Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnsicherung in der Textilindustrie Westfalens

 

Leitsatz (amtlich)

Nach § 3 Nr. 1 des Tarifvertrages zur Sicherung älterer Arbeitnehmer in der Textilindustrie Westfalens vom 23. Mai 1974 (TV Sich) haben Arbeitnehmer, die das 55. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb mindestens 10 Jahre angehören, bei Verbleiben an ihrem Arbeitsplatz Anspruch auf mindestens 95 % ihres in den letzten sechs voll abgerechneten Monaten vor Erfüllung der persönlichen Anspruchsvoraussetzungen erzielten Durchschnittsstundenverdienstes. Die so errechnete Lohnsicherung ist nach § 3 Nr. 3 TV Sich entsprechend der Tariflohnentwicklung zu dynamisieren.

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Textilindustrie; TV Sich NRW § 3 Fassung: 1974-05-23

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 30.08.1994; Aktenzeichen 13 Sa 588/94)

ArbG Rheine (Urteil vom 09.02.1994; Aktenzeichen 2 Ca 1490/93)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 30. August 1994 – 13 Sa 588/94 – aufgehoben.
  • Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die tarifgebundenen Parteien streiten um die richtige Anwendung der Bestimmungen über die Lohnsicherung im Tarifvertrag zur Sicherung älterer Arbeitnehmer in der Textilindustrie Westfalens vom 23. Mai 1974 (im folgenden: TV-Sich).

In § 3 (“Lohnsicherung”) dieses für gewerbliche Arbeitnehmer geltenden Tarifvertrages heißt es:

  • Arbeitnehmer, die das 55. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb mindestens zehn Jahre angehören und an ihrem Arbeitsplatz verbleiben, haben Anspruch auf mindestens 95 % ihres in den letzten sechs voll abgerechneten Monaten erzielten Durchschnittsstundenverdienstes (ohne Zuschläge).
  • Arbeitnehmer, die durch Änderungskündigung versetzt werden, haben Anspruch auf den Differenzbetrag, der sich aus dem Durchschnittsverdienst der in ihrer neuen Tätigkeitsgruppe beschäftigten Arbeitnehmer und 95 % des persönlichen Durchschnittsverdienstes (ohne Zuschläge) der letzten sechs voll abgerechneten Monate vor der Versetzung ergibt.

  • Bei künftigen Lohnerhöhungen darf der betroffene Arbeitnehmer hinsichtlich des Erhöhungsbetrages nicht schlechter gestellt werden als die übrigen Arbeitnehmer seiner Gruppe.
  • Der Anspruch auf Leistungen der Ziffern 1 bis 3 besteht bis zur Bewilligung des Altersruhegeldes, längstens jedoch bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres.

Der Kläger ist am 8. November 1936 geboren. Er ist im Textilunternehmen der Beklagten seit dem 28. April 1952 als Weber im Akkord beschäftigt. Bis September 1991 erhielt der Kläger ebenso wie die übrigen Weber einen aus früheren Akkordverdiensten ermittelten Durchschnittsstundenlohn. Beim Kläger waren dies zuletzt 22,94 DM. Eine Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1981 über Vorgabezeiten wurde bereits längere Zeit nicht mehr angewendet.

Mit Wirkung vom 1. Oktober 1991 trat eine neue Betriebsvereinbarung über Akkordentlohnung in der Weberei in Kraft. Die nach Auffassung der Beklagten nicht mehr angemessenen Vorgabezeiten wurden neu geregelt. Auf der Grundlage der neuen Akkordverdienste erreichte der Kläger im Oktober 1991 weniger als 95 % seines letzten Durchschnittslohnes. Er machte mit Schreiben vom 8. November 1991 “Anspruch auf den Alterssicherungsvertrag vom 23.05.74, gültig ab 01.07.74” geltend. Die Beklagte errechnete auf der Grundlage des Lohnes für die Monate Mai bis September 1991 einen Lohnsicherungsbetrag von 21,79 DM je Stunde.

