Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. Betriebsbedingte Kündigung eines Hochschuldozenten wegen Stellenabbaus. Anspruch auf Übernahme von neu ausgeschriebenen Professorenstellen. unzulässige Austauschkündigung nach Besetzung der Stellen mit externen Bewerbern
Orientierungssatz
Eine sozialwidrige Kündigung liegt auch dann vor, wenn in dem für die Beurteilung für die Wirksamkeit der Kündigung maßgeblichen Kündigungszeitpunkt zwar keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer mehr bestand, dem Arbeitgeber aber die Berufung auf das Fehlen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit aus dem in § 162 Abs. 1 und 2 BGB normierten Rechtsgedanken verwehrt ist, weil er diesen Zustand selbst treuwidrig herbeigeführt hat.
Der öffentliche Arbeitgeber darf ausgeschriebene Stellen auch mit externen Bewerbern besetzen. Er kann aber gerade hierauf allein eine fehlende Verwendungsmöglichkeit für einen Bewerber aus der Beschäftigungsstelle, der dem Anforderungsprofil der Stelle genügt, nicht herleiten. Das liefe auf eine unzulässige Austauschkündigung hinaus, die einzig dem Zweck diente, vorhandene geeignete Arbeitnehmer durch etwa noch besser geeignete zu ersetzen.
Normenkette
KSchG § 1; BGB § 162
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 9. Oktober 2000 – 3 (7) Sa 907/99 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung.
Der 1945 geborene, verheiratete Kläger ist promovierter Diplom-Mathematiker, der auf dem Gebiet der Mathematischen Optimierung habilitierte. Seit 1. Februar 1980 stand er im Hochschuldienst an der Technischen Hochschule (TH) Leipzig, Fachbereich Mathematik und Informatik, zunächst als Hochschuldozent, seit 1. September 1988 als außerordentlicher Professor. Er leitete in der Vergangenheit selbständig und eigenverantwortlich Lehrveranstaltungen für Technomathematiker und Ingenieure, bereitete Prüfungen vor und führte sie durch, arbeitete selbständig in der Forschung auf dem Gebiet der mathematischen Optimierung, betreute Diplomanden und Doktoranden und wirkte bei der Organisation diverser wissenschaftlicher Veranstaltungen sowie in der Selbstverwaltung der Hochschule mit. In den Jahren 1990 und 1991 führte er eine zweisemestrige Grundvorlesung Analysis durch und hielt im Studienjahr 1990 ein Proseminar zur Analysis.
Nach Auflösung der TH Leipzig zum 30. September 1992 gingen deren Aufgaben und der Durchführung der Umstrukturierung auf die neu gegründete Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig (HTWK), eine Fachhochschule, über. Die an der TH bislang durchgeführte universitäre Ausbildung wurde befristet an der HTWK bis zum 31. Dezember 1996 fortgeführt. Zu diesem Zweck wurden 95 Stellen in einem gesonderten Teil des Haushaltsplans aufgeführt und mit einer ausdrücklichen Befristung bis längstens 1996 versehen.
Der Kläger bewarb sich auf mehrere ausgeschriebene Professuren der Fachhochschule im Fachbereich Mathematik, ua. auf eine C 3-Professur mit der Kennnummer 105, Fachgebiet Analysis, deren Besetzung „zum 1. Oktober 1992 oder später” erfolgen sollte. Alle Bewerbungen blieben erfolglos. Die Stellen wurden mit externen Bewerbern besetzt. Hinsichtlich der Professur mit der Kennnummer 105 wurde der Kläger auf den Berufungsvorschlag der Berufungskommision auf den dritten Listenplatz gesetzt. Der auf Platz eins der Liste benannte Bewerber wurde vom Beklagten auf die Stelle berufen.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger erstmals mit Schreiben vom 21. Dezember 1992, gestützt auf den im Einigungsvertrag vorgesehenen Sonderkündigungstatbestand der mangelnden persönlichen Eignung für eine Beschäftigung im Öffentlichen Dienst. Der Kündigungsschutzklage des Klägers wurde mit Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 21. November 1996 – 8 AZR 92/95 – stattgegeben. Weitere Kündigungen erfolgten am 1. und 24. November 1993, wobei sich der Beklagte hierbei auf den Sonderkündigungstatbestand des mangelnden Bedarfs bezog. Der Rechtsstreit über die Wirksamkeit dieser Kündigungen wurde rechtskräftig durch das der Klage stattgebende Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 15. September 1998 – 7 Sa 893/97 – wegen fehlerhafter Personalratsanhörung beendet.
