Entscheidungsstichwort (Thema)
Lehrerin (beamtet): Stillzeit. Pflichtstunden. Mutterschutz: Stillzeiten einer Lehrerin
Leitsatz (amtlich)
Eine beamtete Lehrerin, die ihr Kind stillt, hat keinen Anspruch auf Verminderung ihrer Unterrichtsverpflichtung, wenn die benötigten Stillzeiten außerhalb der vorgesehenen Unterrichtsstunden liegen.
Normenkette
GG Art. 6 Abs. 4, Art. 33 Abs. 5; LBG B.-W. §§ 98-99; BBG §§ 79, 80 Nr. 1; MuSchVO B.-W. § 7; vgl. MuSchV, § 7); MuSchG § 7
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 17.12.1985; Aktenzeichen 4 S 924/84) |
VG Karlsruhe (Entscheidung vom 16.03.1984; Aktenzeichen 8 K 191/83) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 17. Dezember 1985 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin steht als beamtete Sonderschullehrerin im Dienst des beklagten Landes. Nach Geburt ihres Sohnes am 26. Mai 1982 nahm sie nach Ablauf ihres Mutterschaftsurlaubs den Dienst wieder auf. Vor Dienstantritt hatte sie beantragt, ihr täglich eine Stunde Stillzeit, und zwar während der ersten Unterrichtsstunde zu bewilligen. Dem kam die Schule nach und gestaltete den Lehrerstundenplan der Klägerin derart, daß sie während der Zeit der ersten Unterrichtsstunde keinen Unterricht zu halten brauchte. Daraufhin beantragte die Klägerin, ihre Pflichtstundenzahl von 27 Stunden im Hinblick auf die erforderliche Stillzeit auf 22 Wochenstunden zu reduzieren. Diesen Antrag lehnte das Oberschulamt ab. Den Widerspruch der Klägerin wies es zurück.
Mit der Klage hatte die Klägerin zunächst den Antrag angekündigt, den Ablehnungsbescheid des Oberschulamts vom 22. Februar 1983 sowie den Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 1983 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr arbeitstäglich eine Stillzeit von einer Stunde unter Anrechnung auf die Deputatsverpflichtung zu gewähren, solange sie tatsächlich stille. Nachdem sie das Stillen eingestellt hatte, hat die Klägerin ihren Klageantrag geändert und nunmehr begehrt festzustellen, daß der Ablehnungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids rechtswidrig gewesen und der Beklagte verpflichtet gewesen sei, ihr zum Stillen arbeitstäglich eine Stillzeit von einer Stunde unter Anrechnung auf die Deputatsverpflichtung zu bewilligen.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, daß der Bescheid des Oberschulamts vom 22. Februar 1983 und sein Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 1983 insoweit rechtswidrig gewesen sind als der Klägerin eine Anrechnung der zum Stillen ihres Kindes erforderlichen Zeit auf ihre Unterrichtsverpflichtung in Höhe von drei Wochenstunden für die Dauer vom 26. November 1982 bis zum Ende des Schuljahres 1982/83 versagt worden ist. Im übrigen wurde die Klage abgewiesen. Auf die Berufung beider Beteiligter hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt ein Anspruch auf Herabsetzung der Arbeitszeit in der zum Stillen erforderlichen Dauer werde durch § 7 der Mutterschutzverordnung nicht eingeräumt. Die stillende Mutter solle nicht schlechthin entlastet, sondern es solle ihr lediglich die Möglichkeit eingeräumt werden, das Kind soweit erforderlich, während der Arbeitszeit zu stillen, ohne daß sich die Beamtin ein Vor- oder Nacharbeiten außerhalb der festgelegten Arbeitszeit gefallen lassen müsse. Es müsse sich demnach um einen Teil der vom Dienstherrn festgelegten Arbeitszeit handeln. Die tatsächlichen Stillzeiten der Klägerin fielen aber nicht in die Zeit ihrer festgelegten Unterrichtsverpflichtung mithin nicht in ihre Arbeitszeit, und könnten daher auch nicht freigegeben werden.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Senat zugelassene Revision eingelegt, mit der sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren.
