Entscheidungsstichwort (Thema)
13. Monatseinkommen. dauernde Arbeitsunfähigkeit. Bestätigung der Urteile des Zehnten Senats vom 5. August 1992 – 10 AZR 88/90 – und – 10 AZR 171/91 – sowie vom 2. September 1992 – 10 AZR 596/90 -
Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitnehmer, der während des ganzen maßgeblichen Berechnungszeitraums vom 1. Dezember des Vorjahres bis zum 30. November des laufenden Kalenderjahres arbeitsunfähig krank war, kann das 13. Monatseinkommen nach dem Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 27. April 1990 beanspruchen (Aufgabe der gegenteiligen Rechtsprechung in den Urteilen vom 29. August 1979 – 5 AZR 763/78 – und – 5 AZR 511/79 – AP Nr. 102 und 104 zu § 611 BGB Gratifikation).
Normenkette
BGB § 611; Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 27. April 1990 § 2
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 26.07.1991; Aktenzeichen 2 Sa 556/91) |
ArbG Essen (Urteil vom 07.03.1991; Aktenzeichen 1 Ca 3357/90) |
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 26. Juli 1991 – 2 Sa 556/91 – aufgehoben.
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 7. März 1991 – 1 Ca 3357/90 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung und der Revision.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung eines 13. Monatseinkommens für das Jahr 1990.
Der am 16. April 1936 geborene Kläger ist seit dem 1. März 1965 bei der Beklagten als Baggerführer mit einer Vergütung von zuletzt 4.269,00 DM brutto beschäftigt. Der Gesamttarifstundenlohn für die vom Kläger zu leistende Arbeit beträgt 22,51 DM brutto. Seit dem 22. Mai 1989 ist der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 27. April 1990 (im folgenden: TV 13.ME-Baugewerbe) Anwendung; dieser lautet – soweit hier von Bedeutung – wie folgt:
§ 2
13. Monatseinkommen
Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30. November des laufenden Kalenderjahres (Stichtag) mindestens zwölf Monate ununterbrochen besteht, haben Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen. Es beträgt
im Jahr 1990 |
7,9 v. H., |
ab 1. Januar 1991 |
9,3 v. H., |
ab 1. Januar 1992 |
10,7 v. H., |
ihres in der Zeit vom 1. Dezember des Vorjahres bis zum Stichtag (Berechnungszeitraum) erzielten Arbeitsentgelts, mindestens jedoch das 102fache ihres in der Lohntabelle ausgewiesenen Gesamttarifstundenlohnes (Mindestbetrag).
Arbeitsentgelt ist der Gesamttarifstundenlohn, der sich für den Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Fälligkeit des 13. Monatseinkommens aus der Lohntabelle ergibt, vervielfacht mit der Zahl der im Berechnungszeitraum tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden. Als solche gelten auch die Stunden, für die nach
- dem Lohnfortzahlungsgesetz,
- dem Betriebsverfassungsgesetz,
- dem Montan-Mitbestimmungsgesetz,
- dem Mitbestimmungsgesetz sowie
- dem Schwerbehindertengesetz
ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts bestand.
- Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am Stichtag noch nicht zwölf Monate, jedoch mindestens drei Monate ununterbrochen besteht, haben Anspruch auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen. Es bemißt sich mit dem Vomhundertsatz gemäß Abs. 1 von dem Arbeitsentgelt (Abs. 2), welches die Arbeitnehmer in diesem Arbeitsverhältnis bis zum Stichtag (Berechnungszeitraum) erzielt haben. Es beträgt mindestens für jeden vollen Beschäftigungsmonat in diesem Arbeitsverhältnis ein Zwölftel des Mindestbetrages gemäß Absatz 1.
- Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers oder durch Fristablauf vor dem Stichtag endet und deren Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Ausscheidens mindestens drei Monate ununterbrochen bestanden hat, haben gleichfalls Anspruch auf ein anteiliges 13. Monatseinkommen. Es bemißt sich mit dem Vomhundertsatz gemäß Abs. 1 von dem Arbeitsentgelt (Abs. 2), welches die Arbeitnehmer in diesem Arbeitsverhältnis in der Zeit vom 1. Dezember des Vorjahres bis zu seiner Beendigung (Berechnungszeitraum) erzielt haben. Es beträgt mindestens für jeden vollen Beschäftigungsmonat in diesem Arbeitsverhältnis seit dem 1. Dezember des Vorjahres ein Zwölftel des Mindestbetrages gemäß Abs. 1. Der Anspruch besteht auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis von dem Arbeitnehmer gekündigt wird, um die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu schaffen, oder wenn es einvernehmlich aufgehoben wird.
- Ist die in den Absätzen 3 und 4 vorausgesetzte ununterbrochene Beschäftigung von mindestens drei Monaten Dauer nicht erfüllt, so werden zum Erreichen dieser Anspruchsvoraussetzung Teilbeschäftigungszeiten innerhalb der letzten zwölf Monate vor dem 30. November des laufenden Kalenderjahres zusammengerechnet, wenn die jeweilige Unterbrechung nicht länger als sechs Monate gedauert hat.
- …
§ 3
Ansprüche während des Grundwehr- oder Zivildienstes und nach Wiederaufnahme der Arbeit
- Arbeitnehmer, die am Stichtag (§ 2 Abs. 1 Satz 1) Grundwehr- oder Zivildienst leisten, haben keinen Anspruch auf das 13. Monatseinkommen bzw. den Betrag gemäß § 5.
- Arbeitnehmer, die vor dem zweiten Stichtag nach ihrer Einberufung unverzüglich im Anschluß an den Grundwehr- oder Zivildienst die Arbeit in ihrem bisherigen Betrieb wiederaufgenommen haben und deren Arbeitsverhältnis bis zum zweiten Stichtag ununterbrochen besteht, haben Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen. Es beträgt …
- …
§ 8
Nachweis der Arbeitsstunden
Der Arbeitgeber hat die für die Berechnung des 13. Monatseinkommens zugrunde zu legenden tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden (§ 2 Abs. 2) in der Lohnabrechung (§ 5 Nr. 10 BRTV) – erstmals in der Lohnabrechnung für den Monat Juni 1990 – gesondert auszuweisen. Bei Zahlung des 13. Monatseinkommens im Jahr 1990 ist dem Arbeitnehmer die Gesamtzahl der in dem Berechnungszeitraum zugrunde gelegten Arbeitsstunden nachzuweisen.”
Für das Jahr 1990 hat die Beklagte dem Kläger kein 13. Monatseinkommen gezahlt. Mit seiner Klage vom 20. Dezember 1990 macht der Kläger das 13. Monatseinkommen 1990 geltend. Er ist der Auffassung, für den Anspruch sei es nicht erforderlich, daß er irgendeine Arbeitsleistung erbracht habe. Im Bauhauptgewerbe solle ein Arbeitnehmer auch ohne Arbeitsleistung mindestens ein anteiliges 13. Monatseinkommen von 102 Tarifstundenlöhnen erhalten; das sind beim Kläger 2.296,02 DM. Dieses Ergebnis folge aus dem TV 13.ME-Baugewerbe in der Fassung vom 27. April 1990; es komme danach nur darauf an, ob das Arbeitsverhältnis bestanden habe. Diese Voraussetzung erfülle der Kläger. Aus dem TV 13.ME-Baugewerbe ergebe sich, daß die Tarifvertragsparteien Krankheit nicht zum Anlaß für Kürzungen nehmen wollten.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.296,02 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, der Kläger habe keinen Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen 1990, weil er während des Bezugszeitraums nicht gearbeitet habe. Die Tarifvertragsparteien hätten bei mehrfachen Änderungen des Tarifvertrags in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach eine nicht ganz unerhebliche Arbeitsleistung erforderlich sei, keine Regelung getroffen, nach der ein Anspruch auch bei ganzjähriger Krankheit gegeben sein solle. Voraussetzung für die Zahlung des 13. Monatseinkommens – auch des Mindestbetrags – sei daher, daß eine Arbeitsleistung von zwei Wochen erbracht worden sei. Die Zahlung mindestens des 102-fachen Gesamttarifstundenlohns sei aus Gründen des Bestandsschutzes vorgesehen worden, um insbesondere diejenigen Arbeitnehmer zu erfassen, die aus nicht verschuldeten Anlässen zwar eine erhebliche Arbeitsleistung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erbracht hätten, bei Anwendung der Bemessungsgrundsätze aber dennoch unter dem bisher vorgesehenen tariflichen Anspruch lägen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts und zur Wiederherstellung des Ersturteils. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung des 13. Monatseinkommens für das Jahr 1990 nach dem TV 13.ME-Baugewerbe zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe nach dem TV 13.ME-Baugewerbe keinen Anspruch auf Zahlung des 13. Monatseinkommens. Zwar sei der Anspruch nach dem Wortlaut des Tarifvertrags davon abhängig, daß das Arbeitsverhältnis am Stichtag 12 Monate bestehe. Die Höhe des 13. Monatseinkommens sei aber nach dem erzielten Arbeitsentgelt im Berechnungszeitraum zu errechnen, das sich nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden richtet. Sei ein Arbeitnehmer in diesem Zeitraum jedoch durchgehend krank, erziele er kein Arbeitsentgelt. Bestehe kein Anspruch auf Lohnfortzahlung mehr, könne auch ein 13. Monatseinkommen nicht errechnet werden. Auch für die Zahlung des Mindestbetrages nach § 2 Abs. 1 Satz 2 TV 13.ME-Baugewerbe sei Voraussetzung, daß überhaupt ein Arbeitentgelt erzielt worden sei. Sinn und Zweck der tariflichen Sonderzahlung lägen auch darin, eine im Bezugszeitraum geleistete Arbeit zusätzlich zu vergüten. Die tarifliche Übung spreche ebenfalls für diese Auslegung, da die Tarifvertragsparteien in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zunächst eine Änderung des Tarifvertrags nicht vorgenommen hätten und ein 13. Monatseinkommen nur gezahlt worden sei, wenn eine Arbeitsleistung von mindestens 2 Wochen erbracht worden war. Mit der Neuregelung 1990 sei das 13. Monatseinkommen angehoben und der Besitzstand von 102 Tarifstundenlöhnen festgeschrieben worden; eine ausdrückliche Regelung für Dauerkranke sei in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht getroffen worden.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts kann nicht gefolgt werden.
Der Kläger kann die Zahlung eines 13. Monatseinkommens gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz des TV 13.ME-Baugewerbe in Höhe des 102-fachen Gesamttarifstundenlohnes verlangen.
1. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 TV 13.ME-Baugewerbe haben Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30. November des laufenden Kalenderjahres (Stichtag) mindestens 12 Monate ununterbrochen besteht, Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger.
2. Der Anspruch des Klägers besteht in Höhe des 102-fachen Gesamttarifstundenlohnes; der Umstand, daß der Kläger seit 22. Mai 1989 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war und daher weder eine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht noch Arbeitsentgelt erhalten hat, schließt den Anspruch des Klägers nicht aus.
a) Zunächst ist bei der Berechnung des 13. Monatseinkommens nach § 2 Abs. 1 Satz 2 TV 13.ME-Baugewerbe ein bestimmter Vom-Hundert-Satz (1990: 7,9 %) des in der Zeit vom 1. Dezember des Vorjahres bis zum Stichtag (Berechnungszeitraum) erzielten Arbeitsentgelts festzustellen, wobei hierzu der Gesamttarifstundenlohn mit den im Berechnungszeitraum tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden zu vervielfachen ist (§ 2 Abs. 2 Satz 1 TV 13.ME-Baugewerbe). Dabei zählen nach dem TV 13.ME-Baugewerbe auch solche Stunden als tatsächlich geleistete Arbeitsstunden, für die nach dem LohnFG, dem BetrVG, dem Montan-MitbestG, dem MitbestG sowie dem SchwbG ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts besteht (§ 2 Abs. 2 Satz 2 TV 13.ME-Baugewerbe).
