Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Änderungskündigung. Sozialauswahl. Gleichrangigkeit der Sozialkriterien. Gewichtung der Grunddaten. Verfahrensrüge
Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen der Sozialauswahl ist eine um drei Jahre längere Betriebszugehörigkeit nicht geeignet, drei Unterhaltspflichten aufzuwiegen, wenn der Unterhaltsverpflichtete seinerseits eine Betriebszugehörigkeit von immerhin sechs Jahren aufzuweisen hat.
Orientierungssatz
1. Keinem der in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten Sozialkriterien kommt eine Priorität gegenüber den anderen zu. Vielmehr sind stets die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern mit Blick auf die sog. Grunddaten zu berücksichtigen und abzuwägen. Bei der Gewichtung kommt dem Arbeitgeber ein Wertungsspielraum zu. Dieser führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer sich mit Erfolg auf einen Auswahlfehler berufen können.
2. Bei einer ordentlichen Änderungskündigung ist – unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer sie unter Vorbehalt angenommen hat oder nicht – zu prüfen, ob der Arbeitgeber, statt die Arbeitsbedingungen des gekündigten Arbeitnehmers zu ändern, diese Änderung einem anderen vergleichbaren Arbeitnehmer hätte anbieten können, dem sie eher zumutbar gewesen wäre. Auch hierfür sind grundsätzlich allein die gesetzlichen Auswahlkriterien maßgebend.
3. Bei der Prüfung der „ausreichenden” Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte im Rahmen der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers besitzt das Berufungsgericht wegen der damit verbundenen Würdigung von Tatsachen einen Beurteilungsspielraum, so dass seine Entscheidung in der Revisionsinstanz nur beschränkt überprüfbar ist.
Normenkette
GG Art. 6 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 3 S. 1, § 2 S. 1; BGB § 1360 ff., § 1601 ff.; ZPO § 138 Abs. 3, § 551 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 320
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 9. Januar 2014 – 6 Sa 533/13 – wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Berufung gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von 5.009,42 Euro brutto nebst Zinsen in dem Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24. Mai 2013 – 1 Ca 9278/12 – richtet.
2. Im Übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung und eine Bonuszahlung.
Die Beklagte entwickelt und vertreibt interaktive Unterhaltungssoftware. In ihrem Betrieb am Unternehmenssitz in K beschäftigt sie rund 108 Arbeitnehmer. Der im Februar 1972 geborene, verheiratete und zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit Oktober 2006 mit einer Wochenarbeitszeit von 38,75 Stunden bei ihr tätig. Sein Bruttomonatsentgelt beträgt 3.287,08 Euro. Nach Maßgabe einer Zusatzvereinbarung hat er Anspruch auf eine Bonuszahlung.
Mit Schreiben vom 5. November 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 28. Februar 2013. Zugleich bot sie dem Kläger ab dem 1. März 2013 eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit einer Arbeitszeit von zehn Wochenstunden und einer Bruttomonatsvergütung von 848,28 Euro an.
Der Kläger hat das Änderungsangebot abgelehnt und fristgerecht Klage erhoben. Er hat gemeint, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Die Beklagte habe bei seiner Auswahl die gesetzlichen Kriterien nicht ausreichend berücksichtigt. Zudem stehe ihm ein Bonus für das Geschäftsjahr 2011 in Höhe von 12,7 % seines Jahresgrundgehalts zu. Er habe alle festgelegten Ziele erreicht.
Der Kläger hat beantragt
- festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 5. November 2012 nicht aufgelöst worden ist;
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.009,52 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigung als wirksam verteidigt. Einen Bonus für das Geschäftsjahr 2011 könne der Kläger nicht beanspruchen. Er habe drei Ziele verfehlt.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte weiterhin deren Abweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
A. Hinsichtlich des Feststellungsantrags ist die Revision unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Kündigung jedenfalls deshalb unwirksam ist, weil die Beklagte bei der Auswahl des Klägers soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat.
I. Nach § 2 Satz 1 iVm. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist eine Änderungskündigung trotz Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, bestehende Unterhaltspflichten und eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.
1. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG verlangt vom Arbeitgeber die „ausreichende” Berücksichtigung der dort aufgeführten Auswahlkriterien. Dem Gesetzeswortlaut ist nicht zu entnehmen, wie die genannten sozialen Gesichtspunkte zueinander ins Verhältnis zu setzen sind. Keinem Kriterium kommt eine Priorität gegenüber den anderen zu. Vielmehr sind stets die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern und deren „Sozialdaten” zu berücksichtigen und abzuwägen. Dabei braucht der Arbeitgeber nicht die „bestmögliche” Sozialauswahl vorgenommen zu haben. Ebenso wenig ist entscheidend, ob das Arbeitsgericht dieselbe Auswahl getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich die sozialen Erwägungen hätte anstellen und die sozialen Grunddaten hätte gewichten müssen. Der dem Arbeitgeber einzuräumende Wertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer sich mit Erfolg auf einen Auswahlfehler berufen können (BAG 22. März 2012 – 2 AZR 167/11 – Rn. 19; 7. Juli 2011 – 2 AZR 476/10 – Rn. 48; jeweils mwN).
2. Bei einer Änderungskündigung ist die Sozialauswahl nicht allein daran auszurichten, welcher von mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern durch den Verlust des Arbeitsplatzes am wenigsten hart getroffen würde. Da es bei der ordentlichen Änderungskündigung – unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer sie unter Vorbehalt angenommen hat oder nicht – um die soziale Rechtfertigung des Änderungsangebots geht, ist darauf Bedacht zu nehmen, wie sich die vorgeschlagene Vertragsänderung auf den sozialen Status vergleichbarer Arbeitnehmer auswirkt. Es ist zu prüfen, ob der Arbeitgeber, statt die Arbeitsbedingungen des gekündigten Arbeitnehmers zu ändern, diese Änderung einem vergleichbaren Arbeitnehmer hätte anbieten können, dem sie eher zumutbar gewesen wäre. Auch hierfür sind allein die Kriterien Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, Lebensalter und Schwerbehinderung maßgebend. Eine Heranziehung zusätzlicher Faktoren und Kriterien muss wegen der klaren gesetzlichen Regelung unterbleiben. Es kommt allenfalls eine Ergänzung im Rahmen der Gewichtung der Grunddaten aus § 1 Abs. 3 KSchG in Betracht, soweit die ergänzenden Faktoren einen unmittelbaren Bezug zu diesen Daten haben (BAG 12. August 2010 – 2 AZR 945/08 – Rn. 46 mwN).
3. Bei der Prüfung der „ausreichenden” Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte im Rahmen der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers besitzt das Landesarbeitsgericht einen gewissen Beurteilungsspielraum. Sein Urteil kann wegen der mit ihm verbundenen Würdigung auch tatsächlicher Umstände vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob es den Inhalt der Norm selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (BAG 22. März 2012 – 2 AZR 167/11 – Rn. 22; 18. Oktober 2006 – 2 AZR 473/05 – Rn. 17, BAGE 120, 18; jeweils mwN).
II. Diesem Maßstab hält das Berufungsurteil allemal stand. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Beklagte bei der Auswahl des Klägers den ihr zukommenden Wertungsspielraum überschritten habe. Es durfte die Arbeitnehmerin K. für sozial deutlich stärker als den Kläger halten.
1. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, der Kläger sei gegenüber der im August 1970 geborenen, seit Oktober 2003 bei der Beklagten beschäftigten, ledigen und kinderlosen Arbeitnehmerin K. sozial deutlich schutzbedürftiger. Im Vergleich zu der „nur” drei Jahre längeren Betriebszugehörigkeit von Frau K. wögen die Unterhaltspflichten des Klägers gegenüber seiner Ehefrau und seinen beiden minderjährigen Kindern erheblich schwerer, so dass die Gewichtung der Sozialkriterien insgesamt nicht mehr als ausreichend bezeichnet werden könne.
2. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Das Landesarbeitsgericht ist von den zu A I 1 und 2 bezeichneten Grundsätzen ausgegangen. Es hat keinem Auswahlkriterium einen generellen und absoluten Vorrang eingeräumt. Soweit es – lediglich zur Bestätigung des bereits gefundenen Ergebnisses – auf den Achten Familienbericht der Bundesregierung (BT-Drs. 17/9000) Bezug genommen hat, hat es im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht mehr als eine starke Beachtung etwa bestehender Unterhaltspflichten bei der Abwägung der individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern mit Blick auf deren Grunddaten gefordert. In diesem Zusammenhang darf berücksichtigt werden, dass ältere Arbeitnehmer durch das Abstellen auf die Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter überproportional begünstigt sein können (vgl. BAG 5. Dezember 2002 – 2 AZR 549/01 – zu B III 5 der Gründe für ein – mit der Mitarbeitervertretung „abgestimmtes” – Punkteschema).
b) Das Landesarbeitsgericht hat den Wertungsspielraum der Beklagten nicht unvertretbar eingeengt. Es durfte den Kläger als sozial deutlich schutzwürdiger ansehen. Im individuellen Vergleich mit Frau K. hat es weder einzelne Grunddaten unzulässig überbewertet noch andere überhaupt nicht berücksichtigt.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat den Altersunterschied von ca. anderthalb Jahren zwischen dem Kläger und Frau K. nicht übersehen, sondern zu Recht für „geringfügig” erachtet. Beide befanden sich im Kündigungszeitpunkt in einem Alter, in dem von ähnlich guten Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt auszugehen war (vgl. BAG 7. Juli 2011 – 2 AZR 476/10 – Rn. 50 mwN). Auf diese Chancen durfte das Landesarbeitsgericht wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen der fraglichen Änderungskündigung Bedacht nehmen. Die Beklagte ging selbst davon aus, dass infolge der erheblich abgesenkten Vergütung der zu kündigende Arbeitnehmer eine andere oder zumindest eine zusätzliche Beschäftigung werde aufnehmen müssen.
bb) Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, Frau K. sei „nur” drei Jahre länger bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Damit hat es nicht verkannt, dass die Dauer der Betriebszugehörigkeit ein Sozialdatum von erheblichem Gewicht ist (vgl. BAG 6. Februar 2003 – 2 AZR 623/01 – zu II 1 b bb (1) der Gründe). Es hat die längere Betriebszugehörigkeit lediglich nicht als beträchtlich angesehen. Da es auf die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern ankommt, ist dies nicht zu beanstanden. In der Gesamtschau von absoluter Differenz und prozentualem Verhältnis der beiden Daten (zu diesen beiden sich ergänzenden Betrachtungsweisen vgl. LAG Hamm 21. Oktober 2008 – 9 Sa 966/08 – zu II 1 b bb (1) der Gründe) lässt sich angesichts einer Beschäftigungsdauer von immerhin sechs Jahren auf Seiten des Klägers nicht sagen, dass Frau K. mit ihrer Beschäftigungszeit von neun Jahren von der Änderung der Arbeitsbedingungen erheblich härter getroffen worden wäre. Bei kürzerer Betriebszugehörigkeit des Klägers wäre ein dreijähriger „Beschäftigungsvorsprung” womöglich stärker ins Gewicht gefallen (vgl. BAG 7. Juli 2011 – 2 AZR 476/10 – Rn. 52).
