Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewährungsaufstieg einer teilzeitbeschäftigten Lehrkraft. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Unbilligkeit der Regelung des Runderlasses vom 20. November 1981 (GABl. NW 1982 S. 7) zum Bewährungsaufstieg für Lehrkräfte mit weniger als der Hälfte der Pflichtstundenzahl
Leitsatz (amtlich)
- Die Eingruppierungserlasse für Lehrer unterliegen der gerichtlichen Billigkeitskontrolle.
- Schreibt ein Runderlaß vor, daß ein teilzeitbeschäftigter Lehrer mit der Hälfte der Pflichtstundenzahl nach derselben Bewährungszeit wie ein vollzeitbeschäftigter Lehrer im Wege des Bewährungsaufstiegs aufrückt, so genügen die Erlaßregeln nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn bei einem Teilzeitbeschäftigten mit weniger als der Pflichtstundenzahl die Bewährungszeit verdoppelt wird. Vielmehr ist insoweit eine angemessene Abstufung vorzunehmen.
Normenkette
BGB § 315; Runderlaß des Kultusministers NW vom 20. November 1981 Nr. 4.3, Nr. 8.1
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 05.07.1991; Aktenzeichen 13/10 Sa 72/91) |
ArbG Köln (Urteil vom 16.11.1990; Aktenzeichen 10 b Ca 6544/90) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 5. Juli 1991 – 13/10 Sa 72/91 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 16. November 1990 – 10 b Ca 6544/90 – insoweit abgeändert, als es die Klage abgewiesen hat.
Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin weitere 1.785,71 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem entsprechenden Nettobetrag seit 3. Januar 1989 zu zahlen.
Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die 40jährige Klägerin steht seit 1. September 1975 in den Diensten des beklagten Landes und wird an einem Gymnasium als Lehrerin für Biologie und Französisch beschäftigt. Sie hat die Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Hauptschulen und Realschulen abgelegt.
In der Zeit vom 1. September 1975 bis 31. Juli 1976 war die Klägerin vollzeitbeschäftigt. Seit 1. August 1976 wird sie mit einer wöchentlichen Pflichtstundenzahl von elf Stunden, das sind 11/24 der Pflichtstundenzahl eines vollzeitbeschäftigten Lehrers, beschäftigt. Sie erfüllt nicht die fachlichen und pädagogischen Voraussetzungen zur Übernahme in das Beamtenverhältnis.
Das beklagte Land gewährte der Klägerin zunächst Vergütung nach Jahreswochenstunden. In einem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 8. Juni 1988 haben die Parteien vereinbart, daß die Klägerin mit Wirkung vom 1. Januar 1988 nach dem Runderlaß des Kultusministers Nordrhein-Westfalen vom 20. November 1981, der die “Eingruppierung der im Angestelltenverhältnis beschäftigten Lehrkräfte an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, die die fachlichen und pädagogischen Voraussetzungen zur Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht erfüllen” (sogenannter Nichterfüllererlaß) betrifft, in der jeweils geltenden Fassung eingruppiert wird.
Mit der am 28. Dezember 1988 bei Gericht eingegangenen Klage hat die Klägerin restliche Vergütungsansprüche für die Jahre 1986 und 1987 nach VergGr. IIa BAT geltend gemacht.
Die Klägerin hat beantragt,
- das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin 29.457,71 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Klageerhebung (3. Januar 1989) zu zahlen;
- festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin für die Jahre 1986 und 1987 11/24 des ihr nach dem BAT zustehenden Urlaubsgeldes, des Weihnachtsgeldes, der Zuwendungen und vermögenswirksamen Leistungen zu zahlen sowie ihr den entsprechenden Anteil bei der Zusatzversorgungskasse des Bundes und der Länder (VBL) zu gewähren.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und sich in erster Linie auf den Ablauf der tariflichen Ausschlußfrist des § 70 BAT berufen.
Das Arbeitsgericht hat das beklagte Land verurteilt, an die Klägerin 27.672,-- DM brutto nebst Zinsen zu zahlen und den Zahlungsantrag im übrigen abgewiesen, weil der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1986 nur Vergütung nach VergGr. III BAT zustehe. Dem Feststellungsantrag hat das Arbeitsgericht in vollem Umfang stattgegeben.
