausgleichszulage bis zum 31. Dezember 1989 zu zahlen sei. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung der Vorinstanz im wesentlichen zur Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts keinen Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichszulage für den Zeitraum vom 1. Juni 1989 bis zum 31. Dezember 1989. Der Anspruch sei mit der Streichung des Personalpostens des Klägers zum 31. Juli 1986 entstanden und habe in entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 1 und 6 TV Nr. 307 am 31. Mai 1989 geendet.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
II. Der Kläger hat aufgrund der Verfügung des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen vom 10. Mai 1974 einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Zahlung der Ausgleichszulage. Insoweit ist dem Berufungsgericht zu folgen und besteht auch zwischen den Parteien kein Streit. Dieser Anspruch begann am 1. Februar 1987 und endete am 30. November 1989.
1. Nach dieser Verfügung wird die Technikerzulage über den in § 3 Abs. 3 TV Nr. 307 geregelten Fall rationalisierungsbedingter Herabgruppierung hinaus durch eine Ausgleichszulage analog § 3 Abs. 1 und Abs. 6 TV Nr. 307 gesichert, wenn die Technikerzulage “lediglich durch einen Wechsel der Beschäftigung bei gleichbleibender Eingruppierung wegfällt”. Entscheidend ist nach der Verfügung “allein, daß der Wegfall der Stellenzulage durch eine rationalisierungsbedingte Umsetzung ausgelöst wird”. Die Auslegung dieser Regelung ergibt, daß der Anspruch auf die Ausgleichszulage erst mit der am 1. Februar 1987 erfolgten Umsetzung des Klägers zur Anweisungsstelle F… entstand.
2. Nach dem Wortlaut der Verfügung entsteht der Anspruch auf die Ausgleichszulage durch “einen Wechsel der Beschäftigung” bei gleichbleibender Eingruppierung, wobei die “rationalisierungsbedingte Umsetzung” als der entscheidende, den Wegfall der Zulage auslösende Akt bezeichnet wird. Der Inhalt dieser unbestimmten Rechtsbegriffe ist mangels anderweitiger Festlegungen durch die Beklagte dem TV Nr. 307 zu entnehmen, auf den die Verfügung ausdrücklich Bezug nimmt. Nach der Begriffsbestimmung des § 1 Abs. 1 Buchst. d TV Nr. 307 sind Rationalisierungsmaßnahmen neben den hier nicht einschlägigen Vorgängen, die in § 1 Abs. 1 Buchst. a bis c genannt sind, personalwirtschaftliche Maßnahmen, die von der Deutschen Bundespost getroffen werden und die dazu führen, daß der Arbeitsplatz des Angestellten verlegt wird oder wegfällt oder sich die Tätigkeit des Angestellten ihrem Umfang nach oder in ihrem Aufgabengebiet ändert. Dadurch werden die in der Verfügung bezeichneten Begriffe des Wechsels der Beschäftigung und der rationalisierungsbedingten Umsetzung in dem Sinne konkretisiert, daß sich die Tätigkeit des Angestellten von Umfang und Inhalt her geändert hat oder der Arbeitsplatz verlegt worden oder weggefallen ist.
3. Entgegen der Ansicht der Revision und der Vorinstanz war die Streichung des Personalpostens des Klägers zum 31. Juli 1986 noch keine derartige Rationalisierungsmaßnahme. Zwar stellt § 3 Abs. 1 Anlage 7 zum TV Ang für den Anspruch auf Technikerzulage darauf ab, daß der Angestellte “auf einem Personalposten einer technischen Fachrichtung” beschäftigt wird. Allein darauf, daß der Personalposten nicht mehr besteht, kommt es jedoch für den hier streitigen Anspruch auf Sicherung der Zulage nicht an. Die Verfügung stellt nach ihrem Wortlaut eindeutig auf die rationalisierungsbedingte Umsetzung ab. Selbst wenn man davon ausginge, daß es sich bei der Streichung des Personalpostens um eine von der Beklagten getroffene personalwirtschaftliche Maßnahme i.S. des § 1 Abs. 1 Buchst. d TV Nr. 307 handelt, würde dies für den Beginn des Anspruchs auf Zulagesicherung nicht ausreichen. Die Tarifnorm setzt nämlich weiter voraus, daß es durch diese Maßnahme zu einer tatsächlichen Änderung der Arbeitsbedingungen oder des Arbeitsplatzes gekommen ist. Dies meint offenbar auch die Verfügung, indem sie darauf abstellt, daß erst durch einen Wechsel der Beschäftigung oder durch die rationalisierungsbedingte Umsetzung der Wegfall der Stellenzulage ausgelöst wird. Dabei bezeichnen der TV Nr. 307 und die Verfügung den Normalfall, daß nämlich die personalwirtschaftliche Maßnahme die Verlegung oder den Wegfall des Arbeitsplatzes oder eine nach Umfang und Inhalt geänderte Tätigkeit zeitlich unmittelbar zur Folge hat. Daß dieser Regelfall hier nicht vorliegt, vielmehr die Umsetzung dem von der Beklagten behaupteten Wegfall des Personalpostens um sechs Monate nachfolgte, ist im Hinblick auf die eindeutigen Festlegungen in Tarifvertrag und Verfügung nicht entscheidend. Tarifvertrag und Verfügung erklären, was allein einer vernünftigen und praktikablen Auslegung entspricht, den äußeren und für den Arbeitnehmer erkennbaren Vorgang der Änderung der Tätigkeit für maßgeblich.
4. Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurde der Kläger auch nach der formalen Streichung des Personalpostens als technischer Angestellter beim Fernmeldeamt F… in der Linien- und Zeichenstelle weiterbeschäftigt. Da die insoweit darlegungspflichtige Beklagte nicht behauptet hat, daß diese Beschäftigung eine gegenüber bisher nach Inhalt und Umfang geänderte Tätigkeit darstellte, hatte die Streichung des Personalpostens nicht unmittelbar eine Rationalisierungsmaßnahme zur Folge. Die rationalisierungsbedingte Umsetzung erfolgte vielmehr erst mit der Beschäftigung des Klägers in der Anweisungsstelle F… ab 1. Februar 1987. Sie löste nach der Verfügung den Wegfall der Technikerzulage aus und begründete damit ab diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf die persönliche Ausgleichszulage zur Sicherung der bisherigen Technikerzulage von sechs Monaten entsprechend § 3 Abs. 1 TV Nr. 307 sowie von weiteren 28 Monaten entsprechend § 3 Abs. 6 TV Nr. 307. Der Anspruch auf die Ausgleichszulage endete somit am 30. November 1989 (§§ 187 Abs. 2 Satz 1, 188 Abs. 2 BGB). Soweit das Arbeitsgericht im Urteilstenor den 31. Dezember 1989 als Beendigungszeitpunkt angenommen hat, handelt es sich um eine offenbar unrichtige Berechnung, da auch das Arbeitsgericht den Anspruch nur für 34 Monate zusprechen wollte. Diese Unrichtigkeit kann gemäß § 319 Abs. 1 ZPO jederzeit und damit auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen berichtigt werden (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 52. Aufl., § 319 Rz 27).
III. Da der Kläger in erster und zweiter Instanz die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der Ausgleichszulage bis zum 30. April 1990 beantragt hat, muß er insoweit die Kosten zu 5/11 tragen. Der Beklagten waren die übrigen Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen (§ 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Femppel
Ehrenamtlicher Richter Fürbeth ist aus dem Richteramt ausgeschieden und kann daher nicht unterschreiben.
Dr. Peifer
Fundstellen
Haufe-Index 856669 |
NZA 1995, 853 |