Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlung überzahlten Ortszuschlags
Normenkette
BGB § 812 Abs. 1 S. 1, § 818 Abs. 2-3, §§ 195, 284, 286, 288, 291, 362; EStG § 19 Abs. 1 S. 2, § 38 Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 3, § 38a Abs. 3 S. 1, §§ 39b, 42d; ZPO § 97
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 24.10.1990; Aktenzeichen 3 Sa 16/90) |
ArbG Reutlingen (Urteil vom 01.03.1990; Aktenzeichen 1 Ca 277/89) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 24. Oktober 1990 – 3 Sa 16/90 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Rückzahlung überzahlten Ortszuschlags.
Die Beklagte ist als teilzeitbeschäftigte Angestellte im Fernmeldezeugamt R. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost (TV Ang) Anwendung.
Die Beklagte erhielt unter Berücksichtigung des aus ihrer ersten Ehe hervorgegangenen Sohnes Sascha Ortszuschlag nach Stufe 3 (§ 26 Abs. 3 TV Ang). Im Jahr 1982 schloß die Beklagte die Ehe mit dem Fernmeldehandwerker B. Dieser ist in derselben Dienststelle wie die Klägerin tätig. Auf sein Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) Anwendung.
Die Eheschließung wurde der Klägerin mitgeteilt. Fortan bezog der Ehemann, der das Kindergeld für das Kind Sascha erhält, nach § 11 TV Arb Sozialzuschlag unter Berücksichtigung dieses Kindes. Die Klägerin zahlte irrtümlich auch an die Beklagte weiterhin den Ortszuschlag nach Stufe 3.
Im Jahre 1983 wurde der Sohn Sven geboren. Auch dieses Kind wurde irrtümlich beim Ortszuschlag zugunsten der Beklagten und beim Sozialzuschlag zugunsten des Ehemannes berücksichtigt.
Mit der Bezügemitteilung für März 1987 übersandte die Klägerin der Beklagten ein Hinweisblatt mit der Aufforderung, den kinderbezogenen Ortszuschlag nach Grund und Höhe zu überprüfen. Die Beklagte antwortete darauf nicht.
Nachdem die Klägerin den Fehler bemerkt hatte, verlangte sie mit Schreiben vom 9. Juni 1989 unter Bezugnahme auf die Feststellungen der Oberpostdirektion Stuttgart vom 26. Mai 1989 Rückzahlung der überzahlten Vergütung für den Zeitraum vom 1. Juli 1982 bis zum 31. August 3.988 in Höhe von 15.050,13 DM.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei um diesen Betrag ungerechtfertigt bereichert. Aus Billigkeitsgründen könne auf den Rückzahlungsanspruch nicht verzichtet werden, da die Überzahlung im Durchschnitt mehr als 17 % der Bezüge betragen habe.
Die Klägerin hat beantragt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin den Betrag von 15.050,13 DM zuzüglich der Auslagen von 1,04 DM, insgesamt 15.051,17 DM zu zahlen.
- Die Hauptforderung ist ab 12. August 1989 mit 6,65 % zu verzinsen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, sie sei nicht mehr bereichert, da sie das Geld für den allgemeinen Lebensunterhalt der Familie verbraucht habe. Auch hinsichtlich des als Lohn- und Kirchensteuer einbehaltenen und an das Finanzamt abgeführten Betrags sei die Bereicherung weggefallen. Das Rückzahlungsverlangen der Klägerin verstoße gegen Treu und Glauben. Alle für die Berechnung notwendigen Tatsachen seien von ihr und ihrem Ehemann der Dienststelle richtig und vollständig mitgeteilt worden. Auch die Billigkeit erfordere, auf die Rückzahlung zu verzichten. Im übrigen sei der Anspruch verjährt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage wegen der zwischen dem 1. März 1987 und dem 31. August 1988 geleisteten Überzahlungen in Höhe von 4.345,08 DM nebst 6,65 % Zinsen seit dem 12. August 1989 stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage in Höhe weiterer 2.709,82 DM nebst 6,65 % Zinsen seit dem 12. August 1989 stattgegeben. Es hat angenommen, die Klägerin könne die Lohn- und Kirchensteuern, die sie in dieser Höhe für den Zeitraum 1. Juli 1982 bis 28. Februar 1987 an das Finanzamt abgeführt hat, zurückverlangen. Die weitergehende Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision bittet die Beklagte die Berufung der Klägerin, soweit diese Erfolg hatte, zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Die Beklagte muß der Klägerin die an das Finanzamt abgeführten Beträge zurückzahlen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe für den Zeitraum vom 1. Juli 1982 bis 28. Februar 1987 den Ortszuschlag der Stufe 3 rechtsgrundlos erhalten. Die Bereicherung sei in bezug auf die als Lohn- und Kirchensteuern einbehaltenen Beträge nicht weggefallen. Mit der Leistung an das Finanzamt habe die Klägerin die auf den Arbeitslohn entfallende Steuervorauszahlungsschuld der Beklagten getilgt. Auf die Rückforderung müsse die Klägerin auch nicht aus Gründen der Billigkeit verzichten. Die Beklagte könne auch nicht geltendmachen, sie sei zur Rückzahlung nur in Teilbeträgen verpflichtet.
Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
II. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Rückzahlung der Lohn- und Kirchensteuer, die sie für die überzahlten Beträge in der Zeit vom 1. Juli 1982 bis zum 28. Februar 1987 an das Finanzamt entrichtet hat. Dies folgt aus § 32 Abs. 6 Satz 1 und 2 TV Ang i. V. mit § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB.
1. Die Beklagte hat in diesem Zeitraum nach § 26 Abs. 3 TV Ang Ortszuschlag der Stufe 3 erhalten. Dies geschah ohne rechtlichen Grund im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB, soweit die Zahlungen den Ortszuschlag der Stufe 2 (§ 26 Abs. 2 Nr. 1 TV Ang) überstiegen. In Höhe dieses Betrages war die Beklagte nicht anspruchsberechtigt, weil ihrem unter der Geltung des TV Arb beschäftigten Ehemann Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz und tariflicher Sozialzuschlag gewährt wurde (§ 26 Abs. 6 Satz 1 TV Ang; § 11 Abs. 1 TV Arb).
Erlangt hat die Beklagte nicht nur den Nettobetrag, den die Klägerin ihr ausgezahlt hat, sondern auch den Betrag, den die Klägerin einbehalten und an das Finanzamt als Lohn- und Kirchensteuer abgeführt hat. Durch Bezug des laufenden Arbeitslohns entstand die Lohnsteuerschuld der Beklagten in Höhe des auf den Lohnzahlungszeitraum entfallenden Teilbetrags der Jahreslohnsteuer (§ 38 a Abs. 3 Satz 1 EStG). Darauf, daß die Beklagte keinen Rechtsanspruch auf die Zahlungen der Klägerin hatte, kommt es nicht an (§ 19 Abs. 1 Satz 2 EStG). Schuldnerin der Lohnsteuer war allein die Beklagte als Arbeitnehmer in (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG). Unerheblich ist, daß die Klägerin als Arbeitgeberin Haftungschuldnerin war (§ 42 d EStG). Die Steuer war durch Abzug vom Arbeitslohn zu erheben (§ 38 Abs. 1 EStG), indem die Klägerin die Lohnsteuer für Rechnung der Beklagten (§ 38 Abs. 3 EStG) bei jeder Lohnzahlung einbehielt und an das Finanzamt abführte (§ 39 b Abs. 2 EStG). Durch die Abführung der Lohnsteuer tilgte die Klägerin die Steuerschuld der Beklagten. Dadurch hat die Beklagte Befreiung von ihrer Steuerschuld erlangt (§ 362 BGB). Dafür hat sie der Klägerin den Wert zu ersetzen (§ 818 Abs. 2 BGB). Für die Kirchensteuer gilt Entsprechendes (vgl. § 3 Abs. 1, § 20 Kirchensteuergesetz Baden-Württemberg).
2. Die Bereicherung der Beklagten ist nicht weggefallen (§ 818 Abs. 3 BGB). Das Landesarbeitsgericht hat als Voraussetzung für den Wegfall der Bereicherung gefordert, daß durch die Überzahlung eine endgültige steuerliche Mehrbelastung der Beklagten eingetreten sei. Dafür habe die Beklagte jedoch keine Tatsachen behauptet. Dagegen wendet die Revision sich zu Unrecht.
