Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsvergütung und Stillzeiten
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Verdienstausfall für Stillzeiten nach § 7 Abs 2 MuSchG setzt grundsätzlich voraus, daß die Arbeitnehmerin ihre Arbeitsleistung erbringt, von der sie für Stillzeiten gemäß § 7 Abs 1 MuSchG in dem erforderlichen Umfang freigestellt ist.
2. Bei der Frage, in welchem Umfang die Arbeitnehmerin Stillzeiten beanspruchen kann, ist auch zu berücksichtigen, daß die Arbeitnehmerin betrieblichen Belangen Rechnung zu tragen hat.
Normenkette
BGB §§ 294, 615; MuSchG § 7
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 18.11.1983; Aktenzeichen 6 Sa 183/82) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 15.11.1982; Aktenzeichen 8 Ca 548/82) |
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz lediglich noch darüber, ob der Klägerin gegen die Beklagte für die Zeit vom 11. Mai bis 31. Oktober 1982 Gehaltsansprüche zustehen.
Die Klägerin war seit dem 1. April 1975 bei der Beklagten in deren Hamburger Niederlassung als Kontoristin zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.622,-- DM beschäftigt. Nach der Geburt ihres Kindes am 10. November 1981 nahm die Klägerin im Anschluß an die Mutterschutzfristen Mutterschaftsurlaub in Anspruch. Dieser endete mit dem 10. Mai 1982.
Anfang Mai 1982 hatte die Klägerin dem Niederlassungsleiter mitgeteilt, daß sie ihr Kind nach wie vor stillen müsse und aufgrund der langen An- und Abfahrtszeiten zur Arbeitsstätte gezwungen sei, ihr Kind zum Arbeitsplatz mitzubringen. Die Beklagte lehnte die Anwesenheit des Kindes in den Betriebsräumen ab.
Am 11. Mai 1982 erschien die Klägerin mit ihrem Kind am Arbeitsplatz. Der Niederlassungsleiter der Beklagten verweigerte der Klägerin die Arbeitsaufnahme mit dem Kind. Mit Schreiben vom 13. Mai 1982 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die zum Stillen erforderliche Zeit werde ihr nach § 7 des Mutterschutzgesetzes gewährt und bat um unverzügliche Arbeitsaufnahme. Die Klägerin antwortete daraufhin mit Schreiben vom 17. Mai 1982, sie sei bereit, ihre Arbeit "mit Kind im Büro" aufzunehmen.
Nach einer ärztlichen Bescheinigung vom 21. Mai 1982 mußte die Klägerin ihr Kind fünfmal am Tag stillen. Am 23. Juni 1982 besichtigte das Amt für Arbeitsschutz die Räume in der Niederlassung der Beklagten und kam dabei zu dem Ergebnis, daß dort ohne größere Umbauten weder ein Stillraum noch eine Aufenthaltsmöglichkeit für ein sieben Monate altes Kind gegeben sei.
Am 13. September 1982 kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis fristlos; der Betriebsrat hatte der Kündigung nicht widersprochen.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin sich gegen die Kündigung gewandt und Zahlung des Arbeitsentgelts für die Zeit vom 11. Mai bis 31. Oktober 1982 in unstreitiger Höhe von 14.904,-- DM brutto geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe ihre Arbeitskraft am 11. Mai 1982 ordnungsgemäß angeboten; die Beklagte befinde sich daher in Annahmeverzug. Da ihr Kind bis knapp ein Jahr nach der Geburt Flaschennahrung verweigert habe, habe sie es voll stillen müssen. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, das Kind zum Stillen in den Betrieb bringen zu lassen. Da sie ihr Kind am Tag etwa vier bis sechsmal habe stillen müssen und die Fahrtzeit von ihrer Wohnung zum Betrieb ca. 45 Minuten betrage, wäre sie etwa sieben Stunden täglich zum Stillen von der Arbeitsstätte abwesend gewesen. Eine Arbeitsaufnahme für eine Stunde sei jedoch unzumutbar.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, daß die Kündigung der Beklagten vom
13. September 1982 unwirksam ist,
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 14.904,-- DM
brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 8. Oktober 1982
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin könne keine Gehaltsansprüche geltend machen, da sie seit dem 11. Mai 1982 die Arbeit verweigert habe. Nach den gegebenen Räumlichkeiten sei es nicht möglich gewesen, daß die Klägerin ihr Kind zur Arbeitsstätte mitbrachte, um es dort zu stillen.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. September 1982 nicht aufgelöst worden ist und hat die Beklagte verurteilt, die Klägerin über den 13. September 1982 hinaus weiterzubeschäftigen. Es hat die Beklagte weiter verurteilt, an die Klägerin 4.192,44 DM brutto nebst Zinsen zu zahlen; die weitergehende Zahlungsklage hat es abgewiesen.