Alle Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§§ 141, 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Zu Recht hat das beklagte Land die Klägerin im Rahmen des für sie erstellten Stundenplans zur vollen Pflichtstundenzahl außerhalb der täglichen Stillzeit herangezogen.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 der aufgrund des § 99 des Landesbeamtengesetzes Baden-Württemberg – LBG – erlassenen Verordnung der Landesregierung über den Mutterschutz für Beamtinnen und Richterinnen (Mutterschutzverordnung – MuSchuVO –) in der Fassung der Verordnung vom 16. Juli 1984 (GBl. S. 422, mit späterer Änderung) ist einer Beamtin die zum Stillen erforderliche Zeit, mindestens aber zweimal täglich eine halbe Stunde oder einmal täglich eine Stunde, auf ihr Verlangen freizugeben. Nach § 7 Abs. 2 MuSchuVO darf diese Stillzeit nicht vor- oder nachgearbeitet werden. Im vorliegenden Falle hat weder ein „Freigeben” in diesem Sinne mit der Folge daß die freigegebene Zeit wie geleistete Arbeitszeit zu behandeln wäre stattgefunden, noch hatte die Klägerin Anspruch auf ein solches Freigeben oder auf eine sonstige Herabsetzung ihrer Arbeitsverpflichtung.
1. Die Gestaltung des Stundenplans der Klägerin durch die Schule, wonach die Klägerin Unterricht nur außerhalb der von ihr gewünschten Stillzeit, also nach der ersten täglichen Unterrichtsstunde, zu erteilen hatte, war kein Freigeben im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 MuSchuVO. Für ein solches Freigeben ist nur innerhalb der vom Dienstherrn festgelegten Arbeitszeit Raum, weil die Beamtin über ihre sonstige Zeit ohnehin selbst verfügt. Die Festlegung der täglichen Arbeitszeit im Rahmen des Arbeitszeitrechts obliegt dem Dienstherrn als Teil seiner Weisungsbefugnis über die dienstliche Verrichtung der Beamten (§ 74 Satz 2 LBG). Dabei bringt es die Eigenart der dienstlichen Aufgaben der Lehrer mit sich, daß sie sich den auf die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts u.ä. entfallenden Teil ihrer Arbeitszeit nach ihren eigenen Vorstellungen selbst einteilen (vgl. dazu z. B. BVerwGE 59, 142 ≪144≫ mit weiteren Nachweisen; 72, 289 ≪291≫), und daß hinsichtlich der vom Dienstherrn einzuteilenden Zeit der eigentlichen Unterrichtserteilung im „Lehrerstundenplan” eine individuelle Einteilung für jeden einzelnen Lehrer getroffen wird. Aus den angegriffenen Bescheiden, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat, und den dort wiederum in Bezug genommenen Äußerungen des Beklagten im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergibt sich, daß die Schule die Unterrichtszeit der Klägerin vom Wiederantritt ihres Dienstes an jeweils erst auf Zeiten nach der ersten täglichen Unterrichtsstunde angesetzt hat.
