Zusammenfassung
hier: |
Arbeitgeberseitige Mitwirkungsobliegenheiten |
Bezug: |
Rundschreiben vom 6. Juni 2019, Az.: I 41 - P 2160 A - 01-18/002 und I 1 - 12 d 03 - 05 - |
I. Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts
1.
Mit Rundschreiben vom 6. Juni 2019 ist über die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Verfall von Urlaub informiert worden.
Das BAG hat nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 6.11.2018 - C-684/16 seine Rechtsprechung geändert und entschieden, dass der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub bei einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 S.1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 S. 3 und S. 4 BUrlG) erlischt, "wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat" (Urteil vom 19.02.2019 - 9 AZR 423/16 - Rn. 22). Um seinen Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs zu genügen, müsse der Arbeitgeber den Arbeitnehmer - ggf. förmlich - auffordern, den Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums verfalle, wenn er diesen nicht beantrage (BAG a.a.O. Rn. 22).
2.
Umstritten und höchstrichterlich noch nicht entschieden war bis dahin jedoch die Frage, ob der Arbeitgeber auch langfristig erkrankte Arbeitnehmer darüber belehren muss, dass ihre Urlaubsansprüche bei Nichtinanspruchnahme bis zum 31.12. des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums erlöschen oder ob diese Pflicht erst wieder nach Genesung bezogen auf die konkreten Ansprüche des Arbeitnehmers besteht.
Der EuGH hat dazu in zwei aktuellen Entscheidungen ausgeführt (Urteile vom 22.09.2022 - C-518/20 und - C-727/20), dass ein Verfall des Urlaubsanspruchs dann nicht möglich sei, wenn der Anspruch den Bezugszeitraum betreffe, in welchem der Arbeitnehmer noch gearbeitet habe, bevor dieser voll erwerbsgemindert oder arbeitsunfähig geworden sei, und wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht zuvor rechtzeitig in die Lage versetzt habe, diesen Anspruch auch geltend zu machen. Resturlaubsansprüche aus dem Jahr des Erkrankungsbeginns verfallen somit nicht, wenn betroffene Beschäftigte in diesem Jahr noch gearbeitet haben und die Arbeitgeberseite in diesem Jahr ihre Mitwirkungsobliegenheit nicht erfüllt hat. Dem schloss sich das BAG in zwei weiteren Urteilen an (Urteile vom 20.12.2022 - 9 AZR 401/19 und - 9 AZR 245/19).
3.
Eine weitere Fortentwicklung hat die Urlaubsrechtsprechung des BAG hinsichtlich der Frage nach der Verjährung von Urlausansprüchen erfahren.
In seinem Urteil vom 20.12.2022 - 9 AZR 266/20 - setzt der Senat die Vorgaben des EuGH aus dessen Vorabentscheidung vom 22. 09. 2022 - C-120/21 - um. Der gesetzliche Anspruch von Beschäftigten auf bezahlten Jahresurlaub unterliegt hiernach grundsätzlich der gesetzlichen Verjährung. Allerdings beginne die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und diesen aufgefordert hat, den (Rest-)Jahresurlaub rechtzeitig zu beantragen und anzutreten und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen habe (BAG a.a.O. Rn.19). Die Gewährleistung der Rechtssicherheit, so auch der EuGH in seiner Begründung, dürfe nicht als Vorwand dienen, zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben. Der Arbeitgeber könne die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 13;).
Diese Rechtsprechung des BAG zur Verjährung von Urlaubsansprüchen ist nicht zu verwechseln mit der Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen. Hierzu hat das BAG in einem Urteil vom 31.01.2023 klargestellt (9 AZR 456/20), dass der Anspruch von Beschäftigten auf Abgeltung von nicht genommenen Urlaub als "normaler" Zahlungsanspruch weiterhin den allgemeinen Regelungen der Verjährung unterliegt. Die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist gemäß den §§ 195,199 BGB beginnt dabei am Ende des Jahres zu laufen, in dem das Beschäftigungsverhältnis geendet hat.
II. Praktische Auswirkungen
1.
Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche können gerade bei Langzeiterkrankten zu hohen Belastungen und finanziellen Forderungen gegenüber dem Arbeitgeber führen. Sowohl der Eintritt des Verfalls als auch der Verjährung von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen hängt alleine von der ordnungsgemäßen Erfüllung der arbeitgeberseitigen Obliegenheiten ab. Das BAG hat einige wenige Hinweise gegeben, wie in der Praxis die Mitwirkungspflichten der Arbeitgeberseite umgesetzt werden können (vgl. Urteil vom 19.02.2019 - 9 AZR 423/16). Danach ist die Arbeitgeberseite bzgl. der Erfüllung dieser Obliegenheit grundsätzlich in der Wahl ihrer Mittel frei. Diese müssen jedoch g...