Im Jahre 1992 wurde der Tariflohn um 6,3 %, mit Wirkung zum 1. Mai 1993 um weitere 4 % erhöht. Darüber hinaus wird bei der Beklagten auf der Grundlage des Tarifvertrages zur Optimierung der Maschinenlaufzeiten in der Nord-Westdeutschen Textilindustrie vom 22. Mai 1991 ein 8 %iger Optimierungsausgleich gezahlt. Nach der Tariflohnerhöhung des Jahres 1992 ermittelte die Beklagte für den Kläger einen gesicherten Lohn von 23,16 DM und zahlte diesen zusammen mit dem 8 %igen Optimierungsausgleich, insgesamt also 25,02 DM je Arbeitsstunde, als Mindestlohn. Für den Monat Mai 1993 zahlte die Beklagte dann nur noch 24,71 DM und für die Monate Juni bis August 1993 24,77 DM aus. Dabei legte sie die an den Kläger in den letzten sechs Monaten vor Mai 1993 ausgezahlten Durchschnittsstundenlöhne zugrunde und kürzte sie um 5 %. Soweit der Kläger tatsächlich einen höheren als den sich daraus ergebenden Lohnsicherungsbetrag erarbeitete, zahlte sie diesen aus.

Der Kläger hat demgegenüber die Auffassung vertreten, ihm stehe ab Mai 1993 ein gesicherter Lohn von 24,09 DM zuzüglich 8 % Optimierungsausgleich, insgesamt als 26,02 DM je Arbeitsstunde zu. Daraus ergebe sich für die Monate Mai bis August 1993 ein Differenzbetrag von 628,80 DM brutto. Nach Auffassung des Klägers ist die Lohnsicherung nach den Verdiensten der letzten sechs voll abgerechneten Monate vor der erstmaligen Inanspruchnahme des Alterssicherungstarifvertrages zu errechnen und dann entsprechend § 3 Nr. 3 des Tarifvertrages der Tarifentwicklung anzupassen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 628,80 DM brutto Restlohn für die Monate Mai bis August 1993 nebst 4 % Zinsen vom verbleibenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit (22. Oktober 1993) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat den Standpunkt eingenommen, der Kläger habe im Streitzeitraum mehr erhalten, als ihm zustehe. Der altersgesicherte Lohn des Klägers könne sich allenfalls auf 24,09 DM brutto belaufen. Der Optimierungsausgleich sei nicht hinzuzurechnen. Im übrigen sei nicht § 3 Nr. 1, sondern § 3 Nr. 2 TV-Sich anwendbar. Mit Inkrafttreten der neuen Akkordlohn-Betriebsvereinbarung zum 1. Oktober 1991 sei ein Wechsel vom Stundenlohn zum Akkordlohn eingetreten. Dies stehe einer Versetzung im Sinne der Tarifvorschrift gleich. Damit könne der Kläger aber nur den Differenzbetrag verlangen, der sich aus dem Durchschnittsverdienst der in seiner neuen Tätigkeitsgruppe beschäftigten Arbeitnehmer und 95 % seines bisherigen persönlichen Durchschnittsverdienstes der letzten sechs voll abgerechneten Monate vor der Versetzung ergebe. Hiernach könne der Kläger jedenfalls nichts mehr fordern, weil der durchschnittliche Verdienst seiner Kollegen unter dem liege, was er erhalten habe.

Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag entsprochen und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Nach dem vom Landesarbeitsgericht bisher festgestellten Sachverhalt steht noch nicht fest, ob und in welchem Umfang dem Kläger Restlohn für die Monate Mai bis August 1993 aufgrund von § 3 TV-Sich zusteht. Der Rechtsstreit muß deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.