Mit Schreiben vom 29. September 1997, dem Kläger zugegangen am selben Tag, sprach der Beklagte die hier streitgegenständliche Kündigung zum 31. März 1998 aus betriebsbedingten Gründen aus. Der zuvor mit Schreiben vom 19. September 1997 angehörte Personalrat der Hochschule hatte gegen die Kündigungsabsicht keine Einwendungen erhoben.
Der Kläger hat im Rahmen seiner Kündigungsschutzklage die Auffassung vertreten, die Besetzung der drei Professorenstellen durch externe Bewerber sei unzulässig gewesen, da er als interner Bewerber für diese Stellen qualifiziert gewesen sei. Schon zur Zeit der ersten Kündigung hätte der Beklagte ihn auf einer der drei Professorenstellen weiterbeschäftigen müssen. Er könne sich nicht darauf berufen, daß erst seine vierte Kündigung zur materiell-rechtlichen Nachprüfung der geltend gemachten betriebsbedingten Kündigungsgründe führe. Auf einer der 1996 auslaufenden Stellen sei er nie beschäftigt worden und habe sich auf eine solche Stelle auch nie beworben. Zumindest hätte der Beklagte eine Sozialauswahl unter Einbeziehung sämtlicher Professoren der Mathematik vornehmen müssen. Auch sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß angehört worden.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Rektors der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (FH) vom 29. September 1997 nicht aufgelöst worden ist;
- im Falle des Obsiegens zu 1. das beklagte Land zu verurteilen, den Kläger ab Verkündung des Urteils über den Antrag zu 1., frühestens ab 1. April 1998, zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag vorgetragen, seine Kündigung beruhe auf der Neustrukturierung des Sächsischen Hochschulwesens. Der Kläger sei im Rahmen der Abwicklung der bisherigen universitären Ausbildung der TH Leipzig als Hochschuldozent tätig gewesen und habe eine der hierfür vorhandenen 95 befristeten Stellen besetzt. Diese Stellen seien nunmehr entfallen, es bestehe keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit. Für die ausgeschriebenen Professorenstellen sei der Kläger nicht geeignet gewesen. Als außerordentlicher Professor habe er den arbeitsrechtlichen Status eines Oberassistenten gehabt. Er habe nur Lehrveranstaltungen durchgeführt, wie sie für Oberassistenten vorgesehen gewesen seien. Eine Sozialauswahl mit anderen Arbeitnehmern sei entbehrlich gewesen, da an der Fachhochschule außer den ordentlichen Professoren kein weiteres wissenschaftliches Personal beschäftigt werde.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung des Beklagten hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dringende betriebliche Erfordernisse zur Kündigung hätten nicht vorgelegen. Der Kläger hätte auf der C 3-Professur mit der Kenn-Nr. 105, Fachgebiet Analysis, weiterbeschäftigt werden können und müssen. Diese Stelle sei zwar schon zum 1. Oktober 1992 oder später zu besetzen gewesen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Stellenbesetzung habe jedoch bereits ein Auslaufen der Beschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger festgestanden. Die mit der C 3-Professur Nr. 105 verbundenen Aufgaben entsprächen den bisherigen Aufgaben des Klägers. Es stelle eine unzulässige Austauschkündigung dar, wenn dem Kläger seinerzeit ein externer Bewerber vorgezogen worden sei und ihm nunmehr gekündigt werde.