Auf die Berufung beider Parteien hat das Landesarbeitsgericht den Zahlungsantrag der Klägerin insgesamt abgewiesen und die Beklagte verurteilt, die Klägerin über den 21. Dezember 1982 hinaus weiterzubeschäftigen; den Antrag der Beklagten auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses hat es zurückgewiesen.
Mit der hinsichtlich der Zahlungsklage zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
A. Die Revision ist zulässig. Das Berufungsgericht hat die Revisionszulassung auf die Zahlungsklage beschränkt. Dies ist möglich, denn bei der Zahlungsklage handelt es sich um einen rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffes, über den gesondert, etwa durch Teilurteil, entschieden werden könnte (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, zuletzt BAG 40, 250, 251 = AP Nr. 1 zu § 72 ArbGG 1979).
B. Die Revision ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte für die Zeit vom 11. Mai bis zum 31. Oktober 1982, in der sie ihre Arbeitsleistung bei der Beklagten nicht erbracht hat, weder aus Annahmeverzug (I) noch aus den Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes (II) einen Anspruch auf Arbeitsentgelt.
I. 1. Nach § 615 BGB behält der Arbeitnehmer, auch ohne daß er eine Arbeitsleistung erbringt, seinen Anspruch auf Vergütung, wenn der Arbeitgeber sich in Annahmeverzug befindet. Der Arbeitgeber gerät dann in Annahmeverzug, wenn er die vom Arbeitnehmer ordnungsgemäß angebotene Arbeitsleistung nicht annimmt. Ob die Arbeitsleistung ordnungsgemäß angeboten ist, richtet sich nach den Bestimmungen in §§ 293 ff. BGB (Palandt/Putzo, BGB, 44. Aufl., § 615 Anm. 2 c). Nach § 294 BGB ist die Leistung so anzubieten, wie sie zu bewirken ist. Im Arbeitsverhältnis bedeutet dies, daß der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung zur rechten Zeit, am rechten Ort und in der rechten Weise anzubieten hat (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 95 I 1).
2. Nach den insoweit von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin ihre Arbeitskraft nur unter der Bedingung angeboten, daß sie ihr Kind zur Arbeitsstätte mitbringen und dort stillen könne. Die tatsächlichen Verhältnisse am Arbeitsplatz ließen es jedoch nicht zu, das Kind dort während der Arbeitszeit unterzubringen; zum Stillen geeignete Räumlichkeiten waren nicht vorhanden und konnten ohne größere Umbauten auch nicht geschaffen werden. Aufgrund dieser Feststellungen hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, daß das Angebot der Klägerin, mit ihrem Kind im Betrieb zu erscheinen, nicht als ordnungsgemäßes Arbeitsangebot angesehen werden kann. Die Klägerin hatte ihre Arbeitsleistung ohne Kind in den Betriebsräumen zu erbringen. Eine anderweitige Vereinbarung ist zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages nicht getroffen worden.
II. Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Arbeitsvergütung ergibt sich auch nicht aus § 7 MuSchG.
1. Nach § 7 MuSchG ist stillenden Müttern auf ihr Verlangen die zum Stillen erforderliche Zeit, mindestens aber zweimal täglich eine halbe Stunde oder einmal täglich eine Stunde freizugeben. Bei einer zusammenhängenden Arbeitszeit von mehr als acht Stunden soll auf Verlangen zweimal eine Stillzeit von mindestens 45 Minuten oder, wenn in der Nähe der Arbeitsstätte keine Stillgelegenheit vorhanden ist, einmal eine Stillzeit von mindestens 90 Minuten gewährt werden. Nach § 7 Abs. 2 darf durch die Gewährung der Stillzeit ein Verdienstausfall nicht eintreten. Nach § 7 Abs. 3 MuSchG kann die Aufsichtsbehörde in Einzelfällen nähere Bestimmungen über Zahl, Lage und Dauer der Stillzeit treffen; sie kann die Einrichtung von Stillräumen vorschreiben.
2. Das Berufungsgericht hat § 7 Abs. 1 MuSchG dahin ausgelegt, daß eine Freistellung von der Arbeitsleistung zum Zwecke des Stillens nur erfolgen kann, wenn tatsächlich eine Arbeitsleistung erbracht wird. Es hat hierzu ausgeführt, § 7 MuSchG belaste den Arbeitgeber nur mit einer Entgeltfortzahlungspflicht für die e r f o r d e r l i c h e n Stillpausen, durch die die Arbeitsleistung unterbrochen werde. Eine allgemeine Entgeltfortzahlungspflicht für den Fall der gänzlichen Verhinderung an der Arbeitsleistung, wie sie z.B. für den Krankheitsfall in § 616 Abs. 2 BGB und § 63 HGB, sowie § 1 LohnFG oder den des Beschäftigungsverbotes nach §§ 3, 6 und 8 MuSchG begründet worden sei, lege das Gesetz für den Fall des Stillens nicht fest. Da eine gesetzliche Regelung nicht bestehe, die einen Vergütungsanspruch der Klägerin aufrechterhalte, müsse es insoweit bei der allgemeinen Regel des § 323 BGB verbleiben, wonach bei beiderseits unverschuldeter Unmöglichkeit der Anspruch auf die Vergütung entfalle.
3. Dieser Auffassung ist zuzustimmen.
a) § 7 Abs. 1 MuSchG spricht von der "zum Stillen erforderlichen Zeit", wobei die tägliche Stillzeit nach unten auf insgesamt eine Stunde, nach oben jedoch nicht begrenzt ist. Als erforderlich ist die Zeit anzusehen, die nach objektiven Maßstäben für das Stillen notwendig ist. Dazu gehört nicht nur die eigentliche Stillzeit, sondern auch die Zeit für die Vorbereitungen, die Wegezeit zu einem Stillraum oder zur häuslichen Wohnung sowie die Zeit, die die Mutter benötigt, um das Stillen in Ruhe und in gehöriger Weise durchzuführen (Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl., § 7 Rz 12; Meisel/Hiersemann, Mutterschutz und Mutterschaftshilfe, 2. Aufl., § 7 Rz 7; Gröninger/Thomas, MuSchG 1985, § 7 Anm. 3 a; Zmarzlik/Zipperer, Mutterschutzgesetz, Mutterschutzhilfe, § 7 Rz 2). Bei der Beurteilung dessen, was als Stillzeit erforderlich ist, sind in erster Linie die Belange des Mutterschutzes zu berücksichtigen, denn das Mutterschutzgesetz soll nach seinem Sinn und Zweck die besonderen Belastungen der Mutter und ihre Stellung im Berufsleben im Interesse der Gesunderhaltung von Mutter und Kind ausgleichen. Die Arbeitnehmerin ist jedoch gehalten, durch zumutbare organisatorische Maßnahmen die Stillzeiten in angemessenen Grenzen zu halten und damit auch den betrieblichen Belangen Rechnung zu tragen. (Bulla/Buchner, aaO, § 7 Rz 15; Meisel/Hiersemann, aaO, § 7 Anm. 9; Gröninger/Thomas, aaO, § 7 Anm. 3 a).