I. Der Kläger kann dem Grunde nach Lohnsicherung nach § 3 Nr. 1 TV-Sich verlangen.

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist nicht § 3 Nr. 2 TV-Sich, sondern § 3 Nr. 1 TV-Sich anwendbar. Es kommt deshalb nicht auf das Lohnniveau der übrigen Weber der Beklagten an.

a) § 3 TV-Sich regelt zwei Fälle tariflicher Lohnsicherung: In Nr. 1 geht es um die Arbeitnehmer, die an ihrem bisherigen Arbeitsplatz verbleiben. Sie sollen vor erheblichen Entgelteinbußen durch altersbedingten Abfall der Leistungsfähigkeit bei derselben beruflichen Tätigkeit geschützt werden. Der Tarifvertrag stellt sicher, daß die betreffenden Arbeitnehmer zumindest 95 % dessen erhalten, was sie zuletzt aufgrund ihrer eigenen Leistungsfähigkeit erreicht hatten. § 3 Nr. 2 TV-Sich schützt demgegenüber die Arbeitnehmer, die ihre bisherige Tätigkeit nicht weiter ausüben können, weil sie versetzt wurden. Sie werden vor Entgeltrisiken geschützt, die sich aus den neuen Arbeitsbedingungen ergeben. Ihnen wird garantiert, daß sie zumindest 95 % des Durchschnittsverdienstes der Arbeitnehmer erhalten, die in der für die versetzten Arbeitnehmer neuen Tätigkeit beschäftigt werden.

b) Der zum 1. Oktober 1991 eingetretene Wechsel vom Durchschnittslohn zum Akkordlohn nach neuen Vorgabezeiten ist keine Versetzung im Sinne von § 3 Nr. 2 TV-Sich.

aa) Der Kläger ist am 1. Oktober 1991 nicht “durch Änderungskündigung versetzt” worden.

In seinem Urteil vom 6. Februar 1985 (– 4 AZR 155/83 – AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie, mit kritischer Anm. von Dieter Gaul) hatte der Vierte Senat § 3 Nr. 2 TV-Sich noch dahin ausgelegt, eine Versetzung in diesem Sinne sei jeder Arbeitsplatzwechsel unter Verdienstminderung. Hierzu zähle auch der Wechsel vom Zeit- zum Akkordlohn. Diese Rechtsprechung hat der Vierte Senat in seinem Urteil vom 21. Februar 1990 (– 4 AZR 606/89 – AP Nr. 15 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie) jedoch zu Recht aufgegeben. Der “Versetzung durch Änderungskündigung” steht nicht jede einvernehmliche Änderung des Arbeitsverhältnisses oder Versetzung kraft Direktionsrechts gleich. Nach dem von den Tarifvertragsparteien gewählten Wortlaut und dem erkennbaren Zweck der Bestimmung ist das Merkmal der “Versetzung durch Änderungskündigung” nur dann erfüllt, wenn der Arbeitgeber anstelle einer ansonsten erforderlichen Änderungskündigung eine einvernehmliche Vertragsänderung veranlaßt hatte.

Damit ist § 3 Nr. 2 TV-Sich nicht anwendbar. Der Kläger war bei der Beklagten nach der nicht gerügten Feststellung des Landesarbeitsgerichts von vornherein als Weber im Akkord beschäftigt. Er wurde im fraglichen Zeitraum auch nicht nach dem Tarifstundenlohn bezahlt, sondern nach dem letzten Durchschnittsverdienst, so daß die Akkordlohnvereinbarung zwischen den Prozeßparteien nicht aufgehoben worden war. Damit lag die Rückkehr zur Akkordentlohnung im Oktober 1991 im Rahmen des fortbestehenden Arbeitsvertrages. Einer Änderungskündigung bedurfte es nicht.

bb) Eine Anwendung des § 3 Nr. 2 TV-Sich scheidet im übrigen auch deshalb aus, weil die von der Beklagten als Versetzung angesehene Maßnahme am 1. Oktober 1991 stattgefunden hat. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Geburtsdatum erst 54 Jahre alt. Voraussetzung für die Lohnsicherung nach § 3 Nr. 2 TV-Sich ist aber, daß der den Anspruch auslösende Sachverhalt erst nach Vollendung des 55. Lebensjahres und einer mindestens 10jährigen Betriebszugehörigkeit eintritt.

