Entscheidungsstichwort (Thema)
Wechselschicht- und Nachtarbeitszuschlag im Einzelhandel
Leitsatz (redaktionell)
1. Den Begriff der "Nachtschicht" verwenden die Tarifvertragsparteien des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 15. Mai 1985 (MTV Einzelhdl NW) im Sinne des übereinstimmenden allgemeinen und fachjuristischen Sprachgebrauchs. Demgemäß liegt zuschlagspflichtige "Wechselschichtarbeit, in der regelmäßig Nachtschichten anfallen" (§ 4 Abs 3 MTV Einzelhdl NW) nur vor, wenn innerhalb der entsprechenden Schicht die Nachtarbeit im tariflichen Sinne zeitlich überwiegt.
2. Sind dagegen die Voraussetzungen für die Zahlung des Zuschlags nach § 4 Abs 3 MTV Einzelhdl NW deswegen nicht erfüllt, weil innerhalb der Schicht Nachtarbeit nur in einem geringeren zeitlichen Ausmaß geleistet wird, so ist diese mit dem Zuschlag für Nachtarbeit (§ 5 Abs 1 Buchstabe c) MTV Einzelhdl NW) zu vergüten.
Orientierungssatz
Begriff der Schichtarbeit - Begriff der Nachtzeit.
Normenkette
TVG § 1; ZPO §§ 188, 761; StPO § 104; GewO § 105
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 30.09.1987; Aktenzeichen 15 Sa 901/87) |
ArbG Bocholt (Entscheidung vom 19.03.1987; Aktenzeichen 3 Ca 2074/86) |
Tatbestand
Der Kläger ist bei der Beklagten, die eine Einzelhandelskette von Lebensmittelmärkten betreibt, im Zentrallager G als Staplerfahrer beschäftigt. Er arbeitet im Zweischichtenbetrieb in Wechselschicht. Die Frühschicht beginnt um 6.00 Uhr und endet um 14.00 Uhr. Die Spätschicht dauert von 14.00 Uhr bis 22.00 Uhr. Beide Parteien gehören den Verbänden an, die die Tarifverträge für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen abschließen. Der Bruttolohn des Klägers betrug zuletzt 2.141,-- DM. Für jede geleistete Nachtarbeitsstunde im tariflichen Sinne erhält er aufgrund einer innerbetrieblichen Regelung einen Zuschlag von 10 v.H.
Mit seiner am 6. November 1986 erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte unter Berufung auf den Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 15. Mai 1985 (MTV Einzelhdl NW) für den Zeitraum vom 1. Januar bis 15. Juli 1986 auf Zahlung der tariflichen Wechselschichtzulage in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 1.378,47 DM in Anspruch genommen. Dazu hat der Kläger vorgetragen, diese Zulage stehe ihm deswegen zu, weil er während der Spätschicht regelmäßig von 19.30 Uhr bis 22.00 Uhr 2,5 Stunden Nachtarbeit im tariflichen Sinne leiste. Die einschlägige Tarifnorm des § 4 Abs. 3 MTV Einzelhdl NW fordere nicht, daß alle in der Spätschicht geleisteten Arbeitsstunden Nachtarbeitsstunden im tariflichen Sinne sein müßten. Vielmehr reiche es schon aus, wenn überhaupt in die Spätschicht Nachtarbeitsstunden fielen. Jedenfalls aber sei die Beklagte verpflichtet, an ihn den tariflichen Nachtarbeitszuschlag von 55 v.H. für diejenigen Stunden zu zahlen, die Nachtarbeitsstunden im tariflichen Sinne seien, was einem ebenfalls rechnerisch unstreitigen Betrag von 1.222,84 DM entspreche. Mit der tariflichen Gesamtregelung sei es unvereinbar, daß ihm für diese Zeiten überhaupt kein tariflicher Zuschlag gezahlt werde, wie es die Beklagte praktiziere. Demgemäß hat der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.378,47 DM
brutto nebst 4 v.H. Zinsen seit dem 1. August 1986
zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und erwidert, der Kläger könne keinen der beiden von ihm eingeklagten tariflichen Zuschläge beanspruchen. Bei dem Zuschlag für Wechselschichtarbeit übersehe der Kläger, daß bei ihm keine "Nachtschichten" anfielen. Davon könne bei dem Zeitraum von 19.30 Uhr bis 22.00 Uhr nicht die Rede sein. Die Tarifvertragsparteien verwendeten den Begriff der "Nachtschicht" vielmehr im Sinne des allgemeinen und fachjuristischen Sprachgebrauches, der vorliegend nicht zugunsten des Klägers eingreife. Wenn - wie vorliegend - 2,5 Arbeitsstunden während der Spätschicht oder ein noch geringerer Zeitraum zugleich Nachtarbeitsstunden im tariflichen Sinne seien, solle nach dem Willen der Tarifvertragsparteien der Wechselschichtzuschlag nicht gezahlt werden. Die Rechtsauffassung des Klägers führe zu praktisch nicht haltbaren Ergebnissen. Der miteingeklagte Nachtarbeitszuschlag stehe dagegen dem Kläger deswegen nicht zu, weil die entsprechende Tarifnorm des § 5 Abs. 1 Buchstabe c) MTV Einzelhdl NW Wechselschichtarbeit, wie sie der Kläger regelmäßig leiste, ausdrücklich und eindeutig ausnehme. Mit seiner gegenteiligen Rechtsauffassung verkenne der Kläger den tariflichen Gesamtzusammenhang.
