Entscheidungsstichwort (Thema)
Mutterschutz, Beschäftigungsverbot und Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Ist die werdende Mutter arbeitsunfähig krank, so löst ein für denselben Zeitraum angeordnetes ärztliches Beschäftigungsverbot (§ 3 Abs. 1 MuSchG) keinen Anspruch auf Mutterschaftslohn (§ 11 Abs. 1 MuSchG) aus.
Normenkette
MuSchG § 11 Abs. 1, § 3 Abs. 1; BGB § 616 Abs. 1 a.F.
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 20.10.1993; Aktenzeichen 18 Sa 738/93) |
ArbG Krefeld (Urteil vom 23.03.1993; Aktenzeichen 2 Ca 3223/92) |
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 20. Oktober 1993 – 18 Sa 738/93 – wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revision nur noch darüber, ob die Klägerin von der Beklagten Mutterschutzlohn beanspruchen kann oder ob sie auf einen Krankengeldanspruch gegenüber ihrer Krankenkasse verwiesen ist.
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 1. Dezember 1991 als Sekretärin zu einem monatlichen Bruttogehalt von 3.700,00 DM beschäftigt. Unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung des sie behandelnden Gynäkologen Dr. med. B… vom 19. Juni 1992 zeigte die Klägerin der Beklagten ihre Schwangerschaft an. Als voraussichtlicher Geburtstermin war der 8. Februar 1993 angegeben. Der letzte Arbeitstag vor Beginn der sechswöchigen Schutzfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG war auf den 27. Dezember 1992 festgelegt.
Im Verlauf ihrer Schwangerschaft war die Klägerin in der Zeit vom 12. bis zum 18. August 1992 und vom 31. August bis zum 4. September 1992 arbeitsunfähig erkrankt. Am 27. Oktober 1992 traten Frühgeburtsbestrebungen in Form von Blutungen und einer Veränderung des Muttermundes auf. Der behandelnde Arzt Dr. B… bescheinigte der Klägerin hierauf krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, zunächst bis zum 11. November 1992. Sein Urlaubsvertreter untersuchte die Klägerin erneut; er attestierte eine Fortdauer der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 20. November 1992. Am 19. November 1992 untersuchte wiederum Dr. med. B… die Klägerin. Er stellte fest, daß keine weiteren Blutungen aufgetreten waren, der Muttermund jedoch weiterhin verändert war. Noch am 19. November 1992 stellte Dr. med. B… der Klägerin eine Bescheinigung über ein Beschäftigungsverbot aus, in der es heißt, daß die Klägerin gem. § 3 Abs. 1 MuSchG für die Zeit bis 27. Dezember 1992 aus ärztlicher Sicht “nicht arbeitsfähig” sei. Die Beklagte zahlte der Klägerin im Anschluß an die Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ab 25. November 1992 keinen Mutterschaftslohn nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.
Die Klägerin hat gemeint, die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG seien erfüllt. Ihr behandelnder Arzt habe ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG ausgesprochen. Als behandelnder Frauenarzt habe er in der konkreten Situation zu entscheiden, ob krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit festzustellen oder Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG zu erteilen sei. Im Gegensatz zur Ansicht der Beklagten liege keine das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot überlagernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vor.
Die Klägerin, die von der Beklagten bereits ab 19. November 1992 keine Zahlung mehr erhalten hat, nimmt die Beklagte auf Zahlung von Mutterschaftslohn für die Zeit vom 19. November bis 27. Dezember 1992 in Höhe von 4.743,96 DM brutto in Anspruch. Hilfsweise habe sie für die Zeit vom 19. bis zum 25. November 1992 851,48 DM brutto als Gehaltsfortzahlung für den Krankheitsfall zu erhalten.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Zeitraum vom 19. November bis zum 27. Dezember 1992 4.743,96 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, der Betrag von 851,48 DM brutto sei inzwischen gezahlt worden. Eine weitergehende Forderung stehe der Klägerin nicht zu. Sie habe keinen Anspruch auf Mutterschutzlohn, weil sie über den 19. November 1992 hinaus tatsächlich arbeitsunfähig krank gewesen sei. Die Schwangerschaft sei irregulär verlaufen. Am 19. November 1992 habe eine erhöhte Risikosituation bei der Klägerin vorgelegen.
