Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrechtlicher Teilheitanspruch. Klageantrag. Notwendigkeit einer Verkürzung der Arbeitszeit. Beweislast. Unzumutbarkeit der Verkürzung
Leitsatz (amtlich)
Auch der besondere schwerbehindertenrechtliche Teilzeitanspruch gemäß § 81 V SGB IX ist durch eine Klage auf Abgabe einer Willenserklärung durchzusetzen.
Zur Darlegung der Notwendigkeit einer Verkürzung der Arbeitszeit i.S.v. § 81 V 3 SGB IX genügt es, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung vorlegt, dergemäß eine Verkürzung der Arbeitszeit aus gesundheitlichen Gründen indiziert ist Es obliegt dann ggf. dem Arbeitgeber, deren Beweiskraft zu erschüttern.
Der Arbeitgeber kann den Einwand, ihm sei die Arbeitszeitreduzierung nach § 81 IV 3 SGB IX nicht zumutbar, nicht auf die Befürchtung stützen, dass es bei einervernehmlichen Verringerung der Arbeitszeit zu Streitigkeiten über deren Verteilung kommen werden.
Normenkette
SGB IX § 81 Abs. 4-5
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, das Angebot des Klägers auf Änderung der Arbeitsbedingungen dahingehend, dass die regelmäßige Arbeitszeit von Montag bis Freitag fünf Stunden pro Arbeitstag beträgt, anzunehmen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 9.510,03 festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Reduzierung seiner Wochenarbeitszeit
Der Kläger ist seit Juli 1993 für die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin als Reinzeichner und stellvertretender Bereichsleiter zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt DM 6.200,00 tätig. Das Versorgungsamt Mainz stellte mit Bescheid vom 17.1.1991 beim Kläger einen Grad der Behinderung von 100 fest. Der Kläger ist verheiratet Seine Ehefrau ist vollzeitig erwerbstätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig neun Arbeitnehmer mit einer Arbeitszeit von jeweils acht Stunden pro Tag. Sie stellt Druckvorstufen für Werbeanzeigen und andere Werbematerialien für eine Werbeagentur her. Die Vorlagen werden von einem Reinzeichner in einem aus zahlreichen Schritten bestehenden Produktionsvorgang unter mehrfacher Beteiligung eines Korrektors, der Werbeagentur und von deren Auftraggeber hergestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Seiten 2–4 sowie auf die Anlage B 1 des Schriftsatzes vom 15.11.2001 (Bl. 20–23 d.A.) verwiesen. Die Vorlagen der Werbeagentur werden vom Atelierleiter auf die Zeichner verteilt. Die Bearbeitung eines Auftrages erstreckt sich in der Regel über mehrere Tage und umfasst regelmäßig mehr als fünf Zeichnerstunden. Die Zeichner sind jeweils nebeneinander mit mehreren Aufträgen befasst.
Der Kläger nahm von Januar 1999 bis Juli 2001 Erziehungsurlaub in Anspruch. Mit Attest vom 27.6.2001 bescheinigte ihm der behandelnde Arzt, dass aus gesundheitlichen Gründen eine Arbeitszeitreduktion auf vier bis fünf Stunden pro Tag dringlich indiziert sei. Verhandlungen über eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit scheiterten daran, dass die Beklagte auf einer achtstündigen Tätigkeit des Klägers pro Arbeitstag bestand, der Kläger dagegen eine Reduzierung der täglichen Arbeitszeit unter Beibehaltung der Fünf-Tage-Woche anstrebte und eine Tätigkeit nach 16.00 Uhr ablehnte, um sein Kind betreuen zu können.
Der Kläger behauptet, Art und Schwere seiner Behinderung indizierten eine Verringerung der Arbeitszeit auf fünf Stunden pro Tag (Beweis: Sachverständigengutachten). Der Arbeitsablauf stehe einer solchen Reduzierung nicht entgegen. Eine Vertretung bei der Auftragsbearbeitung sei nur in der ersten Phase nicht möglich, durchaus aber in der daran anschließenden Korrekturphase. Dies entspreche auch der alltäglichen Praxis bei der Beklagten. Ansprechpartner und Koordinator für derartige etwa bei Urlaub oder Krankheit auftretende Fälle sei der Atelierleiter. Dieser delegiere dann den Auftrag neu (Beweis: Sachverständigengutachten; Augenschein).
Wegen des weiteren Vortrags des Klägers wird auf die Schriftsätze vom 18.7.2001 sowie vom 2. und 17.1.2002 verwiesen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, das Angebot des Klägers auf Änderung der Arbeitsbedingungen dahingehend, dass die regelmäßige tägliche Arbeitszeit von Montag bis Freitag 5 Stunden beträgt, anzunehmen.
Die Beklagte behauptet zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags, sie könne während der Bearbeitung eines Auftrages einen Reinzeichner wegen des dadurch entstehenden Einarbeitungsaufwandes und des schöpferischen Charakters der Tätigkeit nicht durch einen anderen ersetzen (Beweis: Sachverständigengutachten). Um den Auftragsvorgaben mit gleichbleibender Qualität Rechnung zu tragen, müsse die jeweilige Produktion durchgehend von der „Handschrift” eines Reinzeichners geprägt sein. Die Beklagte bestreitet aus Anlass der Absicht des Klägers, nach 16.00 Uhr sein Kind zu betreuen, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, täglich länger als fünf Stunden zu arbeiten. Die körperlichen Beeinträchtigungen ließen auch eine Tätigkeit an drei zusammenhängende...