Das Arbeitsgericht hat in vollem Umfang nach dem Klagebegehren erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat unter teilweiser Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils dem Kläger lediglich den Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 1.222,84 DM nebst 4 v.H. Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag belassen und hinsichtlich des weitergehenden, den Zuschlag für Wechselschichtarbeit betreffenden Betrages die Klage abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag, soweit das berufungsgerichtliche Urteil nicht rechtskräftig geworden ist, weiter. Der Kläger, der in der Revisionsinstanz seine Zinsforderung auf Prozeßzinsen seit 6. November 1986 beschränkt hat, beantragt Zurückweisung der Revision. Die von ihm zunächst eingelegte Anschlußrevision hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Mit zutreffender Begründung hat das Landesarbeitsgericht entschieden, daß dem Kläger der von ihm zuerkannte Betrag von 1.222,84 DM als tariflicher Zuschlag für Nachtarbeit zusteht.
Mit dem Landesarbeitsgericht ist davon auszugehen, daß zwischen den Parteien aufgrund beiderseitiger Tarifbindung gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 15. Mai 1985 (MTV Einzelhdl NW) unmittelbar und zwingend gilt. Dieselbe Rechtsfolge ergibt sich aus § 5 Abs. 4 TVG, weil es sich dabei um einen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag handelt.
Heranzuziehen sind die nachstehenden Bestimmungen dieses Tarifvertrages:
§ 4
1. Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit ist nach Mög-
lichkeit zu vermeiden. Sie ist nur im Rahmen der
gesetzlichen Bestimmungen zulässig.
Von der Betriebsleitung angeordnete Nachtarbeits-
stunden (von 19.30 bis 6 Uhr) sowie Arbeitsstun-
den an Sonn- und Feiertagen (von 0 bis 24 Uhr)
sind gemäß §§ 3 und 5 abzugelten. ...
3. Wechselschichtarbeit, bei der sich die Schichten
turnusmäßig ablösen und in der regelmäßig Nacht-
schichten anfallen, wird für alle Schichten mit
einem Zuschlag von 10 Prozent des Tarifentgelts
bezahlt.
§ 5
1. Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit sind mit
Ausnahmen im Tankstellen- und Garagengewerbe (§ 6)
mit folgenden Zuschlägen abzugelten:
a) Mehrarbeit 25 Prozent
b) Mehrarbeit der 5. Mehr-
arbeitsstunde in der Woche 40 Prozent
c) Nachtarbeit, ausgenommen Wech-
selschichtarbeit 55 Prozent
.....
2. Treffen mehrere Zuschläge zusammen, so ist
jeweils nur der höchste Zuschlag zu zahlen.
Zwar ist durch die Rücknahme der Anschlußrevision des Klägers das berufungsgerichtliche Urteil insoweit rechtskräftig geworden, als damit die Klage abgewiesen worden ist. Gleichwohl hat jedoch im Hinblick auf die Regelung in § 5 Abs. 2 MTV Einzelhdl NW der Senat nach materiellem Tarifrecht zu überprüfen, ob dem Kläger der ihm vom Landesarbeitsgericht zuerkannte Betrag von 1.222,84 DM als Zuschlag für Wechselschichtarbeit nach § 4 Abs. 3 MTV Einzelhdl NW oder als Nachtarbeitszuschlag nach § 5 Abs. 1 Buchstabe c) MTV Einzelhdl NW zusteht.
