Entscheidungsstichwort (Thema)

Abwicklung nach Einigungsvertrag

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 13, 20 Abs. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 13.03.1992; Aktenzeichen 10 Sa 88/91)

ArbG Berlin (Urteil vom 11.11.1991; Aktenzeichen 82 Ca 3911/91)

 

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 13. März 1992 – 10 Sa 88/91 – aufgehoben.

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. November 1991 – 82 Ca 3911/91 – abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers gemäß Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Sätze 2 und 5 (im folgenden Nr. 1 Abs. 2 EV) in der Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 30. September 1991 geruht und mit Ablauf des 30. September 1991 geendet hat.

Der am 3. Oktober 1937 geborene Kläger war an der Hochschule für Ökonomie (HfÖ) in Ost-Berlin zuletzt als ordentlicher Professor und Direktor des Instituts für Wirtschaftsgeschichte tätig. Seit 1968 war dieses Institut der Sektion Marxismus-Leninismus der HfÖ angegliedert.

Am 18. Dezember 1990 beschloß die Gesamtberliner Landesregierung von Senat und Magistrat über die Überführung bzw. Abwicklung der Hochschuleinrichtungen in den östlichen Bezirken Berlins. Nr. I.3. dieses Beschlusses lautet:

„Organisatorische Einheiten, die am 1. Januar 1989 der Vermittlung des Marxismus-Leninismus, der marxistisch-leninistischen Philosophie und/oder des wissenschaftlichen Kommunismus vorrangig gewidmet waren, werden mit Wirkung vom 1. Januar 1991 abgewickelt. Für das diesen Einheiten am 01.01.1989 zugeordnete und für diese Lehre und Forschung vorwiegend eingesetzte Personal tritt ungeachtet einer nach diesem Zeitpunkt vorgenommenen anderweitigen Zuordnung das Ruhen der Dienstverhältnisse ein.

An Hochschulen ohne solche selbständigen Organisationseinheiten für den genannten Aufgabenbereich werden die hierfür am 01.01.1989 gewidmet gewesenen Lehreinrichtungen mit ihrem Personal entsprechend abgewickelt.”

Hinsichtlich der HfÖ lautet der Beschluß:

„II. Die Hochschule für Ökonomie – ausgenommen das Institut für Fremdsprachen – wird in ihrer jetzigen Form als wissenschaftliche Hochschule nicht weitergeführt. Die Abwicklung mit Wirkung vom 01.01.1991 und Neustrukturierung erfolgt mit folgenden Maßgaben:

  1. Die immatrikulierten Studenten erhalten Gelegenheit, ihr Studium unter der Verantwortung anderer Hochschulen in Berlin am bisherigen Ort abzuschließen. Das für Hochschulen zuständige Mitglied der Landesregierung wird beauftragt, hierfür zusammen mit den Hochschulen bis zum 30.09.1991 die Voraussetzungen zu schaffen. Die Verträge der vorhandenen Mitarbeiter mit Ausnahme der in I.3. genannten, werden bis zu diesem Zeitpunkt befristet.
  2. Die die Studenten der HfÖ aufnehmenden Hochschulen Berlins erhalten zu diesem Zweck aus dem bisherigen Haushalt der HfÖ die notwendigen Mittel für den Abschluß befristeter Verträge sowie die erforderlichen sächlichen Mittel.
  3. Die Fachschule für Betriebswirtschaft in der Hochschule für Ökonomie (ehemals Fachschule für Außenwirtschaft in der HfÖ) wird mit Wirkung vom 01.01.1991 abgewickelt.
  4. Das Institut für Fremdsprachen ist in eine neue Organisationstruktur zu überführen.
  5. Das Institut für Datensicherheit der Hochschule für Ökonomie wird mit Wirkung vom 01.01.1991 abgewickelt.
  6. Ab sofort werden keine Neuzulassungen vorgenommen.”

Den Mitarbeitern der HfÖ mit Ausnahme derjenigen, welche vorrangig im Bereich der Vermittlung des Marxismus-Leninismus tätig waren, wurde der Abschluß eines bis zum 30. September 1991 befristeten Arbeitsvertrages angeboten. Der Kläger erhielt kein derartiges Angebot. Er erfuhr auf einer Personalversammlung kurz vor Weihnachten 1990, daß er sich ab 1. Januar 1991 im Wartestand befinden werde. Der Inhalt des Beschlusses der Gesamtberliner Landesregierung vom 18. Dezember 1990 wurde dem Kläger mit Schreiben der HfÖ vom 3. Januar 1991 mitgeteilt. Zugleich wurde ihm bekanntgegeben, daß er kein Angebot auf befristete Weiterführung des Arbeitsverhältnisses erhalte und sein Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30. September 1991 ohne Ausspruch einer Kündigung enden werde, sofern er nicht in einem anderen Verwaltungsbereich weiterverwendet werden könne.