Nach Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen Dr. med. B… hat das Arbeitsgericht der Klage mit der Begründung stattgegeben, Dr. med. B… habe tatsächlich ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen. Ohne erneute Anhörung des Zeugen hat das Landesarbeitsgericht der Klage in Höhe von 851,48 DM brutto stattgegeben und sie im übrigen, nämlich hinsichtlich des beanspruchten Mutterschutzlohnes, abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Die Gehaltsfortzahlung in Höhe von 851,48 DM brutto ist nicht mehr im Streit.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Im hier interessierenden Teil hat das Landesarbeitsgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Zahlung von Mutterschaftslohn nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG liegen nicht vor. Die Klägerin hat von ihrer Weiterarbeit nicht aufgrund eines ärztlichen Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1 MuSchG abgesehen. Vielmehr hat ihr Arzt ihr eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bescheinigt.
1. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG hat der Arbeitgeber einer schwangeren Frau Mutterschaftslohn zu zahlen, wenn die Frau wegen eines Beschäftigungsverbots ganz oder teilweise mit der Arbeit aussetzt. Dabei ist der Durchschnittsverdienst der letzten 13 Wochen oder der letzten drei Monate vor Beginn der Schwangerschaft weiter zu gewähren, soweit die Frau kein Mutterschaftsgeld beanspruchen kann.
2. Ein Anspruch auf Mutterschaftslohn nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG besteht indes nur, wenn allein das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot dazu führt, daß die Schwangere mit der Arbeit aussetzt. Dies hat das Landesarbeitsgericht richtig erkannt.
a) Das Beschäftigungsverbot muß die nicht wegzudenkende Ursache für das Nichtleisten der Arbeit und den damit verbundenen grundsätzlichen Verdienstausfall sein. Dieser Ursachenzusammenhang ist nur gegeben, wenn die Schwangere in Befolgung des Beschäftigungsverbots teilweise oder völlig mit der Arbeit aussetzt und sie dadurch eine Verdiensteinbuße hinnehmen müßte. Dieser für die Zahlung des Mutterschutzlohnes erforderliche Ursachenzusammenhang ist unterbrochen, wenn andere Gründe allein oder neben dem Beschäftigungsverbot dazu führen, daß die schwangere Arbeitnehmerin mit der Arbeit aussetzt und sie deshalb weniger oder nichts verdient. Zu den Gründen, die den für die Zahlung des Mutterschutzlohnes erforderlichen Kausalzusammenhang ausschließen, zählt auch eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der Schwangeren. Solange eine Schwangere für die Zeit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit Ansprüche auf Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall geltend machen kann, erleidet sie aus mutterschutzrechtlichen Gründen keinen Verdienstausfall. Ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung erschöpft, die der Arbeitsunfähigkeit zugrundeliegende Krankheit aber nicht beendet, so kann die Frau auch nicht deshalb Mutterschutzlohn verlangen, weil sie sonst nur mit einer nach dem Mutterschutzgesetz verbotenen Arbeit hätte beschäftigt werden können. Auch nach Beendigung der Pflicht des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot nicht die alleinige Ursache für die Verdiensteinbuße der Schwangeren (BAG Urteil vom 21. März 1969 – 3 AZR 300/68 – AP Nr. 2 zu § 11 MuSchG 1968; BSG Urteil vom 17. April 1991 – 1/3 RK 21/88 – BB 1991, 1642; Gröninger/ Thomas, MuSchG, Stand 1994, § 11 Rz 48; Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl. 1981, § 11 Rz 37; Meisel/Sowka, Mutterschutz, Mutterschaftshilfe und Erziehungsgeld, 3. Aufl. 1988, § 11 MuSchG Rz 84 bis 86; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschuzgesetz, Mutterschaftsleistungen, Bundeserziehungsgeldgesetz, 7. Aufl. 1994, § 11 MuSchG Rz 14).
Zweck des § 11 MuSchG ist zwar, der Schwangeren den bisherigen Lebensstandard zu erhalten und jeden Anreiz für sie zu beseitigen, entgegen einem Beschäftigungsverbot die Arbeit aus wirtschaftlichen Gründen zu ihrem oder ihres Kindes Schaden fortzusetzen (statt vieler: BAGE 48, 173 = AP Nr. 11 zu § 11 MuSchG 1968, m.w.N.). Jedoch soll der Mutterschutzlohn nach § 11 MuSchG nur das Risiko des Verdienstausfalles gerade wegen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots abdecken, nicht aber ein Verdienstausfallrisiko aus anderen Gründen. Dies kommt auch in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck. Im Bericht des Ausschusses für Arbeit heißt es dazu, Voraussetzung für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Fortzahlung des bisherigen Durchschnittsverdienstes sei es, daß die Frau nicht krank im Sinne der Reichsversicherungsordnung sei; in diesem Fall stehe ihr nur der Anspruch auf Lohnfortzahlung nach den Vorschriften über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu (Bericht zu BT-Drucks. IV/3652 S. 6 zu Nr. 12).
