Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitszeit. Bereitschaftsdienst. Betriebsvereinbarung. SIMAP-Urteil. Arbeitszeitrichtlinie

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Arbeitszeitgesetz und der darin verwandte Begriff der Arbeitszeit ist europarechtskonform dahin auszulegen, dass Bereitschaftsdienst dem Arbeitszeitbegriff unterfällt, und zwar unabhängig davon ob tatsächlich Arbeit geleistet wird.

2. Eine Betriebsvereinbarung, die eine abweichende betriebliche Arbeitszeitregelung enthält und die dabei Bereitschaftsdienst mit Ruhezeit gleichsetzt, ist unwirksam.

3. Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber verlangen, dass er keine Bereitschaftsdienste in Arbeitszeitkonstellationen anordnet oder deren Ableistung duldet, soweit dadurch die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit überschritten wird.

 

Normenkette

ArbZG §§ 3, 5 Abs. 1, 3, § 6 Abs. 2; BetrVG § 77; BGB § 134

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Beschluss vom 11.12.2001; Aktenzeichen 1 BV 14/01)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 18.02.2003; Aktenzeichen 1 ABR 17/02)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 11. Dezember 2001 – 1 BV 14/01 – wie folgt abgeändert:

  1. Es wird festgestellt, dass die zwischen den Beteiligten geschlossene Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 zum Thema Arbeitszeit in den Bereichen Innere Medizin und Anästhesie rechtsunwirksam ist,
  2. es wird festgestellt, dass die zwischen den Beteiligten geschlossene Betriebsvereinbarung Nr. 16/92 vom 15. Dezember 1992 zum Thema Regelung der Bereitschaftsdienste und der Rufbereitschaftsdienste und die zwischen den Beteiligten geschlossene Betriebsvereinbarung Nr. 17/92 vom 15. Januar 1993 zum Thema Regelung des Spätdienstes und der 3. Bereitschaftsdienstreihe nebst den Nachträgen vom 21. September 1993, 3. Januar 1995 und 27. November 1996 rechtsunwirksam sind.
  3. Dem Arbeitgeber wird untersagt – bei Meidung eines Ordnungsgelds in jedem Einzelfall von bis zu DM 500.000,– (und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zur Ordnungshaft) – oder zur Ordnungshaft – bezogen auf die Bereiche Innere Medizin und Anästhesie,

    3.1 Beschäftigten gegenüber Bereitschaftsdienst anzuordnen oder zu dulden, soweit dadurch eine durchschnittliche Arbeitszeit (inklusive Bereitschaftsdienststunden und auch Überstunden und auch tatsächlich geleisteter Stunden innerhalb der Rufbereitschaftszeit) von mehr als 48 Stunden im Durchschnitt von vier Monaten gegeben ist,

    3.2 Arbeitszeiten anzuordnen oder zu dulden, bei denen bezogen auf das Ende der letzten Stunde der letzten Arbeitszeitphase (letzte Bereitschaftsdienststunde, letzte Überstunde, letzte tatsächlich geleistete Einsatzstunde im Rahmen einer Rufbereitschaft) eine Ruhezeit von weniger als 11 Stunden vorgelegen hat,

    3.3 bei Vorliegen von mindestens zwei Stunden Nachtarbeit in der Zeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr anschließend eine zusammenhängende Arbeitszeit (inklusive Bereitschaftsdienststunden und Überstunden) von mehr als acht Stunden anzuordnen oder zu dulden.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I. Die Beteiligten streiten im Beschlußverfahren über die Rechtswirksamkeit einer Betriebsvereinbarung und – hiermit zusammenhängend – darüber, ob der Antragsgegnerin (Arbeitgeberin) im Zusammenhang mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst auf Antrag des Betriebsrats generell untersagt werden kann, bestimmte Arbeitszeitkonstellationen anzuordnen oder auch nur zu dulden.

Antragsgegnerin ist ein im Westen Hamburgs im E. gelegenes Krankenhaus mit rund 400 Betten und rund 650 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, darunter etwa 70 Ärztinnen und Ärzte. Es wird in der Rechtsform einer gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (eGmbH) geführt.

Antragsteller und Beschwerdeführer ist der im Krankenhaus gebildete Betriebsrat, der aus 11 Mitgliedern besteht.

Zur Vorgeschichte des Krankenhauses und zu seiner Funktion ergibt sich: Das Krankenhaus wird auf dem Gelände und in den Gebäuden einer ehemaligen Wehrmachts-Kaserne betrieben. Bis 1979 diente es der … Rahmenvertrag vom 20. November 1979 übertrug die Gesundheitsbehörde der … Trägerschaft auf die … Gemeinnützige Gesellschaft m. b. H. Das Krankenhaus führte zunächst den Namen …

In § 1 Abs. 2 und 3 Rahmenvertrag heißt es ferner:

Das Krankenhaus wird auf der Grundlage des Krankenhausbedarfsplans vom 27. September 1977 nach dem Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze – KHG – vom 29. Juni 1972 … gefördert.

Das Krankenhaus wird sich ferner an der uneingeschränkten Notfallversorgung beteiligen.

Wegen des weitergehenden Inhalts des Rahmenvertrags wird auf Bl. 147–149 d. A., wegen des gleichzeitig abgeschlossenen Pachtvertrags wird auf Bl. 143–145 d. A. verwiesen. Die F. ugleich eine Bürgschaft für einen Betriebsmittelkredit bis zu einem Höchstbetrag von 4 Mio. Deutsche Mark (Bl. 150 d. A.). Außerdem existiert ein Gestellungsvertrag (ebenfalls seit dem 20. November 1979), wonach die … eGmbH die im Zeitpunkt der Übergabe des Krankenhauses beschäf...

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