Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 2000/78/EG. Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1. Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Art. 21 und 28. Tarifvertrag über die Vergütung der Angestellten im öffentlichen Dienst eines Mitgliedstaats. Nach Maßgabe des Alters festgesetzte Vergütung. Tarifvertrag, der die Festsetzung der Vergütung nach Maßgabe des Alters abschafft. Wahrung des Besitzstands
Beteiligte
Tenor
1. Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, das in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert und durch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf konkretisiert worden ist, und insbesondere die Art. 2 und 6 Abs. 1 dieser Richtlinie sind dahin auszulegen, dass sie einer in einem Tarifvertrag vorgesehenen Maßnahme wie der in den Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, wonach sich innerhalb der jeweiligen Vergütungsgruppe die Grundvergütung eines Angestellten im öffentlichen Dienst bei dessen Einstellung nach dessen Alter bemisst. Insoweit beeinträchtigt die Tatsache, dass das Unionsrecht der betreffenden Maßnahme entgegensteht und dass diese in einem Tarifvertrag enthalten ist, nicht das in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannte Recht, Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen.
2. Die Art. 2 und 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sowie Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer in einem Tarifvertrag vorgesehenen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-297/10 streitigen nicht entgegenstehen, mit der ein Vergütungssystem, das zu einer Diskriminierung wegen des Alters führt, durch ein auf objektive Kriterien gestütztes Vergütungssystem ersetzt wird und zugleich für einen befristeten Übergangszeitraum einige der diskriminierenden Auswirkungen des erstgenannten Systems bestehen bleiben, um für die bereits in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Angestellten den Übergang zum neuen System ohne Einkommensverluste zu gewährleisten.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidungen vom 20. Mai 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Juni 2010, in den Verfahren
Sabine Hennigs (C-297/10)
gegen
Eisenbahn-Bundesamt
und
Land Berlin (C-298/10)
gegen
Alexander Mai
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, der Richter A. Arabadjiev, A. Rosas und A. Ó Caoimh sowie der Richterin P. Lindh (Berichterstatterin),
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Mai 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Hennigs, vertreten durch Rechtsanwälte M. Peiseler und A. Seulen,
- von Herrn Mai, vertreten durch Rechtsanwalt H.-W. Behm,
- des Landes Berlin, vertreten durch Rechtsanwalt J. Zeisberg,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und C. Pochet als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und J. Enegren als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 21 und 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters und der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16).
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen zwei Angestellten im öffentlichen Dienst, Frau Hennigs und Herrn Mai, und ihren jeweiligen Arbeitgebern, dem Eisenbahn-Bundesamt und dem Land Berlin, über die Festsetzung der Höhe ihrer Vergütungen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 9, 11, 25 und 36 der Richtlinie 2000/78 lauten:
„(9) Beschäftigung und Beruf sind Bereiche, die für die Gewährleistung gleicher Chancen für alle und für eine volle Teilhabe der Bürger am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben sowie für die individuelle Entfaltung von entscheidender Bedeutung sind.
…
(11) Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung können die Verwirklichung der im EG-Vertrag festgelegten Ziele unterminieren, insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zu...