Gegen den klagabweisenden Teil des Urteils des Arbeitsgerichts hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das beklagte Land hat nur insoweit Berufung eingelegt, als das Arbeitsgericht die Verpflichtung des Landes festgestellt hat, der Klägerin für die Jahre 1986 und 1987 den ihrem wöchentlichen Unterrichtsdeputat (11/24) entsprechenden Anteil bei der Zusatzversorgungskasse des Bundes und der Länder (VBL) zu gewähren.
Das Landesarbeitsgericht hat durch Teilurteil die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision insoweit zugelassen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Verurteilung des Landes zur Zahlung von weiteren 1.785,71 DM. Das Land beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils, soweit sie die Klage abgewiesen haben. Das beklagte Land ist verpflichtet, an die Klägerin weitere 1.785,71 DM brutto als Restvergütung für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1986 zu zahlen. Denn der Klägerin steht für diesen Zeitraum Vergütung nach VergGr. IIa BAT zu.
Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, daß auch im Klagezeitraum (1. Januar bis 31. August 1986) auf ihr Arbeitsverhältnis der jeweilige Runderlaß des Kultusministers Nordrhein-Westfalen über die “Eingruppierung der im Angestelltenverhältnis beschäftigten Lehrer an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, die die fachlichen und pädagogischen Voraussetzungen zur Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht erfüllen” (sogenannter Nichterfüllererlaß) Anwendung findet. Damit liegt eine – zumindest konkludente – Vereinbarung des jeweils geltenden Nichterfüllererlasses vor. Danach kommt für die Klägerin für den Klagezeitraum folgende Bestimmung des Nichterfüllererlasses vom 20. November 1981 (GABl. NW 1982 S. 7) in Betracht:
- Lehrer an Gymnasien
- …
Lehrer in der Tätigkeit von Studienräten
mit abgeschlossenem Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule,
die überwiegend in einem ihrem Studium entsprechenden wissenschaftlichen Fach Unterricht erteilen … III
nach mindestens sechsjähriger Bewährung in dieser Tätigkeit und in dieser Vergütungsgruppe … IIa
Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß die Klägerin an einem Gymnasium in einem ihrem Studium entsprechenden wissenschaftlichen Fach Unterricht erteilt und demgemäß die Voraussetzungen der Fallgruppe 4.3 des Nichterfüllererlasses erfüllt. Danach steht ihr aber auch für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1986 Vergütung nach VergGr. IIa BAT zu, weil sie am 1. Januar 1986 bereits die sechsjährige Bewährungszeit in ihrer Tätigkeit vollendet hatte.
Zur Berechnung der Bewährungszeit bestimmt Nr. 8 des Nichterfüllererlasses:
- Bewährungsaufstieg
- Für den Aufstieg eines Lehrers in eine Vergütungsgruppe mit höherer Endgrundvergütung ist eine im öffentlichen Schuldienst mit mindestens der Hälfte der Pflichtstundenzahl abgeleistete Lehrtätigkeit voll, eine mit weniger als der Hälfte der Pflichtstundenzahl abgeleistete Lehrtätigkeit zur Hälfte als Bewährungszeit zu berücksichtigen.
Wendet man diese Vorschrift auf das Arbeitsverhältnis der Parteien an, ist der Klägerin ihre Lehrtätigkeit in der Zeit vom 1. September 1975 bis 31. Juli 1976 voll und die danach folgende Zeit zur Hälfte anzurechnen. Das bedeutet, daß auf die Bewährungszeit der Klägerin bis 31. August 1986 elf Monate (1. September 1975 bis 31. Juli 1976) plus 60,5 Monate (1. August 1976 bis 31. August 1986 = 121 Monate : 2) = 71,5 Monate anzurechnen sind, das sind insgesamt weniger als sechs Jahre. Danach hatte die Klägerin im Klagezeitraum die sechsjährige Bewährungszeit nicht erfüllt.
Die Bestimmung der Nr. 8.1 des Nichterfüllererlasses, der als einseitige Leistungsbestimmung des Arbeitgebers einer gerichtlichen Angemessenheits- und Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterworfen ist (BAG Urteil vom 28. März 1990 – 4 AZR 619/89 – AP Nr. 26 zu §§ 22, 23 BAT Lehrer), ist jedoch zumindest insoweit unbillig und wegen Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unwirksam, als danach Lehrkräften, die zu 11/24 einer vollzeitbeschäftigten Lehrkraft beschäftigt werden, die Lehrtätigkeiten nur zur Hälfte, Lehrkräften, die nur eine Stunde wöchentlich mehr, nämlich 12/24 einer vollzeitbeschäftigten Lehrkraft, beschäftigt werden, aber die Lehrtätigkeit in voller Höhe auf die Bewährungszeit angerechnet wird.