b) Hieran gemessen hat das Landesarbeitsgericht zutreffend zwischen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und dem ärztlichen Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG unterschieden. Ein von einem Arzt nach § 3 Abs. 1 MuSchG ausgesprochenes Verbot der Beschäftigung der werdenden Mutter löst nur dann einen Anspruch auf Zahlung von Mutterschaftslohn aus, wenn ein normaler Verlauf der Schwangerschaft vorliegt. Schwangerschaft ist im arbeitsrechtlichen Sinn weder eine Krankheit noch ein Unglück (!) (ständige Rechtsprechung, zuletzt: BAGE 47, 195 = AP Nr. 61 zu § 1 LohnFG). Liegt dagegen ein anomaler Verlauf der Schwangerschaft vor, bei dem über das übliche Maß hinausgehende Beschwerden oder krankhafte Störungen auftreten, so handelt es sich um eine Krankheit im arbeitsrechtlichen Sinne (BAGE 47, 195 = AP Nr. 61 zu § 1 LohnFG). Diese kann einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auslösen. Wird zusätzlich ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG ausgesprochen, so begründet dieses keinen Anspruch auf Mutterschaftslohn (so auch BSG Urteil vom 17. April 1991, BB 1991, 1642; Gröninger/Thomas, aaO, § 11 MuSchG Rz 49; Meisel/Sowka, aaO, § 11 MuSchG Rz 86; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, aaO, § 11 MuSchG Rz 43; Bulla/Buchner, aaO, Vorbem. 8 vor § 3 MuSchG).
3. Das Landesarbeitsgericht ist zu der Ansicht gelangt, die Klägerin habe ihre Tätigkeit zwar aufgrund der Bescheinigung ihres behandelnden Arztes vom 19. November 1991 nicht wieder aufgenommen. Wie sich aus dessen Zeugenaussage im ersten Rechtszug ergebe, habe er jedoch der Sache nach kein Beschäftigungsverbot im Sinne des § 3 Abs. 1 MuSchG ausgesprochen, sondern der Klägerin in Wirklichkeit eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Denn nach den Bekundungen des Arztes hätte die Klägerin ihre Arbeitsleistung nur unter der Gefahr erbringen können, ihren Zustand zu verschlimmern. Die Klägerin sei also ab 19. November 1992 krankheitsbedingt arbeitsunfähig gewesen. Diese Feststellung ist für das Revisionsgericht bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO).
a) Nach § 286 ZPO hat das Tatsachengericht sich seine Überzeugung darüber, ob eine streitige Behauptung wahr ist oder nicht, unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Würdigung des Inhalts der Verhandlung und des Beweisergebnisses sind für das Revisionsgericht bindend (§ 561 ZPO). Das Revisionsgericht darf nur prüfen, ob die Würdigung des Berufungsgerichts möglich ist, sie nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt und die Revision zulässige und begründete Verfahrensrügen erhoben hat (ständige Rechtsprechung, statt vieler: BAG Urteil vom 5. November 1992 – 2 AZR 147/92 – AP Nr. 4 zu § 626 BGB Krankheit, m.w.N.).
b) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts stand. Seine Annahme, es habe bei der Klägerin noch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unter dem Gesichtspunkt vorgelegen, daß die Schwangerschaft anomal verlaufen sei und die Klägerin ihre Arbeit nur unter der Gefahr hätte erbringen können, alsbald ihren Gesundheitszustand erneut zu verschlimmern, verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Die bloße Möglichkeit, die Aussage des Zeugen Dr. B… auch anders zu verstehen und dahin zu würdigen, daß bei der Klägerin am 19. November 1991 keine Krankheit, sondern eine Risikoschwangerschaft vorgelegen habe, macht die gegenteilige Feststellung des Landesarbeitsgerichts nicht rechtsfehlerhaft. Allerdings hätte es nahegelegen, den behandelnden Arzt im zweiten Rechtszug erneut anzuhören, statt sogleich aus seiner Aussage andere Schlußfolgerungen als das Arbeitsgericht zu ziehen. Die Revision hat insoweit keine Verfahrensrüge erhoben. Daher hat das Revisionsgericht nicht zu prüfen, ob das Landesarbeitsgericht gegen § 398 ZPO verstoßen hat.
Unterschriften
Griebeling, Schliemann, Reinecke, Kähler, Hansen
Fundstellen
BAGE, 307 |
BB 1995, 1356 |
NJW 1995, 2434 |
NZA 1995, 837 |