II. Dem folgt der Senat zumindest im Ergebnis. Die Revision rügt zu Unrecht eine Verletzung des § 1 Abs. 2 KSchG mit der Begründung, das Landesarbeitsgericht habe verkannt, daß durch den Wegfall der befristeten Dozentenstellen Ende 1996 ein Beschäftigungsbedarf für den Kläger entfallen sei.
1. Bei der Frage, ob eine Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist, weil dringende betriebliche Erfordernisse einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen, geht es um die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das Landesarbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil die Rechtsbegriffe selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr., vgl. BAG 26. September 1996 – 2 AZR 200/96 – BAGE 84, 209, 212; 17. Juni 1999 – 2 AZR 522/98 – BAGE 92, 61). Danach hält das Urteil des Landesarbeitsgerichts den Revisionsangriffen stand.
2. Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG können sich aus inner- oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Eine Kündigung ist aus innerbetrieblichen Gründen gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt (vgl. ua. BAG 7. Dezember 1978 – 2 AZR 155/77 – BAGE 31, 157; 29. März 1990 – 2 AZR 369/89 – BAGE 65, 61). Es muß im Zeitpunkt der Kündigung absehbar sein, daß durch die unternehmerische Entscheidung bei Ablauf der Kündigungsfrist das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung entfällt und hierdurch ein Arbeitskräfteüberhang entsteht. Die Kündigung ist hingegen wegen Verstoßes gegen das ultima-ratio-Prinzip unwirksam, wenn eine beiden Parteien zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem freien, vergleichbaren Arbeitsplatz besteht (BAG 15. September 1994 – 2 AZR 320/94 – BAGE 79, 66). Als frei sind dabei zunächst nur solche Arbeitsplätze anzusehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind. Eine sozialwidrige Kündigung liegt allerdings auch dann vor, wenn in dem für die Beurteilung für die Wirksamkeit der Kündigung maßgeblichen Kündigungszeitpunkt zwar keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer mehr bestand, dem Arbeitgeber aber die Berufung auf das Fehlen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit aus dem in § 162 Abs. 1 und 2 BGB normierten Rechtsgedanken verwehrt ist, weil er diesen Zustand selbst treuwidrig herbeigeführt hat (BAG 21. September 2000 – 2 AZR 440/99 – BAGE 95, 350). So liegt der Fall hier. Der Beklagte hätte den Kläger, anstatt ihm mehrfach rechtsunwirksam zu kündigen, schon seit 1992 mit den auf der Stelle Nr. 105 (Analysis) zu erledigenden Aufgaben weiterbeschäftigen müssen. Wäre dies geschehen, so hätte der Fortfall der befristeten Stellen auf den fortbestehenden Beschäftigungsbedarf für den Kläger keinen Einfluß gehabt.
3. Eine Kündigung wegen mangelnden Bedarfs wäre zu dem Zeitpunkt, zu dem sich der Beklagte entschlossen hat, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu beenden, rechtsunwirksam gewesen.
a) Der Kläger ist auf Grund seiner durchgehenden Beschäftigung als Hochschuldozent und außerordentlicher Professor an der HTWK Leipzig Angehöriger des öffentlichen Dienstes im Sinne von Art. 20 Abs. 1 des Einigungsvertrags (EV). Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend unterstellt hat, fand auf das Arbeitsverhältnis Anl. I Kap. XIX Sachgebiet A Abschnitt III Ziffer 1 Abs. 4 EV (Abs. 4 EV) Anwendung. Dieses Sonderkündigungsrecht bleibt von der Überleitungsregelung des Hochschulrahmengesetzes und dem darauf beruhenden Landesrecht unberührt (vgl. § 75 a Satz 2 Halbs. 2 HRG). Zwar sollte es nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Wirksamwerden des Beitritts außer Kraft treten (Abs. 4 Satz 6 EV). Jedoch ist es durch das Gesetz zur Verlängerung der Kündigungsmöglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung nach dem Einigungsvertrag vom 20. August 1992 (BGBl. I S 1546) wirksam bis zum 31. Dezember 1993 verlängert worden (BAG 27. Juni 1996 – 8 AZR 1024/94 – BAGE 83, 243).