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß der Kläger den tariflichen Zuschlag für Wechselschichtarbeit nicht beanspruchen kann. § 4 Abs. 3 MTV Einzelhdl NW fordert "Wechselschichtarbeit" mit sich turnusmäßig ablösenden Schichten. Zwar definieren die Tarifvertragsparteien diesen Begriff selbst nicht. Sie verwenden ihn jedoch ersichtlich, zumal sie selbst nichts anderes bestimmen, in seiner allgemeinen arbeitsrechtlichen Bedeutung und gehen daher, wie das Landesarbeitsgericht richtig hervorgehoben hat, davon aus, daß Wechselschichtarbeit dann vorliegt, wenn ein Teil der Belegschaft arbeitet, während ein anderer Teil arbeitsfrei gestellt ist, und sich beide Teile regelmäßig ablösen, die Arbeitsplätze also schichtübergreifend besetzt sind (vgl. das Urteil des Senats vom 20. Januar 1965 - 4 AZR 424/63 - AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Betonsteingewerbe, das Urteil des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 23. September 1960 - 1 AZR 567/59 - AP Nr. 4 zu § 2 AZO sowie Denecke/Neumann, AZO, 10. Aufl., § 2 Rz 2 - 3, S. 56). Das trifft vorliegend nach den Feststellungen der Vorinstanzen zu. Die Schichten werden auch im tariflichen Sinne "turnusmäßig abgelöst", d.h. die eine Schicht folgt jeweils unmittelbar auf die andere.
Weiter fordern die Tarifvertragsparteien als Voraussetzung für den zehnprozentigen Zuschlag für Wechselschichtarbeit in § 4 Abs. 3 MTV Einzelhdl NW, daß "regelmäßig Nachtschichten anfallen". Dabei ist mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien selbst in § 4 Abs. 1 MTV Einzelhdl NW ausdrücklich und eindeutig klarstellen, daß "Nachtarbeitsstunden" im tariflichen Sinne die Zeit von 19.30 Uhr bis 6.00 Uhr ist, jedoch eine tarifliche Definition des von ihnen in § 4 Abs. 3 MTV Einzelhdl NW verwendeten Begriffes der Nachtschicht fehlt. Hinzu kommt eine vom Landesarbeitsgericht mit Recht berücksichtigte praktische Schwierigkeit, der die Tarifvertragsparteien nicht ausdrücklich Rechnung getragen haben: Bei der Beklagten läuft die zweite Schicht, um die es rechtlich geht und die bei ihr verkehrsüblich als "Spätschicht" bezeichnet wird, von 14.00 bis 22.00 Uhr, so daß sie regelmäßig 2 1/2 Nachtarbeitsstunden im tariflichen Sinne umfaßt.
Mit Recht nimmt das Landesarbeitsgericht an, daß bei einer solchen Fallgestaltung der Zuschlag für Wechselschichtarbeit aus § 4 Abs. 3 MTV Einzelhdl NW dem Arbeitnehmer nicht zusteht. Das leitet das Landesarbeitsgericht mit Recht aus dem Tarifwortlaut, dem tariflichen Gesamtzusammenhang und dem daraus ersichtlichen Sinn und Zweck der Tarifregelung her (vgl. BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Dabei geht das Landesarbeitsgericht zutreffend davon aus, daß die Tarifvertragsparteien in Ermangelung einer anderen eigenen Regelung den Begriff der "Nachtschicht" im Sinne seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung verwenden, wie sie sich etwa aus § 105 b Abs. 1 Satz 4 GewO ergibt. Danach muß es sich bei Nachtschichten um Arbeit handeln, die während der allgemeinen Nachtstunden geleistet wird (vgl. Denecke/Neumann, aaO, § 105 b GewO Rz 11, S. 253). Dem entspricht auch der allgemeine Sprachgebrauch, der unter "Nachtschicht" Schichtarbeit während der Nacht versteht (vgl. Meyers Enzykl. Lexikon, Deutsches Wörterbuch, Band 31, S. 1850). Demgemäß versteht auch bei der Auslegung des § 4 Abs. 3 MTV Einzelhdl NW das Landesarbeitsgericht unter "Nachtschicht" nur eine Schicht, die zu einem wesentlichen Teil während der Nachtzeit abgeleistet wird. Da andererseits die Tarifvertragsparteien in § 4 Abs. 1 MTV Einzelhdl NW abweichend vom einschlägigen Gesetzesrecht (z.B. § 188 Abs. 1 ZPO, § 761 ZPO und § 104 StPO) ausdrücklich bestimmt haben, daß es sich bei Arbeit in der Zeit von 19.30 Uhr bis 6.00 Uhr um "Nachtarbeitsstunden", also Nachtarbeit handelt, kann von "regelmäßigen Nachtschichten" bei Wechselschichtarbeit im Sinne von § 4 Abs. 3 MTV Einzelhdl NW nur gesprochen werden, wenn in der betreffenden Schicht Nachtarbeit im Sinne von § 4 Abs. 1 MTV Einzelhdl NW zeitlich überwiegt. Damit teilt der Senat grundsätzlich die Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts. Er präzisiert sie im Hinblick auf Rechtsklarheit und Rechtssicherheit dahin, daß innerhalb der betreffenden Schicht die Nachtarbeit überwiegen muß, während das Landesarbeitsgericht es für ausreichend hält, wenn die Hälfte der Schichtzeit Nachtarbeit ist.