cc) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, wegen der annähernden Gleichrangigkeit bei den anderen Sozialkriterien liege angesichts des erheblichen Unterschieds bei den Unterhaltspflichten ein Auswahlfehler der Beklagten vor, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
(1) Der Senat hat davon auszugehen, dass den Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung drei „volle” Unterhaltspflichten trafen. Unstreitig schuldete er seinen minderjährigen Kindern Unterhalt (§§ 1601 ff. BGB). Seine unterhaltsberechtigte (§§ 1360 ff. BGB) Ehefrau bezog ein monatliches Einkommen von ca. 600,00 Euro brutto, entsprechend etwa 300,00 Euro netto. Dieses in der Berufungsverhandlung protokollierte Vorbringen des Klägers hat das Landesarbeitsgericht im Tatbestand seiner Entscheidung als „unwidersprochen” – und damit als zugestanden iSv. § 138 Abs. 3 ZPO – bezeichnet. Stellt das Berufungsgericht fest, dass eine Partei zu einer bestimmten Behauptung ihres Gegners keine Stellung genommen hat, kann diese Feststellung nur mit einem erfolgreichen – hier nicht (fristgerecht) gestellten – Berichtigungsantrag gemäß § 320 ZPO beseitigt werden (vgl. BAG 13. März 1964 – 1 AZR 100/63 – zu II 1 der Gründe; BGH 8. Januar 2007 – II ZR 334/04 – Rn. 11).
(2) Da es grundsätzlich darauf ankommt, welche Unterhaltspflichten zum Zeitpunkt der Kündigung bestanden, hat das Landesarbeitsgericht zu Recht nicht darüber spekuliert, ob es der Ehefrau des Klägers gelingen werde, eine – erheblich – besser bezahlte Beschäftigung zu finden. Im Übrigen könnte ein erhöhtes Einkommen seiner Frau allenfalls dazu führen, dass beim Kläger eine Unterhaltspflicht aufgrund Doppelverdienstes weniger stark zu gewichten wäre (vgl. BAG 5. Dezember 2002 – 2 AZR 549/01 – zu B III 6 a der Gründe; ErfK/Oetker 15. Aufl. § 1 KSchG Rn. 333a). Hingegen dürfte nach den gesetzlichen Vorgaben ein Unterhaltsanspruch des Klägers gegen seine Ehefrau nicht zu seinen Lasten berücksichtigt werden. Keinesfalls wäre es mit der Wertentscheidung des Grundgesetzes (Art. 6 Abs. 1) vereinbar, § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG dahin auszulegen, dass der Arbeitgeber im Ergebnis verpflichtet wäre, einem verheirateten Arbeitnehmer allein wegen seiner familiären Bindung zu kündigen (vgl. BAG 5. Dezember 2002 – 2 AZR 549/01 – zu B III 4 b der Gründe). Zudem würde sich die Berücksichtigung von Doppelverdiensten als mittelbare Diskriminierung von Frauen auswirken können.
c) Das Landesarbeitsgericht hat sich nicht etwa für befugt gehalten, eine eigene Punktetabelle aufzustellen und die von der Beklagten vorgenommene Sozialauswahl daran zu messen (vgl. BAG 24. März 1983 – 2 AZR 21/82 – BAGE 42, 151 zur Verwerfung der sog. Hammer Tabelle). Durch die Anwendung eines vom Bundesarbeitsgericht (BAG 6. November 2008 – 2 AZR 523/07 – BAGE 128, 238) nicht beanstandeten Punkteschemas hat es sein Ergebnis lediglich „abgesichert”. Die Anwendung anderweitig anerkannter Punktetabellen darf zwar nicht zu einer nachträglichen, fiktiven Sozialauswahl führen. Sie kann jedoch ein „Indiz” dafür sein, dass die vorgenommene Auswahl – noch – „ausreichend” ist (vgl. LAG Hamm 21. Oktober 2008 – 9 Sa 966/08 – zu II 1 b bb (1) der Gründe). In diesem Sinn kann sich die Beklagte ihrerseits aber nicht auf eine Entscheidung des Senats vom 5. November 2009 stützen. Dort ging es aufgrund von Vereinbarungen der Betriebsparteien um die Überprüfung der Sozialauswahl am – hier nicht einschlägigen – Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit gemäß § 1 Abs. 4 und Abs. 5 Satz 2 KSchG (vgl. BAG 5. November 2009 – 2 AZR 676/08 – Rn. 29). Für ein einseitig aufgestelltes Punkteschema des Arbeitgebers wird hingegen vertreten, dass die Sozialkriterien dann nicht mehr in ein billigenswertes Verhältnis gesetzt seien, wenn die Unterhaltspflicht für ein Kind wie zwei Jahre Betriebszugehörigkeit und zwei Lebensjahre gewichtet werde (vgl. ArbG Ludwigshafen 8. Februar 2005 – 8 Ca 2824/04 –; ErfK/Oetker 15. Aufl. § 1 KSchG Rn. 337).
