Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmißbräuchliche Berufung auf ein Arbeitsverhältnis
Leitsatz (amtlich)
Ein Dienstnehmer handelt rechtsmißbräuchlich (§ 242 BGB), wenn er sich nachträglich darauf beruft, Arbeitnehmer gewesen zu sein, obwohl er als freier Mitarbeiter tätig sein wollte und sich jahrelang allen Versuchen des Dienstgebers widersetzt hat, zu ihm in ein Arbeitsverhältnis zu treten.
Normenkette
BGB § 242; KSchG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten steht.
Die Beklagte betreibt ein Leasing-Unternehmen. Durch eine Stellenanzeige, die am 21. April 1990 in der “Frankfurter Rundschau” erschien, suchte die Beklagte eine Sekretärin bzw. Sachbearbeiterin. Daraufhin schrieb die Klägerin der Beklagten wie folgt:
“… mit Interesse habe ich Ihre o.g. Anzeige gelesen. Falls Sie die ausgeschriebene Position noch zu vergeben haben, sind Sie vielleicht an einer Person auf freiberuflicher Basis interessiert. Selbstverständlich könnte meine Tätigkeit in Ihrem Hause vertraglich fixiert werden.
Ich bin 37 Jahre alt. Meine bisherigen Tätigkeiten auf freiberuflicher Basis lagen in der Büro-Organisation.
Organisationstalent, Einsatzfreude, der Umgang mit Menschen (Kundenkontakte), kaufmännische Kenntnisse (Buchhaltung), die Erledigung allgemeiner Sekretariatsarbeiten, Englischkenntnisse sowie der Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln, sind für mich selbstverständlich.
Mein Stundensatz beträgt DM 40,-- zuzügl. der gesetzl. MwSt. Die Abrechnung erfolgt per Rechnungsstellung.
Selbstverständlich können Sie sich meine Telefonnummer auch für Notfälle notieren, z.B. als Urlaubs- oder Krankheitsvertretung.
Für weitere Fragen stehe ich Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung und verbleibe für heute …”
Am 20. Juni 1990 meldete die Klägerin als ihren neuen selbständigen Gewerbebetrieb in ihrer Heimatgemeinde folgendes an:
“… allgemeine Sekretariats- und Verwaltungsarbeiten, Urlaubsvertretungen, Schreibdienst, Datenerfassung, Orga der Textverarbeitung und Erstellen von Formularen, Büro- und Buchungstätigkeiten beim Kunden (eine Arbeitnehmerüberlassung)”
Die Klägerin wurde seit Mai 1990 für die Beklagte selbst sowie für konzernangehörige Unternehmen der Beklagten in deren jeweiligen Arbeitsräumen tätig; im wesentlichen übernahm sie Sekretariatsarbeiten und Arbeiten einer Sachbearbeiterin im Vertrieb. Jeden einzelnen dieser – zum Teil langfristig im voraus geplanten und vereinbarten – Aufträge rechnete die Klägerin gesondert mit dem vereinbarten Stundensatz zuzüglich Mehrwertsteuer ab. Am Anfang lagen zwischen den einzelnen Auftragsperioden noch zeitliche Lücken; die Tätigkeit der Klägerin intensivierte sich dann jedoch. In der Zeit vom 1. Dezember 1991 bis zum 30. September 1992 war die Klägerin wie folgt tätig:
Beschäftigungszeitraum vom: |
Abteilung |
bestätigt am: |
09.12.91 – 31.12.91 |
Vertriebsleasing Herr G… |
01.12.91 |
01.01.92 – 31.01.92 |
Vertriebsleasing Herr G… |
27.12.91 |
01.03.92 – 13.03.92 |
Vertriebsleasing Herr G… |
06.01.92 |
16.03.92 – 03.04.92 |
Vertrieb Zentral Kfz./Herr T… |
06.01.92 |
06.04.92 – 22.04.92 |
Vertriebsleasing Herr G… |
06.03.92 |
23.04.92 – 09.05.92 |
Vertrieb Zentral Ind./Herr S… |
24.01.92 |
11.05.92 – 15.05.92 |
Vertrieb Zentral Ind./Herr S… |
06.01.92 |
18.05.92 – 22.05.92 |
Vertriebsleasing Herr G… |
06.03.92 |
(verlängert – 25.05.92) |
25.05.92 – 19.06.92 |
Abt. Export Herr H… |
24.01.92 |
(tatsächlich 26.05. – 19.06.92) |
22.06.92 – 30.06.92 |
Vertriebsleasing Herr G… |
06.03.92 |
01.07.92 – 24.07.92 |
Vertriebsleasing Herr G… |
20.05.92 |
27.07.92 – 14.08.92 |
Kredit/Finanz H.…K…/H.…H… |
06.01.92 |
17.08.92 – 30.09.92 |
Vertriebsleasing Herr G… |
20.05.92 |
Jeden einzelnen dieser Aufträge hat die Klägerin ausdrücklich bestätigt.
