Entscheidungsstichwort (Thema)
Doppelte Haushaltsführung von Nichtverheirateten
Orientierungssatz
Hinweise des Senats:
"Steuerrechtliche Fachbegriffe in Tarifverträgen (hier: § 6 Abs 4 Nr 1, Nr 2 Buchst b Nr 4 des Reisekostentarifvertrages der Deutschen Bahn AG (RKTV) vom 1. Oktober 1994) gelten grundsätzlich mit dem Inhalt, den sie im Zeitpunkt der Tarifanwendung nach Maßgabe der höchstrichterlichen fachgerichtlichen Rechtsprechung haben."
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Mai 1998
- 1 Sa 126/97 - aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Schwerin vom 17. September 1996 - 6 Ca 1757/96
- wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision
zu tragen.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt die Verpflegungspauschale, die Arbeitnehmern der Beklagten nach dem seit 1. Oktober 1994 geltenden Reisekostentarifvertrag der Deutschen Bahn AG (RKTV) bei doppelter Haushaltsführung zusteht.
Die nicht verheiratete Klägerin ist Betriebsfahrzeugdisponentin. Sie ist seit 1972 bei der Beklagten beschäftigt. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten unterhält die Klägerin eine eigene Wohnung in St. Für die Zeit vom 6. November 1995 bis zum 30. November 1995 wurde die Klägerin zur Einarbeitung im Tagdienst von St. nach S. versetzt. Seit dem 1. Januar 1996 ist sie als Disponentin nach S. versetzt. Dort bewohnt sie ein Zimmer im Lehrlingswohnheim, für das sie eine monatliche Miete in Höhe von 198,00 DM bezahlt. Diese wird ihr von der Beklagten erstattet.
Die Beklagte zahlt an die Klägerin die im vorbezeichneten, auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag für Arbeitnehmer ohne eigenen Hausstand vorgesehene halbe Verpflegungspauschale in Höhe von 8,00 DM täglich. Die Klägerin verlangt die als Auslösung bei doppelter Haushaltsführung vorgesehene Verpflegungspauschale in Höhe von 16,00 DM täglich und macht mit der Klage den Differenzbetrag für die Monate Januar bis März 1996 in Höhe von 408,00 DM und für die Monate April bis Mai 1996 in Höhe von 204,00 DM geltend. Außerdem begehrt sie die Feststellung, daß die Beklagte verpflichtet sei, künftig an sie eine Verpflegungspauschale pro Tag der Fahrtätigkeit in Höhe von 16,00 DM zu zahlen.
Die Klägerin hat gemeint, sie unterhalte weiterhin ihren Hauptwohnsitz in St. und habe die gleichen Mehraufwendungen wie verheiratete Arbeitnehmer. Sinn der Tarifbestimmung sei es, jedem, der einen eigenen Haushalt betreibe und auswärtig eingesetzt werde, einen Anspruch auf die Verpflegungspauschale zuzuwenden. Da sie seit 1985 in der jetzigen Wohnung in St. mit ihrem Lebensgefährten in einem eheähnlichen Verhältnis lebe, fielen auch während ihrer Abwesenheit dort hauswirtschaftliche Tätigkeiten an. Auf die formale Eheschließung könne es für den Anspruch nicht ankommen.
Die Klägerin hat beantragt: 1. Die Beklagte wird verurteilt, an
die Klägerin 408,00 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 9. Mai
1996 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere
204,00 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 11. Juli 1996 zu
zahlen.
3. Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist,
künftig an die Klägerin eine Verpflegungspauschale pro Tag der
Fahrtätigkeit in Höhe von 16,00 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Klägerin unterhalte keinen Familienhausstand iSd. Tarifvertrags. Unter diesem Begriff sei nicht dasselbe zu verstehen wie unter "Haushalt". Es komme nicht auf den allgemeinen Sprachgebrauch an. Hier sei ein Begriff der Lohnsteuer-Richtlinien verwendet worden. Danach könne eine Familie nicht aus nur einer Person bestehen. Das Zusammenleben mit dem Lebensgefährten begründe den Anspruch nicht. Nach der hier maßgebenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sei für den Begriff des "Familienhaushalts" das Zusammenleben zweier nicht verheirateter Personen nur ausreichend, wenn einem solchen Haushalt auch mindestens ein gemeinsames Kind angehöre.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage als unbegründet angesehen, weil es entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts für die Auslegung der Begriffe "doppelte Haushaltsführung" iSv. § 6 Abs. 4 Nr. 1 RKTV und "Familienhausstand" in den Ausführungsbestimmungen Nr. 1 nicht auf den allgemeinen Sprachgebrauch ankomme. Die Tarifparteien hätten durch das Steuerrecht geprägte Fachbegriffe verwendet. Das Verständnis dieser Begriffe im Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses sei maßgebend. Danach habe der Unverheiratete, der zwar eine eigene Wohnung, aber keinen eigenen Hausstand im Sinne der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs besitze - zu dieser Personengruppe gehöre die Klägerin - keinen eigenen Hausstand. Dem ist nicht zu folgen.
II. Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte für die unstreitige Zahl geltend gemachter Tage Anspruch auf Zahlung einer Auslösung in unstreitiger Höhe von 16,00 DM täglich als Verpflegungspauschale für doppelte Haushaltsführung. Dies ergibt die Tarifauslegung.
Nach § 6 Abs. 4 Nr. 1 RKTV werden dem Arbeitnehmer, der an einer auswärtigen Arbeitsstelle beschäftigt ist und nicht täglich nach Hause zurückkehrt, die dadurch entstehenden Mehraufwendungen von der Beklagten erstattet, wenn eine doppelte Haushaltsführung vorliegt. Bei einer Tätigkeit an einer inländischen Arbeitsstätte beträgt die Verpflegungspauschale 16,00 DM täglich (§ 6 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b RKTV). Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts sind der Tarifauslegung die von den Tarifparteien benutzten Fachbegriffe des Steuerrechts mit dem Inhalt zugrunde zu legen, den sie nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. Oktober 1994 (- VI R 62/90 - BFHE 175, 430 = AP EStG § 9 Nr. 13) haben.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist zwar grundsätzlich vom Wortlaut des Tarifvertrags und damit vom allgemeinen Sprachgebrauch, wie er sich aus Wörterbüchern und Lexika ergibt, auszugehen. Der allgemeine Sprachgebrauch wird aber verdrängt, wenn die Tarifparteien eine eigenständige Definition der von ihnen verwendeten Rechtsbegriffe gegeben haben. Dies gilt auch, wenn die Tarifparteien einen Fachbegriff benutzen. Dann ist im Zweifel anzunehmen, daß dieser auch für die Anwendung des Tarifvertrags in seiner allgemeinen fachlichen Bedeutung gelten soll (BAG 29. Mai 1991 - 4 AZR 539/90 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Maler Nr. 5; BAG 13. Mai 1998 - 4 AZR 107/97 - BAGE 89, 6).
2. Das Landesarbeitsgericht hat deshalb zunächst zu Recht angenommen, daß die Tarifbegriffe "doppelte Haushaltsführung" (§ 6 Abs. 4 Nr. 1 RKTV) und "Familienhausstand" (Nr. 1 Ausführungsbestimmungen) im Sinne des Steuerrechts zu verstehen sind. Beide sind Begriffe dieses Rechtsgebiets, wie sich aus den Lohnsteuer-Richtlinien Abschnitt 43 Abs. 3 ergibt. Verwenden die Tarifparteien steuerrechtliche Begriffe, so ist im Zweifel davon auszugehen, daß sie diese auch im steuerrechtlichen Sinn meinen. Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 17. Juni 1996 selbst vorgetragen, daß die Tarifparteien die Bestimmungen des RKTV "unter Berücksichtigung des gültigen Steuerrechts" abgeschlossen haben und dies "von allen Tarifpartnern mitgetragen" wurde. Auch die Klägerin hat im Schriftsatz vom 13. März 1998 unwidersprochen vorgetragen, daß mit dem Tarifbegriff der "doppelten Haushaltsführung" "einvernehmlich der Begriff in der jeweiligen Auslegung durch den Bundesfinanzhof gemeint war". Somit ist für die Auslegung des Tarifbegriffs der "doppelten Haushaltsführung" der fachspezifische Inhalt des Steuerrechts zugrunde zu legen.
3. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kommt es jedoch nicht auf den Begriffsinhalt bei Abschluß, sondern bei Anwendung des Tarifvertrags an. Der Sinngehalt der Tarifbegriffe "doppelte Haushaltsführung" und "Familienhaushalt" hat sich in der Zeit zwischen diesen Zeitpunkten im Steuerrecht geändert. Die Tarifauslegung ergibt, daß die Begriffe mit dem Inhalt gemeint sind, den sie nach höchstrichterlicher Auslegung jeweils haben.
a) Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24. November 1989 (- VI R 66/88 - NJW 1990, 1319) war in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, in der ein Partner am gemeinsamen Wohnort und der andere Partner auswärts beschäftigt war, im Hinblick auf den in Art. 6 Abs. 1 GG garantierten Schutz der Familie ein Familienhaushalt und damit eine beruflich begründete doppelte Haushaltsführung erst ab dem Zeitpunkt zu bejahen, in dem ein gemeinsames Kind geboren und in die gemeinschaftliche Wohnung aufgenommen war. Auch nach den Lohnsteuer-Richtlinien lag eine doppelte Haushaltsführung nur bei einem Hausstand mit finanziell Abhängigen vor. Ein Familienhaushalt konnte demnach nicht aus einer einzigen Person bestehen. Danach läge bei der Klägerin keine doppelte Haushaltsführung vor.