b) Gemäß Abs. 4 Ziff. 2 und 3 EV ist eine ordentliche Kündigung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist oder die bisherige Beschäftigungsstelle ersatzlos aufgelöst wird oder bei Verschmelzung, Eingliederung oder wesentlicher Änderung des Aufbaues der Beschäftigungsstelle die bisherige oder eine anderweitige Verwendung nicht mehr möglich ist.
aa) Diese Regelung verdrängt den allgemeinen Kündigungsschutz des § 1 KSchG, soweit ihr Regelungsgehalt frei ist (vgl. BAG 24. September 1992 – 8 AZR 567/91 – BAGE 71, 221). Bei Vorliegen der angeführten gesetzlichen Tatbestände ist eine darüber hinausgehende Prüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung gem. § 1 KSchG entbehrlich. Anwendbar bleiben sonstige Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes wie auch die Regelungen des Personalvertretungsrechts, die die Wirksamkeit einer Kündigung von der ordnungsgemäßen Beteiligung der Personalvertretung abhängig machen (vgl. BAG 23. September 1993 – 8 AZR 262/92 – AP Einigungsvertrag Art. 20 Nr. 9 = EzA Einigungsvertrag Art. 20 Nr. 25 mwN).
bb) Abs. 4 Ziff. 2 und 3 EV stellen auf die weitere „Verwendbarkeit” des Arbeitnehmers ab. Bei einem wegen Personalüberhangs mangelnden Bedarf ist zur Beantwortung der Frage, welcher von mehreren an sich geeigneten Arbeitnehmern nicht mehr verwendbar ist, eine Auswahlentscheidung zu treffen (vgl. BAG 19. Januar 1995 – 8 AZR 914/93 – BAGE 79, 128). Entsprechendes gilt bei Verschmelzung, Eingliederung oder wesentlicher Änderung des Aufbaus der Beschäftigungsstelle, solange ein Arbeitsplatz für eine mögliche Verwendung der an sich geeigneten Arbeitnehmer zur Verfügung steht.
cc) Der Arbeitgeber ist im Falle einer Bedarfskündigung nach dem Einigungsvertrag nicht an die Grundsätze der sozialen Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG gebunden. Die Auswahlentscheidung darf jedoch nicht willkürlich erfolgen, sondern ist gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen zu treffen und muß, um nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu verstoßen, ohne Vorrang der dienstlichen Interessen soziale Belange angemessen berücksichtigen (BAG 19. Januar 1995, aaO, zu B III 2 der Gründe; 5. Oktober 1995 – 2 AZR 1019/94 – AP Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Nr. 55 = EzA Einigungsvertrag Art. 20 Nr. 48 und 26. Oktober 1995 – 2 AZR 1026/94 – BAGE 81, 199).
c) aa) Danach ist es nicht zu beanstanden, wenn im Zuge der Erneuerung des Hochschulwesens keine Stellen fortgeführt, sondern alle nach dem Haushalt vorgesehenen Stellen aus dem Kreis der bisherigen Beschäftigten neu besetzt werden (BAG 5. Oktober 1995 – 2 AZR 1019/94 – aaO; 13. Juni 1996 – 8 AZR 392/94 – nv.). Waren die nach der Organisationsentscheidung des Landes vorgesehenen Stellen besetzt und verlief das im Zuge der Besetzung der vorhandenen Stellen erforderliche Auswahlverfahren rechtmäßig, so bestand für die weitere Verwendung der nicht zum Zuge gekommenen Arbeitnehmer kein Bedarf mehr. Seiner Verantwortung für eine willkürfreie, mit dem Grundsatz von Treu und Glauben vereinbare Auswahlentscheidung im Besetzungsverfahren kann sich das Land nicht etwa dadurch entziehen, daß es Besetzungsvorschläge der zuständigen Kommissionen ungeprüft übernimmt. Die jeweilige Auswahlentscheidung ist gleichwohl daraufhin gerichtlich überprüfbar, ob objektiv die Grenzen von § 315 Abs. 1, § 242 BGB gewahrt wurden (BAG 29. August 1996 – 8 AZR 505/95 – BAGE 84, 82, 90 f.).