d) Soweit die Beklagte mit ihrem Verweis auf die prinzipielle Gleichrangigkeit der Auswahlkriterien die Vorstellung verbunden haben sollte, es komme nur darauf an, wie viele der vier gesetzlichen Kriterien zugunsten des einen und wie viele zugunsten des anderen Arbeitnehmers ausschlügen, ohne dass das Maß des jeweiligen Unterschieds von Bedeutung wäre, hätte sie die gesetzliche Regelung missverstanden. Nur weil im Streitfall Frau K. mit zwei Kriterien – Dauer der Betriebszugehörigkeit und Lebensalter –, der Kläger aber lediglich mit einem Kriterium – Unterhaltspflichten – im Vorteil liegt, ist über die zu treffende Auswahl nichts gesagt. Vielmehr verlangt gerade die Gleichrangigkeit der Auswahlkriterien danach, die mit ihnen verbundenen konkreten Daten der betroffenen Arbeitnehmer in ein Verhältnis zueinander zu setzen. Es liegt auf der Hand, dass ein Kriterium relativ umso stärker ins Gewicht fällt, je größer der durch dieses aufgezeigte Unterschied zugunsten des einen Mitarbeiters ausfällt. Anderenfalls würde die Gleichrangigkeit der Auswahlkriterien in der sozialen Wirklichkeit gerade verfehlt.
B. Hinsichtlich des Zahlungsantrags ist die Revision unzulässig. Die Beklagte hat insofern weder die Auslegung noch die Anwendung des materiellen Rechts beanstandet, sondern ausschließlich Mängel des Verfahrens geltend gemacht.
I. Die erhobenen Verfahrensrügen sind unzulässig. Sie sind nicht ausreichend begründet iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO.
1. Sofern die Beklagte monieren möchte, das Landesarbeitsgericht habe übersehen, dass die Parteien Ziele „festgelegt” hätten, die nicht aus dem „Objective Plan FY 11” ersichtlich gewesen seien, und dass der Kläger diese „verfehlt” habe, hat sie nicht dargetan, welchen ausreichend substantiierten, unter Beweis gestellten Vortrag zu einer „Festlegung” solcher Ziele sie in den Tatsacheninstanzen an welcher Stelle gehalten habe (zu diesen Anforderungen vgl. BAG 12. Juli 2007 – 2 AZR 666/05 – Rn. 26).
2. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang einen Hinweis nach § 139 ZPO vermisst, legt sie zum einen nicht dar, warum das Landesarbeitsgericht einen solchen Hinweis hätte erteilen müssen, nachdem schon das Arbeitsgericht der Zahlungsklage mit gleicher Begründung stattgegeben hatte. Zum anderen führt sie nicht aus, welchen Tatsachenvortrag sie auf den begehrten Hinweis hin gehalten oder welche Rechtsausführungen sie dann gemacht hätte (zu dieser Anforderung vgl. BAG 18. September 2014 – 6 AZR 145/13 – Rn. 34 mwN). In der Revisionsbegründung heißt es nur, sie hätte „hierzu weiter Stellung nehmen können”.
II. Die Unzulässigkeit der Verfahrensrügen führt zur Verwerfung der Revision in Bezug auf diesen Streitgegenstand. Eine Nachprüfung der sachlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung ist dem Senat insoweit verwehrt (vgl. BAG 6. Januar 2004 – 9 AZR 680/02 – zu II 4 der Gründe, BAGE 109, 145).
C. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Kreft, Rachor, Niemann, Söller, B. Schipp
Fundstellen
Haufe-Index 7650607 |
BAGE 2015, 330 |
BB 2015, 691 |
DB 2015, 7 |
DB 2015, 812 |