Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Vordienstzeiten
Leitsatz (amtlich)
- Hat ein Arbeitgeber vor Bekanntwerden der Rechtsprechung des Senats zur Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften (Urteil vom 10. März 1972, BAGE 24, 177 = AP Nr 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt) Vordienstzeiten, die von Versorgungszusagen begleitet waren, auf die von ihm versprochene Versorgung angerechnet, hat diese Anrechnung in der Regel auch Bedeutung für die Frist zur Unverfallbarkeit (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt BAGE 31, 45 = AP Nr 1 zu § 7 BetrAVG).
- Eine Ausgleichsquittung erfaßt Versorgungsansprüche und -anwartschaften nur dann, wenn diese Rechte ausdrücklich und unmißverständlich bezeichnet werden.
Normenkette
BetrAVG § 1; BGB §§ 157, 242
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.10.1987; Aktenzeichen 2 Sa 37/87) |
ArbG Ulm (Urteil vom 30.01.1987; Aktenzeichen 6 Ca 212/86) |
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 14. Oktober 1987 – 2 Sa 37/87 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 30. Januar 1987 – 6 Ca 212/86 – teilweise abgeändert und wie folgt gefaßt:
Es wird festgestellt, daß dem Kläger eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft mit dem Unverfallbarkeitsfaktor 0,31 zusteht.
- Von den Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4. Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Anrechnung einer früheren Dienstzeit auf die Unverfallbarkeitsfrist des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG.
Der im Jahre 1937 geborene Kläger war vom 1. Juli 1963 bis 31. Mai 1972 bei der L… GmbH in T… beschäftigt. Nach einer im Einvernehmen mit dem Betriebsrat erlassenen Versorgungsordnung hatten alle Mitarbeiter nach einer zehnjährigen Wartezeit bei Eintritt eines Versorgungsfalles Anspruch auf eine Betriebsrente, wenn sie in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis standen.
Aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 19. November 1971 trat der Kläger mit Wirkung vom 1. Juni 1972 als Hauptabteilungsleiter in die Dienste der Beklagten. In Nr. 8 des Arbeitsvertrages heißt es:
Altersversorgung
Diese gilt nach den Richtlinien des S… -Versorgungswerkes, ohne Wartezeit unter Anrechnung der Dienstzeit bei der Firma L…, ab 1.7.63.
Bei der Beklagten besteht eine Versorgungsordnung vom 31. Dezember 1970. Nach dieser Versorgungsordnung wird eine Alterspension gewährt, wenn männliche Mitarbeiter im Dienste der Beklagten mit dem 65. Lebensjahr in den Ruhestand treten. Voraussetzung der Gewährung einer Altersrente ist, daß eine Wartezeit von fünf Jahren zurückgelegt ist. Unter dem Datum vom 2. Juni 1972 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Versorgungszusage:
Treue um Treue soll stets die Grundlage unserer Zusammenarbeit sein. Als Anerkennung für Ihre bisherige Tätigkeit und im Vertrauen darauf, daß Sie auch in Zukunft Ihre Pflichten für unseren Betrieb vorbildlich erfüllen werden, gewähren wir Ihnen nach den Versorgungsrichtlinien eine Alters- und Invalidenpension.
Wir freuen uns, Ihnen mit dieser Versorgung unseren Dank für Ihre Mitarbeit und unsere Anteilnahme für Ihr Wohlergehen zum Ausdruck zu bringen. …
Am 7. Juli 1972 schrieb die Beklagte an den Kläger:
Sehr geehrter Herr M…,
im Sinne des mit Ihnen geschlossenen Anstellungsvertrages geben wir Ihnen – abweichend von der Versorgungszusage im Rahmen unseres S… -Versorgungswerkes – folgende Zusage:
Die Dienstzeit bei der Firma L…, nämlich ab 1.7.1963, wird Ihnen in folgender Weise angerechnet:
Es entsteht für Sie keine Wartezeit bei der neuen Versorgungszusage.