bb) § 75 a in Verbindung mit § 75 Abs. 3 Satz 2 HRG, wonach das Hochschulpersonal, das nicht in ein Amt der neuen Personalstruktur übernommen wird, in seinem bisherigen Dienstverhältnis verbleibt, schafft keinen arbeitsrechtlichen Bestandsschutz zugunsten des vorhandenen Personals. Durch die §§ 75, 75 a HRG und die darauf beruhenden Gesetze der Länder ist eine Änderung der nach dem Einigungsvertrag bestehenden kündigungsrechtlichen Situation nicht eingetreten. Die Überleitungsvorschriften stellen insofern lediglich klar, daß bei den weiterbeschäftigten Professoren eine dienstrechtliche Alternative besteht: zum einen Übernahme in die Personalstruktur nach dem Hochschulrahmengesetz und damit verbunden die Einstufung in die Besoldungsordnung C, zum anderen Verbleiben im bisherigen Dienstverhältnis eines Angestellten. Ob dagegen das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden muß oder wegen fehlender Verwendungsmöglichkeit gekündigt werden kann, richtet sich allein nach den kündigungsrechtlichen Bestimmungen, die durch die Überleitungsregelungen nicht eingeschränkt worden sind (BAG 29. August 1996 aaO).
cc) Der Landesgesetzgeber und die Hochschulen im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsautonomie sind vor dem Hintergrund der erforderlichen verfassungsrechtlich gerechtfertigten Erneuerung der Hochschulen (Art. 5 Abs. 3 GG iVm. Art. 30 Abs. 1 EV) frei, Fächer und Fachbereiche neu zu strukturieren und zu organisieren und in diesem Zusammenhang auch festzulegen, welche fachlichen Anforderungen an die Besetzung der neu strukturierten Stellen zu knüpfen sind. Welches konkrete Anforderungsprofil eine zu besetzende Stelle kennzeichnet und welche Anforderungen hierfür entsprechend an einen Bewerber hinsichtlich fachlicher Qualifikation und Eignung zu stellen sind, ist arbeitsrechtlich allenfalls im Rahmen einer Mißbrauchskontrolle überprüfbar (BAG 29. August 1996, aaO, zu B II 3 der Gründe).
d) aa) Eine fehlende Verwendungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer ist nicht stets dann anzunehmen, wenn die Stelle eines Hochschullehrers, für die er sich beworben hat, anderweitig besetzt ist. Für die Annahme einer fehlenden Verwendungsmöglichkeit genügt vielmehr, daß mit hinreichender Sicherheit feststeht, der Arbeitnehmer werde mit seiner Bewerbung nicht zum Zuge kommen können. Dies kann etwa auf seiner bereits feststehenden, nicht ausreichenden Eignung im Hinblick auf das Anforderungsprofil der Stelle beruhen oder darauf, daß für die Stelle besser qualifizierte Bewerber zur Verfügung stehen, die den Vorrang verdienen (vgl. BAG 19. August 1996, aaO, zu B V der Gründe). Im letzteren Falle muß freilich mit hinreichender Sicherheit feststehen, die betreffende Stelle werde auch mit einem solchen Bewerber besetzt werden; das kann zB bei Mehrfachbewerbungen fraglich sein.