Die demgegenüber vom Kläger erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Vielmehr würde es, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erläuternd hervorhebt, dem Sinn und Zweck der Regelung des § 4 Abs. 3 MTV Einzelhdl NW, wie er dem Tarifwortlaut und dem tariflichen Gesamtzusammenhang zu entnehmen ist, geradezu auf den ersten Blick widersprechen, wollte man im Sinne der Ausführungen der Revisionserwiderung den tariflichen Zuschlag für Wechselschichtarbeit schon dann zuerkennen, wenn in die betreffende Schicht lediglich einige Minuten Nachtarbeit im tariflichen Sinne fallen. Ein derartiges Ergebnis haben die Tarifvertragsparteien nicht gewollt. Auch die Tarifgeschichte bietet für eine gegenteilige Beurteilung keinen Anhaltspunkt.
Dagegen hat das Landesarbeitsgericht dem Kläger mit Recht den tariflichen Zuschlag für Nachtarbeit nach § 5 Abs. 1 Buchstabe c) MTV Einzelhdl NW zugesprochen. Dabei geht es tarifgerecht davon aus, daß der Kläger, wenn er in der Spätschicht eingesetzt war, regelmäßig von 19.30 Uhr bis 22.00 Uhr Nachtarbeit im tariflichen Sinne (§ 4 Abs. 1 MTV Einzelhdl NW) geleistet hat. Das Landesarbeitsgericht übersieht auch nicht, daß der Nachtarbeitszuschlag nach § 5 Abs. 1 Buchstabe c) MTV Einzelhdl NW bei "Wechselschichtarbeit" nicht gezahlt werden soll, womit die Tarifvertragsparteien ersichtlich auf die entsprechende und zuvor rechtlich gewürdigte Regelung des § 4 Abs. 3 MTV Einzelhdl NW zurückgreifen. Wechselschichtarbeit im Sinne dieser Tarifnorm liegt aber, wie das Landesarbeitsgericht mit Recht und konsequent hervorhebt, aus den dargelegten Gründen nur dann vor, wenn regelmäßig während Schichten zu arbeiten ist, deren überwiegender Teil im Rahmen der tariflichen Nachtzeit liegt. Ist das jedoch - wie vorliegend - nicht der Fall, greift diese Tarifnorm nicht ein. Das hat dann einmal die Folge, daß der Arbeitnehmer den Zuschlag für Wechselschichtarbeit nach § 4 Abs. 3 MTV Einzelhdl NW nicht beanspruchen kann, was der Kläger gegen sich gelten lassen muß. Umgekehrt ergibt sich jedoch aus dieser Rechtslage zugleich zu Lasten der Beklagten, daß dann, wenn die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 MTV Einzelhdl NW nicht erfüllt sind, also wie vorliegend keine Wechselschichtarbeit mit Zuschlagsanspruch vorliegt, der Arbeitgeber den Zuschlag für Nachtarbeit nach § 5 Abs. 1 Buchstabe c) MTV Einzelhdl NW zu zahlen hat, soweit solche anfällt. Das ist, wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, eine zwingende Folge des tariflichen Gesamtzusammenhanges.