Infolge seiner durchgehenden Arbeitsunfähigkeit seit dem 22. Mai 1989 hat der Kläger im danach maßgeblichen Zeitraum keine Arbeitsstunden erbracht und somit kein Arbeitsentgelt erzielt, so daß sich ein Betrag von 0,00 DM ergäbe. Insoweit wird ein Bezug zwischen der tatsächlichen Arbeitsleistung und der Zahlung des 13. Monatseinkommens hergestellt. Stunden, die wegen Ausschöpfens des Lohnfortzahlungszeitraums ohne Lohnzahlung bleiben, sind in der Aufzählung des § 2 Abs. 2 Satz 2 TV 13.ME-Baugewerbe nicht erfaßt. Wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 5. August 1992 (– 10 AZR 171/91 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) festgestellt hat, kann eine solche tarifliche Regelung dazu führen, daß Arbeitnehmer, die während des gesamten Berechnungszeitraums wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit keinen Arbeitsverdienst erzielen, keinen Anspruch auf eine Sonderzahlung haben.
b) Der Kläger hat vorliegend aber einen Anspruch aus § 2 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz TV 13.ME-Baugewerbe. Danach beträgt das 13. Monatseinkommen mindestens das 102-fache des Gesamttarifstundenlohns des Arbeitnehmers. Zeiten ohne Arbeitsleistung und Entgeltzahlung, wie z.B. Krankheitszeiten über den Lohnfortzahlungszeitraum hinaus, bleiben für die Berechnung dieses Mindestanspruchs ohne Einfluß; insoweit setzt der Tarifvertrag eine tatsächliche Arbeitsleistung bzw. Mindestarbeitsleistung nicht voraus. Die Auslegung des TV 13.ME-Baugewerbe ergibt, daß die Tarifvertragsparteien den Arbeitnehmern in jedem Fall den Mindestbetrag zukommen lassen wollten, wenn die vorausgesetzte Beschäftigungszeit erfüllt ist.
Die Auslegung von Tarifverträgen erfolgt – entsprechend der Gesetzesauslegung – in erster Linie nach dem Tarifwortlaut. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, soweit sie in dieser ihren Niederschlag gefunden haben. Ferner ist der tarifliche Gesamtzusammenhang einzubeziehen, da er Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern kann und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend zu ermitteln ist. Bleiben bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs als den stets und in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Gesichtspunkte wie die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags zurückgegriffen werden (BAG Urteil vom 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 24. November 1988 – 6 AZR 243/87 – BAGE 60, 219 = AP Nr. 127 zu § 611 BGB Gratifikation).
Aus seinem Wortlaut und dem Tarifzusammenhang folgt für § 2 TV 13.ME-Baugewerbe, daß das 13. Monatseinkommen ausschließlich nach der Dauer des Bestands des Arbeitsverhältnisses geleistet wird und eine Arbeitsleistung – in welchem Umfang auch immer – nicht voraussetzt. § 2 Abs. 1 Satz 1 TV 13.ME-Baugewerbe verlangt zunächst ein Arbeitsverhältnis am 30. November des laufenden Kalenderjahres, das mindestens 12 Monate ununterbrochen besteht; in diesem Fall sollen die Arbeitnehmer ein 13. Monatseinkommen erhalten. Auch die Regelungen für Arbeitnehmer, die im Laufe des Kalenderjahres ein Arbeitsverhältnis aufnehmen (§ 2 Abs. 3), die vor dem Stichtag ausscheiden oder Grundwehr- bzw. Ersatzdienst leisten (§ 3), zeigen, daß der Anspruch auf das 13. Monatseinkommen allein vom Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängt.
c) Soweit § 2 Abs. 1 Satz 2 in Verb. mit Abs. 2 TV 13.ME-Baugewerbe bei der Berechnung des 13. Monatseinkommens von dem “erzielten Arbeitsentgelt” und von “tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden” ausgeht, steht dies dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Diese Bestimmungen beziehen sich lediglich auf die Höhe des nach Abs. 1 Satz 1 gegebenen Anspruchs auf das 13. Monatseinkommen, normieren aber nicht überhaupt erzieltes Arbeitsentgelt und tatsächlich geleistete Arbeitsstunden als weitere Anspruchsvoraussetzung. In jedem Fall soll das 13. Monatseinkommen mindestens 102 Gesamttarifstundenlöhne betragen.
d) Die tarifliche Regelung setzt auch nicht stillschweigend eine tatsächliche Arbeitsleistung voraus.
Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 5. August 1992 (– 10 AZR 88/90 – zur Veröffentlichung vorgesehen) ausgeführt, daß eine tarifliche Regelung über die Gewährung einer jährlichen Sonderzahlung, die auch im Bezugszeitraum geleistete Arbeit vergüten will, im einzelnen bestimmen kann, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen. Über diese Bestimmung hinaus könne einer solchen Regelung aber nicht der Rechtssatz entnommen werden, daß Voraussetzung für den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung auf jeden Fall eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum von in der Regel zwei Wochen sei. Die anderslautende Rechtsprechung des Fünften und Sechsten Senats (vgl. u.a. Urteile vom 18. Januar 1978 – 5 AZR 56/77 – AP Nr. 92 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 7. September 1989 – 6 AZR 637/88 – AP Nr. 129 zu § 611 BGB Gratifikation) hat der Senat aufgegeben; dies gilt mithin auch für die Entscheidungen vom 29. August 1979 (– 5 AZR 763/78 – und – 5 AZR 511/79 – AP Nr. 102 und 104 zu § 611 BGB Gratifikation) zum Tarifvertrag über die Gewährung eines Teils eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 12. Mai 1977. Der Senat hat ausgeführt, beim Fehlen einer ausdrücklichen Regelung für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit könne der Anspruch des Arbeitnehmers nicht allein mit der Überlegung verneint werden, eine tarifliche Sonderzahlung werde auch mit Rücksicht auf die für den Betrieb erbrachte Arbeitsleistung gewährt, wenn der Arbeitnehmer nicht einmal eine nicht ganz unerhebliche Arbeitsleistung von in der Regel zwei Wochen erbracht hat. Ein allgemeines Prinzip, daß der Anspruch entfällt, wenn während des Bezugszeitraums überhaupt keine oder keine nennenswerte Arbeitsleistung erbracht wird, gibt es nicht (BAG Urteil vom 2. September 1992 – 10 AZR 596/90 – n.v.).
e) Auf eine anderweitige Tarifübung, die die Beklagte behauptet hat, kommt es angesichts der eindeutigen tariflichen Regelung nicht an.
In mehreren Entscheidungen hat bereits der Sechste Senat gegen einen ungeschriebenen Rechtssatz, wie er in den Urteilen des Fünften Senats (z.B. Urteile vom 29. August 1979 – 5 AZR 763/78 – und – 5 AZR 511/79 – jeweils AP, aaO) zum Ausdruck kommt, Bedenken geltend gemacht und in seiner Entscheidung vom 24. Oktober 1990 (– 6 AZR 341/89 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Glasindustrie) den Rechtssatz aufgestellt, daß bei einer tariflichen Sonderzahlung, die sowohl die Entlohnung im Bezugszeitraum geleisteter Arbeit als auch die Belohnung erwiesener Betriebstreue bezweckt, es einer ausdrücklichen Quotenregelung bedürfe, wenn die Gratifikation für Zeiten gekürzt werden sollte, in denen das Arbeitsverhältnis ruhte. Enthalte der Tarifvertrag für diese Tatbestände keine Regelung, könne eine am Umfang der jährlichen Arbeitsleistung orientierte Kürzung der Gratifikation nicht mit einem allgemeinen Rechtsprinzip begründet werden. Wenn die Tarifvertragsparteien dann vereinbaren, daß das 13. Monatseinkommen mindestens 102 Gesamttarifstundenlöhne betragen soll, kann nicht davon ausgegangen werden, sie hätten auch für diesen Mindestbetrag noch eine Arbeitsleistung vorausgesetzt.
Nach allem steht dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung des 13. Monatseinkommens für das Jahr 1990 zu, so daß seine Revision begründet ist.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Dr. Haible, Bacher
Fundstellen
Haufe-Index 846718 |
BB 1993, 791 |
NJW 1993, 1735 |
NZA 1993, 464 |