Ferner erhalten Sie eine zusätzliche Versorgungszusage, in der Höhe, wie sie sich bei einem Eintritt in unsere Firma bereits ab 1.7.1963 ergeben hätte.
Nach unseren Berechnungen beträgt diese zusätzliche Versorgungszusage derzeit DM 175, -- und ist also Ihrer normalen Zusage, basierend auf Ihren tatsächlichen Eintritt, hinzuzurechnen.
Während seiner Beschäftigungszeit war der Kläger auch für die Verwaltung der Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung zuständig. Am 30. Juni 1975 fertigte er ein Schreiben, in dem ihm der Bestand einer unverfallbaren betrieblichen Altersversorgung bestätigt wird. Die Unterzeichnung dieses Schreibens verweigerte der Geschäftsführer der Beklagten. Das Arbeitsverhältnis endete in beiderseitigem Einvernehmen am 16. September 1975. Zugleich unterschrieb der Kläger eine Ausgleichsquittung:
Sehr geehrter Herr M…,
Bitte bestätigen Sie uns nachstehende Erklärung.
- Sie scheiden mit dem 16. September 1975 aus unserer Firma aus, unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen.
- Sie erhalten mit dem September-Gehalt ein Urlaubsentgelt von DM 1.100,00 brutto.
- Sie erhalten Ihre Arbeitspapiere sofort nach Abrechnung des September-Gehaltes ausgehändigt.
Damit sind sämtliche Ansprüche gegen unsere Firma abgegolten.
Auf seine Versorgungsansprüche kam der Kläger gegenüber der Beklagten erstmals wieder im Jahre 1985 zurück.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß seine Vordienstzeiten auch bei der Berechnung der Unverfallbarkeitsfrist berücksichtigt werden müssen. Er hat zuletzt beantragt,
festzustellen, daß ihm gegenüber der Beklagten bei Vollendung des 65. Lebensjahres eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft mit dem Unverfallbarkeitsfaktor 0,31 zusteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages und ihrem Schreiben vom 7. Juli 1972 habe die Anrechnung der früheren Dienstzeiten nur Bedeutung für die Wartezeit und die Höhe der Versorgung haben sollen. Mit seinem Nachfolger habe der Kläger häufig seine Versorgungsansprüche diskutiert. Sie habe den Standpunkt vertreten, daß die Versorgungsansprüche des Klägers nicht unverfallbar seien. Sein Nachfolger habe mit dem Kläger gesprochen und sie informiert, daß er das resignierend zur Kenntnis nehme. Vorsorglich habe sie eine Ausgleichsquittung unterschreiben lassen. Im übrigen seien die Versorgungsansprüche verwirkt und verjährt. Der Kläger habe die Versorgungsansprüche stets als verfallbare verwaltet.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er seinen Klageantrag weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Kläger kann bei Eintritt eines Versorgungsfalles betriebliche Altersversorgung von der Beklagten verlangen. Zu seinen Gunsten besteht eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft.
1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG behält ein Arbeitnehmer seine Anwartschaft auf eine betriebliche Altersversorgung, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt eines Versorgungsfalles endet, sofern der Arbeitnehmer in diesem Zeitpunkt mindestens das 35. Lebensjahr vollendet hat, der Beginn der Betriebszugehörigkeit mindestens zwölf Jahre zurückliegt und die Versorgungszusage für ihn drei Jahre bestanden hat.
Der Kläger war bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 16. September 1975 rd. 37 Jahre alt. Die Versorgungszusage bestand für ihn vom Beginn des Arbeitsverhältnisses am 1. Juni 1972 bis zum 15. September 1975, also drei Jahre und dreieinhalb Monate. Streit besteht nur über die Dauer der Betriebszugehörigkeit. Die Zwölf-Jahres-Frist ist nur dann erfüllt, wenn zur Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten die Tätigkeit bei der L… GmbH von acht Jahren und zehn Monaten hinzuzurechnen ist, so daß sich eine Gesamtbetriebszugehörigkeit von über zwölf Jahren ergibt.