bb) Der öffentliche Arbeitgeber darf ausgeschriebene Stellen auch mit externen Bewerbern besetzen. Er kann aber gerade hierauf allein eine fehlende Verwendungsmöglichkeit für einen Bewerber aus der Hochschule (Beschäftigungsstelle), der dem Anforderungsprofil der Stelle genügt, nicht herleiten. Werden bei einer Verringerung der Zahl der Arbeitsplätze und/oder Änderung der Anforderungen auf Arbeitsstellen Kündigungen notwendig, so erlaubt Abs. 4 Ziff. 2, 3 EV eine Auswahl der zu Kündigenden ohne den strengen Maßstab des § 1 Abs. 3 KSchG. Er ermöglicht dem Arbeitgeber jedoch nicht, über den mangelnden Bedarf hinaus oder ohne Rücksicht auf die Strukturänderung zusätzliche Kündigungen auszusprechen, die allein auf Neueinstellungen beruhen. Das liefe auf eine unzulässige Austauschkündigung hinaus, die einzig dem Zweck diente, vorhandene geeignete Arbeitnehmer durch etwa noch besser geeignete zu ersetzen. Die Grundsätze der Wissenschaftsfreiheit und der Hochschulautonomie fordern einen derart weitgehenden Eingriff in bestehende Arbeitsverhältnisse nicht. Überdies würde hierdurch Art. 37 Abs. 1 EV unzulässig ausgehöhlt, wonach in der DDR erworbene oder staatlich anerkannte Abschlüsse oder Befähigungsnachweise im Beitrittsgebiet weiter gelten. Ist dagegen für eine Stelle kein Bewerber aus der Beschäftigungsstelle vorhanden, der dem Anforderungsprofil genügt, so vergrößert die Einstellung eines externen Bewerbers den Bedarfsmangel nicht, führt also nicht zu einer zusätzlichen Kündigung (BAG 20. März 1997 – 8 AZR 829/95 – AP Einigungsvertrag Art. 20 Nr. 40 = EzA Einigungsvertrag Art. 20 Soziale Auswahl Nr. 4).
cc) Die aufgezeigten Maßstäbe für die Stellenbesetzung bestehen unabhängig davon, ob die ausgeschriebene Stelle mit einer bisherigen Stelle identisch ist oder ob es sich um eine „neue” Stelle mit einem bisher nicht vorhandenen Anforderungsprofil handelt. Allerdings wird die grundsätzliche Eignung anzunehmen sein, wenn sich der Inhaber einer Stelle wieder auf diese bewirbt. Bei der neu strukturierten Stelle eines Wissenschaftlers hat die für die Besetzung zuständige Person oder Kommission einen gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum, ob der Bewerber dem Anforderungsprofil entspricht (BAG 29. August 1996, aaO, B III 2 der Gründe).
dd) Zu Unrecht hält die Revision diese Rechtsprechung zu Abs. 4 Ziff. 2 EV vor dem Hintergrund der Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie gemäß Art. 5 Abs. 3 GG und dem Grundsatz der Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG für bedenklich. Bei der Prüfung der Verwendbarkeit der bereits beschäftigten Hochschullehrer kann es nicht uneingeschränkt um eine Bestenauslese unter Einbeziehung auch externer Bewerber gehen. Die Wissenschaftsfreiheit und die Hochschulautonomie können durch eine solche Rechtsprechung jedenfalls dann nicht nachhaltig beeinträchtigt sein, wenn es, wie im vorliegenden Fall, um die Besetzung einer Stelle mit einem Bewerber geht, den die dafür vorgesehene Hochschulkommission als – allerdings an dritter Stelle des Besetzungsvorschlags – geeignet angesehen hat.
e) Bei Anwendung dieser Grundsätze hätte der Beklagte, als er sich im August/September 1992 zur Kündigung entschloß, dem Kläger nach Abs. 4 EV nicht wirksam kündigen können.