Während ihrer Tätigkeit für die Beklagte hatte der Mitarbeiter der Beklagten G… zunächst wiederholt versucht, die Klägerin zum Abschluß eines Arbeitsvertrages zu bewegen. Die Klägerin lehnte das ab. Schließlich erklärte sie sich aber hierzu bereit. Die Parteien schlossen einen schriftlichen Arbeitsvertrag. Danach trat die Klägerin am 1. Oktober 1992 als Vertriebsassistentin in die Dienste der Beklagten. Es wurde eine wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden pro Woche vereinbart. Zugleich wurde eine Probezeit von sechs Monaten mit einer Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende vorgesehen. Die Bezüge betrugen 5.700,00 DM brutto im Monat, nach erfolgreich beendeter Probezeit 6.000,00 DM. Von der Beklagten wurde der Arbeitsvertrag am 16. Oktober 1992 unterzeichnet, von der Klägerin am 6. November 1992.
Die Beklagte hatte die Klägerin anläßlich ihrer Bewerbung um den Arbeitsplatz aufgefordert, Arbeitszeugnisse vorzulegen. Dem war die Klägerin nicht nachgekommen. Für die Zeit ihrer Betätigung für die Beklagte und deren konzernzugehörigen Unternehmen hatte die Klägerin allerdings die Abteilungsleiter, für die sie tätig gewesen war, um Zeugnisse gebeten. Hierauf erteilte ihr die Beklagte eine die gesamte Tätigkeit zusammenfassende Referenz, in der es wie folgt heißt:
“Frau … R…, geboren am 7. November 1952, war von Mai 1990 bis September 1992 als freie Mitarbeiterin in unserer Unternehmensgruppe tätig.
Frau R… wurde gern als Urlaubs- und Krankheitsvertretung angefordert. Sie war als Sachbearbeiterin und Sekretärin in den Bereichen Vertriebsleasing, Export, Vertrieb Zentral sowie in den Zentralbereichen Finanzen/Kredit und Recht als Sekretärin tätig.
Frau R… hat sich in die ihr übertragenen Aufgabenbereiche zügig eingearbeitet und die ihr übertragenen Tätigkeiten selbständig, zuverlässig und zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt.
Ihr Organisationstalent, ihre Einsatzfreudigkeit und Kontaktfähigkeit wurde von ihren Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen sehr geschätzt.
Frau R… hat sich auf eine interne Stellenausschreibung im Geschäftsbereich Vertriebsleasing unserer Spartengesellschaft D… GmbH als Vertriebsassistentin beworben und dort ihre Tätigkeit am 1. Oktober 1992 aufgenommen.
Frankfurt am Main, 30. September 1992”
Die Beklagte übergab der Klägerin diese Referenz mit einem Anschreiben, in welchem es wie folgt heißt:
“…
für die Zeit Ihrer Tätigkeit als freie Mitarbeiterin in unserer Unternehmungsgruppe baten Sie um die Erteilung von Referenzen von den Bereichen, in denen Sie tätig waren.
Sie erhalten als Anlage ein Referenzschreiben von der D… GMBH, aus dem hervorgeht, in welchen Bereichen Sie während ihrer freien Mitarbeitertätigkeit eingesezt wurden.