Die Revision macht geltend, die Bereicherung der Beklagten sei in dem Zeitpunkt weggefallen, als die Steuerschuld bei ihr entstand. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, daß die Beklagte eine Steuerrückerstattung erhalten habe. Zuzugeben ist der Revision, daß eine durch die rechtsgrundlose Zahlung verursachte endgültige steuerliche Mehrbelastung des Bereicherungsschuldners als ein die Bereicherung mindernder Nachteil zu berücksichtigen ist (vgl. Soergel/Mühl, BGB, 11. Aufl., § 818 Rz 72). So liegt der Fall jedoch nicht. Zwar ist die Beklagte durch die überhöhte Lohnzahlung stärker mit Lohn- und Kirchensteuer belastet worden, als es ohne die Überzahlung der Fall gewesen wäre. Bei Berechnung der herauszugebenden Bereicherung wäre diese Steuerbelastung jedoch nur zu berücksichtigen, wenn sie eine endgültige von der Beklagten bei sachgerechter Wahrung ihrer Steuerbelange hinzunehmende Minderung ihres Vermögens bewirkt hätte (vgl. BVerwGE 25, 97, 102). Dies ist indessen nicht der Fall. Durch die Rückzahlung des zuviel gezahlten Ortszuschlags mindert sich die Steuerpflicht der Beklagten im Kalenderjahr der Rückzahlung, wobei unerheblich ist, welche der verschiedenen steuerrechtlichen Möglichkeiten die Beklagte wahrnimmt (Eintragung eines Freibetrags, Lohnsteuerjahresausgleich, Geltendmachung von negativen Einkünften bei Veranlagung zur Einkommensteuer). Durch Zahlung der erhöhten Ortszuschläge ist die Beklagte somit in Höhe der Bruttobeträge der Überzahlung bereichert (vgl. Soergel/Mühl, a.a.O.; BVerwG, a.a.O. und BVerwGE 24, 92, 104).
3. Von der Rückforderung muß nicht aus Gründen der Billigkeit ganz oder teilweise abgesehen werden (§ 32 Abs. 6 Satz 4 TV Ang). Die Klägerin hat in dem Schreiben der Oberpostdirektion Stuttgart vom 26. Mai 1989 eine entsprechende Prüfung vorgenommen. Die Beurteilung dieser Prüfung durch das Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Billigkeitsgründe im Sinne der genannten Tarifvorschrift sind Umstände oder Sachverhalte in den persönlichen, wirtschaftlichen, sozialen oder familiären Verhältnissen, die einen ganzen oder teilweisen Verzicht auf die Überzahlung vertretbar erscheinen lassen. Dabei ist stets die Ursache der Überzahlung zu berücksichtigen (vgl. Distel, Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost, Stand Juli 1977, § 32 Rz 86; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand Juni 1992, § 36 Rz 122; Plog/Wiedow/Beck, Bundesbeamtengesetz, Bd. I, Stand Juni 1992, § 87 Rz 28). Die Beklagte hat zwar der Klägerin ihre Eheschließung rechtzeitig und ordnungsgemäß angezeigt und die Überzahlung nicht vorwerfbar herbeigeführt. Die Überzahlung beruhte ausschließlich auf einem Fehler der Klägerin. Es handelt sich auch nicht um einen ganz unerheblichen Betrag. Die Rückzahlung stellt jedoch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten (Doppelverdienerehe und zusätzliches Nebeneinkommen des Ehemannes) noch keine unbillige Härte dar. Zudem ist die sich aus der Rückzahlung ergebende steuerliche Entlastung mitzuberücksichtigen.
4. Entgegen der Auffassung der Revision kann sich die Beklagte auch nicht darauf berufen, durch die langjährige Überzahlung habe die Klägerin einen Vertrauenstatbestand geschaffen, der nunmehr die Rückforderung treuwidrig erscheinen lasse. Der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst muß grundsätzlich davon ausgehen, daß der Arbeitgeber lediglich den tariflichen Anspruch gewahren will und kann. Für einen darüber hinausgehenden Vertrauenstatbestand ist in der Regel kein Raum. Dies ist nur in besonderen Fällen anzunehmen, so bei ausdrücklicher Zusage einer übertariflichen Leistung oder bei ausdrücklicher Zusicherung der Richtigkeit der Lohnabrechnung durch den Arbeitgeber (vgl. auch BAGE 15, 270 = AP Nr. 2 zu § 611 BGB Lohnrückzahlung). Besondere Umstände, die hier einen Vertrauenstatbestand begründen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
5. Der Rückforderungsanspruch ist weder verjährt noch verfallen. Der Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verjährt nach 30 Jahren (§ 195 BGB). Eine Ausschlußfrist weist der Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost nicht auf.
6. Darauf, daß sie zur Rückzahlung nur in Teilbeträgen verpflichtet sei (§ 32 Abs. 6 Satz 1 TV Ang), kann sich die Beklagte nicht berufen. Nachdem die Klägerin ihr dies im Schreiben vom 9. Juni 1989 angeboten und um entsprechende Vorschläge gebeten hatte, hat die Beklagte weder vor dem Rechtsstreit noch während desselben vorgetragen, wie sie sich die Rückzahlung in Teilbeträgen vorstellt.
7. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 284, 286, 288 BGB III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Schliemann, Dr. Armbrüster, Mergenthaler, Schwarck
Fundstellen