Anders als ähnliche Tarifverträge nennt der TV-Sich diese Anspruchsvoraussetzungen zwar ausdrücklich nur in § 3 Nr. 1. Sie gelten aber auch für § 3 Nr. 2 TV-Sich. Dies ergibt sich aus dem Zusammenhang der insgesamt für ältere Arbeitnehmer geschaffenen tariflichen Regelung. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß unter § 3 Nr. 2 TV-Sich auch jüngere Arbeitnehmer fallen sollen, bei denen eine volle Arbeitsleistungsfähigkeit am alten wie an einem neuen Arbeitsplatz unterstellt werden kann. Zumindest ist es ausgeschlossen, daß die Tarifvertragsparteien auch zugunsten solcher jüngerer Arbeitnehmer die Lohnsicherungsgarantie bis zum 65. Lebensjahr einräumen würden, wie dies § 3 Nr. 4 TV-Sich ausdrücklich auch für Ansprüche nach § 3 Nr. 2 TV-Sich vorsieht (BAG Urteil vom 6. Februar 1985 – 4 AZR 155/83 – AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie; ebenso auch: Erl. des Verbandes Gesamttextil zum TV-Sich zu § 3 Ziff. 2).

2. Damit hat der Kläger für seine weitere Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz einen Anspruch auf Lohnsicherung nach § 3 Nr. 1 TV-Sich. Er erfüllt seit dem 8. November 1991 die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen. An diesem Tag hat er sein 55. Lebensjahr vollendet und war weit mehr als zehn Jahre bei der Beklagten beschäftigt.

II. Aufgrund der bisher feststehenden Tatsachen kann nicht festgestellt werden, welcher Lohnsicherungsbetrag dem Kläger zusteht. Es kann deshalb auch nicht festgestellt werden, ob der Kläger für den Anspruchszeitraum von Mai bis August 1993 im Hinblick auf die zustehende Lohnsicherung einen Restlohnanspruch hat.

1. Die Beklagte schuldet als Lohnsicherung den Durchschnittsverdienst der letzten sechs voll abgerechneten Monate vor Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen des § 3 Nr. 1 TV-Sich. Es kommt weder an auf die letzten sechs Monate vor der konkret in Anspruch genommenen Lohnsicherung, noch auf den entsprechenden Zeitraum vor der erstmaligen Inanspruchnahme, noch schließlich auf die letzten sechs Monate vor erstmaligem Absinken des tatsächlichen Verdienstes unter die 95 %-Grenze des Durchschnittsstundenverdienstes der letzten sechs Monate (so ArbG Rheine, Urteil vom 10. Mai 1982 – 1 Ca 739/82 – n.v.; Erläuterungen des Verbandes Gesamttextil zum TV-Sich, zu § 3 Ziff. 1).

a) Für dieses Auslegungsergebnis spricht der Wortlaut von § 3 Nr. 1 TV-Sich. Die Tarifvertragsparteien verlangen als Anspruchsvoraussetzungen nicht, daß der Arbeitnehmer mit seinem tatsächlich verdienten Lohn unter 95 % des Lohnes im Bezugszeitraum gesunken sein muß, damit ein Anspruch auf Lohnsicherung überhaupt entsteht. Hierfür reichen die Vollendung des 55. Lebensjahres und eine zehnjährige Betriebszugehörigkeit aus. Liegen diese Voraussetzungen vor, soll der Arbeitnehmer nicht mehr unter ein bestimmtes Lohnniveau fallen. Das legt es nahe, dieses Lohnniveau auch vom Zeitpunkt der Erfüllung der Sicherungsvoraussetzungen aus zu berechnen.

b) Hierfür sprechen auch Sinn und Zweck der Regelung sowie deren Praktikabilität. Nach ihren im Tarifvertrag niedergelegten Vorstellungen gehen die Tarifvertragsparteien davon aus, daß ab Vollendung des 55. Lebensjahres bei Arbeitnehmern mit Leistungsminderungen gerechnet werden muß. Sie wollen langjährig betriebstreue Arbeitnehmer vor daraus folgenden Lohnminderungen schützen. Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, bei einer um 5 % des Durchschnittsverdienstes abgesenkten Entgeltgarantie an den vor Eintritt der typischen Leistungsminderung, also vor Vollendung des 55. Lebensjahres, erreichten Verdienst anzuknüpfen.

