Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall 80% oder 100%
Leitsatz (redaktionell)
Nach Nrn 80, 81 des Manteltarifvertrages der Holzbearbeitungs- und Sägeindustrie, Holzhandlungen und verwandter Industriezweige sowie der Möbelindustrie, der Unternehmen der holzverarbeitenden Industrie einschließlich Kunststoffverarbeitung sowie verwandter Industriezweige in Bayern vom 17. Januar/9. März 1992, zuletzt geändert am 12. April 1995 hat ein Arbeitnehmer bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit keinen Anspruch auf Fortzahlung seines Lohnes in Höhe von 100%.
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 24. Juni 1998 - 3 Sa 943/97
- wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 14. September 1992 beschäftigt. Im Oktober 1996 war sie an fünf Tagen arbeitsunfähig krank. Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 % ihrer regelmäßigen Vergütung. Die Klägerin verlangt Fortzahlung in voller - rechnerisch unstreitiger - Höhe.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in der Holzbearbeitungs- und Sägeindustrie, Holzhandlungen und verwandter Industriezweige sowie der Möbelindustrie, der Unternehmen der holzverarbeitenden Industrie einschließlich Kunststoffverarbeitung sowie verwandter Industriezweige in Bayern vom 17. Januar/9. März 1992 (MTV) Anwendung. In seinen Nummern 69 bis 83 enthält der Tarifvertrag Regelungen über "Arbeitsunterbrechung und Arbeitsversäumnis". Die Vorschriften lauten auszugsweise wie folgt:
"78. Der Lohn für die nach den Ziffern 75 u. 76 zu bezahlende
Zeit wird nach dem Lohnausfallprinzip berechnet; für
Angestellte erfolgt Freistellung unter Fortzahlung des
Gehaltes.
...
80. Unabhängig von den hier aufgeführten Regelungen ist der
Lohn bzw. das Gehalt bei Vorliegen der entsprechenden
Voraussetzungen aufgrund der bestehenden tariflichen
Urlaubsregelung, der Feiertagsgesetze, des
Jugendarbeitsschutz-, Mutterschutz- und
Schwerbehindertengesetzes sowie aufgrund des Gesetzes über die
Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle und über
Änderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung
fortzuzahlen; ...
81. Das Arbeitsentgelt gemäß § 2 Ziffer 1 des Gesetzes über
die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle und
über Änderungen des Rechts der gesetzlichen
Krankenversicherung bemißt sich nach dem durchschnittlichen
Arbeitsverdienst, den der Arbeitnehmer in den letzten 3
abgerechneten Kalendermonaten (13 Wochen) oder in den letzten
3 Lohnabrechnungszeiträumen (12 Wochen) vor Beginn der
Arbeitsunfähigkeit erhalten hat. Zwischenzeitliche
Tariflohnerhöhungen sind vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an
zu berücksichtigen."
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Nummern 80 und 81 MTV enthielten eine konstitutive tarifliche Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Für Nummer 80 MTV folge dies aus der Formulierung: "... ist der Lohn bzw. das Gehalt ... fortzuzahlen ...". Die Vorschrift gewähre einen eigenständigen Anspruch und enthalte nicht nur - wie § 1 LFZG - einen Einwendungsausschluß. Die gleichzeitige Verweisung auf das Lohnfortzahlungsgesetz sei eine statische Verweisung auf dessen Fassung vom 27. Juli 1969. Nummer 81 MTV lege unabhängig davon die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall eigenständig und rechnerisch abschließend mit 100 % fest.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 186,00 DM brutto nebst 4 %
Zinsen seit dem 1. November 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, Nummer 80 MTV enthalte eine dynamische Verweisung auf das Lohnfortzahlungsgesetz in seiner jeweils geltenden Fassung, Nummer 81 MTV stelle eine reine Berechnungsvorschrift dar.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage abgewiesen. Die Höhe der der Klägerin zustehenden Entgeltfortzahlung bestimmt sich nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG in der vom 1. Oktober 1996 bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung. Aus Nummern 80, 81 MTV folgt nichts anderes. Die Bestimmungen enthalten keine eigenständigen Regelungen zur Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Den der Klägerin gesetzlich zustehenden Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat die Beklagte unstreitig erfüllt. Die Klageforderung besteht nicht.
I. Nummer 80 MTV gewährt keinen eigenständigen tariflichen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Die von der Klägerin wiedergegebene Formulierung verkürzt den Normtext in sinnentstellender Weise. Die Vorschrift steht im sprachlichen Zusammenhang mit den zuvor geregelten Fällen von Arbeitsversäumnis und bestimmt sodann: "Unabhängig von (diesen) Regelungen ist der Lohn bzw. das Gehalt bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen ... aufgrund des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle ... fortzuzahlen; ...". Nummer 80 MTV hat nicht den Inhalt des Lohnfortzahlungsgesetzes in eine tarifliche Vorschrift übernommen, sondern bestimmt, daß Lohn und Gehalt "aufgrund des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle" fortzuzahlen sind. Die Entgeltfortzahlung richtet sich folglich allein nach dem Gesetz.