Mit der am 21. Februar 1991 eingereichten Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, sein Arbeitsverhältnis bestehe als aktives zum beklagten Land fort. Er hat geltend gemacht, aus der Fortführung des Hochschulbetriebes bis zum 30. September 1991 sei zu folgern, daß die HfÖ nicht abgewickelt werde. Zudem müsse er aufgrund seines Alters besonderen sozialen Schutz genießen. Er hat behauptet, das Institut für Wirtschaftsgeschichte der HfÖ habe nicht vorrangig der Vermittlung des Marxismus-Leninismus gedient.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß sein Arbeitsverhältnis zum beklagten Land nicht in der Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 30. September 1991 geruht und nicht mit Ablauf des 30. September 1991 geendet hat.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land hat vorgetragen, die HfÖ sei wirksam abgewickelt worden. Es gäbe keine positive Organisationsentscheidung zur Überführung in seine Trägerschaft. Vielmehr sei durch bestandskräftigen Verwaltungsakt vom 18. Dezember 1990 die Abwicklung der HfÖ angeordnet worden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision des beklagten Landes.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des beklagten Landes ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat gemäß Artikel 20 Abs. 1 Einigungsvertrag (EV) in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Sätze 2 und 5 EV in der Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 30. September 1991 geruht und mit Ablauf dieser Frist geendet. Der Kläger gehörte zu den „übrigen Arbeitnehmern” der öffentlichen Verwaltung der DDR im Sinne von Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 EV, deren Arbeitsverhältnisse wegen unterbliebener Überführung ihrer Beschäftigungseinrichtung kraft Gesetzes ruhten und endeten.

I. Das beklagte Land hat die HfÖ weder durch eine ausdrückliche noch durch eine konkludente Entscheidung im Sinne von Art. 13 EV in seine Trägerschaft überführt.

1. Die Gesamtberliner Landesregierung beschloß am 18. Dezember 1990, die HfÖ abzuwickeln, und damit das Gegenteil einer Überführung. Eine spätere Überführungsentscheidung wäre zwar möglich gewesen, ist aber nicht festzustellen. Insbesondere lag sie nicht in der bis zum 30. September 1991 befristeten Fortsetzung des Hochschulbetriebes an der HfÖ.

a) Die Regelungen des Einigungsvertrages machten es nicht erforderlich, am 3. Oktober 1990 oder spätestens am 3. Januar 1991 die nicht zu überführenden Einrichtungen der ehemaligen DDR zu schließen. Vielmehr war gemäß Art, 13 EV auch die Abwicklung „zu regeln”. Damit entsprach der Einigungsvertrag der Notwendigkeit einer geordneten „Liquidation” der nicht zu überführenden Einrichtungen. Deshalb lag keine Überführung im Sinne von Art. 13 EV vor, wenn eine Einrichtung nur vorläufig mit dem Ziele der Auflösung fortgeführt wurde (Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Überführung setzte vielmehr voraus, daß die Einrichtung unverändert fortgeführt oder unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingegliedert wurde. Hingegen lag eine „geregelte” Abwicklung vor, wenn die Tätigkeit geordnet zu Ende geführt wurde.

b) Entsprechend ist der im Tatbestand wiedergegebene Beschluß der Gesamtberliner Landesregierung vom 18. Dezember 1990 gefaßt. Den Studenten der HfÖ wurde ein geordneter Studienabschluß bzw. Übergang auf andere Hochschulen des Landes ermöglicht. Insbesondere wurde den immatrikulierten Studenten die Gelegenheit gegeben, während der kurzen Auslauffrist bis zum 30. September 1991 einen Studienabschluß zu erlangen. Demgegenüber wurden Neuzulassungen mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen. Damit leitete die Gesamtberliner Landesregierung die geordnete Stillegung der HfÖ ein. Dieser Stillegungsprozeß bewirkte keine Überführung der Einrichtung im Sinne von Art. 13 EV, sondern ihr Gegenteil, die Abwicklung der HfÖ.

2. Als gesetzliche Folge der unterlassenen Überführung der HfÖ trat am 1. Januar 1991 das Ruhen des Arbeitsverhältnisses des Klägers ein. Da es zu keiner Weiterverwendung des Klägers kam, endete sein Arbeitsverhältnis mit Ablauf des neunmonatigen Ruhenszeitraumes (Nr. 1 Abs. 2 Satz 5 EV). Das Lebensalter des Klägers – er vollendete am 3. Oktober 1990 das 53. Lebensjahr – wirkte sich demgemäß in einem um drei Monate verlängerten Bezug von Wartegeld und einem entsprechend späteren Beendigungstermin des Arbeitsverhältnisses aus.

II. Im vorliegenden Rechtsstreit ist es nicht von Entscheidungserheblichkeit, ob die Gesamtberliner Landesregierung organisatorische Einheiten, die am 1. Januar 1989 der Vermittlung des Marxismus-Leninismus, der marxistisch-leninistischen Philosophie und/oder des wissenschaftlichen Kommunismus vorrangig gewidmet waren, mit Wirkung vom 1. Januar 1991 ohne Rücksicht auf die Art ihrer organisatorischen Einbindung in die jeweilige Hochschule abwickeln konnte. Das beklagte Land hat die HfÖ mit Ausnahme des Instituts für Fremdsprachen als Gesamteinrichtung von der Überführung ausgenommen und damit abgewickelt.

III. Der der Abwicklung dienende Abschluß befristeter Arbeitsverträge mit Mitarbeitern anderer Sektionen der HfÖ besaß keinen Einfluß auf die gemäß Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 EV eingetretene Rechtsfolge des Ruhens des Arbeitsverhältnisses des Klägers.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Femppel, Hennecke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1079635

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