2. Die Klägerin hatte keinen Anspruch darauf, daß ihr während der festgelegten Unterrichtszeit Zeit zum Stillen freigegeben wurde, weil sie während dieser Zeit ihr Kind nicht stillte. Stillzeit nach § 7 Abs. 1 MuSchuVO ist nur zu gewähren, wenn es erforderlich ist, daß die Beamtin in dieser Zeit ihr Kind stillt, und dies auch tatsächlich geschieht. Die Vorschrift regelt den Fall unvermeidlichen zeitlichen Zusammentreffens des Stillens mit der zeitlich festgelegten Dienstleistungspflicht der Beamtin, und zwar zugunsten des Stillens. Allerdings ist in diesem Falle ein Ausgleich durch Vor- oder Nacharbeit, also zu an sich arbeitsfreien Zeiten, untersagt (§ 7 Abs. 2 MuSchuVO). Soweit dadurch Arbeitszeit endgültig ausfällt, wird dies aber – im erforderlichen Umfang – lediglich in Kauf genommen. Dagegen ist es nicht Ziel dieser Vorschrift, stillenden Beamtinnen allgemein eine Entlastung durch Verminderung ihrer Arbeitszeit zu gewähren. Das kommt in dem Wort „freizugeben” und in der Beschränkung auf die zum Stillen jeweils erforderliche Zeit zum Ausdruck und entspricht auch den sonstigen Schutzvorschriften, insbesondere § 3 Abs. 3, § 5 MuSchuVO die sämtlich lediglich auf eine schonende Gestaltung des grundsätzlich zu leistenden Dienstes abzielen. Mit dieser Zielrichtung erstrebt die Vorschrift einen sachgerechten Ausgleich zwischen dem hergebrachten, in Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der vollen Dienstleistungspflicht des Beamten, dem die Alimentationspflicht des Dienstherrn als Korrelat gegenübersteht (vgl. BVerfGE 40, 296 ≪321 f.≫), einerseits und der gleichfalls hergebrachten Fürsorgepflicht des Dienstherrn sowie dem allgemeinen Schutzanspruch jeder Mutter (Art. 6 Abs. 4 GG) andererseits. Angesichts dieser Zielsetzung des Gesetz- und Verordnungsgebers kann in dem Verhalten des Beklagten auch nicht, wie die Revision meint, eine Umgehung der Schutzvorschrift gesehen werden; vielmehr wird es deren Sinn durchaus gerecht.
Nichts anderes ergibt sich daraus, daß § 7 Abs. 1 Satz 1 MuSchuVO als Mindestmaß der zum Stillen erforderlichen Zeit zweimal täglich eine halbe oder einmal täglich eine Stunde vorsieht. Diese Regelung betrifft den Umfang einer dem Grunde nach zu gewährenden Stillzeit, dehnt aber diesen Anspruch nicht auf Fälle aus, in denen während der Arbeitszeit nicht gestillt wird (so auch die Kommentarliteratur zum inhaltlich entsprechenden § 7 Abs. 1 Satz 1 des Mutterschutzgesetzes – MuSchG – der sich der Senat insoweit anschließt: vgl. etwa Bulla/Buchner, Mutterschutzgesetz, 5. Aufl. 1981, Rz. 7 zu § 7, mit weiteren Nachweisen; Heilmann. Kommentar zum Mutterschutzgesetz 1984, Tz. 8 zu § 7; Meisel/Hiersemann. Mutterschutz und Mutterschaftshilfe. 2. Aufl. 1978, Rz. 8, 13 zu § 7).
In die gleiche Richtung weist auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 3. Juli 1985 – 5 AZR 79/84 – (AP Nr. 1 zu § 7 MuSchG 1968 = NJW 1986, 864 f.), wonach eine Freistellung einer Arbeitnehmerin von der Arbeitsleistung zum Zweck des Stillens nach § 7 Abs. 1 MuSchG nur erfolgen kann, wenn eine Arbeitsleistung erbracht wird.
3. Der Revision ist einzuräumen, daß nach dieser Auslegung eine Lehrerin, die ihr Kind stillt, im Ergebnis ihre volle, aus Unterricht u. a. sowie häuslicher Vor- und Nachbereitung bestehende Arbeitszeit abzuleisten hat während Beamtinnen, die während ihrer ganzen, vom Dienstherrn festgesetzten Arbeitszeit am Arbeitsplatz anwesend sein müssen, regelmäßig durch freizugebende Stillzeiten auch in den Genuß einer gewissen zeitlichen Entlastung kommen werden. Indes ist dieser Unterschied eben durch das Fehlen eines zeitlichen Zusammentreffens von Anwesenheitspflicht und Stillen sachlich begründet, da das Ziel der Regelung, wie dargelegt, nicht eine allgemeine Verringerung der Arbeitszeit für stillende Mütter ist, sondern lediglich der Vorrang des Stillens bei unvermeidlichem zeitlichem Zusammentreffen mit einer zeitlich festgelegten Dienstleistungspflicht.