Seine diesbezügliche Rechtsauffassung begründet das Landesarbeitsgericht überzeugend auch mit dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelungen, wie er sich aus deren Gesamtzusammenhang ergibt. Wie das Landesarbeitsgericht richtig ausführt, unterliegt nämlich der Arbeitnehmer, der in Wechselschicht mit einem regelmäßigen Anteil von Nachtarbeit tätig ist, zweifachen Erschwernissen, deretwegen tarifliche Zulagen üblicherweise und auch nach dem MTV Einzelhdl NW gezahlt werden. Einmal muß er ständig seinen Arbeits- und Lebensrhythmus umstellen, weil er zu verschiedenen Zeiten zu arbeiten verpflichtet ist. Zugleich treffen ihn aber auch die Erschwernisse, die mit der Leistung von Nachtarbeit verbunden sind und ihren Grund darin haben, daß der Arbeitnehmer während der üblichen Ruhe- und Schlafenszeiten arbeiten muß (vgl. das Urteil des Senats vom 23. Oktober 1985 - 4 AZR 119/84 - AP Nr. 33 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie), wobei die Beklagte wiederum gegen sich gelten lassen muß, daß nach der ausdrücklichen Regelung der Tarifvertragsparteien in § 4 Abs. 1 MTV Einzelhdl NW - im Gegensatz zu denen des öffentlichen Rechts (vgl. § 188 Abs. 1 ZPO, § 761 ZPO, § 104 StPO) - in ihrem Bereich die Zeit der Nachtarbeit bereits um 19.30 Uhr beginnt. Ohne daß es darauf entscheidend ankommt, ist eine entsprechende Tendenz auch im öffentlichen Recht zu beobachten. So legt - im Gegensatz zum früheren Recht - beispielsweise die neue hessische Lärmschutzverordnung vom 8. Dezember 1970 (GVBl. S. 745) in § 3 Abs. 1 die allgemeine nächtliche Ruhezeit auf die Zeit von 20.00 bis 7.00 Uhr fest.
Wie das Landesarbeitsgericht selbst mit Recht hervorhebt, verdient seine Beurteilung auch deswegen Zustimmung, weil sie zu einer vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAGE 51, 282, 302 = AP Nr. 116 zu §§ 22, 23 BAT 1975 sowie die weiteren Urteile des Senats vom 1. April 1987 - 4 AZR 397/86 - und 30. September 1987 - 4 AZR 233/87 -, beide zur Veröffentlichung vorgesehen, mit weiteren Nachweisen auf die ständige Rechtsprechung des Senats).
Die demgegenüber erhobenen Einwendungen der Revision greifen nicht durch. Entgegen der Meinung der Beklagten wird der Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 Buchstabe c) MTV Einzelhdl NW nicht unzulässig erweitert, wenn man die Norm wie der Senat und das Landesarbeitsgericht auslegt. Im übrigen vermag der Senat der Revision auch nicht darin zu folgen, daß die Tarifvertragsparteien im Sinne ihres Vortrages dem Begriff der "Wechselschicht" in § 4 Abs. 3 und § 5 Abs. 1 Buchstabe c) MTV Einzelhdl NW jeweils eine unterschiedliche Bedeutung beimessen wollten. Dafür gibt es im gesamten Tarifgefüge keinen Anhaltspunkt. Zwar weist die Revision weiter richtig darauf hin, daß der Begriff der tariflichen Nachtarbeitsstunden (§ 4 Abs. 1 MTV Einzelhdl NW) mit dem allgemeinen Begriff der Nachtzeit, wie ihn etwa die ZPO und die StPO verwenden, nicht übereinstimmt. Identifizieren aber die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer autonomen Rechtssetzung schon die Zeit ab 19.30 Uhr mit der allgemeinen Nachtzeit, dann müssen ihre Mitglieder die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen auf sich nehmen. Deshalb kommt es auch entgegen den weiteren Ausführungen der Revision nicht darauf an, ob und inwieweit in den Abendstunden von 19.30 Uhr bis 22.00 Uhr bereits die allgemeinen Erschwernisse für Nachtarbeit faktisch bestehen. Jedenfalls gehen die Tarifvertragsparteien - und sei es aufgrund einer Fiktion - davon rechtlich aus.
Prozeßzinsen stehen dem Kläger nach Maßgabe seiner Antragsbeschränkung in der Revisionsinstanz nach § 291, § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Dies bringt der Senat zur Klarstellung im Urteilstenor zum Ausdruck.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Neumann Dr. Etzel Dr. Feller
Scheerer Dr. Knapp
Fundstellen
NZA 1988, 780-781 (LT1-2) |
RdA 1988, 383 |
AP § 1 TVG, Nr 20 |
AR-Blattei, ES 1410 Nr 8 (LT1-2) |
AR-Blattei, Schichtarbeit Entsch 8 (LT1-2) |
EzA § 4 TVG Einzelhandel, Nr 9 (LT1-2) |