b) Darauf, welche Stillzeiten vorliegend als "erforderlich" anzusehen wären, kommt es nicht an. Aus dem eigenen Vortrag der Klägerin ergibt sich, daß sie die von ihr angegebenen Stillzeiten und Wegezeiten nicht benötigte. Nach dem ärztlichen Attest mußte die Klägerin ihr Kind fünfmal am Tag stillen. Hiervon muß der Senat für den gesamten Anspruchszeitraum ausgehen, obgleich im allgemeinen im Verlaufe des ersten Lebensjahres fortschreitend Breimahlzeiten notwendig werden. Diese Stillzeiten konnte und mußte die Klägerin wegen der gebotenen Rücksichtnahme so legen, daß sie während der Arbeitszeit von 8.00 - 16.30 Uhr nur zweimal von der Arbeit freizustellen war, etwa für Stillzeiten um 10.00 Uhr und 14.00 Uhr. Keineswegs durfte die Klägerin, auch im Hinblick auf die ärztliche Bescheinigung, Zahl und Lage der Stillzeiten nach ihrem Gutdünken bestimmen. Bei zwei in die Arbeitszeit fallenden Stillzeiten konnte die Klägerin mindestens noch die Hälfte ihrer Arbeitszeit ableisten. Insoweit kommt wegen der erforderlichen Wegezeit noch folgendes hinzu: Die Klägerin hatte zunächst vorgetragen, es habe keine Möglichkeit bestanden, daß ihr das Kind zur Arbeitsstelle gebracht werde. In der Berufungsinstanz hat sie jedoch eingeräumt, ihre Schwiegereltern hätten es auf entsprechende Bitte einrichten können, ihr das Kind zum Stillen ins Büro zu bringen. Ebenso konnte aber, weil an der Arbeitsstelle das Kind nicht gestillt werden konnte, die Klägerin nach Haus befördert werden. Das hätte gegenüber der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bei einer Entfernung von etwa 17 Kilometern zwischen Arbeitsstelle und Wohnung die Wegezeit erheblich herabgesetzt. Hiervon hat die Klägerin jedoch weder die Beklagte unterrichtet noch Gebrauch gemacht. Sie hat daher schon nach ihrem eigenen Vorbringen nicht alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen, um ihrer Arbeit außerhalb der erforderlichen Stillzeit nachzugehen. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, daß durch die erforderliche Stillzeit die volle Arbeitszeit ausgefüllt gewesen wäre. Da die Klägerin ihre Arbeit überhaupt nicht angetreten hat, war die Beklagte nicht in der Lage, ihr die erforderlichen Stillzeiten zu gewähren. Nur für die Stillzeiten, durch die die Arbeitsleistung unterbrochen wird, ist nach § 7 MuSchG jedoch die Arbeitsvergütung fortzuzahlen.
Dr. Thomas Michels-Holl Schneider
Scherer Dr. Kalb
Fundstellen
Haufe-Index 440450 |
DB 1986, 129-130 (LT1-2) |
NJW 1986, 864 |
FamRZ 1986, 55-56 (LT1-2) |
ARST 1986, 87-88 (LT1-2) |
NZA 1986, 131-132 (LT1-2) |
USK, 8586 (LT1-2) |
AP § 7 MuSchG 1968 (LT1-2), Nr 1 |
AR-Blattei, ES 1220 Nr 79 (LT1-2) |
AR-Blattei, Mutterschutz Entsch 79 (LT1-2) |
EzA § 7 MuSchG, Nr 1 (LT1-2) |
PERSONAL 1989, 290-290 (T) |