aa) Der Kläger war nach seiner Ausbildung und seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit zur Wahrnehmung der mit der Stelle Nr. 105 verbundenen Aufgaben geeignet. Er ist promovierter Diplom-Mathematiker und hat sich auf dem Gebiet der Mathematischen Optimierung habilitiert. Seine Ernennung zum außerordentlichen Professor war nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten Ausdruck dafür, daß er die fachlichen Voraussetzungen für eine Professur erfüllte (vgl. § 3 der VO über die Berufung und die Stellung der Hochschullehrer an den wissenschaftlichen Hochschulen [HBVO] vom 6. November 1968 [GBl. DDR II, 997]). Auch von ihrer inhaltlichen Ausgestaltung her waren die Aufgaben des Klägers mit denen eines ordentlichen Professors und nicht – wie der Beklagte meint – mit denen eines Oberassistenten (vgl. § 7 der VO über die wissenschaftlichen Mitarbeiter an den wissenschaftlichen Hochschulen [HVO] vom 6. November 1968 [GBl. DDR II, 1007]) vergleichbar. Er führte selbständig Lehrveranstaltungen durch, in deren Rahmen er Prüfungen abnahm, er betreute Diplomanden und Doktoranden und arbeitete in der Forschung. Dabei war er auch auf dem Fachgebiet der Analysis tätig.
bb) Die Geeignetheit des Klägers folgt insbesondere aus seiner Aufnahme in den Berufungsvorschlag der Berufungskommission. Nachdem der Beklagte dem Vorschlag der Berufungskommission gefolgt ist und den auf Listenplatz eins vorgeschlagenen Bewerber berufen hat, kann er jetzt nicht ohne nähere Begründung die Auffassung vertreten, der Kläger genüge dem Anforderungsprofil der Professur nicht und es komme auf die Einschätzung der Kommission nicht an.
cc) Der Einwand der Revision, der Kläger sei schon deshalb nicht für die Stelle geeignet gewesen, weil er die Berufungsvoraussetzungen nach § 50 SHEG nicht erfülle, trifft nicht zu. Zwar ist nach § 50 Abs. 4 Satz 2 SHEG die Möglichkeit der Berufung ohne eine mindestens dreijährige außerhalb des Hochschulbereichs ausgeübte berufliche Praxis nur in besonders begründeten Ausnahmefällen möglich. Der Kläger war aber nicht verpflichtet darzulegen, weshalb ein solcher Ausnahmefall bei ihm vorgelegen hat. Schon aus der Ausschreibung der Stelle ergab sich, daß die geforderte besondere Befähigung zur wissenschaftlichen Arbeit alternativ durch die Qualität einer Promotion und/oder durch besondere Leistungen in der beruflichen Praxis nachgewiesen werden konnte. Außerdem hat die Berufungskommission in ihrem Vorschlag darauf hingewiesen, daß der später berufene Listenkandidat Nr. 1 über keine Praxistätigkeit außerhalb der Hochschule verfügt. Dies hat den Beklagten nicht gehindert, dem Berufungsvorschlag zu folgen. Weshalb trotzdem die fehlende berufliche Praxis des Klägers außerhalb der Hochschule seine Eignung beeinträchtigt haben soll, hat der Beklagte nicht dargelegt.
dd) Es stand seinerzeit jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit fest, daß die Stelle mit einem besser qualifizierten Bewerber besetzt werden würde und die Bewerbung des Klägers deshalb nicht berücksichtigt werden könne. Auf die bessere Qualifikation externer Bewerber konnte sich der Beklagte dabei nicht berufen. Die Kündigung eines an sich geeigneten Bewerbers im Hinblick auf die bessere Qualifikation eines anderen Bewerbers kommt, wie dargelegt, nur in Betracht, wenn beide Bewerber bereits an der Hochschule tätig sind und deswegen eine Auswahl unter ihnen zur Besetzung der Stelle erforderlich wird. Die Auswahl unter Einbeziehung externer Bewerber ist keine Auswahl im Rahmen einer Bedarfskündigung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 2, 3 EV.
ee) Einer Verwendung des Klägers auf der Stelle Nr. 105 stand auch das Fehlen eines Beförderungsanspruchs nicht entgegen. Es geht nicht um einen Beförderungsanspruch des Klägers, sondern darum, ob er noch „verwendbar” war. Der Arbeitnehmer ist auch dann verwendbar, wenn ein geeigneter höherwertiger Arbeitsplatz für ihn zur Verfügung steht, sofern nicht bei der zu treffenden Auswahlentscheidung ein anderer Arbeitnehmer unter Berücksichtigung von Treu und Glauben den Vorzug verdient.