2. Die Vordienstzeit bei der L… GmbH muß mitberücksichtigt werden. Die vereinbarte Anrechnung dieser Vordienstzeit bezieht sich auch auf die Unverfallbarkeitsfrist.
a) Nach der Versorgungsordnung der Beklagten war eine Betriebsrente nur dann zu zahlen, wenn der Arbeitnehmer bis zum Eintritt des Versorgungsfalles in den Diensten des Arbeitgebers blieb. Die Versorgungsordnung sah noch die Unverfallbarkeit der Anwartschaft bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt eines Versorgungsfalles vor. Die mit dem Kläger vereinbarte Anrechnung von Vordienstzeiten konnte sich mithin nur auf die Wartezeit und die Höhe des Versorgungsanspruches beziehen.
Bei Abschluß des Arbeitsvertrages am 19. November 1971 bestand kein Anlaß, Vereinbarungen über die Voraussetzungen einer Unverfallbarkeit der Anwartschaft zu treffen. Die Entscheidung des Senats zur Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften vom 10. März 1972 (BAGE 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt) war noch nicht ergangen. Der Arbeitsvertrag verweist auf die Richtlinien der Beklagten; er kann mithin nur die Wartezeit und die Ruhegehaltshöhe bei der Zusage bedacht haben.
b) Der Senat ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß bei Versorgungszusagen aus der Zeit vor der Rechtsprechung des Senats zur Unverfallbarkeit bzw. vor Inkrafttreten des BetrAVG eine Regelungslücke entsteht. Es ist zu ermitteln, wie im Hinblick auf die Unverfallbarkeit zu verfahren ist. Diese Lücke ist zu schließen. Dazu hat der Senat eine Auslegungsregel entwickelt: In den Fällen, in denen ein Arbeitgeber Vordienstzeiten anrechnet, die von einer Versorgungszusage begleitet waren, muß angenommen werden, daß die Anrechnung auch Bedeutung für die Unverfallbarkeit hat (BAG Urteil vom 16. Juni 1978 – 3 AZR 1051/77 – BetrAVG 1978, 239; Urteil vom 25. Januar 1979 – 3 AZR 1096/77 – AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG, zu II 2 der Gründe; Urteil vom 16. März 1982 – 3 AZR 843/79 – AP Nr. 6, aaO, zu I 1 der Gründe; BAGE 39, 160, 163 = AP Nr. 7, aaO, zu 1 der Gründe; 31, 45, 50 ff. = AP Nr. 1 zu § 7 BetrAVG, zu I 2 der Gründe).
c) Von dieser Regel ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen. Es meint aber zu Unrecht, daß die Parteien im vorliegenden Fall etwas anderes vereinbart hätten. Diese Annahme hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Im Arbeitsvertrag wurde dem Kläger eine Altersversorgung nach den Richtlinien des Versorgungswerks versprochen “unter Anrechnung der Dienstzeit bei der Firma L…”. Mit dem Brief vom 7. Juli 1972 wurde die Zusage konkretisiert. Die persönliche Zusage mußte in Übereinstimmung mit den Richtlinien gebracht werden. Das war der Zweck dieses Briefes. Aus der Formulierung ergibt sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht, daß eine Klarstellung im Hinblick auf die Entscheidung des Senats vom 10. März 1972 (BAGE 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt) gewollt war. Die Presse wurde erst am 30. März 1972 informiert. Die Entscheidung wurde Anfang August im Fachschrifttum veröffentlicht. Im Brief vom 7. Juli 1972 wird nur auf den Anstellungsvertrag Bezug genommen. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber die im Zusammenhang mit der Unverfallbarkeitsregel erwachsene Regelungslücke einseitig ausfüllen kann, wie vom BGH und im Schrifttum angenommen wird (BGH Beschluß vom 8. Juni 1983 – IVb ZB 588/81 – DB 1983, 1983; Blomeyer/Otto, BetrAVG, § 1 Rz 98) oder ob dies nur durch Vertrag oder ergänzende Vertragsauslegung geschehen kann.
d) Der Senat kann den Inhalt der Vereinbarung selbst ermitteln. Gegenstand der Auslegung sind nur Urkunden. Weitere Umstände, die für die Auslegung von Bedeutung sein könnten, sind nicht vorgetragen und nicht ersichtlich.