II. Die Bezugnahme auf das Gesetz in Nummer 80 MTV kann nicht als statische Verweisung auf das Lohnfortzahlungsgesetz in seiner bei Tarifabschluß im Jahre 1992 geltenden Fassung verstanden werden. Dafür gibt es weder in der Regelung selbst noch an anderer Stelle des Tarifvertrages hinreichende Anhaltspunkte.
1. Der Wortlaut von Nummer 80 MTV zeigt, daß die Tarifvertragsparteien seinerzeit auf das Lohnfortzahlungsgesetz in seiner jeweils geltenden Fassung verwiesen haben. Zugunsten der Klägerin mag unterstellt werden, daß es sich insoweit um eine Verweisung und damit überhaupt um eine Tarifnorm und nicht um einen bloßen Hinweis auf das Gesetz gehandelt hat. Auch dann ist das "Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle" das aktuell geltende Gesetz. Daß von der Verweisung eine mögliche Änderung des Gesetzes nach Tarifabschluß ausgenommen sein sollte, läßt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen. Des ausdrücklichen sprachlichen Zusatzes, es solle das "jeweilige" Lohnfortzahlungsgesetz maßgeblich sein, bedarf es dafür nicht. Vor dem Außerkrafttreten des Lohnfortzahlungsgesetzes am 1. Juni 1994 konnte ein Tarifanwender den Text der Nummer 80 MTV nicht anders verstehen, als daß Entgeltfortzahlung nach Maßgabe des Lohnfortzahlungsgesetzes in jeweils der Fassung gewährt werden sollte, wie sie im Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit galt. Für ein anderes Verständnis gibt es keine sprachliche Begründung.
2. Etwas anderes folgt auch nicht aus sonstigen Umständen. Zwar kann sich der Wille zur Schaffung einer eigenständigen Regelung auch bei Verweisungsvorschriften nicht nur aus dem Wortlaut, sondern auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergeben. Dazu bedarf es jedoch besonders deutlicher Anhaltspunkte (BAG 16. Juni 1998 - 5 AZR 67/97 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Schuhindustrie Nr. 6, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Daran fehlt es hier. In Betracht kommt allenfalls die Regelung in Nummer 76 MTV. Danach wird die Arbeitszeit, die durch das unumgängliche erstmalige Aufsuchen eines Arztes und die erstmalige Überweisung zu einem Facharzt versäumt wurde, ungekürzt vergütet. Aus diesem Umstand folgt jedoch nicht, daß die Tarifvertragsparteien in Nummer 80 MTV nur eine statische Verweisung auf das Lohnfortzahlungsgesetz in seiner bei Tarifabschluß geltenden Fassung gewollt haben können. Es zeigt nur, daß sie seinerzeit von einer Entgeltfortzahlung in voller Höhe ausgegangen sind. Es entsteht kein nicht mehr hinnehmbarer Wertungswiderspruch, wenn für die Zeit von unaufschiebbaren Arztbesuchen innerhalb der Arbeitszeit das Arbeitsentgelt in voller Höhe weiter zu zahlen ist, für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit dagegen nicht. Auch der Gesetzgeber hat die Höhe der Entgeltfortzahlung nur für den Krankheitsfall herabgesetzt. Der ursprüngliche § 616 Abs. 1 BGB (jetzt Satz 1) ist unverändert geblieben. Die Tarifvertragsparteien haben im übrigen bereits mit Wirkung vom 1. Januar 1997 von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, wieder eine einheitliche Regelung für alle Fälle von Arbeitsversäumnis zu schaffen: An diesem Tage trat ein Ergänzungs-Tarifvertrag in Kraft, der als Höhe der Entgeltfortzahlung 100 % vorsieht.
3. Eine eigenständige tarifliche Regelung enthält Nummer 80 MTV auch nicht deshalb, weil den Arbeitnehmern nach dieser Bestimmung der Lohn oder das Gehalt "fortzuzahlen ist", sie einen solchen Anspruch dagegen nach § 1 Abs. 1 LohnFG nur "nicht verlieren". Die unterschiedlichen Formulierungen haben jedenfalls dann keine inhaltlichen Auswirkungen, wenn in derselben Vorschrift zugleich auf das Lohnfortzahlungsgesetz verwiesen wird (BAG 25. November 1998 - 5 AZR 443/98 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Land- und Forstwirtschaft Nr. 6).