Selbst wenn man davon ausgeht, daß für eine in zeitlichem Umfang geringer beschäftigte Lehrkraft eine längere Bewährungszeit als für eine zeitlich mehr beschäftigte Lehrkraft sachlich gerechtfertigt ist, weil eine Lehrkraft bei geringerer Arbeitszeit im gleichen Zeitraum weniger Berufserfahrung sammeln kann als eine zeitlich mehr beschäftigte Lehrkraft, rechtfertigt dies jedoch grundsätzlich nur eine der jeweiligen Arbeitszeit entsprechende Staffelung der Bewährungszeiten. Hierbei können auch Pauschalierungen vorgenommen werden, wenn diese – was ihr Zweck ist – der einfacheren Berechnung der Bewährungszeiten dienen. Die Pauschalierungen müssen jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen, der im Arbeitsrecht zugunsten der Arbeitnehmer als soziales Schutzprinzip gilt (vgl. KR-Wolf, 3. Aufl., Grunds. Rz 280) und jedenfalls auch ein Gebot der Billigkeit ist.
Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf der Arbeitgeber bei Regelungen, die sich zuungunsten von Arbeitnehmern auswirken, nur von dem mildesten, ihm noch zumutbaren Mittel Gebrauch machen (vgl. KR-Wolf, aaO). Eine Pauschalierung entspricht danach nicht mehr dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn ihr Zweck – einfachere Berechnungsweise – auf andere, den Arbeitnehmer weniger belastende Weise erreicht werden kann. Dieser Zweck (“einfachere Berechnungsweise”) würde im vorliegenden Fall z. B. bereits erreicht, wenn für jede Unterrichtsstunde, die wöchentlich weniger zu leisten ist, um die Lehrtätigkeit als Bewährungszeit voll anrechnen zu können, ein Abschlag von 10 % bei der Anrechnung der Lehrtätigkeit auf die Bewährungszeit vorgenommen wird. Dies müßte die Klägerin hinnehmen, obwohl die Zahl ihrer Unterrichtsstunden (elf) nur um 8,33 % unter der Zahl der Unterrichtsstunden (zwölf) liegt, die zur vollen Anrechnung der Lehrtätigkeit auf die Arbeitszeit führen. Führt hingegen – wie nach dem Eingruppierungserlaß des Kultusministers Nordrhein-Westfalen – eine um 8,33 % verringerte Arbeitszeit zu einer um 50 % verkürzten Anrechnung auf Bewährungszeiten, stellt dies eine unverhältnismäßige Benachteiligung des betreffenden Arbeitnehmers dar, für die kein sachlicher Grund ersichtlich ist und vom beklagten Land auch nicht geltend gemacht wird. Eine solche Regelung ist damit unbillig.
Wenn man – entsprechend der geringeren Beschäftigung der Klägerin – für sie bei der Anrechnung ihrer Lehrtätigkeit auf die Bewährungszeit einen Abschlag von 10 % (statt 50 %) vornimmt, hatte sie die Bewährungszeit bereits vor dem 1. Januar 1986 erreicht. Ein höherer Abschlag als 10 % je Unterrichtsstunde ist auch im Rahmen einer Pauschalierung unbillig.
Da der Klage schon nach den Grundsätzen der Billigkeit und Verhältnismäßigkeit stattzugeben war, kann dahingestellt bleiben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen bei einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer überhaupt eine anteilmäßige Verlängerung der Bewährungszeiten, d. h. ein der Arbeitszeit entsprechender Abschlag bei der Anrechnung der Beschäftigungsdauer auf die Bewährungszeit, sachlich gerechtfertigt ist und ob im vorliegenden Fall auch ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 119 EWG-Vertrag vorliegt.
Das beklagte Land hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Schaub, Schneider, Dr. Etzel, Müller-Tessmann, E. Wehner
Fundstellen
Haufe-Index 846745 |
NZA 1992, 1041 |
RdA 1992, 288 |