Wir dürfen Sie nunmehr letztmalig bitten, uns zur Komplettierung der Personalakte auch Zeugniskopien für die Zeit vor Ihrer Selbständigkeit zur Verfügung zu stellen. Wir erwarten die Unterlagen bis Mittwoch, 09. Dezember 1992.
…”
Die Klägerin weigerte sich weiterhin, für diese Zeit Arbeitszeugnisse vorzulegen; sie schrieb der Beklagten unter dem 10. Dezember 1992 u.a.:
“… In dem beigefügten Anschreiben fordern Sie mich wiederum auf, die über 2 Jahre alten Arbeitszeugnisse vorzulegen. Dazu möchte ich folgendes klarlegen: Es war ursprünglich nicht meine Idee, mich in der Firma fest anstellen zu lassen. Ich habe dem Wunsch und dem Werben des Herrn G… nachgegeben…”
Am selben Tag (10. Dezember 1992) stellte die Beklagte die Klägerin von der Arbeit frei und hörte den Betriebsrat zu einer von der Beklagten beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin während der Probezeit an. In dem Anhörungsschreiben an den Betriebsrat vom 9. Dezember 1992 heißt es:
“…
Die Gründe für die Kündigung liegen im Verhalten von Frau R… und ihrer Einstellung zum Unternehmen:
- Den Anstellungsvertrag konnten wir erst Mitte Oktober schreiben, da uns die notwendigen Unterlagen für den Betriebsrat nicht vorlagen. Erst nach mehrmaliger Aufforderung erhielten wir endlich den Lebenslauf, aber keine Zeugnisse.
- Am 11. November hat Frau R… dann endlich den A-Vertrag unterschrieben zurückgegeben.
- Notwendige Unterlagen zur Gehaltsabrechnung und Komplettierung der Personalakte (z.B. Bezugsberechtigung für die Unfallversicherung mußte 2× zurückgegeben werden, da falsch oder gar nicht ausgefüllt) fehlten noch immer.
Frau R… wurde mehrmals mündlich und schriftlich gebeten, vor allem ihre Zeugnisse einzureichen.
Ihre Antwort lautete: Sie sähe nicht ein, uns Zeugnisse zu geben. Sie hätte auch keine Zeit dazu.
- Daraufhin hat Frau R… jeden Bereich, in dem sie während ihrer Aushilfstätigkeit geararbeitet hat, um eine Referenz gebeten. Von der Personalabteilung wurde ihr eine Referenz für alle Bereiche ausgestellt.
- Mit dem Begleitschreiben baten wir nochmals um Übergabe der Unterlagen mit Fristsetzung zum 09.12.1992. Der Brief wurde Frau R… am Montag 07.12.1992 durch Frau T… persönlich übergeben. Auf Befragen von Herrn G… am 09.12.1992, ob sie die Unterlagen nunmehr bei sich hat, antwortete sie, keinen Brief erhalten zu haben. Erst nach nochmaliger Befragung gab sie zu, einen Brief bekommen zu haben, ihn aber nicht gelesen hätte.
Die Herren P… und G… und auch die Personalabteilung sind der Meinung, daß eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr gewährleistet ist. …”
Der Betriebsrat antwortete hierauf im Anhörungsformular, er gebe keine Stellungnahme zur obengenannten Kündigung ab, sei aber der Meinung, daß die beigefügte Begründung keinen Grund für eine firmenseitige Kündigung darstelle. Die schriftliche Stellungnahme des Betriebsrates ist mit dem Datum 20. Dezember 1992 versehen worden; das Datum wurde berichtigt auf den 10. Dezember 1992. Am 14. Dezember 1992 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31. Januar 1993.