Der Revision verhilft auch nicht ihr Hinweis zum Erfolg, daß der Gesetzgeber im Mutterschutzgesetz eine Sonderregelung für Heimarbeiterinnen getroffen hat, wonach an eine in Heimarbeit beschäftigte stillende Mutter nur die voraussichtlich in einer Arbeitszeit von 7 1/4 Stunden an Werktagen auszuführende Heimarbeit ausgegeben werden darf (§ 8 Abs. 5 MuSchG) und ihr ein Entgelt von 75 v.H. eines durchschnittlichen Stundenverdienstes je Werktag zu zahlen ist (§ 7 Abs. 4 MuSchG). Gerade diese Sonderregelung bestätigt, daß der Gesetzgeber den Fall nicht als durch die allgemeine Regelung erfaßt angesehen hat, zumal die Arbeitsentlastung von werktäglich 3/4 Stunden hinter der allgemeinen Regelung zurückbleibt. Eine vergleichbare pauschale Regelung für Lehrerinnen u. a. angesichts der Besonderheiten ihrer arbeitszeitrechtlichen Lage erforderte eine dahingehende Entscheidung des Normgebers unter politischer Abwägung dieser Besonderheiten; davon haben der Gesetz- und Verordnungsgeber abgesehen und es somit beim Grundsatz der Anknüpfung an das zeitliche Zusammentreffen von Stillen und Dienstleistungspflicht belassen. Für eine entsprechende Anwendung der Heimarbeitsregelung auf Lehrerinnen ist schon angesichts der ganz unterschiedlichen arbeits- bzw. dienstrechtlichen Stellung und sozialen Schutzbedürftigkeit beider Gruppen kein Raum.
Im Hinblick auf diese Unterschiede war der Verordnungsgeber auch weder durch die Ermächtigungsvorschrift des § 99 LBG, wonach „die der Eigenart des öffentlichen Dienstes entsprechende” Anwendung der Vorschriften des Mutterschutzgesetzes auf Beamtinnen” durch Rechtsverordnung geregelt wird, noch durch den verfassungsrechtlich und gesetzlich verankerten Grundsatz der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 98 LBG) verpflichtet, eine Sonderregelung zugunsten von Lehrerinnen ohne Anknüpfung an das zeitliche Zusammentreffen von Stillen und festgelegter Dienstleistungspflicht zu treffen.
Die unmittelbare Herleitung eines generellen pauschalen Freistellungsanspruchs einer stillenden Lehrerin aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn scheidet aus, weil die Fürsorgepflicht in Fällen, die durch spezielle Vorschriften geregelt sind nicht über die darin dem Beamten eingeräumten Rechte hinausgeht (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwGE 24, 92 ≪96≫; 51, 264 ≪267 f.≫).
4. Da somit der streitige Anspruch von vornherein nicht bestand, bedarf es keines Eingehens auf die umstrittene Frage, inwieweit auch bei außergewöhnlich langem Stillen des Kindes, etwa über ein Jahr hinaus – hier rund 15 Monate – Anspruch auf die Einräumung von Stillzeiten besteht (vgl. z. B. einerseits Ortmann, Der Personalrat 1985, 40 ≪42≫, andererseits Zmarzlik. Der Betrieb 1983, 1044, sowie Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz, 5. Aufl. 1986, Rz. 2 zu § 7, jeweils mit weiteren Nachweisen).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Schwarz, Dr. Franke, Dr. Lemhöfer, Dr. Müller, Dr. Maiwald
Fundstellen
Haufe-Index 845576 |
BVerwGE, 36 |
ZBR 1989, 57 |
DVBl. 1988, 1064 |