Eine solche Regelung ist auch praktikabel. Sie gibt dem Arbeitgeber zu Beginn des gesicherten Teils des Arbeitslebens seiner älteren Akkordarbeiter einen entsprechenden Mindestlohn vor, der – nur entsprechend der Tarifentwicklung dynamisiert – kontinuierlich den Abrechnungen zugrundegelegt werden kann.

c) Nur die Berechnung der Lohnsicherung vom Zeitpunkt der Erfüllung der persönlichen Anspruchsvoraussetzungen aus vermeidet auch die von der Beklagten aufgezeigte Möglichkeit, daß ein älterer Arbeitnehmer nie in den Genuß der Lohnsicherung kommt, obwohl er altersbedingt erheblich leistungsgemindert ist. Nimmt die Leistungsfähigkeit kontinuierlich, aber in kleinen Schritten ab, oder stabilisiert sie sich zwischenzeitlich nach größeren Leistungseinbrüchen immer wieder, fällt der Arbeitnehmer in keinem Monat mit seinem tatsächlichen Verdienst unter 95 % des Durchschnittsstundensatzes der letzten sechs Monate. Er könnte daher auch zu keinem Zeitpunkt den Anspruch auf Lohnsicherung geltend machen und so die Berechnung des Lohnsicherungsbetrages auslösen, obwohl er im Ergebnis altersbedingt erheblich in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist.

Gegen das von der Beklagten vertretene Auslegungsergebnis, es komme für jeden einzelnen Geltungsmachungsmonat auf die jeweiligen sechs Vormonate als Berechnungsgrundlage an, spricht weiter, daß eine solche Berechnung tendenziell zu einer immer weiter absinkenden Lohnsicherung führte. Der Lohn als materielle Existenzgrundlage würde für den älteren, leistungsgeminderten Arbeitnehmer nicht auf der um 5 % abgesenkten Grundlage seiner vollen Leistungsfähigkeit, sondern entsprechend der bereits eingetretenen Minderung der Leistungsfähigkeit ermittelt. Dies läßt sich mit der Aufgabe eines Tarifvertrages zur Sicherung älterer Arbeitnehmer ohne eine entsprechende ausdrückliche Regelung nicht vereinbaren.

2. Die nach dem Durchschnittsstundenverdienst der letzten sechs Monate vor Erfüllung der persönlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Nr. 1 TV-Sich errechnete Lohnsicherung ist nach § 3 Nr. 3 TV-Sich entsprechend der tariflichen Lohnentwicklung zu dynamisieren.

Die Regelung des § 3 Nr. 3 TV-Sich gilt nicht nur für den Leistungssicherungsfall des § 3 Nr. 2 TV-Sich, sondern auch für den des § 3 Nr. 1 TV-Sich. Dies ergibt sich aus der systematischen Stellung der Vorschrift, die nicht als Satz 2 dem § 3 Nr. 2 TV-Sich angefügt ist. Der Tarifwortlaut gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, die Dynamisierungsregel nur zugunsten von Arbeitnehmern anzuwenden, die durch Änderungskündigung versetzt worden sind. § 3 Nr. 3 TV-Sich unterscheidet sich hier grundlegend von § 3 Abs. 4 des Tarifvertrages zur Sicherung älterer Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie im Bundesgebiet vom 13. Mai 1980, der verlangt, daß altersgesicherte Arbeitnehmer hinsichtlich des Erhöhungsbetrages nicht schlechter gestellt werden als die übrigen Arbeitnehmer ihrer “neuen” Lohn- oder Gehaltsgruppe (vgl. hierzu BAG Urteil vom 13. November 1985 – 4 AZR 301/84 – AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie).