Mit ihrer am 31. Dezember 1992 eingereichten Klage setzt sich die Klägerin gegen diese Kündigung zur Wehr. Sie hat geltend gemacht, sie habe seit Beginn ihrer Beschäftigung für die Beklagte und deren Konzernunternehmen durchgehend in einem Arbeitsverhältnis gestanden. Ihr Arbeitsverhältnis unterliege daher auch dem Kündigungsschutzgesetz, denn aufgrund der Beschäftigung vor Abschluß des Arbeitsvertrags sei die sechsmonatige Wartezeit des § 1 KSchG erfüllt. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden; zumindest hätte die Wochenfrist abgewartet werden müssen, weil der Betriebsrat ausdrücklich keine Stellungnahme abgegeben habe. Die Beklagte müsse sie, Klägerin, auch weiterbeschäftigen.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen,
- daß die Klägerin seit Mai 1990 zur Beklagten in einem Arbeitsverhältnis steht,
- daß die mit Schreiben der Beklagten vom 14.12.1992 ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses und soweit in der Freistellung vom 10.12.1992 eine Kündigung liegt, auch diese Kündigung unwirksam ist und daß das Arbeitsverhältnis über den 31.01.1993 hinaus fortbesteht,
- die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den 31.01.1993 weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat entgegnet: Bis zum Abschluß des förmlichen Arbeitsvertrages habe zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis bestanden. Die Klägerin sei vielmehr ihrem ausdrücklichen Wunsch entsprechend als freie Mitarbeiterin beschäftigt worden. Die Klägerin habe es immer wieder abgelehnt, ein Arbeitsverhältnis einzugehen. Schließlich habe sich die Klägerin doch zum Abschluß eines Arbeitsvertrages für die Zeit ab 1. Oktober 1992 bereitgefunden. Darin sei eine Probezeit vereinbart worden, denn verschiedene Mitarbeiter hätten nicht mit der Klägerin zusammenarbeiten wollen. Die Kündigung sei aus den Gründen ausgesprochen worden, die dem Betriebsrat mitgeteilt worden seien. Insgesamt habe sich die Klägerin als ungeeignet für den Einsatz als Arbeitnehmerin gezeigt; sie sei nicht bereit gewesen, sich einzuordnen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre zuletzt gestellten Klageanträge uneingeschränkt weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.
I. Der Antrag zu 1a), festzustellen, daß die Klägerin seit Mai 1990 zur Beklagten in einem Arbeitsverhältnis stehe, ist unbegründet.
1. Mit dem Antrag begehrt die Klägerin nicht die Feststellung bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz, sondern bis zu Beginn ihres formellen Arbeitsverhältnisses, d.h. bis zum 30. September 1992, bereits in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden zu haben, und zwar seit Mai 1990.
a) Diese Auslegung des Antrages ist deswegen geboten, weil die Klägerin geltend macht, in dieser Zeit habe – im Gegensatz zur Ansicht der Beklagten – zwischen den Parteien nicht ein Dienstverhältnis eines freien Mitarbeiters bestanden, sondern ein Arbeitsverhältnis. Damit macht die Klägerin zwei rechtliche Aspekte zum Gegenstand ihrer Feststellung, nämlich einmal den Status (d.h. ihre “Arbeitnehmereigenschaft”), zum anderen begehrt sie die Feststellung, daß – trotz der Befristung der jeweiligen – zwischen den Parteien ein durchgehendes, nicht durch Befristungen unterbrochenes Arbeitsverhältnis bestanden habe.
b) Für die Zeit ab 1. Oktober 1992 stellen sich diese Fragen nicht. Es ist unstreitig, daß die Klägerin seit dem 1. Oktober 1992 in einem förmlich vereinbarten Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden hat. Dieses Verständnis wird unterstützt durch den Antrag zu 1b). Darin begehrt die Klägerin nicht nur die Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden sei, sondern ausdrücklich auch die Feststellung, daß dieses Arbeitsverhältnis über den 31. Januar 1993 hinaus weiter fortbestehe. Es ist nicht anzunehmen, daß die Klägerin insoweit – was den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses betrifft – gleichzeitig zwei Feststellungen beantragt hat.
2. Der Antrag, festzustellen, daß zwischen den Parteien in der Zeit von Mai 1990 bis zum 30. September 1992 ein – durchgehendes – Arbeitsverhältnis bestanden hat, nicht aber eine Anzahl befristeter Dienstverhältnisse als freie Mitarbeiterin der Beklagten, ist nicht begründet. Dies hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.