4. Hat Nummer 80 MTV danach auf das in Bezug genommene Lohnfortzahlungsgesetz in seiner jeweils geltenden Fassung verwiesen, so ist entgegen der Auffassung der Klägerin aus einer solchen dynamischen Verweisung mit dem Außerkrafttreten des Lohnfortzahlungsgesetzes zum 1. Juni 1994 keine normativ selbständige Regelung geworden. Eine ursprünglich nur dynamische Verweisung auf das bei Tarifabschluß geltende Gesetzesrecht wird nicht allein mit dessen Wegfall nachträglich zu einer statischen Verweisung und damit konstitutiven Regelung. Auch insoweit mußten klare Anhaltspunkte dafür zum Ausdruck gekommen sein, daß die Tarifvertragsparteien nach Änderung der Gesetzeslage einen entsprechenden Regelungswillen hatten (BAG 16. Juni 1998 - 5 AZR 67/97 -, aaO). In der bloßen Nichtänderung und Beibehaltung des bisherigen Wortlauts kann ein solches Anzeichen nicht gesehen werden. Nach Außerkrafttreten des Lohnfortzahlungsgesetzes bezieht sich die tarifliche Verweisung in Nummer 80 MTV der Sache nach auf das Entgeltfortzahlungsgesetz und auch auf dieses in seiner jeweils geltenden Fassung.
5. Schließlich ergibt sich auch aus dem Umstand nichts anderes, daß die Tarifvertragsparteien im März 1995 den Manteltarifvertrag von 1992 zwar in einigen Teilen geändert, die Nummern 80 und 81 dabei aber nicht an die neue gesetzliche Lage angepaßt haben. Verweist ein Tarifvertrag auf eine schon bei Tarifabschluß nicht mehr gültige gesetzliche Vorschrift, so spricht dies nur dann für eine eigenständige, von der jeweiligen Gesetzeslage unabhängige Regelung, wenn die betreffende tarifliche Bestimmung nicht unverändert aus vorangegangenen Tarifverträgen übernommen wurde. Andernfalls bedarf es besonderer Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien der gleichgebliebenen Bestimmung nunmehr eine andere Bedeutung beimessen wollten, als zu der Zeit, zu welcher das in Bezug genommene Gesetz noch galt (BAG 21. Oktober 1998 - 5 AZR 144/98 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bäcker Nr. 2). An solchen Anhaltspunkten für eine Bedeutungsänderung der gleichgebliebenen Nummer 80 MTV fehlt es.
6. Die Klägerin bringt demgegenüber vor, mit Rücksicht auf die von Arbeitskämpfen begleitete Tarifgeschichte und Tarifentwicklung könne der tarifschließenden Gewerkschaft nicht der Wille unterstellt werden, sie habe die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch eine dynamische Verweisung zur Disposition des Gesetzgebers stellen wollen. In der Verweisung drücke sich allenfalls das Einverständnis mit dem im Gesetz gefundenen gesellschaftlichen Kompromiß aus. Dies könne aber stets nur derjenige Kompromiß sein, der im Zeitpunkt des Tarifabschlusses bestanden habe.
Zugunsten der Klägerin kann von der Richtigkeit dieser Annahmen ausgegangen werden. Sie ändern nichts daran, daß die Tarifvertragsparteien in Nummer 80 MTV nach dem Wortlaut der Bestimmung gerade keine statische, sondern eine dynamische Verweisung auf das Lohnfortzahlungsgesetz vereinbart haben. Die auslegungserhebliche Frage ist nicht, ob sie dies auch dann getan hätten, wenn sie die gesetzliche Absenkung der Entgeltfortzahlung auf 80 % vorausgesehen hätten. Für die Auslegung bedeutsam ist, welche Regelung sie tatsächlich getroffen haben und ob diese Regelung ihrer damaligen Regelungsabsicht entsprach. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß seinerzeit Regelungsinhalt und Regelungsabsicht auseinandergefallen wären.
III. Die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist auch nicht in Nummer 81 MTV eigenständig und unabhängig von § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG festgelegt worden. Nach der tariflichen Regelung "bemißt sich" das Arbeitsentgelt gemäß § 2 Abs. 1 LohnFG nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst während der dreizehn/zwölf Wochen vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Die Tarifvertragsparteien haben damit von der in § 2 Abs. 3 LohnFG eröffneten - und in § 4 Abs. 4 EFZG beibehaltenen - Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Entgeltfortzahlung nicht nach dem Lohnausfallprinzip des § 2 Abs. 1 LohnFG, sondern nach dem Referenzprinzip zu berechnen. Aus der Formulierung "bemißt sich" wird deutlich, daß sie lediglich die Methode und die Grundlage der Berechnung der Lohnfortzahlung anders als das Gesetz bestimmt haben. Die Vorschrift enthält dagegen keinerlei Vorgabe über die endgültige Höhe der Entgeltfortzahlung als solche. Diese richtet sich vielmehr allein nach dem Gesetz. Sie betrug darum in der Zeit nach dem 30. September 1996 bis zum Inkrafttreten des Ergänzungs-Tarifvertrags am 1. Januar 1997 nur 80 % des nach Maßgabe von Nummer 81 MTV errechneten Betrags.
Griebeling
Müller-GlögeKreft Sappa
Zorn
Fundstellen
Haufe-Index 610982 |
BB 2000, 520 |
DB 2000, 676 |
NZA 2000, 489 |
AP, 0 |
AUR 2000, 118 |