3. Der Senat kann dem Landesarbeitsgericht auch nicht darin folgen, daß der Kläger durch die Ausgleichsquittung vom 16. September 1975 die Ansprüche aus der Versorgungsanwartschaft erlassen hat.
a) Die Ausgleichsquittung ist ein Vertrag. In ihm bestimmen die Parteien, welche Ansprüche sie erfassen soll. Ruhegeldansprüche werden von einer Ausgleichsquittung nur dann erfaßt, wenn sie ausdrücklich und unmißverständlich genannt werden (BAG Urteil vom 9. November 1973 – 3 AZR 66/73 – AP Nr. 163 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu I 2 der Gründe).
b) Ausdrücklich werden die Versorgungsansprüche des Klägers in der Erklärung vom 16. September 1975 nicht erwähnt. Der Hinweis auf “sämtliche Ansprüche” (Satz 2) läßt sich dahin verstehen, daß die zuvor in Satz 1 aufgezählten Ansprüche damit erledigt sind, zumal die Ausgleichsquittung schon vor Erfüllung der Ansprüche erteilt wurde.
c) Das Landesarbeitsgericht meint, die Ausgleichsquittung erfasse die Ruhegeldanwartschaft des Klägers auch deshalb, weil die Parteien zuvor über die Versorgungsanwartschaft verhandelt hätten. Das ist nicht zwingend.
Aus der Weigerung des Geschäftsführers der Beklagten vom 30. Juni 1975, eine vom Kläger entworfene Bestätigung über die Unverfallbarkeit seiner Versorgungsanwartschaft zu unterzeichnen, läßt sich zugunsten der Beklagten nichts herleiten. Die Versorgungsanwartschaft des Klägers war zu diesem Zeitpunkt noch verfallbar. Wenn dem Kläger weiter durch Arbeitskollegen erklärt wurde, der Geschäftsführer verlange bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Ausgleichsquittung, so sagt dies noch nichts über ihren späteren Inhalt aus. Von seinem Standpunkt konnte der Kläger davon ausgehen, der Geschäftsführer lenke ein oder er vertage den Streitfall. Er konnte abwarten, welchen Inhalt die Ausgleichsquittung haben werde.
4. Die Versorgungsanwartschaft ist weder infolge Zeitablaufs erloschen oder verjährt.
a) Versorgungsstammrechte verjähren in 30 Jahren ( § 195 BGB).
b) Die Versorgungsanwartschaft ist nicht infolge Verwirkung erloschen. Ein aufschiebend bedingter Versorgungsanspruch verwirkt, wenn der Rechtsträger das Recht längere Zeit nicht ausübt, der Schuldner nach dem früheren Verhalten des Rechtsträgers damit rechnen durfte, daß das Recht nicht mehr geltend gemacht werde und er sich hierauf eingerichtet hat, so daß ihm die Erfüllung nicht mehr zugemutet werden kann (BAGE 6, 165 = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Verwirkung; seither ständig). Im vorliegenden Fall fehlt es an einem schützenswerten Vertrauenstatbestand. Der Kläger war bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst 37 Jahre alt; der Ruhestand war noch weit entfernt. Die Verwaltung seiner Versorgungsanwartschaft als verfallbare konnte kein Vertrauen der Beklagten begründen. Während der überwiegenden Zeit der Beschäftigung war sie verfallbar. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurde sie sogar eingefordert.
Unterschriften
Dr. Heither, Schaub, Griebeling, Zieglwalner, Matthiessen
Fundstellen
Haufe-Index 438425 |
BB 1990, 1706 |
RdA 1990, 254 |
ZIP 1990, 1019 |