Die Klägerin kann sich wegen Rechtsmißbrauchs nach § 242 BGB gegenüber der Beklagten nicht darauf berufen, in der Zeit von Mai 1990 bis zum 30. September 1992 Arbeitnehmerin der Beklagten gewesen zu sein, sei es, daß die einzelnen Aufträge sich als jeweils befristete Arbeitsverhältnisse darstellen, sei es, daß zwischen den Parteien sogar ein einheitliches Arbeitsverhältnis bestanden haben soll. Einem solchen Vorgehen der Klägerin steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Er kann auf allen Rechtsgebieten und bei allen Rechtsverhältnissen geltend gemacht werden (vgl. statt vieler: Erman/Werner, BGB, 9. Aufl. 1993, § 242 BGB Rz 75).
a) Der Rechtsmißbrauch liegt hier unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens vor. Wer durch seine Erklärungen oder durch sein Verhalten bewußt oder unbewußt eine Sach- oder Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der andere Teil verlassen durfte und verlassen hat, darf dieses Vertrauen nicht enttäuschen. Es würde gegen Treu und Glauben verstoßen und das Vertrauen in den redlichen Rechtsverkehr erschüttern, wäre es erlaubt, sich nach Belieben mit eigenen früheren Erklärungen und Verhalten derart in Widerspruch zu setzen. Dieses Verbot des Selbstwiderspruchs hindert auch Vertragsparteien daran, sich auf die Unwirksamkeit eines Vertrages zu berufen, den sie lange Zeit als rechtswirksam angesehen und beiderseits erfüllt haben (Soergel/Teichmann, BGB, 12. Aufl. 1990, § 242 Rz 317 ff.; Erman/Werner, aaO, § 242 BGB Rz 79). Insbesondere ist das Vertrauen des anderen am Rechtsverhältnis beteiligten Teiles darauf schutzwürdig, daß eine bestimmte Rechtslage gegeben sei, insbesondere dann, wenn er vom anderen Teil in diesem Glauben bestärkt worden ist (Roth in MünchKomm, 3. Aufl., § 242 BGB Rz 333). Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht es als rechtsmißbräuchlich angesehen, daß ein Hausarbeitsgewerbetreibender zunächst seinem Auftraggeber versichert hatte, aus tatsächlichen Gründen nicht der Gleichstelstellung nach dem Heimarbeitsgesetz zu unterfallen, dann aber später unter Berufung auf seine Gleichstellung Nachforderungen gegen den Auftraggeber erhob (BAG Urteil vom 10. Juli 1969 – 5 AZR 489/68 – AP Nr. 6 zu § 2 HAG).
b) Die Voraussetzungen des Rechtsmißbrauchs liegen vor.
Die Klägerin hat durch ihr Beharren darauf, zur Beklagten nicht in ein Arbeitsverhältnis zu treten, sondern als freie Mitarbeiterin tätig zu sein, eine Sachlage geschaffen, auf die sich die Beklagte verlassen hat und auch verlassen durfte. Denn die Klägerin hat es nicht nur seit Beginn ihrer Tätigkeit für die Beklagte, sondern auch während der Zeit ihrer Auftragsleistungen für die Beklagte – bis zuletzt – immer wieder abgelehnt, den Anwerbeversuchen der Beklagten nachzukommen und zur Beklagten in ein Arbeitsverhältnis zu treten. Erst im Oktober 1992 hat die Klägerin, nach ihren eigenen Worten, allein dem Werben des Herrn G… nachgegeben und einen Arbeitsvertrag geschlossen.
Die Beklagte hat darauf vertrauen dürfen, daß die Klägerin für sie als freie Mitarbeiterin tätig geworden ist. Anders ist nicht zu erklären, daß die Beklagte wiederholt und lange vergeblich versucht hat, die Klägerin für ein Arbeitsverhältnis zu gewinnen. Die Klägerin handelt treuwidrig, wenn sie nunmehr ihr eigenes Verhalten als unbeachtlich bewertet wissen will und jetzt – im Prozeß – vorträgt, die verschiedenen Einsätze bei verschiedenen Mitarbeitern und in verschiedenen Abteilungen der Beklagten beruhten darauf, daß die Beklagte ihr Weisungsrecht ausgeübt habe. Gerade dem Weisungsrecht der Beklagten hat sich die Klägerin nicht unterordnen wollen, zumindest nicht, soweit es um den Ort und die Zeit ihrer Tätigkeit bzw. um die Person, der sie zuzuarbeiten hatte, ging. Sie war es, die darauf bestanden hat, stets nur einzelne Aufträge zu erhalten und diese von Fall zu Fall schriftlich zu bestätigen. Sie hat sich damit Weisungen der Beklagten, soweit es darum geht, in welcher Abteilung und für wen sie in welcher Zeit zu arbeiten hatte, gerade entzogen.