4. Der Beklagte kann dem Kläger nach dem aus § 162 Abs. 1 und 2 BGB herzuleitenden allgemeinen Rechtsgedanken nicht entgegenhalten, daß erst seine vierte Kündigung zur materiell-rechtlichen Überprüfung der betriebsbedingten Kündigungsgründe führt, nachdem die Stelle Nr. 105 inzwischen längst besetzt ist (vgl. Senat 21. September 2000 – 2 AZR 440/99 – BAGE 95, 350).
a) Anstatt die Stelle Nr. 105 mit einem externen Bewerber zu besetzen, hätte der Beklagte, wie bereits dargelegt, den Kläger mit den dort anfallenden Aufgaben beschäftigen müssen. Es verstößt gegen Treu und Glauben (vgl. § 162 Abs. 2 BGB), wenn sich der Beklagte nunmehr darauf beruft, daß er dem nicht nachgekommen ist und damit durch die externe Besetzung der Stelle eine bei Ausspruch der ersten Kündigung oder zumindest zur Zeit des Kündigungsentschlusses bestehende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger vereitelt hat.
b) Der Beklagte kann sich in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, daß er die beiden Kündigungen vom 1. November 1993 und 24. November 1993 zwar auf mangelnden Bedarf gestützt hat, in dem entsprechenden Vorprozeß aber eine materiell-rechtliche Überprüfung des Kündigungsgrundes nicht stattgefunden hat. Es wäre treuwidrig, wenn sich der Beklagte insoweit auf sein eigenes fehlerhaftes Verhalten – die mangelhafte Personalratsbeteiligung – berufen würde.
c) Dem steht auch nicht entgegen, daß der Beklagte die erste Kündigung vom 21. Dezember 1992 nicht auf den aus seiner Sicht damals schon vorliegenden mangelnden Bedarf, sondern auf einen weiteren, tatsächlich nicht vorliegenden Kündigungsgrund, die angebliche persönliche Ungeeignetheit des Klägers, gestützt hat. Hätte sich der Beklagte nicht im Jahr 1992, als die Stelle Nr. 105 zu besetzen war, entschlossen, dem Kläger zu kündigen, weil er ihn überhaupt für eine Weiterbeschäftigung an der Hochschule für ungeeignet hielt, hätte er schon damals aus seiner Sicht eine Bedarfskündigung aussprechen müssen. Eine befristete Weiterbeschäftigung des Klägers auf den 1996 auslaufenden Stellen kam schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger sich nach seinem unbestritten gebliebenen Vorbringen auf eine derartige Stelle nicht einmal beworben hatte. War der Kläger aber nach dem oben Gesagten damals „verwendbar” für eine Weiterbeschäftigung auf der Stelle Nr. 105, so handelt der Beklagte treuwidrig, wenn er sich nunmehr allein darauf beruft, daß er zunächst erfolglos in einem Gerichtsverfahren geltend gemacht hat, der Kläger sei unabhängig von seiner fachlichen Eignung überhaupt für eine Weiterbeschäftigung an der Hochschule persönlich ungeeignet.
d) Erst recht verhält sich der Beklagte treuwidrig, wenn er dem Kläger entgegenhält, nunmehr fehle es an seiner persönlichen Eignung, weil er zumindest seit Ende des Wintersemesters 1993/94 nicht mehr an der Hochschule tätig geworden sei. Auch damit beruft sich der Beklagte in treuwidriger Weise auf sein eigenes rechtswidriges Verhalten, nämlich die nicht gerechtfertigte Freistellung des Klägers.
III. Da der Senat über den Feststellungsantrag abschließend entschieden hat, war über den Weiterbeschäftigungsantrag nicht mehr zu entscheiden.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Eylert, Beckerle, Claes
Fundstellen
ARST 2002, 235 |
NZA 2002, 927 |
ZTR 2002, 499 |
EzA |
PersV 2002, 567 |
ZfPR 2003, 81 |
NJOZ 2003, 1173 |