b) Diese langjährige Rechtsprechung hat durch Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. Oktober 1994 (- VI R 62/90 - BFHE 175, 430 = AP EStG § 9 Nr. 13) eine grundlegende Änderung erfahren. Die Anerkennung der doppelten Haushaltsführung eines nicht verheirateten Arbeitnehmers setzt nicht mehr voraus, daß im eigenen Hausstand des Arbeitnehmers von ihm abhängige Zurechnungspersonen leben. Begründet wird dies damit, daß die unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung nicht durch den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) gefordert wird. Dieser stehe im Steuerrecht in Verbindung mit dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Dieses besage zwar, daß die Ehe keine steuerrechtliche Schlechterstellung der Eheleute bewirken dürfe; aus ihm folge aber nicht, daß Nichtverheiratete, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, steuerrechtlich schlechter als Verheiratete behandelt werden müßten. Auch Gesetze stünden im Umfeld sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschauungen, mit deren Wandel sich auch der Norminhalt ändern könne (vgl. BVerfG 14. Februar 1973 - 1 BvR 112/65 - BVerfGE 34, 269, 288 und 3. April 1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 12). Der Wandel der sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse zeige, daß die bisherige Rechtsprechung, nach der bei einem nicht verheirateten Arbeitnehmer eine doppelte Haushaltsführung nur bei Aufnahme von Zurechnungspersonen in den Haushalt steuerrechtlich anerkannt werde, auf der Annahme beruhe, ein Nichtverheirateter habe den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen regelmäßig am Beschäftigungsort, wenn er dort eine Wohnung genommen habe. Davon, daß ein auch am Beschäftigungsort wohnender Nichtverheirateter dort regelmäßig den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen habe, könne indessen nicht ausgegangen werden. Im Urteil vom 10. November 1978 (- VI R 240/74 - und - VI R 118/74 - BFHE 126, 522 und 126, 525) sei bereits anerkannt worden, daß ein Nichtverheirateter, der am Beschäftigungsort wohnt, auch an einem anderen Ort den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen haben könne. Die Aufnahme von Zurechnungspersonen in den Haushalt an diesem Ort sei daher nicht mehr Voraussetzung einer doppelten Haushaltsführung. Auch im Zivilrecht werde das Interesse Nichtverheirateter an der Beibehaltung ihrer bisherigen eigenen Wohnung grundsätzlich nicht geringer bewertet als das Interesse Verheirateter. Der in § 564 b BGB verankerte Kündigungsschutz des Mieters einer Wohnung verdeutliche den hohen Stellenwert, den die Rechtsordnung dem Recht eines Bürgers auf Beibehaltung seiner Wohnung mit ihrem sozialen, kulturellen und familiären Umfeld beimesse.
Nach diesem geänderten höchstrichterlichen Verständnis zum Begriff der "doppelten Haushaltsführung" sind bei der Klägerin die steuerrechtlichen Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung gegeben.
c) Dieses Verständnis gilt auch für die Auslegung des gleichlautenden Begriffs in § 6 Abs. 4 Nr. 1 RKTV. Der RKTV enthält insoweit eine dynamische Verweisung. Ob eine Verweisung statisch oder dynamisch gemeint ist, muß durch Auslegung des Tarifvertrags ermittelt werden. Für den Arbeitsvertrag, mit dem die Parteien im allgemeinen eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen anstreben, besteht die Auslegungsregel, daß im Zweifel eine dynamische Verweisung gewollt ist (BAG 4. September 1996 - 4 AZR 663/95 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 5 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 6). Eine entsprechende Auslegungsregel ist für Tarifverträge anzunehmen, soweit die Tarifvertragsparteien fachspezifische Begriffe verwenden, deren Bedeutung sich - wie hier - zB durch ein geändertes höchstrichterliches Verständnis wandeln kann. Die Bedenken von Schaub (Arbeitsrechtshandbuch 9. Aufl. § 198 Rn. 23), wonach bei Maßgeblichkeit des Anwendungszeitpunkts das Wertgefüge des Tarifvertrags verschoben werden könne, greifen vorliegend schon deshalb nicht, weil die Tarifparteien trotz Kenntnis der geänderten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vom 5. Oktober 1994 (aaO) den RKTV mit Wirkung vom 1. Juli 1995 abgeschlossen und die Ausführungsbestimmungen zu § 6 Abs. 4 Nr. 1 RKTV mit Wirkung vom 1. Juli 1997 hinzugefügt haben.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Dr.
Peifer
Dr. Gräfl Dr. Pühler
D. Knauß
Fundstellen
Haufe-Index 611012 |
ZTR 2001, 73 |