Andererseits ist nicht auszuschließen, daß die Klägerin innerhalb des von ihr selbst bestimmten Rahmens Arbeiten geleistet hat, bei denen sie dem Direktionsrecht der Beklagten unterlegen gewesen sein kann. Hierfür spricht vor allem die Art der Tätigkeit, nämlich Sekretariatsarbeit und Sachbearbeitung. Solche Tätigkeiten werden typischerweise in Arbeitsverhältnissen ausgeübt. Indessen bedarf es keiner weiteren Aufklärung, inwieweit die Klägerin insoweit dem Direktionsrecht der Beklagten tatsächlich unterlag. Denn selbst wenn dies unterstellt wird, kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, vor dem 1. Oktober 1992 Arbeitnehmerin der Beklagten gewesen zu sein, denn damit verstößt sie gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).
II. Der Kündigungsschutzantrag (Antrag zu 1b) ist unbegründet. Auch dies haben die Vorinstanzen zu Recht erkannt.
1. Die Klägerin kann nicht geltend machen, daß die Kündigung nach § 1 KSchG mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam sei. Die Klägerin hat die sechsmonatige Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG nicht erfüllt. Weil sich die Klägerin nicht darauf berufen kann, vor dem 1. Oktober 1992 Arbeitnehmerin gewesen zu sein, kann die Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG nicht als erfüllt erachtet werden. Die Kündigung ist bereits im Dezember 1992 ausgesprochen worden, d.h. im dritten Monat nach Beginn des förmlich abgeschlossenen Arbeitsverhältnisses.
2. Die Kündigung ist auch nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrates gem. § 102 BetrVG rechtsunwirksam.
a) Bei einer Kündigung in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses richtet sich der Inhalt der Mitteilungspflicht des Arbeitgebers nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht nach den objektiven Merkmalen der Kündigungsgründe des dann nicht anwendbaren § 1 KSchG, sondern nach den Umständen, aus denen der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluß herleitet (BAG Urteil vom 18. Mai 1994 – BAGE 77, 13 = AP Nr. 64 zu § 102 BetrVG 1972). Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn der Arbeitgeber ihm die aus seiner Sicht tragenden Umstände für die Kündigung unterbreitet hat (BAG Urteil vom 22. September 1994 – 2 AZR 31/94 – AP Nr. 68 zu § 102 BetrVG 1972).
b) Diese Voraussetzungen sind hier beachtet worden. Die Beklagte hat dem Betriebsrat die sie aus ihrer Sicht bewegenden Gründe für eine ordentliche Kündigung der Klägerin während der Probezeit mitgeteilt.
c) Zu Unrecht meinte die Klägerin, die Beklagte hätte die einwöchige Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zur Anhörung bei einer ordentlichen Kündigung wahren müssen, weil sich der Betriebsrat “nicht zur Kündigung geäußert habe”. Der Betriebsrat hat sich zur Kündigung geäußert, und zwar in der Weise, daß er hierzu keine Stellungnahme in der Sache abgeben wolle. Das genügt. Die entsprechende Mitteilung des Betriebsrates vom 10. Dezember 1992 ist der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung, nämlich am 13. Dezember 1992, zugegangen. Die Kündigung ist am 14. Dezember 1992 erklärt worden.
III. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist unbegründet. Er ist auf eine vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin gerichtet. Ein Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses setzt voraus, daß ein stattgebendes Urteil erster Instanz oder zweiter Instanz vorliegt. Daran fehlt es.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke, Müller, Rolf Steinmann
Fundstellen
Haufe-Index 885455 |
NJW 1997, 2618 |
NZA 1997, 818 |