3. Obwohl die Beklagte im Jahre 1991 einen gesicherten Lohnbetrag ermittelt hat und die bis zum Anspruchszeitraum eingetretenen Tariflohnerhöhungen feststehen, bedarf es vor einer abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits weiterer Sachaufklärung. Die dem Kläger nach § 3 Nr. 1 TV-Sich von Rechts wegen zustehende Lohnsicherung kann aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht errechnet werden.

a) Der Kläger ist erst am 8. November 1991 55 Jahre alt geworden. Damit kommt es für die Lohnsicherung auf den Durchschnittsstundenverdienst der Monate Mai bis Oktober 1991 an. § 3 Nr. 1 TV-Sich macht die abgerechneten Löhne der letzten sechs vollen Monate vor Erreichen seiner persönlichen Anspruchsvoraussetzungen zum Maßstab für den Lohnsicherungsbetrag. Damit hat die Beklagte den Lohnsicherungsbetrag im Jahre 1991 unrichtig errechnet. Neben dem von der Beklagten zugrunde gelegten festen Stundenlohn für die Monate Mai bis September 1991 in Höhe von 22,94 DM kommt es auch noch auf den im Monat Oktober 1991 vom Kläger erreichten Akkordverdienst an, der nicht festgestellt ist. Es steht nur fest, daß er um mehr als 5 % unter dem Durchschnittsverdienst der Vormonate lag. Das Landesarbeitsgericht muß deshalb den Durchschnittsstundenverdienst im Monat Oktober noch ermitteln und mit dessen Hilfe den Lohnsicherungsbetrag errechnen, der entsprechend den seither eingetretenen Tariflohnerhöhungen zu dynamisieren ist. Daraus ergibt sich als Lohnsicherungsbetrag der Stundenlohn, den die Beklagte dem Kläger in den Monaten Mai bis August 1993 mindestens schuldete.

b) Die Ermittlung des Oktoberverdienstes des Klägers ist nicht entbehrlich. Es spricht nichts dafür, daß die Beklagte sich gegenüber dem Kläger unabhängig von § 3 Nr. 1 TV-Sich verpflichten wollte, den Lohn allein nach Maßgabe der Verdienste der Monate Mai bis September 1991 zu sichern. Die Beklagte wollte erkennbar nur ihren tarifvertraglichen Pflichten entsprechen.

III. Für die weitere Sachbehandlung gibt der Senat die folgenden Hinweise:

1. Es ist zwar richtig, wenn die Beklagte meint, der Optimierungszuschlag von 8 % zähle nicht zum Durchschnittsstundenverdienst und deshalb auch nicht zum Lohnsicherungsbetrag. Dies ändert aber nichts an der grundsätzlichen Richtigkeit der vom Kläger durchgeführten Berechnung. Die Beklagte schuldet dem Kläger als Lohnsicherung nur den der Tarifentwicklung entsprechend fortgeschriebenen 95 %igen Anteil des Durchschnittsstundenverdienstes der Monate Mai bis Oktober 1991. Auf den sich daraus ergebenden und dem Kläger bei geringerem tatsächlichen Verdienst auszuzahlenden Stundenlohn muß die Beklagte dann aber ebenso wie auch auf den Stundenlohn ihrer übrigen Arbeitnehmer den Optimierungsausgleich von 8 % zahlen. Dafür, daß dieser Ausgleich nur bei tatsächlich erarbeitetem Akkordlohn zu zahlen ist, und nicht bei Löhnen, die auf Lohnsicherung beruhen, spricht nichts.

2. Auch der Hinweis der Beklagten, der Kläger müsse ebenso wie die nicht leistungsgeminderten Arbeitnehmer die mit der Neufestsetzung der Vorgabezeiten im Jahre 1991 einhergehenden Entgeltminderungen hinnehmen, geht im Ergebnis fehl.

Die Beklagte hat nicht im einzelnen dargelegt, welche Verschlechterung durch die Betriebsvereinbarung des Jahres 1991 tatsächlich eingetreten ist. Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, inwieweit sich aus der Anpassung der Vorgabezeiten tatsächliche Verdiensteinbußen ergeben haben. Unstreitig hat der Kläger auf der Grundlage der neuen Vorgabezeiten aufgrund seiner tatsächlichen Arbeitsleistungen mehrfach den von der Beklagten ursprünglich errechneten Lohnsicherungsbetrag übertroffen.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Furchtbar, H. Frehse

 

Fundstellen

Haufe-Index 872256

BB 1996, 116

NZA 1996, 434

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